HARLEY FLANAGAN

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Hardcore 101

Auf dem diesjährigen Fury Fest in Frankreich trafen wir am Merchstand Harley Flanagan, den „Godfather of New York Hardcore“, welcher gerade mit seiner neuen Band HARLEY’S WAR um die Welt tourte. Viel mehr jedoch interessierte uns die Internetseite des CRO-MAGS-Mitbegründers mit dem klingenden Namen hardcorehalloffame.com, auf die er uns aufmerksam machte, weshalb wir den Paten der alten Schule um Audienz baten. Dabei stellte sich Herr Flanagan als durchaus sympathischer und relaxter, wenn auch in seiner Ausdrucksweise etwas roher Zeitgenosse dar, der auch mit knapp 40 noch immer mehr Hardcore im linken Zeh hat als so manche Jungspunde.

Erzähl uns doch ein wenig über deine neue Website hardcorehalloffame.com.

„Diese Seite ist mir sehr wichtig. Ich will den Kids von heute aus erster Hand die Entstehung von Hardcore vermitteln, und was die einzelnen Leute damals dazu bewegte, ein Instrument in die Hand zu nehmen und Teil dieser Szene zu werden, welche Platten sie zum Hardcore-Genre brachten, welche Bands generell sie am meisten inspirierten und vor allem, was für sie Hardcore überhaupt ausmacht. So etwas wird dir nicht im Geschichts- oder Musikunterricht in der Schule beigebracht, das kannst du auch nicht aus irgendwelchen Büchern lernen, die Menschen geschrieben haben, die damals nicht Teil dieser Szene waren. Also dachte ich mir, ich frage einfach meine besten Freunde, wie sie Teil dieser Bewegung wurden und wie sie damals alles miterlebt haben. Die ersten, die sich darauf meldeten, waren Henry Rollins und Darryl von den BAD BRAINS. Es folgten andere große Helden dieser Zeit wie Jimmy Gestapo von MURPHY’S LAW, Ian MacKaye von MINOR THREAT, Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS, Roger Miret von AGNOSTIC FRONT, Milo Aukerman von den DESCENDENTS, Jerry Only und noch viele weitere. Wir sind gerade erst am Anfang mit dieser Seite, also checkt regelmäßig hardcorehalloffame.com. Ich betone noch mal, dass mir dieses Projekt sehr am Herzen liegt und ich für jeden Support dankbar bin!“

Würdest du dich eher Punk oder Hardcore zugehörig bezeichnen?

„Schwer zu sagen. Meine erste Platte, die mich regelrecht umgehauen hat, war von den SEX PISTOLS. Außerdem gab es zu der Zeit, als wir anfingen, Musik zu machen, noch keine Schublade für unsere Musik, erst später wurden wir als Hardcore bezeichnet. Wir sind praktisch die Kinder der ersten Stunde gewesen, die Initiatoren einer Evolution. Wir nahmen Punk und machten daraus Hardcore, von mir aus auch Hardcore-Punk. Genauso wie aus Rock’n’Roll Punkrock wurde. Als Punkrock Anfang der 80er immer weniger präsent war, haben wir Hardcore gemacht, um Punkrock am Leben zu erhalten.“

Und was hältst du von der neuen Hardcore-Schule?

„Metal für Leute mit kurzen Haaren und Tattoos.“

Welchen Stellenwert haben deiner Meinung nach CRO-MAGS in der Musikgeschichte?

„Einen sehr wichtigen. Wenn man von Hardcore spricht oder sich damit beschäftigt, kommt man an uns nicht vorbei. Die frühen CRO-MAGS werden auch in Zukunft immer wieder neuen Generationen aufzeigen, was richtiger Oldschool-Hardcore ist und ich bin verdammt stolz drauf.“

Bist du Straight Edge?

„Nein, ich war es mal für sechs Monate, aber das ist schon sehr lange her. Ich respektiere Straight Edge, aber mir persönlich geht das am Arsch vorbei. Ich trinke nicht, ich pfeife mir keine Chemie rein, aber ein wenig Gras ist für mich okay.“

Hardcore zu sein und nicht gleichzeitig auch Straight Edge ist aber in Deutschland schon ein schwerwiegendes Verbrechen gegen die Szene-Kredibilität.

„Klar, und wisst ihr, wieso? Weil ihr Deutsche seid! Ihr nehmt alles viel zu ernst. Bei euch heißt es nicht: Wir machen das Interview um 9:45 Uhr oder um 10:23 Uhr, sondern um PUNKT ZEHN!“

Heutzutage geben sich Hardcore-Bands gerne tougher als der Rest, und alles, was nicht hart genug ist oder zu Punkrock, wird als schwul bezeichnet. Wie siehst du das?

„Damals war es auch nicht viel besser, eher noch derber. Punker waren eh immer alle besoffen, Hardcore-Leute meistens Skinheads. Da prallten öfters mal Welten aufeinander, weil beide sich für besser als den Rest der Welt hielten. Man hat sich dann nicht nur mit Worten fertig gemacht, sondern musste sich auch vor den anderen was beweisen, wer der Stärkere ist und all diesen anderen Kindergartenkram. Diese ganze so genannte ‚street credibility‘ wird von den heutigen Bands viel zu sehr schön gemalt. Du wurdest damals nicht als schwul bezeichnet, du hast einfach einen auf die Fresse bekommen und fertig. Was tut man nicht alles, wenn man noch jung und grün hinter den Ohren ist, aber durch Erfahrung wird man reicher als durch Geld.“

Stell dir mal vor, dein Kind würde homosexuell werden ...

„Das wird nicht der Fall sein!“

Aber nur mal angenommen ...

„Nein! Meine bezaubernde Frau ist hetero, ich bin hetero. Wir zeigen unserem Sohn, dass es in dieser schnelllebigen Zeit auch noch intakte Beziehungen geben kann, weshalb sollten dann unsere Kinder homosexuell werden? Mein Sohn ist noch viel zu jung, insofern will ich mir darüber erstmal keine Gedanken machen. Väter reagieren auf solche Themen wahrscheinlich ein wenig empfindlicher als Mütter. Aber hey, ich habe die Schnauze voll, von irgendwelchen Pressefutzis in irgendeine Ecke gedrängt zu werden, die mir nicht passt, nur weil die irgendwelche Vorurteile gegenüber mir breittreten wollen. Hey, wie würde es euch passen, wenn ich euch beiden unterstellen würde, dass ihr als Deutsche für den Tod von sechs Millionen Juden verantwortlich seid? Ich bin kein homophobes Arschloch, das sich jeden Tag auf Schlägereien einlässt, nur um ‚Hardcore‘ zu wirken, wie ich in einigen Schmierblättern gerne dargestellt werde. Ich habe eine Frau und einen Sohn, das ist wirklich Hardcore. Das ist das richtige Leben. Die Leute lesen etwas in einer Zeitschrift, nehmen das prompt für bare Münze und reiten noch Jahre später darauf herum. Ich hab schon meine Erfahrung mit den Medien gemacht. Also fragt mit doch lieber was Nettes, Konstruktives, anstelle auf alten Geschichten oder Gerüchten aufzubauen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass ich eine Jiu-Jitsu-Akademie mitleite?“

Dann können sich die Hardcore-Kids bei dir sicherlich einige Moves für den nächsten Moshpit abgucken?

„Wenn du von mir lernen willst, wie du jemanden ohne Probleme die einzelnen Knochen brechen kannst oder dich einfach nur während des Trainings abreagieren willst, dann komm vorbei. Ich bin dabei. Was heute bei Shows im Pit abgeht, verstehe ich selber nicht. Wenn man früher auf eine Hardcore-Show gegangen ist, dann um Spaß zu haben. Wer sich prügeln wollte, ging vor die Tür. Heute geht es den Kids nur darum, wer höher treten kann und sich ohne Rücksicht aufeinander zu verletzen. Die bezeichnen sich dann als Hardcore. Für mich sind das die richtigen ‚Schwuchteln‘ und keine Tough Guys. Die Schwulen haben wenigstens die nötigen Eier in der Hose und haben ihren Spaß untereinander, die anderen landen nach der Show mit Platzwunden und gebrochenen Knochen im Krankenhaus, haha. Große Klappe und nichts dahinter.“

Wieso wird heute so ein Unterscheid zwischen Hardcore und Punk gemacht? Man sieht eher sehr selten Punks auf Hardcore-Shows und umgekehrt überhaupt keine Hardcore-Leute auf Punk-Konzerten.

„Ganz einfach, weil die meisten Hardcore-Kids noch zu jung sind und nichts von damals mitbekommen haben, wie sich alles entwickelt hat. Die hören Newschool und können mit Oldschool nichts anfangen, weil es nicht Metal ist. Deshalb ist es mir so wichtig, noch mal auf meine Website hardcorehalloffame.com hinzuweisen. Hardcore ist die Steigerung von Punk. Es ist nicht 100% Punk, Hardcore ist 110% Punk. Die CRO-MAGS haben mit EXPLOITED, MOTÖRHEAD und den UK SUBS gespielt, aber auf einmal scheint so etwas wohl nicht mehr zu passen. Dann doch lieber Hardcore- und Metalbands zusammenpacken. Okay, die CRO-MAGS haben auch mit METALLICA gespielt und anderen Metalbands. Wir haben sozusagen die Leute mit Hardcore bekannt gemacht. Die Kids kennen zwar die bekannten Namen wie BLACK FLAG und MINOR THREAT, aber sie haben diese Bands einfach nicht live erlebt. Mann, eins der besten Konzerte überhaupt war mit den BAD BRAINS, Bands solchen Kalibers gibt es leider nicht mehr.“

Also ist Hardcore deiner Meinung nach genauso tot wie Punk?

„Hardcore und Punk ist mehr als Musik und wird immer weitergehen. Es ist eine Lebenseinstellung. Du machst Shows, Flyer, gründest selber eine Band, machst Fanzines, lässt dir nichts vorschreiben und versuchst, dein eigenes Leben zu leben. Menschen wie John Coltrane oder Chuck Berry sind mehr Hardcore/Punk als die meisten Hardcoreler heutzutage. Es geht nicht einfach nur um Hardcore als solches, Hardcore kann auch Rock’n’Roll oder Jazz sein, wenn er ehrlich ist. Die Einstellung ist entscheidend. Solange es solche Leute gibt, die daran glauben und ihren eigenen Kopf gebrauchen, wird es immer Hardcore und Punk geben, und ich leiste meinen Teil dazu mit meiner Website und hoffe, dass mehr Kids sich mit Hardcore beschäftigen, als sich vor dem Spiegel irgendwelche spastischen Moves einzustudieren.“

Noch irgendwelche letzten Worte auf den Weg?

„Checkt meine beiden Websites, kommt zu einer HARLEY’S WAR-Show, wenn ihr mit mir quatschen wollt, und lasst euch nicht von den NO-MAGS verarschen!“