Harris Johns ist wohl der wichtigste Musikproduzent im Punk- und Metal-Bereich hierzulande. Das liegt nicht nur an sein Wirken in der Szene seit 1978, sondern auch an der langen Liste wichtiger Bands, die der Sohn eines US-Amerikaners und einer Deutschen produzierte: SLIME, HELLOWEEN, KREATOR, DAILY TERROR, TOXPACK, TANKARD, SODOM, DIE SKEPTIKER und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, um nur einige wenige zu nennen. Dennoch weiß man über diesen legendären Mann an den Reglern im Grunde nur wenig. Also war es an der Zeit für ein Interview, das in der Berliner Wave Akademie für Digitale Medien stattfand, wo Johns jungen Menschen in entspannter Atmosphäre sein immenses Wissen vermittelt.
Harris, du warst ja gerade mit TOXPACK als Soundmann auf Deutschlandtour. Offenbar ist Musik für dich weiterhin unverzichtbar.
Ich werde ja bezahlt dafür. Es macht natürlich auch Spaß, wir haben immer nach den Shows noch irgendwelche Partys und so. Die Bezahlung ist jetzt nicht so fett oder so, aber das ist irgendwie egal, weil ich es gerne mache.
Wir sitzen hier in der Wave Akademie in Berlin-Mitte. Sag mir als Techniklaien doch mal, was du hier genau unterrichtest.
Ich versuche, den Studenten Einblick zu geben, wie eine Musikproduktion abläuft, und auf was man achten muss, wie man sich vorbereitet und wie man es nachbearbeitet und so weiter.
Haben sich die Gerätschaften, die Hardware extrem verändert seit deinen Anfängen in dem Beruf? Musstest du dich da selber immer weiterbilden?
Ja, auf jeden Fall, es hat sich total geändert. Ich habe aber auch immer Bock gehabt auf neue Technik. Es ist so, dass heutzutage viele Sachen mit digitaler Technik realisiert werden, die ich kommen sah und wo ich dachte, es wäre geil, wenn es das gäbe, und jetzt gibt es das tatsächlich.
1978 wurde Punk in Deutschland gerade populär. Wie kamst du genau zu dieser Zeit an diese Art von Musik? Und was hast du vorher in den berühmten Hansa Studios gemacht, Platten von Gunter Gabriel und Schlager?
Nee, Gabriel nicht, aber alles Mögliche, was angefallen ist. Zum Beispiel DR. KOCH VENTILATOR und andere rockige Bands, oder japanische Pop-Bands, aber bei richtigen Schlagersängern war ich nicht dabei, außer bei einer Produktion von Milva. Die hat mir damals Zöpfe geflochten, haha. Ich hatte damals noch längere Haare, und das fand sie so gut, dass sie plötzlich in einer Pause hinter mir stand und an meinen Haaren herumzupfte. Richtige Schlaggerfuzzis hatte ich sonst nie, aber es war eben damals das größte Studio von Berlin und ich war happy, dass ich da was machen konnte. Ich wurde dort richtig auf professionell getrimmt, ich habe da mitgekriegt, wie es abläuft.
Du hast seinerzeit vorwiegend für Karl Walterbach und sein Label Aggressive Rockproduktion gearbeitet. Wie lief das ab, in jeder Hinsicht professionell oder eher chaotisch? Und ab wann war das Music Lab, wo ihr aufnahmt, dein eigenes Studio?
Ich hatte das Music Lab eigentlich schon, bevor ich bei Hansa war. Ich hatte da schon ein bisschen angefangen, und nachdem ich bei Hansa war, wurde ich dann so richtig professionell. Auch mit Walterbach zusammen. Ich habe da alle möglichen Bands aufgenommen und in Kleinanzeigen annonciert. Ich war in dieser Hinsicht Pionier, oder zumindest der Erste, der mit diesen neuen Tehag-Vierspur-Maschinen – später dann Achtspur – aufgenommen hat, während in den Studios nur diese riesigen Telefunken-Maschinen standen. Die kostete dann etwa 80.000 D-Mark, während die von Tehag für 5.000 DM zu bekommen waren. Und ich dachte: Lass es uns mal damit probieren, vielleicht kann man damit auch aufnehmen. Und siehe da, es ging. Es gab auch einen Markt dafür und so ging das los. Karl Walterbach war Sozialarbeiter im KZ 36, einem Jugendclub. Es gab da ein Konzert, wo er fragte: „Hat jemand Ahnung vom Mitschneiden?“ Jedenfalls kamen sie dann mit den Aufnahmen bei mir an und ich sollte das zu einem Sampler abmischen. Es waren vier Bands dabei, unter anderem ÄTZTUSSIS, wo seine damalige Freundin Schlagzeug spielte, und so fing es an. Es war auch wirklich eine gute Sache, dass er sich für diese Punks einsetzt hat. Andererseits hat er damit natürlich später auch viel Geld verdient und wieder verloren. Aber der war dann mein größter Kunde, das hat sich so eingespielt. Er fing eben an, Punkbands zu produzieren und später Metalbands. Von den deutschen Punkbands waren fast alle bei mir, außer DIE TOTEN HOSEN.
Im Jahr 1983 hast du beim dritten SLIME-Album „Alle gegen alle“ an den Reglern gesessen. Die Band erwähnte später in ihrer Biografie, dass es „klang wie Mozart“, obwohl du nur acht statt wie dein Vorgänger 16 Spuren zur Verfügung hattest. Worin lag dein Technikvorsprung, wer waren deine Lehrmeister?
Beim Hansa-Studio habe ich, wie schon gesagt, viel gelernt, aber ich habe mich auch schon immer mit Tonaufnahmen beschäftigt. Außerdem habe ich Technische Akustik an der TU im Nebenstudium belegt, und es war mir eben immer ein Anliegen, gute Aufnahmen zu machen.
Schon im Jahr davor hattest du DAILY TERROR unter deinen Fittichen, bei der ersten Single und der ersten LP. Woher wusstest du, wie diese wilde Truppe klingen wollte?
Da stimmt aber irgendwas nicht, dann haben SLIME bei mir auf keinen Fall mit acht Spuren aufgenommen, das waren bestimmt 16. Das würde ja heißen, dass ich DAILY TERROR auch mit Achtspur gemacht hätte, und das kann nicht sein. Bei DAILY TERROR habe ich mindestens 16, am Ende sogar 24 Spuren gehabt. Die Technik alleine ist es ja wirklich nicht, du musst schon einen Plan haben, wie die Sachen klingen sollen, und was man noch anbieten kann, wie man es besonders machen kann.
Es ging Schlag auf Schlag damals mit Bands und Stilen. War das zwischen 1983 und 1986 deine ereignisreichste Zeit?
Das kann man nicht sagen, ich habe von 1980 bis 1990 mehr oder weniger nonstop gearbeitet. Außer wenn ich im Urlaub war. Da war eben viel los, erst war es mehr Punk, dann mehr Metal. Allerdings sind die Metal-Sachen bekannter, weil die mehr über die Produktion geredet haben. Bei Punk ist der Produzent anscheinend nicht so wichtig, Hauptsache die Band ist gut. Ich finde das jetzt echt witzig, ich habe sicherlich mal ein paar Sätze zu jemandem gesagt im Zusammenhang mit irgendeiner Punkband, aber so ein richtiges Interview mit einer Punk-Zeitschrift, das ist echt das erste Mal in all den Jahren, haha.
Das berühmte HELLOWEEN-Album „Walls Of Jericho“ stand 1985 an und verhalf der Band zum Durchbruch – die wurden nicht zuletzt durch dieses außergewöhnliche Werk richtig groß. 1986 hast du mit KREATOR „Pleasure To Kill“ produziert, das angeblich „härteste Thrash-Metal-Album aller Zeiten“. Auch hier wieder die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis. Waren das viel bessere Musiker, als allgemein angenommen, oder was machte die Zusammenarbeit so fruchtbar?
Ich bekam vielleicht vorab von denen ein Demo, aber da kann man nicht viel raushören. Ganz am Anfang hatte ich mal komische Bands, die nicht richtig spielen konnten, aber die, die danach zu mir kamen, die hatten ja fast alle einen Plattenvertrag, da hatte also schon die Plattenfirma gesiebt. Da waren keine totalen Nichtskönner dabei. Das ist eigentlich nie der Fall gewesen, oder nur ganz selten. Ich war ja mehr der Auftragsproduzent, ich bin ja nicht herumgelaufen und habe Talente gesucht. KREATOR und SODOM waren typische Beispiele für junge Bands, die schon etwas aufgenommen hatten, und wo sich der damalige Produzent oder Tontechniker eben keine große Mühe gegeben hat. Und ich habe dann geschaut, was kann ich aus denen rausholen, wo ist das Potenzial, was kann man alles versuchen zu verbessern. Es gab ja schon diese ganzen englischen und amerikanischen Metalbands, und man wollte auch nicht schlechter sein als die. Das jeweils erste KREATOR-, SODOM- und HELLOWEEN-Album habe ich gemacht, und da das so geil klang, hat denen das auch weitergeholfen.
Eines meiner Lieblingsalben aller Zeiten ist „Slam Section“ von den Berlinern DISASTER AREA aus dem Jahr 1998. Nie klang die Band auf einer Scheibe so „live“ und druckvoll. Wir befinden uns jetzt aber mitten im Zeitalter der Compact Disc. Wurde durch die technischen Standards das Arbeiten für dich leichter oder hatte die CD-Aufnahme ihre nicht zu unterschätzenden Tücken?
Früher kam das Material eben auf Band oder später auf DAT-Kassetten, dann gab es nur noch Computerfiles, die man dann verschickt, das ist eigentlich alles egal. Das mit den fetten Gitarren bei DISASTER AREA liegt eher an mir als an der Technik, denn du kannst auch mit einer Bandmaschine einen guten Sound machen. Wahrscheinlich nahmen wir das schon digital auf, aber das ist nicht das Wichtigste dabei.
Du hast ja auch in einer Band Gitarre gespielt und gesungen. War das für deinen Aufnahmejob hilfreich, weil du so das Denken der Musiker besser nachvollziehen konntest?
Ja, bestimmt. Ich habe schon mit 15 in meiner ersten Band gespielt, das war so eine Coverband. Ich bin Gitarrist und Sänger und deswegen habe ich da vielleicht auch mehr Verständnis, wobei eigentlich die meisten Leute, die am Mischpult sitzen, irgendwie Musiker sind. Ich hatte auch einmal eine Metalband, CHARN, das Problem war nur, dass wir hier keinen Plattenvertrag bekamen, sondern nur in Japan. Wir haben da veröffentlicht und haben da auch ganz gut verkauft.
Ich könnte ich mir vorstellen, dass es gerade für Musiker oft nicht so leicht ist, Live-Konzerte voll zu genießen, weil sie viel zu sehr auf das Technische fokussiert sind, oder ist das ein Irrtum?
Haha. Also ich kann das auf jeden Fall, aber es gibt ja auch die sogenannte Musikerpolizei. Das sind Leute, die nur darauf achten, ob sich die Band verspielt, und das dann hinterher kritisieren und sich darüber das Maul zerreißen, die Gitarre klang schlecht, der Schlagzeuger war aus dem Takt und so was ... Aber ich bin da nicht so pingelig. Live ist eben immer anders als im Studio und es soll ja auch so sein.
Wie schwer oder leicht war es damals, mit „jungen Wilden“ wie Dicken von SLIME oder Pedder von DAILY TERROR zu arbeiten?
Das war auf jeden Fall interessant. Pedder war ein völlig anderer Charakter als der von SLIME, aber wir haben auf jeden Fall einen Draht zueinander gefunden. Ich denke, wir haben da was ganz Sinnvolles gemacht, haben wirklich auch eine Weile gefeilt, bis wir den aktuellen Stil auf dem Band hatten. Bei Pedder war das Problem eben die Aussprache. Dieses „wawawa“ gehört zwar irgendwie zum Stil dazu, aber du hast ja kaum etwas verstanden. Aber ein bisschen was verstehen sollte man auch bei einer Deutschpunk-Band. Dann haben wir eben einen Mittelweg gefunden, und das war überhaupt kein Problem mit ihm.
Heute wird ja gerne von Businessplänen geredet, einen solchen hast du sicher nie gehabt, oder? Du warst schnell für gute Qualität bekannt und brauchtest dir wenig Sorgen machen. Oder gab es durchaus Zeiten, wo du dachtest, jetzt geht’s abwärts?
Es passierte alles völlig ungeplant. Es ging ja auch eine Weile total runter, als die große Metal-Welle vorbei war und Techno aufkam und das Kopieren von CDs. Manche Leute haben diese Phase besser überstanden als ich. Die waren cleverer, haben sich umorientiert, und ich habe vielleicht zu lange daran gehangen, ein Studio zu haben, bis ich dann in die Miesen geraten bin. Aber eine Zeit lang ging es eben aufwärts, ich habe dann Vier-, Fünfjahrespläne entwickelt, als ich sah, dass es läuft. Ich sagte okay, dann bauen wir eben ein großes Studio, das war am Tempelhofer Ufer. Ich habe einfach überlegt, werde ich jetzt Steuerberater oder mache ich etwas mit Musik.
Die Delle war Mitte der Neunziger?
Ja, da ging es überall den Berg runter, da hatte ich einen Gasthof auf dem Land gekauft und wollte den eigentlich noch weiter ausbauen. Das war toll, der Tanzsaal war der Aufnahmeraum und die ehemalige Wirtsstube war der Regieraum. Aber ich konnte das nicht zu Ende ausbauen, weil die Einnahmen zurückgingen, und da bin ich zurück nach Berlin gegangen. Jetzt im Augenblick habe ich überhaupt kein Studio mehr, aber ich habe Zugriff darauf. Ich kann hier in der Akademie etwas machen, und zuletzt war ich bei einem Kollegen im Studio, da kann ich auch rein, das ist kein Problem.
Vor allem junge Leute hören Musik heute nur als mp3 und Stream und wollen sowieso möglichst kein Geld für physische Musikprodukte ausgeben. Das muss dich doch bisweilen traurig stimmen ...
Ich kann dagegen nichts machen. Wir hatten eine Phase in den Achtziger Jahren, da haben die Bands jedes Jahr eine Platte herausgebracht. Wieso? Weil sie mit der Platte Geld verdient haben. Heutzutage machen sie Geld mit T-Shirt-Verkäufen, Merchandise oder auch Konzertgagen, und eine neue Platte machen sie so alle zwei Jahre mal, weil es mal wieder sein muss, haha. Das hat sich alles gewandelt.
Du reist offensichtlich viel und gerne, ist das für dich auch ein Ausgleich zu dem Job?
Den Ausgleich, den kriege ich auch so hin, aber ich will gar nicht so viel reisen. Meine Freundin lebt in England, mein Sohn, die Enkelkinder, und deswegen bin ich im Schnitt fünf Mal im Jahr in England, je nachdem, wie viel Zeit ich habe, wie ich hier weg kann. Da habe ich ja auch meine Lautsprecher und kann da beruflich ein bisschen etwas machen. Ansonsten bin ich oft wegen einer Produktion irgendwo, wie jetzt eben mit TOXPACK. Das sind dann so Wochenendtouren.Und so geht das weiter. Das ist eine Menge Reiserei, mit einer Band auf Tour zu sein. Ich sollte auch eine Band in Texas produzieren, die haben aber doch nicht genügend Geld, und jetzt schicken sie mir nur die Files und ich soll sie mischen. Ich bin früher vielleicht noch mehr gereist. Aber mir geht es manchmal schon auf die Nerven.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #132 Juni/Juli 2017 und Markus Franz