2003 wurden die Band um Sänger und Gitarrist Till, der auch das Label und den Mailorder Guerilla Asso betreibt, gegründet. Auf dem neuen Album „L’Ennui“, dem fünften Studiowerk neben diversen Kleinformaten und Livereleases, ist die „Müllguerilla“ kein Stück leiser und entspannter als zuvor, und warum auch? Frankreich ist ziemlich im Arsch, der Präsident ein arroganter Ex-Hoffnungsträger, die Jugend arbeitslos, die Arbeitenden im Streik, und die Vorstädte, die Banlieus, gären vor sich hin. Und genau dazu liefern GUERILLA POUBELLE die Stadtrebellen-Hymnen Soundtrack, mit französischen Texten.
Till, man sagt, in schlechte Zeiten erscheinen die besten Punk-Platten. Folglich muss euer neues Album „L’Ennui“ ja geradezu ... fantastisch sein?
Keine Ahnung, wie „fantastisch“ es ist, es wäre auch vermessen, das über sich selbst zu sagen. Aber definitiv ist der gesellschaftliche Mist, in dem wir hier leben, mindestens so groß wie die Wut, die in diesem Album steckt! Ich hatte auch eine Zeit lang mit psychischen Problemen zu kämpfen, aber ich fühle mich jetzt besser, also bin ich wohl eher geneigt, eine allgemeinere Perspektive einzunehmen. Ich habe meine Gedanken geordnet und etwas Abstand gewonnen vom Zustand der Welt um mich herum.
Deutschland hat seine Probleme, keine Zweifel, aber es scheint, dass Frankreich mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, einem arroganten Präsidenten, den Streiks, Gelbwesten viel mehr am Arsch ist. Was kann eine politische Punkband in einer solchen Situation bewirken?
Ja, der Kapitalismus zerstört alles und die Regierung lässt es geschehen. Ich schätze, einer Band wie uns bleibt nur, es laut auszusprechen, auch wenn das keinen Einfluss darauf hat, was die herrschende Klasse tun wird, kann es immerhin bewirken, dass die Leute, die uns zuhören, sich besser zu fühlen, weil sie nicht allein in dieser Scheiße sind. Vielleicht bringt es die Leute dazu, über Dinge nachzudenken, die sie vielleicht nicht in Betracht gezogen haben ... Wir spielen auch viele Benefiz-Shows oder haben spezielle Merch-Artikel, deren Gewinn wir an soziale Organisationen spenden. Seit Januar haben wir Geld gesammelt, um die Streikenden im Kampf gegen die Rentenreform zu unterstützen, außerdem für ein Kollektiv, das Opfer von Polizeigewalt unterstützt. Es sind schon weitere Benefizveranstaltungen geplant, erneut für die Streikenden und dann in Calais, um den Migranten dort zu helfen.
Ihr habt ein Video zu „Apocalypse 6:12“ gedreht. Worum geht es in diesem Lied und warum der biblische Bezug? Ich meine, die ökologische Krise ist von Menschenhand gemacht und nicht etwas, das durch eine „höhere Macht“ über uns kommt.
Oh ja, bitte nicht falsch verstehen, wir geben den Politikern und der Industrie die Schuld, dem Kapitalismus und dem Konsum, die diese Probleme verursacht haben. Der Bibelverweis dient hier mehr als rhetorisches Bild für die globale ökologische Katastrophe. „Apokalypse 6:12“ ist der letzte Vers vor dem Weltuntergang, das erschien mir ganz passend, auch wenn damals vom Plastik in den Ozeanen und Umweltverschmutzung noch keine Rede war ...
Ich frage Bands immer wieder gerne, was sie versuchen, um zur Rettung der Umwelt beizutragen, zum Beispiel mit ihrem Merchandise oder der Wahl ihrer Verkehrsmittel. Was tut ihr?
Du hast recht, das ist ein Dilemma für eine tourende Band. Wir fahren mit einem Diesel-Van durch die Gegend, wir nehmen das Flugzeug, um in den USA oder Kanada zu touren, wir produzieren einen Haufen Platten und Shirts. Wir wissen, dass das schlecht ist, und wie jeder andere haben wir unsere eigenen Widersprüche ... Aber wir versuchen, unseren Teil beizutragen, unsere Bandshirts etwa sind wirklich bio und fairtrade. Unsere Albumcover drucken wir auf Recyclingpappe. Wir spenden an eine klimaneutrale Organisation, um die Plattenproduktion zu kompensieren. Wir verwenden seit Jahren unsere eigenen Trinkflaschen anstelle von Einweg-Plastikflaschen, wir bringen „Tupperware“ mit, um Essensreste einzupacken und Abfall zu vermeiden. In unserem Tour-Rider wünschen wir uns vegetarisches Catering, wir bitten die Veranstalter, auf übermäßigen Verpackungsmüll zu verzichten und lokale und saisonale Produkte zu verwenden ... Einige Idioten haben uns deshalb sogar als „Pariser Hipster“ bezeichnet! Außerdem hatten wir im letzten Jahr auf der ganzen Tour extra Merchandise zugunsten von Extinction Rebellion Frankreich. Ab und zu kommen sie auch zu unseren Konzerten, um mit einem Infostand auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.
In „Passer l’arme à droite“ bezieht ihr euch auf Unternehmen wie Uber und Netflix. Was passt euch an deren Geschäftsmodellen nicht, welche Firmen sollten noch auf der Liste stehen?
Eigentlich geht es mir in diesem Lied eher um deren Rolle, wenn Leute, die früher in subversiven Initiativen aktiv waren, langsam in Apathie und Faulheit versinken. Wie gewissermaßen mit den Bequemlichkeiten des Konsums der Klassenkampf gewonnen wird. Ganz generell gesehen werfe ich solchen Unternehmen wie Uber, Amazon, Starbucks oder Deliveroo natürlich vor, dass sie ihre Steuern nicht zahlen und sich nicht um ihre Arbeitskräfte kümmern. Es ist ihnen irgendwie gelungen, eine neue Art von prekären und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen zu etablieren.
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