So ist das eben, wenn was gut ist. Da kommt eine neue Band mit lokal bekannten Gesichtern aus dem Übungsraum und rockt die Stadt. Die Münchner HELLFIRE spielen eine unglaubliche Mixtur aus stoischen Wave-Beats, wilden Frauenstimmen und seltsamen Texten. Nike (Bass), Naomi (Gesang, Keyboard), Nadja (Gesang, Keyboard), Robert (Gesang, Gitarre) und Bea (Schlagzeug) machen schon seit langem Musik in Bands wie MASS, TEAM DORSCH, BEYOND MATTER, LB PAGE, STEAK oder, wie Robert, als Komponist für die spanischen LA FURA DEL BAUS. Das Debüt-Album „Heaven don’t want You? Hellfire will take You“ erschien auf Kollaps/Hausmusik, also bei den Münchner Labels, die ungewöhnliche Musik zu schätzen wissen. Alles nur Hype? Wir trafen Robert und Bea an einem schönen Frühlingstag in München.
HELLFIRE ist ja nicht nur ein ziemlich rockiger Bandname, so heißt auch eine Sorte ferngesteuerter Kampfraketen. Ist das Absicht?
Bea: Nein. Und auf unserer Tour im März war das schon etwas seltsam, weil das genau zu dieser Zeit durch den Krieg in einen Kontext kam, bei dem es einen schon friert. Als wir uns aber ursprünglich für den Namen entschieden haben, wussten wir gar nichts von diesen Raketen.“
Robert: „Wir haben dann irgendwann wegen unserer Homepage im Netz geschaut, ob der Name schon besetzt ist. Und da waren wir schon ziemlich erstaunt, wie viel Zeug ‚Hellfire’ heißt.
Andere Bands?
Bea: Nee, so komische Sado-Maso-Girl-Seiten und dann eben dieses Raketen-Militär-Zeug und natürlich religiöse Sachen wegen Höllenfeuer.
In eurer Musik tauchen ja viele Wave-Elemente auf, in Reviews und Artikeln stehen immer wieder Verweise auf B-52, WIRE oder DEVO. Seht ihr euch denn als Retro-Band oder ist das alles nur Zufall?
Bea: Das ist halt einer der Backgrounds bei uns, das kommt vielleicht durch unser Alter. Meine musikalischen Vorlieben haben eben auch Wurzeln in den 80ern und es gibt Punk- und Wave-Sachen, die ich geil finde. Da bringt eben jeder so sein Ding mit. Ich sehe uns aber nicht als 80er-Retro-Band und ich finde, dass wir auch nicht so klingen. Wir haben schließlich auch Sachen aus den 60er und 70er-Jahren in unserer Musik oder Rockelemente, die ganz klar aus der heutigen Zeit stammen. Das ist halt so eine Mixtur.
Robert: Das liegt auch an den Rhythmen, die haben eine gewisse Kargheit oder Einfachheit. Das wurde schon immer gerne gemacht, das lullt dich total ein. Ich merke das auch beim Spielen, dass ich an der Gitarre eigentlich immer weniger als mehr mache. Und es gab ja in den 70ern dieses Rumgedudel, Fusion ohne Ende, schneller, bombastischer und immer mehr. Das hat sich alles total entschlackt, und da steh ich auch drauf.
Bea: Ich glaube, da stehen wir alle drauf.
Habt ihr denn alle eine Punkvergangenheit? Schließlich war das damals eine klare Absage an den Bombastrock.
Robert: Also ich nicht. Ich habe eher eine ziemlich starke Minimal-Vergangenheit. Das trifft sich aber auch wieder. Da sind kleine Patterns, Wiederholungen, simple Sachen, die aber auf dem Punkt sind. Oft nur zwei Töne, die sind dann an einer bestimmten Stelle, aber da gehören sie auch hin. Und das haben auch in den 80ern viele Leute für sich entdeckt. Das ist eben aus der Minimal- in die Popkultur rübergeschwappt.
Auffällig ist ja, dass ihr ausgerechnet jetzt solche Musik macht, wo immer mehr Retro-Sachen aus den 80ern Musik und Mode bestimmen.
Bea: Ich bekomme schon mit, dass wieder viel aufgelegt wird, und dass Leute aus ihren Kisten die Platten von vor 20 Jahren rauskramen. Aber ich wüsste jetzt gar nicht, wo in der Musikszene in Deutschland entsprechende Bands wären. Es gibt natürlich MIA, aber die kenne ich zum Beispiel gar nicht. Und wo wir uns hinentwickeln, ist auf jeden Fall nicht in die Richtung irgendwelcher neu gesignten MTV-Bands, die lustige Wave-Stücke abliefern. Ich glaube wir gehen zur Zeit eher in eine Richtung, die man auf unserer Platte vielleicht noch gar nicht so hört. Da ist noch vieles offen.
Mir ist aufgefallen, dass eure Musik immer wilder und rockiger wird.
Bea: Ja, das stimmt. Wir haben neulich mal alte Sachen angehört, so ganz frühe Übungsraumsachen. Das war schon interessant, welchen Weg wir in zwei Jahren zurückgelegt haben. Viele Sachen haben sich ganz schön verändert.
Robert: Die Geschwindigkeit mancher Stücke ist zum Teil doppelt so schnell, wie wir sie jetzt spielen. Die langsameren Stücke, die können schon wieder kommen, aber im Moment ist da eher so Sturm und Drang und Gas geben.
Ihr tauscht ja eure Instrumente ständig untereinander. Warum macht ihr das?
Bea: Da hat halt auch jeder seine Stärken woanders. Die Nike zum Beispiel hat eine ganz andere Art Gitarre oder Bass zu spielen als der Robert und bei manchen Sachen passt das eben besser.
Robert: Das ist dann auch das Überraschende bei unseren Stücken, die dann doch wieder so verschieden sind. Dadurch kriegst du auch eine andere Klangqualität. Die Gitarre, die Nike zum Beispiel bei unserem Song ‚Kuscheln’ spielt, die wäre mir nie so eingefallen, das hätte ich nie hinbekommen.
„Kuscheln“ ist euer Abräumer, der auch als Single rauskam und in dem Naomi von Sachen wie „Gruppenkuscheln“ singt. Wie kommt man denn auf so einen Song?
Robert: Das war bei einer Probe, da hat Naomi gesagt: Spielt doch mal einen Breakbeat. Und dann hat jeder irgendwie gespielt, was er darunter verstand und dann kam dieser Text von Naomi dazu.
Bea: Ich fand das erst total kacke und habe erst ein wenig gebraucht, um das zu begreifen. Die anderen fanden das Stück von Anfang an geil.
Welche Bedeutung haben denn die Texte?
Bea: Die sind schon sehr wichtig.
Robert: Ich mache da fast gar nichts, das sind hauptsächlich Nadja, Naomi und Bea. Die haben Bücher voller Texte über persönliche Sachen oder Dinge, die ihnen oder anderen passiert sind.
Kennt ihr euch denn schon lange?
Bea: Ja. Und wir machen alle auch schon länger Musik. Robert, Nike und ich haben dann vor knapp zwei Jahren zusammen angefangen, und wollten dann noch eine Frau, die singt. Ich kannte Nadja noch aus meiner Zeit bei LB PAGE und mir hatte das gut gefallen, was die damals gemacht hat. Naomi kam über Nike dazu. Die hat erst nur Keyboard gespielt und dann aber schnell gemerkt, dass sie ziemlich gerne singt.
Robert, du bist ja der einzige Berufsmusiker in der Band. Hast du dadurch auch am meisten Einfluss auf euren Sound?
Robert: Das möchte man befürchten, aber zum Glück ist es nicht so. Da hätte ich auch überhaupt keinen Bock drauf, ehrlich gesagt. Unsere Musik kommt von uns allen.
Genauso ungern lasst ihr euch sicherlich als „Frauenband plus Mann“ bezeichnen?
Robert: Ich habe überhaupt kein Problem damit. Im Endeffekt sind wir fünf und machen Musik. Und was dann mit dieser Sache passiert, mittlerweile stehen wir darüber.
Bea: Ich vergesse es manchmal, wie es sein muss für den Robert. Zum Beispiel im Tourbus ist alles dann schon oft sehr weiblich.
Äh, in welcher Beziehung?
Bea: Rumschreien zum Beispiel, und die ganzen Zeitschriften.
Robert: Stimmt, alles was die Tankstelle hergibt an Frauenzeitschriften.
Bea: Aber was ich schon geil finde, ist, dass viele Frauen auf unseren Konzerten total ausflippen. Ich glaube, dass man denen damit auch Mut macht, einfach so Musik zu machen.
Robert: Da war zum Beispiel diese E-Mail aus Linz. Leute, die uns nach dem Konzert geschrieben haben: Wir gehen am nächsten Tag Instrumente klauen und fangen auch an.
Bea: Da finde ich es dann wieder gut, dass wir eine ‚Frauenband’ mit einem Mann sind. Das hat so einen Role-Model-Charakter. Das war mir vor der Tour nicht so bewusst.
Glaubt ihr, dass Frauen in Bands als etwas Exotisches wahrgenommen werden?
Bea: Also ich empfinde es nicht als exotisch. Interessant bei ein paar Radio-Beiträgen war, dass ausgerechnet die beiden Frauen in der Redaktion unbedingt darauf hinweisen mussten, dass der Mann bei uns der Erfahrenste ist und er angeblich die ganzen Lieder macht. Das passiert oft, dass Frauen auf so Sachen wie ‚die singt nur’ also ‚die kann eigentlich nichts’ reduziert werden.
Wie seid ihr denn insgesamt auf eurer Tour angekommen?
Robert: Überraschend positiv. Die Zuschauer wurden immer mehr und die Leute wollten unsere Sachen auch gerne hören. Das waren alles auch gute und nette Clubs. In Wien das Chelsea, in Frankfurt das Exzess, in Köln Gebäude 9 und in Hamburg das Molotow, nur in Berlin hatten wir einen seltsamen Laden, die Kopierbar.
Bea: Und es waren meistens so 50 bis 100 Leute da. Wir waren echt überrascht, weil bei unserem ersten Auftritt in Stuttgart haben wir vor 15 Leuten gespielt. Da dachten wir schon, das geht ja gut los. Aber es wurde von Stadt zu Stadt immer besser, wie so eine kleine Welle. Die Leute in Österreich, die sind abgegangen, das haben wir noch nie erlebt.
Euer Debüt-Album ist ja unter anderem beim Hausmusik-Label erschienen, das aus dem Umfeld von Bands wie NOTWIST, CONSOLE oder auch LALI PUNA ist. Seid ihr Teil eines Münchner Musik-Netzwerkes?
Robert: Wir leben eben in München und machen hier Musik. Und wenn das dann nach außen wie eine Clique wirkt, dann ist das genauso, als ob man von hier aus nach Hamburg, Köln oder Berlin sieht.
Bea: Dieses Hausmusik/Weilheim-Ding existiert ja eigentlich gar nicht mehr in dieser Form. Da wird so ein Mythos daraus gemacht. Die Münchner Szene hat eben viele Arme, zum Beispiel diese Elektro-Szene, mit der wir auch was zu tun haben. Ob die Leute aber Techno machen oder Punkrock oder Pop, das ist mir erst einmal egal. Früher hatten die einzelnen Szenen hier allerdings nicht viel miteinander zu tun, das ist erst in den letzten Jahren so gekommen.
Ist das auch insgesamt ein Zeichen der Zeit, dass alles immer mehr miteinander verschmilzt?
Bea: Ich finde schon, dass die Leute sich mehr öffnen, auch mal andere Sachen ankucken und nicht mehr nur in ihrem Mini-Kosmos rumwerkeln. Zum Beispiel die Techno-Leute machen im Moment ja gerne rockige Sachen.
Robert: Genau, die schnallen sich inzwischen Gitarren um, weil sie merken, dass das tierisch Spaß macht. Und die Leute wollen das auch gerne hören. Man will nicht mehr nur diesen Laptop-Terror mit so einem Apfel drauf haben. Es kann auch mehr sein.
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