GITANE DEMONE QUARTET

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Urbane Alptraumsongs

45 GRAVE, ADOLESCENTS, CHRISTIAN DEATH, TWISTED ROOTS, D.I. (die Band, die sich in Penelope Spheeris Film „Suburbia“ mit ihrem Song „Richard hung himself“ nachhaltig ins Gedächtnis brannte), die Elektro-Punk-Pioniere THE SCREAMERS, SOCIAL DISTORTION, DC3 ... Die Liste der Formationen, in denen die Mitglieder des 2014 gegründeten GITANE DEMONE QUARTET spielten, ist beeindruckend, ihr musikalisches Schaffen umfasst mehr als 35 Jahre. Rikk Agnew, Gitane Demone, Paul Roessler und Deb Venom haben Punkgeschichte geschrieben und sind lebende Augenzeugen der frühen Tage des kalifornischen Punkrock.

Aber auch wenn das erste bei YouTube aufgetauchte Lebenszeichen eine Coverversion des SCREAMERS-Klassikers „Eva Braun“ ist, so sind GITANE DEMONE QUARTET keineswegs eine Nostalgie-Band, die alte Songs aufwärmt und deren Mitglieder sich auf den Lorbeeren vergangener Tage ausruhen. Es gibt neues aufregendes Material, das immer noch die Grenzen eingefahrener Hörgewohnheiten sprengt. Dass Gitane Demone gerne experimentiert, hat die Sängerin sowohl bei CHRISTIAN DEATH als auch bei ihren Soloprojekten bewiesen. Und dass Rikk Agnew sich nicht um Schubladen schert, zeigt alleine schon seine Mitwirkung bei so unterschiedlichen Bands wie CHRISTIAN DEATH und ADOLESCENTS. Im Interview erzählten die beiden von ihrem neuen Projekt.

„Unser erster Live-Auftritt war am 3. Mai 2014 in der Galerie Art Share in Los Angeles, im Rahmen einer zweitägigen Tomata Du Plenty-Retrospektive. Der 2000 verstorbene Künstler war Poet, Maler, Schauspieler und Kopf der bahnbrechenden Punkband THE SCREAMERS“, sagt Gitane Demone. „Paul Roessler, ein früheres Bandmitglied von THE SCREAMERS, bat uns darum, bei dieser Veranstaltung mit ihm zusammen eine Interpretation von ‚Eva Braun‘ zu spielen. Kurz darauf begannen wir, als GITANE DEMONE QUARTET/GDQ zusammen aufzutreten und aufzunehmen. Die Retrospektive im Art Share selbst schloss mehrere Bands ein, die ihre eigenen Versionen von SCREAMERS-Songs präsentierten, gezeigt wurden außerdem die multimedialen Werke – Fotos, Videos etc. – von Tomata Du Plenty. Es war ein großartiges Spektakel. Tomata hat das verdient!“

Wer wegen der illustren Namen auf ein Konzert von GITANE DEMONE QUARTET kommt, wird eine Überraschung erleben – die vier sind nach wie vor experimentierfreudig und testen Grenzen aus. „Wir wären nicht GDQ, wenn wir nur alte Songs spielen würden“, betont die Sängerin mit Nachdruck. „Wir haben alle einen guten Ruf durch unser musikalisches Können und wollen mit der Band unser Bestes geben. Nur darum geht es. Wir sind sicher nicht für jeden etwas, aber wir könnten es sein! Wir haben beispielsweise an Silvester bei einer gemischten Veranstaltung gespielt: Vor uns trat eine ausgezeichnete japanische Rockabilly-Band auf. Danach spielten wir einen unserer neuen urbanen Alptraumsongs und fegten den Platz leer mit diesem furchteinflößenden Soundangriff. Während der nächsten Songs versuchten die Leute herauszubekommen, was los war. Die, die blieben, waren meist Punks oder Deathrocker. So haben wir also das neue Jahr eingeläutet. Auf eine Avantgarde-Art und Weise würde ich mal sagen. Ein Punk sagte, dass er seit zwanzig Jahren kein LSD mehr genommen hätte, aber bei der Live-Show dabei gewesen zu sein, hätte ihm ein ähnliches Gefühl vermittelt. Andere sagte, dass es sie sehr bewegt und tief berührt hätte.“

Geschichten vom Leben und Sterben im Großstadtdschungel, Träume, Krieg und Frieden, Gleichheit, Natur. Es gebe keine Regeln bei den Texten, betont Gitane Demone, welche die meisten davon verfasst, aber selbstverständlich habe die aktuelle politische Situation Einfluss darauf. „Das ist einfach unvermeidlich. Downtown LA ist seltsam: Die Neureichen leben in völligem Luxus, tragen Haute-Couture-Mode, wohnen in exklusiven Penthäusern und essen in Gourmettempeln, während ein oder zwei Blocks weiter die Obdachlosen auf der Straße kampieren. Aber wahrscheinlich ist das noch nicht einmal seltsam, sondern einfach nur typisch Amerika. Die immer größer werdende Armut und Obdachlosigkeit beunruhigt mich, ebenso wie Polizeigewalt und Umweltverschmutzung. Aber das gilt eigentlich weltweit. Außerdem sind da natürlich noch die unzähligen Fälle von Korruption in der Regierung und in den Unternehmen.“

Welcher Stellenwert kommt der Punk-Bewegung in diesem Zusammenhang zu? Ist sie noch von Bedeutung? „Offensichtlich nicht mehr als Bedrohung, wie das früher mal war, sondern um die Ideale der Bewegung zu fördern, die Musik, die Künstler und alle, die dazugehören“, sagt Gitane Demone. Und Rikk Agnew fügt hinzu: „Ja, ich habe viele Dinge gesehen, deren Saat damals gepflanzt wurde und die nun Früchte tragen. Wir können Unterdrückten und Geknechteten nun helfen, viele von uns sind Lehrer und Erzieher geworden, arbeiten in guten Positionen mit Einfluss und wenden die ethischen Grundsätze des Punk an.“

Trotz des hohen Bekanntheitsgrades der einzelnen Bandmitglieder haben GITANE DEMONE QUARTET momentan noch kein Label. Zu unkonventionell, zu außergewöhnlich ist ihr Debütalbum „Past The Sun“, das derzeit nur bei den Konzerten der Band erhältlich ist – die Single „Standard Upright“ steht bei Bandcamp zum Download zur Verfügung.

Rikk Agnew kommentiert das sarkastisch mit einem Zitat von Hunter S. Thompson: „Das Musikgeschäft ist eine grausame und hirnlose Geldkloake, ein langer Korridor aus Plastik, in dem Diebe und Zuhälter tun und lassen, was sie wollen, und gute Menschen vor die Hunde gehen.“ Ein ewig gültiges Statement.

Fast wäre es im März schon zu Auftritten von GITANE DEMONE QUARTET in Europa gekommen, auch einige wenige Konzerte in Deutschland waren geplant, leider wurde die Tour kurzfristig krankheitsbedingt abgesagt. „Einige Wochen vor dem Start wurde Rikk lebensbedrohlich krank, er war fünf Tage auf der Intensivstation mit einer Blutvergiftung. Am Tag, als er aus dem Krankenhaus kam, hatten wir einen Auftritt, den er mit dem angeklebten Infusionsbeutel am Arm spielte. Wir fühlten uns schrecklich, dass wir die Promoter, die Leute, welche die Tour arrangierten und unsere Freunde in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz so enttäuschen mussten. Ich hoffe sehr, dass wir unsere Tour bald nachholen können.“