GRADE 2 sind Mitte zwanzig und mit ihrem neuen vierten Longplayer bereits alte Hasen im Bereich Punkrock und Oi!. Im Unterschied zu anderen Vertreter:innen der Generation Z setzen die drei Briten nicht auf eine Hochglanz-Reanimation des Neunziger-Pop-Punk, sondern orientieren sich an den Originalen. Nach zwei Alben und mehreren Singles auf dem alteingesessenen Oi!-Label Contra Records kam 2019 mit dem dritten Album „Graveyard Island“ der Wechsel zu Tim Armstrongs Label Hellcat. Das jetzt erschienene vierte Werk ist schlicht selbstbetitelt und zeigt GRADE 2 von einer musikalisch variableren Seite, ohne dass der alte Spirit abhanden gekommen ist. Warum man auch mit, im übertragenen Sinne, etwas weniger Dreck auf den Doc Martens noch ganz gut Arsch treten kann, wie uns Bassist und Sänger Sid erklärt.
Du bist Engländer, spielst Bass und heißt Sid. Ist es da unvermeidbar, dass man in einer Oi!- oder Punkrock-Band landet? Die Kombination kommt mir bekannt vor.
Haha, du bist der Erste, dem das auffällt, niemand hat mich das bislang gefragt und ich finde diese Parallele auch sehr witzig. Als ich noch zu Schulzeiten anfing, Bass zu spielen, habe ich viel THE STRANGLERS gehört. Und ein Freund zeigte mir den Basslauf vom Song „Peaches“. Ich wusste gar nicht, dass dieses Instrument dafür zuständig ist und bat ihn, mir zu zeigen, wie man das spielt. Eigentlich wollte ich Schlagzeug lernen, aber meine Hand-Fuß-Koordination funktioniert einfach nicht. Darum gibt es eine weitere Parallele zwischen mir und Sid Vicious. Wir konnten einfach nichts anderes spielen. Mittlerweile beherrsche ich aber mein Instrument ganz gut.
Wie lief die Post-Corona-Phase bislang für GRADE 2? Was habt ihr in den letzten Wochen und Monaten getrieben?
Im UK endeten die Corona-Lockdowns im November 2021. Ab da begannen wir auf einem kleineren Level wieder in Form erweiterter Wochenenden von Donnerstag bis Sonntag zu touren. Diese Zeit war sehr seltsam. Einige Shows waren gut besucht, bei anderen tauchten kaum Leute auf. Kurz danach gingen wir für vier Wochen in Los Angeles ins Studio, um das neue Album aufzunehmen. Zur Vorbereitung probten wir sehr viel, drei- bis viermal pro Woche mehrere Stunden lang. Während der Aufnahmen habe ich mir den Arm gebrochen. Und neun Tage später sollten wir als Support mit SOCIAL DISTORTION auf Tour gehen. Ich habe mehrere Wochen mit gebrochenem Arm gespielt, kein Witz. Während der Aufnahmen sollten wir ein Video drehen. In einer Szene musste ich rennen, fiel hin und brach mir den Arm. Leider hatte ich für die USA keine Krankenversicherung und eine Behandlung konnte ich mir nicht leisten. Daher musste ich eine Woche warten, damit ich zu Hause zum Arzt gehen konnte. Das war wirklich verdammt schmerzhaft. Der Arzt in England wollte mir einen Gips verpassen. Aber ich sagte: No way, ich muss auf Tour gehen!
Das ist Punkrock!
Richtig, das habe ich mir auch gesagt und die Zähne zusammengebissen. Außerdem ist es eine gute Geschichte, die ich in Jahrzehnten noch erzählen kann.
In einem Kommentar zu GRADE 2 wurde über euch gesagt, dass ihr den traditionellen Oi! in die Generation Z übertragt. Siehst du das auch so?
Ich würde uns nicht als traditionelle Oi!-Band bezeichnen. Unsere ersten Aufnahmen gehen in diese Richtung, aber im Laufe der Zeit hat sich der Soundhorizont unserer Alben schon erweitert. Natürlich findest du die typischen Elemente noch bei uns, wir haben ihnen aber einen modernen Twist verpasst. Insbesondere unsere Texte weichen von den klassischen Oi!-Themen ab. Damit können sich ältere Hörer:innen vielleicht auch nicht mehr komplett identifizieren, die auf den klassischen Sound stehen. Wir singen eben über Dinge, die Menschen in ihren Zwanzigern im Jahr 2022 bewegen. Musikalisch stehen wir mit beiden Füßen in den Achtzigern, aber wir entwickeln uns weiter.
Hältst du die Einteilung von Generationen in X, Y, Z für sinnvoll? Gibt es tatsächlich so etwas wie eine eigene Mentalität von Geburtsjahrgängen?
Schwierig zu beurteilen! Ja und nein, mit einer Tendenz zu nein. Viele Ältere, die ich kenne, sind im Herzen noch Teenager. Der Unterschied besteht nur in den Umständen, in denen du aufwächst, nicht in deiner Grundeinstellung dazu oder wie du mit ihnen umgehst. Das Mindset ist dann innerhalb der Generationen gar nicht so unterschiedlich.
Simon Spence stellte neulich im Guardian in einem Porträt der Band CROWN COURT die These auf, dass sich momentan ein Oi!-Revival entwickelt und insgesamt das Interesse an Oi!-Bands wieder zunimmt. Siehst du diese Tendenz auch?
Ja, schon! Im UK gibt es momentan eine Reihe neuer Bands, die für Aufmerksamkeit sorgen. Das beschränkt sich aber nicht nur auf Oi!-Bands, es sind generell Underground-Bands, die mehr in den Fokus rücken, insbesondere in London. Nimm zum Beispiel noch THE CHISEL und CHUBBY AND THE GANG. Das sind Bands, bei denen alles, was sie machen, großartig ist. Egal, ob Platten oder Live-Shows. Diese Bands machen die Konzerte wieder voll und zwar schon im Vorverkauf, drei bis vier Monate vorher. Es ist schon länger her, dass mehrere Bands aus der gleichen Stadt zeitgleich so viel erreichen und diese Qualität haben. Ich betrachte es deshalb schon als eine Welle, die wir gerade erleben. Warte noch ein Jahr und diese Bands werden sich über England hinaus einen Namen gemacht haben.
Lass uns über das neue Album sprechen. Euer Song „Doing time“ spielt darauf an, dass Büroangestellte die neue Form der Working Class sein können. So habe ich es jedenfalls interpretiert.
Während der Pandemie mussten wir natürlich wieder in normalen Jobs arbeiten, klassisch nine-to-five im Hamsterrad, keine Zeit für Proben. Das war frustrierend. In diesem Kontext entstand der Song. Das Video sollte dieses typische Montagsgefühl transportieren, wenn du wirklich auf alles kotzen könntest. Wenn man nicht glauben kann, dass man wieder stundenlang am Computer gesessen hat. Diese sinnlosen Bürojobs, in denen du Papiere von A nach B sortierst. Dieses Gefühl können viele Leute gut nachempfinden.
Welcher war der beschissenste Job, den einer von euch jemals machen musste?
Ich habe tatsächlich eine Zeit lang bei McDonald’s gearbeitet. Die Leute dort waren nett und witzig, aber der Job natürlich der Horror. Ich konnte das nur schwer ertragen. Jack war Kellner in einem fancy Hotel, da stößt du auch nicht immer auf die nettesten Leute. Jacob ist der einzige handwerklich Talentierte, deshalb macht er immer solche Jobs.
Ich finde, das Album hat eine größere Portion Punkrock abbekommen als euer letztes, „Graveyard Island“ von 2019. Ich höre mehr Einflüsse der BRIEFS und RANCID heraus. Wie siehst du das?
Das neue Album ist anders als seine Vorgänger, ich kann das aber gar nicht an einer bestimmten Sache festmachen. Durch die Pandemie hatten wir einfach mehr Zeit, um uns auf das Songwriting zu konzentrieren. Wir haben Stücke geschrieben, Demos gemacht – und dann kam der nächste Lockdown. Und dann sitzt du acht Wochen lang auf deinen Aufnahmen und reflektierst jedes Detail. Hinzu kommt, dass du viel mehr Zeit zum Musikhören hast und Einflüsse aufzusaugen. Wir haben viel THE JAM, THE CLASH, THE LAST RESORT oder THE BUSINESS gehört. RANCID und die ganzen Neunziger-Bands spielen auch eine große Rolle. Allerdings haben wir auch häufig die ersten beiden Alben der ARCTIC MONKEYS oder SLAVES gehört. Daraus resultieren dann einerseits Songs wie „Doing time“, die knapp über eine Minute lang sind und bei denen jede Sekunde zählt. Andererseits willst du dir auch mal mehr Zeit lassen und einen Refrain schön melodisch ausarbeiten. Letztendlich zählt, dass die Songs live in einem Set gut funktionieren.
Spielst du eigentlich noch bei WEEKS oder konzentrierst du dich jetzt komplett auf GRADE 2?
Ja, ich habe auch ein paar neue Songs für WEEKS geschrieben, die aber noch nicht aufgenommen wurden. Und wir haben auch in letzter Zeit zwei Gigs in unserer Heimatstadt gespielt. Aber jeder in der Band hat einen Vollzeitjob und von daher wird es immer schwieriger, regelmäßig zu proben. Ich kann noch gar nicht sagen, ob wir mit WEEKS noch neues Material veröffentlichen. Mal abwarten.
Würdest du WEEKS oder GRADE 2 als die politischere Band bezeichnen?
Das kann ich gar nicht genau sagen. Einen explizit politischen Song haben wir gar nicht. Aber es ist schon der Fall, dass wir über die persönlichen Texte, die immer eine Form des Storytelling darstellen, indirekt Bezug zu politischen Themen nehmen und einen Standpunkt formulieren. Jedem sollte klar sein, dass GRADE 2 und WEEKS einen klar antirassistischen Hintergrund haben. Falls nicht, dann jetzt!
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