HANIN ELIAS

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Die post-digitale Frau

Dass ein Bruch Befreiung bedeuten kann, und mitunter Kräfte und Energien freisetzt, die dem Leben und Wirken eine ganz neue Richtung geben, beweist Hanin Elias mit ihrem phantastischen zweiten Solo-Album „No Games No Fun“ auf ihrem eigenen Label Fatal Recordings – ihrer ersten Veröffentlichung nach der Trennung von ATARI TEENAGE RIOT und Digital Hardcore Recordings. Hanin, frisch aus dem Urlaub zurückgekehrt und mitten in den Vorbereitungen des sechsten Geburtstags ihres Sohnes, nahm sich die Zeit, ein wenig mit dem Ox zu plaudern.

„I wanna play with you / I wanna stay with you... Who of us will survive?“

Nachdem ich bei ATR raus war, wollte ich experimentieren. Ich hatte mich da am Schluss gefühlt, wie auf Eis gelegt und wollte endlich frei sein, zu tun, was ich will, wie ich es will. Bei DHR entschieden nämlich letztendlich doch immer nur die Typen, wo es lang ging, und dem wollte ich als Künstlerin entfliehen und mit Fatal Recordings Alternativen entgegensetzen. Ursprünglich hatte ich vor, mit Machos wie MINISTRY und RAMMSTEIN ein Album mit dem Titel ‚Playing with Balls’ zu machen, auf dem ich deren Testosteron-Attitüde mit meinen Texten und meiner Performance brechen wollte. Die bekamen dann aber doch Schiss und so entwickelte sich das ursprüngliche Konzept immer weiter, bis ich mit so unterschiedlichen Leuten wie z.B. J. Mascis, Khan, C.H.I.F.F.R.E., Merzbow oder Alex Hacke zusammen kam. Ich wollte ein Stück weit weg vom Schreien, weg von der Eindeutigkeit und dem Überplakativen, und die Wut und Aggression, die immer noch da sind, subtiler einsetzen. Dementsprechend ist ‚No Games No Fun’ ein Album, das mich sicher von meiner experimentierfreudigsten aber wohl auch für viele bisher zugänglichsten Seite zeigt. Und, es ist das erste Mal, dass ich meine eigene Musik zu Hause auflegen kann, und sie gerne höre. Das kannte ich bisher so nicht.

„Enough Sleeping / I have to get up from my Shell / Wanting a Machine“

Da stand ich dann mit lauter Plänen und ohne ein Stück Equipment, also dachte ich mir, jetzt muss ich mit anderen Leuten und deren Equipment in deren Studios arbeiten und sehen was passiert. Das fing an mit ‚Rockets against Stones’, das ich direkt nach dem 11. September und dem folgenden Krieg gegen Afghanistan mit Phillip Virus und Merzbow gemacht hatte. Dieses Stück wiederum hörte J. Mascis und beschloss spontan auch etwas beizusteuern, was dann der Titelsong wurde. So zog alles weiter seine Kreise. C.H.I.F.F.R.E., den ich auf der Fatal-Filmnacht kennen gelernt hatte, und ich besorgten uns ein paar superbillige Geräte und gingen ins Studio. C.H.I.F.F.R.E. hatte vorher übrigens noch nie Musik gemacht, was kaum einer glaubt, der seine Stücke hört. ‚Wanting a Machine’ war das Erste, was er jemals produziert hatte, und ich fand es so fantastisch, dass ich es unbedingt auf der Platte haben wollte. Das war eine wunderschöne, kreative aber auch mitunter unglaublich harte Zeit des Experimentierens. Komplett mit bösem Streit, Machtspielen und Anschreien, aber die Ergebnisse wiegen das alles auf und wir sind beide glücklich mit dem, was wir erreicht haben. Und so entwickelte es sich weiter, mehr Kontakte und Ideen kamen dazu. Von Khan z.B. wollte ich Tracks, die er nie verwendet hat, für die er sich sogar ein bisschen schämte. So alte House-Tunes und so was, um zu sehen, was wir daraus machen können.

„Nothing we can’t do together / Nothing we can’t destroy together / Nowhere we can’t live together“

Ich habe einiges an Kritik dafür einstecken müssen, dass ich auf ‚No Games No Fun’ ausschließlich mit Männern zusammengearbeitet habe. Ich, die ich doch aufgrund meiner Aussagen und Aktionen, speziell mit Fatal, so sehr mit dem anti-patriarchalischen Kampf in Verbindung gebracht werde. Also, erst mal sind Männer für mich nicht der Feind, bloß weil sie Männer sind. Da lasse ich mich auch von keiner feministischen Seite vereinnahmen, dieses Ausschlussdenken habe ich nicht. Ich steche mich im Gegenteil sogar mit vielen feministischen Ideen, weil ich denke, dass zu vieles durch die rosarote Brille betrachtet wird. Mann gleich böse, Frau gleich gut, so einfach ist es ja nun wirklich nicht. Ich erfahre gerade von Frauen viel Missgunst und Häme und werde vielfach geradezu isoliert, eben weil ich mich nicht vereinnahmen lasse. Wir leben in einer männerdominierten Kultur der Stärke, Kälte und Härte, ganz klar. Das, was allgemein weiblich konnotiert ist, wie Pazifismus, Gefühle, etwas eher weiches, wird mit Schwäche gleichgesetzt, und die Indoktrination ist so weit fortgeschritten, dass sich viele Frauen ihrer sogenannten weiblichen Gefühle sogar schämen. Das war bei mir früher ganz ähnlich. All die Härte und Aggression bei ATR war über die Jahre wie eine Art Schutzschicht. Nichts konnte wirklich durch. Wenn ich heute auf der Bühne stehe, ist das ganz anders. Ich versuche, mich meinen Gefühlen zu stellen, was mir manchmal sogar regelrecht Angst macht. Die Schwarz-Weiß-Sicht, mit der ich viele Dinge früher betrachtet habe, ist mittlerweile eine Vielzahl von Graustufen gewichen. Ständig entdecke ich tausend Widersprüche in mir und weiß nie hundertprozentig was richtig und was falsch ist. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass dieses patriarchalische System, in dem wir leben, im Wesentlichen vom weit verbreiteten und alltäglichen Sozialdarwinismus am Laufen gehalten wird. Den gilt es zu bekämpfen. Was das Künstlerische betrifft, kommt eine gewisse sexuelle Spannung hinzu, die meiner Meinung nach immer entsteht wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten, und die ich sehr inspirierend finde. Bei Kollaborationen zwischen Frauen hebt sich diese Spannung sehr schnell auf, was ich weniger befruchtend finde. Vielleicht ist es aber auch so, dass Männer im Allgemeinen eher den Drang verspüren, etwas zu schaffen und sich irgendwie zu verewigen, wohingegen viele Frauen mehr für den Moment leben, und diese Art von Ehrgeiz nicht im selben Ausmaß haben wie Männer. Ich weiß es wirklich nicht, da bin ich selbst noch am Forschen. Insgesamt denke ich jedenfalls, dass ‚No Games No Fun’ und die Art, auf die das Album entstanden ist, ein positives Signal an andere Männer da draußen ist, und sie vielleicht sogar zum Nachdenken bringt. Das ist auch meine Mission, wenn man es so nennen will: Diskussionen anstoßen, mit Klischees spielen, Widersprüche, auch die eigenen, aufzeigen. Fatal ist nicht nur für Frauen da. Fatal ist eine Plattform für alle, die gegen das Patriarchat kämpfen.

„In the Beginning there was Violence / Your History is Violence / In the End there will be Silence“

Was die Bush-Regierung gerade treibt, ist die absolut perverse Blüte kapitalistisch motivierter Hegemonialpolitik. Der christlich-fundamentalistische Boys Club zieht unter Vorwänden und von Rachegefühlen getrieben in die Welt, um das Böse zu bekämpfen und Demokratie und die Expansion des Kapitalismus herbeizubomben. Wer kommt als nächstes dran? Iran? Syrien? Mein Familie ist in Syrien und diese ganze Scheiße macht mir echt Angst. Das ist ein Pulverfass. Die Menschen im Mittleren Osten fühlen sich ständig vom Westen ins Gesicht geschlagen und verhöhnt. Wie soll das weitergehen? Welcher Staat nimmt sich als nächstes das Recht heraus, wie die USA, prophylaktisch einen realen oder imaginären Feind auszulöschen? Wir sind auf dem Weg zu einem globalen Kannibalismus und das kann leicht zum Dritten Weltkrieg führen. Und dann diese Arroganz: Millionen Menschen haben weltweit gegen den Irak-Krieg demonstriert, und keinen der Feldherren hat es interessiert. Das macht mich so wütend, dass ich denke: Jetzt erst recht! Ich weiß nicht, vielleicht kommt man mit pazifistischem Widerstand, besonders in den USA nicht mehr weiter. Was die USA brauchen, ist eine Revolution. Die allgemeine Gehirnwäsche im Westen ist jedoch schon so weit fortgeschritten, dass ich fast glaube, viele Menschen sind mit dem Krieg gegen die Fremden und Andersartigen eigentlich im Reinen. Wenn ich mir etwa einen Film wie ‚Herr der Ringe’ ansehe, in dem das lichte, helle, weiße Volk bedroht wird von den wilden Horden aus dem Osten, und das Böse eindeutig indigene und auch arabische Züge verpasst bekommt, frage ich mich doch, was diese Art von Propaganda bezwecken soll. Ich bin wirklich enttäuscht, dass sich Peter Jackson, den ich bisher sehr geschätzt habe, sich für so etwas hergibt. Mit üblen rassistischen Klischees wird versucht, das Publikum, das sich natürlich mit den reinen und treuen Kämpfern für das Gute identifiziert, zu beeinflussen. Da werden primitivste xenophobe Reflexe auf eine Weise stimuliert, die sich für mich fast liest wie eine Desensibilisierungskampagne zur Vorbereitung eines Genozids.

Livefoto: Andrea Krauß