GREAT COLLAPSE spielen melodischen Hardcore. Und wer weiß, dass deren Mitglieder in so namhaften Bands wie RISE AGAINST, DEATH BY STEREO, SET YOUR GOALS und STRIKE ANYWHERE spielen beziehungsweise spielten, weiß auch, in welche Kerbe der Fünfer schlägt. Nach dem 2015 erschienenen Debüt „Holy War“ folgt nun mit „Neither Washington Nor Moscow ... Again“ Album Nummer zwei, über das Sänger Thomas Barnett (STRIKE ANYWHERE) ausführlich mit uns sprach.
Thomas, der Titel eures neuen Albums „Neither Washington Nor Moscow... Again“ klingt einerseits ziemlich hoffnungslos, aber eben nicht vollkommen. Was hat es damit auf sich?
Ja, das stimmt. Der Titel spielt auf einen bekannten Slogan an, den es in den Achtziger Jahren während des Kalten Kriegs gab. Jetzt bedeutet dieses Thema eben dasselbe wie damals, aber eben auch genau das Gegenteil, durch den Einfluss, den der Kreml auf die Wahlen in Amerika hatte und auch Putins Beziehung zu Trump und seiner korrupten Welt. Und darüber hinaus weist der Titel darauf hin, wie lächerlich und merkwürdig es ist, dass wir wieder an einem solchen Punkt angelangt sind. Um es kurz zu machen: Wir vertrauen in die Arbeit der Politik und sie versagt in ihrem Arbeitsauftrag. Wir wissen, dass sie versagt, aber wie gehen trotzdem wählen und glauben, dass wir eine Wahl haben mit diesen zwei Parteien. Wir bewegen uns mit unserer Bequemlichkeit langsam auf eine technokratische, globalisierte Zukunft zu, die auf einem schwachen und korrupten Boden steht. Das ist alles ein Trugbild und darum geht es auf dem Album. Es gibt übrigens auch eine LP namens „Neither Washington Nor Moscow“ der englischen Band REDSKINS aus dem Jahr 1986. Die Band bezieht darauf Stellung gegen die Stationierung amerikanischen Raketen in England , aber auch dass Europa ein Vorort des sowjetischen Imperiums wird.
Aktuell gibt es viele Themen, über die eine politische Band singen kann. Musstet ihr eine Auswahl treffen?
Du kriegst nie alles auf eine Platte. Die Songs sind alle in relativ kurzer Zeit entstanden. Ich habe zwar noch viele Ideen in meinem Notizbuch, aber ich finde die Songs auf dem Album wirken in ihrer Gesamtheit sehr homogen. Und sie zeigen, über was wir uns in diesem Jahr Gedanken gemacht haben. Sie sind, wenn man es so will, wie eine Postkarte, die anderen zeigt, wie wir auf bestimmte Dinge reagiert oder proaktiv gewirkt haben. Wir hoffen auch, dass die Leute damit etwas anfangen können. Es ist so etwas wie eine Botschaft aus unseren Herzen an unsere Hörer, eine Art Austausch, der kreativere Teil unseres alltäglichen Lebens. Wir haben dafür am Tag vielleicht zwei Stunden neben der Arbeit, dem Hin- und Herfahren und all dem anderen Bullshit. Und wir haben so wenig Zeit, um uns unsere Nachbarn oder unsere Angehörigen zu kümmern. All das geht immer mehr verloren. Nicht nur in Amerika, sondern überall in der westlichen Welt. Und dadurch entsteht ein Machtvakuum, ein riesiges psychologisches Loch. Und hier werden wir von den Mächtigen dieser Welt manipuliert.
Ihr versucht auch, die Ursache vieler Probleme zu ergründen, wie zum Beispiel im Song „Who makes“.
Genau, darin geht es um die Beziehung zwischen Vätern und ihren Söhnen, beziehungsweise um die Abwesenheit der Väter. Viele der neuen Neonazis in Amerika sind aber nicht ohne Internet groß geworden. Das sind junge Leute, deren Gehirne gewaschen wurden und die glauben, dass ihnen alles gehört. Sie leben in einem Amerika, das nicht existiert. Und niemand klärt sie über diese Illusion auf. Alle diese jungen Faschisten haben Zugang zu Informationen über den Holocaust und den zweiten Weltkrieg. Der Kern ist, dass diese Leute empfänglich dafür sind, zu glauben, dass all dies nicht passiert ist. Sie fühlen sich so machtlos, dass sie die Geschichte und die Wahrheit infrage stellen. Sie stellen die eintätowierten Häftlingsnummern 85 Jahre alter Leute im Pflegeheim infrage. Die sind einfach nicht aufgeklärt. Und Aufklärung ist der Job von Eltern. Eltern müssen ihre Kinder aufklären über die Verschiedenheit von Menschen und Dingen wie auch über Liebe, Schönheit und deren Komplexität. Am Ende des Songs gibt in es eine Menge Krach, in dem eine Stimme flüstert: „These are your sons“. All das passiert nicht wegen Donald Trump, ein paar Internetseiten oder irgendwelcher Facebook-Trolls. Solche Dinge passieren, weil unsere Gesellschaft schwach ist. Und es ist eine männlich dominierte und verzweifelte Gesellschaft in einer sich wandelnden Welt. Das zumindest ist meine Theorie.
Und ich wollte schon Donald Trump und ein paar Internetseiten die Schuld geben.
Es gibt da eine wahre Flut der Illusionen, Wut und Boshaftigkeit, womit Leute angegriffen werden, aber ich glaube, es gibt wirklich zu wenig Halt in den Familien heutzutage. Wir haben es bisher nicht geschafft, unsere Kraft von dieser Maskulinität abzukoppeln und sie in jeder Form herauszufordern. Es gibt eine Menge Ideen im Punk, aber ich glaube, die Familie als Ort der Aufklärung zu stärken, ist eine der fundamentalsten Notwendigkeiten, um als Gesellschaft voranzukommen.
Ein anderer Song, „Pretty wreckage“, ist von der Arbeit mit Geflüchteten inspiriert.
Unser Gitarrist Tom arbeitet mit Leuten, die vor zwei Jahren über die mexikanische Grenze gekommen sind. Sie wurden von Gangs in Guatemala und Honduras ausgebeutet und haben endlich Asyl in den Vereinigten Staaten gefunden. Der Song „Pretty wreckage“ handelt eben davon, ohne die Familie über die Grenze zu kommen und einen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Wann habt ihr mit dem Schreiben für das Album angefangen?
Ein paar Ideen sind schon einige Jahre alt. Da haben Chris, Todd, Tom und Joe ihre Ideen im Proberaum festgehalten und ich hörte mir sie ein paar Monate später an und dachte: Ha, das ist cool! Aber die meisten Songs sind im Juli und August entstanden und im September kamen die Lyrics, im Oktober wurde schon gemixt und im Januar erschien das Album. Wir wollten eine typische Punk-Platte machen, bei der wir nicht viel Zeit und Geld hatten. Wir haben einfach gemacht, hatten ein verrücktes Vier-Tage-Wochenende ohne Schlaf und alle waren in die Aufnahmen involviert. Es sollte sich lebendig anfühlen. Alles in allem ist das Album eine sehr schnelle, krachige Reaktion auf unser tägliches Drumherum. Die anderen haben die Sachen gemixt, während ich an der Ostküste mit STRIKE ANYWHERE auf Tour war. Chris schickte mir die Mixe und sie haben mich einfach umgehauen, als ich sie hörte.
Seid ihr mittlerweile als Band zusammengewachsen?
Die Aufnahmen waren ein Bandding, bei dem jeder seine musikalischen und textlichen Ideen mitgebracht hat und jeder auch Einfluss auf das Songwriting hatte. Einmal haben wir überlegt, wie die Drums bei einem Teil werden sollten. Ich hatte einen Einfall, trommelte einen Beat auf meiner Brust und schickte die Sachen an Todd. Der spielte mir was ein und fragte: „Hey, meintest du das so?“ Es war der Wahnsinn. Er hatte genau verstanden, was ich meinte. Jeder schreibt an den Songs, weil eben jeder von uns vorher in einer dieser anderen Bands war. Wir sind also alle recht gute Songwriter, zumindest meine Bandkollegen, haha. Und unser Rezept gegen das Zu-viele-Köche-Problem ist, dass wir das schätzen, was jeder Einzelne tut und jedem den nötigen Raum zugestehen. Und ja, die Band hat mittlerweile eine eigene Chemie, so etwas wie eine Seele, wenn du willst. Wir haben inzwischen auch ein ähnliches Empfinden, wenn es um Improvisation geht. Zum Beispiel gibt es auf dem Album merkwürdige und lustige Momente, wie sie eben im Hardcore zu finden sind, wie zum Beispiel einen Part nicht ein zweites Mal zu spielen. Und es gibt nicht immer das Pop-Song-Schema von Strophe/Refrain/Strophe/Refrain. Bei einigen Songs ist das so, weil es sich richtig anfühlt, aber es gibt auch Lieder, die wir bewusst seltsam halten wollten.
Wie hältst du deine Ideen fest?
Oh, ich würde sagen wie jeder. Manchmal tippe oder singe ich die Ideen in mein Telefon, wenn ich auf der Arbeit bin. Ich habe aber auch ein Notizheft, das ich immer dabei habe. Das ist etwas Besonderes, weil es physisch und mit nichts verbunden ist. Es ist das einzige Exemplar, das es gibt, weshalb ich etwas Emotionales in dieser Art der Vergänglichkeit verbinde. Ich glaube, es ist wichtig, dass es nicht von allem ein Backup gibt. Dass es Dinge gibt, die tatsächlich nur einmal auf der Welt existieren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #136 Februar/März 2018 und Robert Rittermann
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