HARVEY RUSHMORE & THE OCTOPUS

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Eine dunkle, apokalyptische Welt

Aus Bern, der Hauptstadt der Schweiz, kommen HARVEY RUSHMORE & THE OCTOPUS, unter deren vier Mitgliedern sich aber kein Harvey Rushmore befindet. Vielmehr hört der Songwriter, Gitarrist und Sänger der Band auf den Namen Massimo Tondini. 2017 erschien das Debüt „The Night“, noch auf dem bandeigenen Label, Ende 2018 kam „Futureman“ auf A Tree In A Field und erweist sich als ein kaleidoskopartiges Füllhorn an lavalampenbuntem, psychedelischem Happy-Pill-Ersatz, irgendwo zwischen hippiesker Bekifftheit, Spacerock, Surfgitarren und Garage. Massimo beantwortete meine Fragen.

Wie ging das alles los?


HARVEY RUSHMORE & THE OCTOPUS wurde vor circa drei Jahren gegründet, um ein Konzert mit improvisierten Psychedelic-Songs bei einer Vernissage des Künstlerduos „Walter Wolff“ zu spielen. Das hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir beschlossen, eine Band daraus zu machen. Unser Bassist Jonathan Meyer, Drummer Jakob Läser und ich kannten uns schon länger und hatten früher bereits in anderen Bands gespielt. Stefan Cecere kümmerte sich zu dieser Zeit noch ausschließlich um unsere Bühnen-Visuals und unser Artwork. Etwas später haben wir ihn als viertes Bandmitglied dazu genommen, um den Sound durch Farfisa-Orgel, Synthesizer und Perkussion dichter zu machen. Wir wollten mit unserer Musik vor allem live auftreten. Die Band wurde gegründet, um möglichst viele Konzerte zu spielen, auch außerhalb der Schweiz. Songs waren anfangs noch nicht so wichtig, wir brauchten einfach treibende Schlagzeug-Beats und laute Gitarren mit viel Delay und Effekten auf der Stimme, weil ich anfangs oft sang, ohne einen fixen Text zu haben. Es ging mehr um die Energie und Klangwelten als um poetische Botschaften. Das Spontane auf der Bühne und das Ausbrechen aus gängigen Songstrukturen war uns immer sehr wichtig. Als wir uns dann 2017 doch an ein Album wagten, haben wir immer probiert, diese Grundsätze beizubehalten.

Einen Harvey Rushmore konnte ich in euren Reihen nicht entdecken – wer ist der Kerl, und was hat es mit dem Octopus auf sich?

Anfangs brauchten wir einfach einen Namen für dieses Vernissage-Konzert. Das musste schnell gehen. Ich hatte circa zehn Minuten Zeit. Den zweiten Teil „& the Octopus“ hatte ich aber bereits im Kopf. Das Tier fasziniert mich, es lässt sich so vieles hineininterpretieren: die Vergänglichkeit, die Fähigkeit sich zu wandeln, das Missverstanden werden. Der Octopus ist ein Wesen, das auch gefürchtet wurde und Stoff für viele haarsträubende Geschichten bot, zugleich aber auch glitzernde Gegenstände sammelt, um seine Steinhöhle zu verschönern. Harvey Rushmore ist einfach ein willkürlich ausgesuchter Name. Zusammen klingt es aber gut. Erst später kam eine Geschichte dazu: Harvey Rushmore, eine fiktive Figur aus der Beat-Generation, die für Mittelmäßigkeit steht und dem Octopus begegnet, welcher ihn dazu bringt, aus sich herauszukommen, loszulassen, Kräfte zu entfesseln, die Kreatur, die sich an den Menschen rächt für ihre Gräueltaten. Mir gefällt es, Geschichten zu kreieren, die anfangs abgedreht und ohne Bezug zur Realität zu sein scheinen – vergleichbar mit Comics, Trash- und Horrorfilmen –, aber manchmal doch eine tiefere Bedeutung besitzen, die man erst später entdeckt.

Ihr bezieht euch auf „underground art of the 60’s and 70’s“. Ich verorte euch irgendwo zwischen FLAMING LIPS, MERCURY REV, BUTTHOLE SURFERS, SPIRITUALIZED, BLACK ANGELS und FARFLUNG. Könnt ihr das etwas eingrenzen?

Es gibt viele Bands, die uns gefallen, mit denen wir irgendwo etwas gemeinsam haben. Diese Neo-Psych-Welle mit THE BLACK ANGELS, THEE OH SEES, WOODEN SHJIPS etc. hat uns sicher geprägt. Ich hörte diese Bands in den letzten Jahren sehr oft, bin aber immer noch stark geprägt von alten Platten, auf denen ich immer wieder Dinge entdecke, die ich großartig finde. Den Sound von THE SEEDS oder die ersten THE STOOGES-Alben, das Solo-Album von George Harrison „All Things Must Pass“, da gibt es eine Art B-Side mit langen Jamtracks wie „Out of the blue“, oder die ausgedehnten Lieder von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL wie „Keep on chooglin’“ ... Wenn das Treibende des Rock’n’Roll auf „abgespacete“ Klangwelten trifft, dann gefällt es uns meistens.

Mit welchen technischen Mitteln reproduziert ihr diesen Sound?

Wir versuchen den Sound immer etwas LoFi klingen zu lassen. Anfangs haben wir nur mit einem Tascam-4-Spur-Recorder aufgenommen, diese Phase kann man noch auf YouTube finden, wenn man sich zum Beispiel „Highway to the moon“ anhört. Später wollten wir aber auch mit mehr Overdubs und Gesangseffekten experimentieren und holten Jari Antti als Produzenten für unsere beiden Alben dazu. Die Gitarre spiele ich über zwei Amps gleichzeitig, um einen breiten und druckvollen Sound zu erzeugen. Meistens probieren wir, diverse schräge Geräusche in den Sound zu mischen, wie Loops mit Effekten oder verzerrte Beats mit Flanger. Das neue Album „Futureman“ ist zum Teil stark komprimiert und über Band aufgenommen, um diesen rauschenden Retro-Sound zu bekommen. Mich faszinieren alte Orgeln, Synthesizer, Effekte und Verstärker, die ihre ganz eigenen klanglichen Eigenschaften haben, etwas ungewohnt klingen, vielleicht auch etwas falsch. Das neue Album „Futureman“ aufzunehmen war definitiv aufwendiger als unser erstes Album „The Night“, da wir uns mehr Zeit dafür nahmen, und deshalb auch weniger schnell zufrieden waren. Das Album haben wir aber trotzdem in unserem Bandraum aufgenommen – mit eher einfachen technischen Mitteln.

Hinter „Futureman“ steckt ein interessantes Konzept. Kannst du uns dazu was erzählen?

Das Booklet mit dem Text – es handelt sich um einen Kunsttext über die Geschichte von Futureman – liegt ausschließlich der Vinyl-Version unserer Platte bei. Die Songs auf dem Album „Futureman“ erzählen alle einen Teil der Geschichte der fiktiven Figur Futureman, die versucht, die Welt zu retten, aber von den Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht ernst genommen wird. Futureman ist mysteriös und abgründig, besitzt mehrere Geschlechter und nur teilweise menschliche Züge. Er ist eine Weiterentwicklung des Menschen und vereint seine guten Seiten mit übernatürlichen Kräften, welche es ihm ermöglichen, durch die Zeit zu reisen und das Universum viel intensiver wahrzunehmen. Diese Gabe entwickelt sich zunehmend zur Last und führt Futureman an den Rand des Abgrunds. Er erkennt die Probleme der Menschheit und ist fest entschlossen, dagegen anzutreten. Mit Hilfe seiner Fähigkeiten erkennt er die wahren Absichten der Regierung und der Macht – und geldgierigen Aristokraten, welche die Welt regieren. Aufgrund seiner ungewohnten Erscheinung und seiner multisexuellen Orientierung wird er allerdings von der Öffentlichkeit ignoriert und verachtet.

Bei „Slime on the beach“ klingt schon der Titel verlockend ...

Bei „Slime on the beach“ handelt es sich um einen mysteriösen Schleim, der die Welt bedroht und aus dem Meer an die Strände der Welt gespült wurde, um sich zu ernähren. Die unglaubliche Schönheit und der strahlende Glanz des Schleims betört die Menschen und lockt sie aus aller Welt an, um sich darin zu wälzen und ein Teil davon zu werden. Lebewesen, die damit in Berührung kommen, werden zersetzt und lösen sich auf. Dies wiederum ernährt den Schleim, welcher dadurch ständig wachsen kann. Die öffentliche Wahrnehmung des Schleims ist geblendet von dessen Schönheit und hypnotischer Wirkung. Der Schleim wird schnell vermarktet und auf der ganzen Welt begehrt und verehrt. Dessen verheerende Folgen für die Menschheit werden komplett ausgeblendet und ignoriert.

Und „Trees have eyes“ ...?

Während der Coaster am anderen Ende der Welt seine Bestimmung gefunden hat und nach jahrelangem Alkoholmissbrauch und einem Leben abseits der Gesellschaft seine Chance wittert, aus dem Schleim eine Droge herzustellen, die bald sehr gefragt sein wird und extrem abhängig macht, verirren sich zunehmend mehr Personen im nahegelegenen Wald. In der Hoffnung, Ruhe, Trost und Geborgenheit zu finden und sich vom Wahnsinn der Zivilisation zu befreien, merken sie nicht, wie sie immer stärker hineingezogen werden und den Rückweg nicht mehr finden. Sie fühlen sich zunehmend von den Bäumen beobachtet und verlieren den Zugang zur Realität. Die Bäume haben Augen, die uns anstarren, während sich der Körper langsam verändert, das Fleisch zu Holz und die Extremitäten zu Geäst werden.