Es muss wohl nicht extra betont werden, dass die grandiosen THE HARA-KEE-REES aus Köln zu den wichtigsten und besten 60s-Garage-Punk-Gruppen aller Zeiten zählen. Keine in Deutschland beheimatete Band dieses Genres kann sich mit den HARA-KEE-REES nur annähernd vergleichen, und auch anderswo gibt es nur wenige, die an ihre fehlerlose Mischung all dessen herankommen, was den 60s-Garage-Punk-Stil ausmacht. Eine Stimme, die vor Frust, Hass und Hohn nur so trieft, schneidende Riffs wie von den SONICS und WAILERS, krachende und scheppernde Drums, ein nervenzerfetzendes Saxophon, eine wummernde Orgel und ein nach vorne treibender Bass. Bei den HARA-KEE-REES ist einfach alles – vom im roten Bereich befindlichen Sound bis hin zum klassischen Outfit – absolut authentisch und archetypisch!
Als die fünf sympathischen HARA-KEE-REES, bestehend aus Patrick (Vocals), Martin (Gitarre), Torben (Orgel, Sax), Michael (Drums) und einem weiteren Michael (Bass), im Januar 2003 ihre fantastische Debüt-LP „Explode“ aufnahmen, war dies der erste Höhepunkt des gerade angebrochenen Jahres. Auf dieser auf Sounds Of Subterrania erschienenen Platte rocken die HARA-KEE-REES los, als hätten sie das 60s-Teen-Garage-Punk-Genre gerade selbst erfunden. Zu hören gibt es zwölfmal pure, aggressive und arschtretende Energie, klassisches Songwriting, aber all das mit einem nicht zu leugnenden Punkrock-Einfluss. Müßig zu erwähnen, dass sich darunter kein einziger Füller befindet. Auf dem Cover stehen die fünf Jungs – getreu dem Motto „Fresh Out Of School“ – wie eine Band herum, die gerade ihren ersten Auftritt bei einem Tanz-Abend in einer Schulaula Mitte der 60er absolviert hat, und gucken cool in die Welt. Ein klasse Cover für eine der besten LPs des vergangenen Jahres. Aber auch live können die HARA-KEE-REES mehr als überzeugen. Kein Unterschied zur sensationellen Power der LP ist erkennbar, der überzeugende Gesamteindruck wird höchstens noch durch die Wahnsinns-Show des Sängers Patrick veredelt.
Blickt man nun auf die musikalische Vergangenheit der HARA-KEE-REES zurück, die sich unter diesem Namen im Februar 2002 zusammenfanden, dann ist ein erstauntes Wundern vorprogrammiert. Vier der fünf Jungs kommen aus der Umgebung von Kassel, aus Wolfhagen, um genau zu sein. „Wolfhagen hat eine ganz coole Punkrock-Szene, dabei handelt es sich allerdings eher um 80s-Punk-Style. Aus der Kasseler Umgebung kommen ja auch mehrere bekannte Bands wie die BATES. Jedenfalls kommt eigentlich alles, was in Kassel Punkrock ist, aus Wolfhagen“, erklärt Organist Torben. Gitarrist Martin ergänzt: „Die Band als solches gab‘s schon mal, nur mit etwas anderer Besetzung und vor allem mit anderer Musik. Das war damals nämlich eine Hardcore-Band. Na ja, jetzt machen wir dann doch andere Mucke ...“
In den Anfangstagen der HARA-KEE-REES im Februar 2002 bestand die Band aus Sänger Patrick, Gitarrist Martin und Basser Michael. Torben kam später dazu, spielte zuerst Sax, übernahm dann aber auch die Orgel. Drummer Michael stieß eher durch einen glücklichen Zufall zur Band: „Ich lernte Torben eines Abends kennen, der mir dann sagte: ‚Ja, wir wollen halt so Beat/Garage oder so was machen, ich ruf dich mal Montag an.‘ Und ich dachte mir: ‚Das ist jetzt also das 87. Erlebnis dieser Art, und dann passiert doch wieder nichts.‘ Aber er hat sich wirklich gemeldet, und wir haben uns am nächsten Tag getroffen, um einfach mal was auszuprobieren. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon über drei Jahre in Köln gewohnt, und bis dahin nichts an den Start gekriegt, von daher bin ich natürlich sehr dankbar, dass das jetzt so eine Form angenommen hat, auch wenn es eine ganze Weile gedauert hat. Vor Mai 2002 ist jedenfalls nicht wirklich etwas Nennenswertes passiert.“
Dann jedoch ging es zügig los, sozusagen mit durchgetretenem Gaspedal:
„Unser erstes Konzert war Ende Juni 2002 in Kassel. Gleich nach dem Gig haben wir auch das Angebot für die LP bekommen. Ich finde das ziemlich cool, diese Geschwindigkeit ist genau nach meinem Geschmack ... Ich meine, du spielst zwölf Stücke, und dann kommt einer und sagt: ‚Wir machen jetzt ‘ne Platte‘!“
Und eben diese grandiose Platte, dieses Teenage-Hate-O-Rama mit dem treffenden Namen „Explode!“, wurde im Januar 2003 aufgenommen.
„Es läuft zwischen uns so gut, weil die Chemie einfach stimmt“, erklärt Torben. „Ich habe ja am Anfang – weil ich so was wie ein echter Purist bin – gedacht: ‚Na, ob das so cool wird?‘ Aber mit ein paar Proben haben die HARA-KEE-REES dieses coole Gewand bekommen. Mir ist natürlich klar, dass wir nicht wirklich authentischen 60s-Punk machen.“ Gitarrist Martin ergänzt: „Das wollen wir ja auch gar nicht! Wir sind keine 60s-Rip-Off-Band! Und so klingen wir auch nicht. Ich meine, es gibt eine Menge Bands, die das auf Teufel komm raus versuchen, und das auch sehr gut machen, aber das ist halt nicht unser Anspruch. Dafür ist unser 70s-Punk-Einfluss einfach zu groß.“
Wo wir gerade bei den Punkrock-Einflüssen der HARA-KEE-REES sind: Schlägt man einen Mailorder-Katalog auf oder liest einen Label-Waschzettel der Band, stößt man immer wieder auf den HARA-KEE-REES/HIVES-Vergleich. Ein Vergleich, der hinkt, nicht stimmt und die HARA-KEE-REES in eine ganz andere Ecke drängt. Oder? Organist Torben meint dazu: „Mit diesem Vergleich haben wir nichts zu tun!“ Auch Michael winkt ab: „Ich muss ehrlich gestehen, dass ich – und auch der Rest der Band – nie eine Platte der HIVES besessen habe. Davon mal abgesehen, die HIVES sind dann doch viel straighter Punk als wir.“
Vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass die HIVES die selben Einflüsse wie die HARA-KEE-REES haben? Eine Erkenntnis, die von den drei anwesenden HARA-KEE-REES geteilt wird. „Ist ja auch gar nicht schlimm“, fügt Martin, der Gitarrist mit den messerscharf geschnittenen Lippen, hinzu. „Wenn Leute, die nur die HIVES als Garage-Band kennen, sagen, die HARA-KEE-REES-Platte wäre gut, dann ist das echt ein Lob. Ich meine damit, ein 60s-Fetischist kennt natürlich die Originale, und denkt sich: ‚Aha, jetzt klingt‘s nach den SONICS.‘ Aber einer, der die SONICS gar nicht kennt, der hört uns ja ganz neutral. Und wenn der dann sagt, das wäre gute Musik, dann bin ich echt zufrieden!“
Machen die Jungs denn „nur“ Musik bei den HARA-KEE-REES, oder gibt es noch andere musikalische Beschäftigungen? Organist/Saxophonist Torben ist begeisterungsfähigen Konzertbesuchern z.B. auch als Mitglied der SENSATIONAL SHRINES um den fabulösen King Khan bekannt, aber auch Martin hat bereits in dieser Soul-Truppe mitgespielt, musste jedoch dort im Laufe des Jahres 2002 die Segel streichen. Nicht nur wegen der HARA-KEE-REES, sondern auch wegen der Distanz Köln-Kassel, und der Möglichkeit, sich in der Band einzubringen. Vorher hat er mit Torben in einer Experimental-Noise-Band namens METROPHON gespielt, mit der sie immerhin eine LP einspielten und im Jahr 2002 eine größere Tour absolvierten. Drummer Michael, der bei den HARA-KEE-REES der 60s-Mann ist, und der durch profundeste Kenntnisse über damals unbekannte und heute zurecht vergessene 7“s besticht, war bei verschiedenen, mehr oder weniger langlebigen Bands dabei, vor allem aber bei den ASTRONAUTS, die natürlich German-60s-Beat produzierten: „Die ASTRONAUTS waren so eine richtige Anti-Star-Band. Wir wollten eigentlich immer nur billig Platten machen, diese günstig verscherbeln oder verschenken, und dämlich kostümiert auftreten. Ansonsten habe ich in rund sechs bis sieben anderen Bands gespielt, die aber mehr Rock‘n‘Roll/Rockabilly beeinflusst waren. Aber das war noch in den 80ern ...“
Moment! In den 80ern? Wie passt das zu dem „Fresh Out Of School“-Image der HARA-KEE-REES? Ich meine, da drängt sich die Altersfrage geradezu auf! „Na ja, ich habe halt das Glück, dass ich nicht so alt aussehe, wie ich wirklich bin ... Meistens jedenfalls. Aber da ich mein Studium so hinziehe, kann man das mit dem ‚Fresh Out Of School‘ noch so stehen lassen. Nee, ich bin 33.“ Die anderen HARA-KEE-REES sind übrigens zwischen 23 und 25. „Das ‚Fresh Out Of School‘-Ding war aber auch geplant und überlegt, weil da haben tatsächlich ein paar Leute nach unseren ersten Gigs gesagt: ‚Heee, die sehen ja aus wie ‚ne Schülerband!‘ Und dann haben wir das Ganze eben umgedreht. Weil, wenn‘s schon draufsteht, dann kann sich keiner drüber mokieren. War also mehr eine vorbeugende Maßnahme.“
Aber es passt ja auch gut zum ewig jugendlichen Image von Garage-Punk, oder etwa nicht? Torben darauf: „Klar! Es muss auch eine gewisse Energie vorhanden sein. Ich habe neulich die CYNICS gesehen, die ja eine ziemlich große Garage-Band sind. Bei denen war das mehr so Rock-Garage, und ich hatte echt keinen richtigen Spaß. Da mache ich lieber Punk-Garage und spiele so, als wäre es unsere letzte Show, von wegen ‚nach uns die Sintflut‘ ... Okay, ich glaube, dass ist nicht unbedingt eine Altersfrage. Vielleicht liegt es ja an dem Habitus, den man als Erwachsener hat, ich meine, dass man sich so ernst nimmt. Und das tun die HARA-KEE-REES überhaupt nicht!“
Tja, es gäbe natürlich noch viel zu sagen. Torben erfand z.B. mal eben eine neue Beat-Boot-Variante für vegane Garage-Fans, nämlich die so genannten „Beat-Chucks“ aus Canvas-Stoff, auch redeten wir viel über ein eventuelles Garage-Revival und befanden, dass zur Zeit alles, was nach 60s/70s und 80s klingt, ein mitunter widerwärtiges Revival (ich sag nur „Cock-Rock“ à la THE DARKNESS!) feiert. Auch erfuhr ich, dass die HARA-KEE-REES die ganzen deutschen Emo-Befindlichkeitstext-Bands, aber auch den immer noch anhaltenden Berlin-Hype (besonders unter Berlin-Zugereisten), „total furchtbar“ finden. Alles Probleme, die den Drummer Michael nicht sonderlich tangieren, denn der antwortete auf meine Frage, welche Platte im Jahr 2003 für ihn der Flop schlechthin sei: „Scheiße, da kann ich gar nicht mitreden. Frag mich doch mal nach Flops aus dem Jahr 1965!“ Mal ehrlich, schon alleine für dieses Statement muss man die HARA-KEE-REES einfach lieben!
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