GIGANTOR

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Big in Japan 2005

GIGANTOR sind in Sachen Japan, aber nicht nur da, alte Hasen, denn so manches Mitglied der Band aus Hannover steht mittlerweile seit bald 30 Jahren auf der Bühne. Zum Glück für die Band und für uns sind die Folgen nicht die gleichen wie bei Kanzler Schröders Lieblingscombo, den SCORPIONS, denn der aktuelle Longplayer „G7“ ist wieder einmal perfekt produzierter Pop-Punk, der es, warum auch immer, auch den Japanern angetan hat. Bei der Tour im Februar 05 wurde mal wieder für’s Ox mitstenografiert.

09.02.2005
Letzter Test vor der Tour. Wir haben heute die Ehre, in unserem Wohnzimmer, dem Béi Chéz Heinz in Hannover, von den großartigen TRAVOLTAS supportet zu werden, bzw. sogar „That thing U do“ mit Perry, dem Sänger der TRAVOLTAS, zu performen. Oberarzt Bela war auch da, wollte aber bei „Who will save rock’n’roll“ (ist im Duett mit Doro Pesch auf unser neuen Scheibe „G7!“) nicht mit auf die Bühne, da er zwei Jahre nach Aufnahme des Tracks nicht mehr ganz textfest war. Macht aber nix. Zum Glück haben wir auch in Deutschland ein ziemlich textsicheres Publikum, was mich immer wieder wundert, fasziniert, aber eben auch sehr erfreut, gerade wenn ich wieder mal einen textlichen Hänger habe. Die Show war geil, die TRAVOLTAS auch, noch ein paar Drinks und ab nach Hamburg. Wäsche waschen, Fußnägel schneiden, Tasche packen ... Ach ja, und den vorläufigen Reisepass besorgen!

18.2.2005
Anreise in Hannover. Noch eine kleine Party in einer Nichtraucher-Wohnung, so auf dem Balkon im Schnee ist ja auch nett, ein paar Stunden Schlaf und ab!

19./20.2.2005
So, jetzt geht’s los! Ein kurzer Zwischenstopp in Amsterdam und dann zwölf Stunden Flug, der dank modernster Technik so kurzweilig war wie noch nie: die Flieger haben jetzt tatsächlich kleine Monitore in den Kopfstützen des Vordermanns, man kann aus über vierzig Kinofilmen wählen, oder auch aus diversen kurzweiligen Computergames. Astrein! Dann Landung in Tokio-Narita – ich muss jedes Mal im Airport von Tokio an unsere erste Ankunft hier denken, schon ein paar Jahre her, aber die Jungs verarschen mich deshalb immer noch: Ich blöderweise noch ein Päckchen O.C.B.s in der Tasche, ohne zu ahnen, dass in Japan kein Mensch Papers benutzt und der nette Herr vom Zoll über den Verwendungszweck der kleinen weißen O.C.B.s durchaus im Bilde war. Also ab nach hinten: „Sie haben doch was dabei.“ „Nein, sicher nicht!“, etc. etc. Okay, sie haben mir nicht geglaubt. So haben mich meine ersten Schritte auf japanischem Boden dann auch gleich meine Jungfräulichkeit gekostet. Aber zum Glück haben Japaner ja kleine Hände! Diesmal geht alles glatt und auch meine Reiselektüre „Mr. Nice“ von, mit und über Howard Marks erweckt keinerlei Verdacht. Zwei Punkrocker unserer Booking-Agentur holen uns in einem Kleinbus ab, und „Kleinbus“ steht in Japan für einen kleinen Kleinbus, sehr zur Freude von Jenzzz und allen anderen in der Band über eins achtzig. Zwei Stunden Fahrt vom Flughafen in die Stadt und wie immer läuft in diesem Bus, den wir schon vom letzten Mal kennen, THIN LIZZY („The boys are back in town“). Right! Check in. Hotel super. Hunger. Ich also mit Andy und Heiko los. Wir sind ja nun wirklich nicht zum ersten Mal hier und im Restaurant nach Bildern zu bestellen, könnte klappen. Klappt auch bei allen, nur ich schieße mal wieder den Vogel ab: eingelegte Hühnerfüße, eiskalt und echt eklig. Na ja, esse ich halt Salat und den Rest kann man auch trinken. Wir lachen uns noch eine Stunde über das Huhn auf Krücken schlapp, das um die Ecke kommt und das alles auch überhaupt nicht witzig findet, und dann geht es zurück zum Hotel, wo wir auf unseren Oberfan Micha aus Hannover treffen. Micha hat es echt gebracht! Er hatte es ja schon beim Konzert in Hannover angekündigt, auch „zur nächsten Show zu kommen“, aber so Recht konnten wir es alle nicht glauben. Micha kommt eigentlich immer, wenn wir spielen, egal wohin. Aber nach Tokio? Respekt! Na, dann ziehen wir mal um die Häuser. Shinjuku ist ja so unglaublich bunt, das größte Rotlichtviertel der Welt, zumindest kenne ich kein größeres und St. Pauli ist echt grau dagegen. 30 Blocks längs wie breit, 30 Stockwerke hoch und eben sehr, sehr bunt. Michas Augen werden immer größer und der Mund steht ungläubig offen. Zum Abschluss des Rundgangs geht es noch ins Live Freak, dem Laden, in dem wir die nächsten vier Tage rocken dürfen, ein sehr netter und cooler Club! Der Chef gibt gleich Bier aus und alle Angestellten kommen brav zum Händeschütteln vorbei. Japan halt. So, nach 30 Stunden auf den Beinen ist dann jetzt auch mal Schlafenszeit.
21.2.2005
Jetlag ist eine komische Sache: Man ist nie richtig wach und schlafen kann man auch nicht. Andy hat diesmal am meisten damit zu kämpfen, zwei Stunden schlafen und dann den Rest der Nacht damit verbringen, zwischen dem hoteleigenen Videokanal („Troja“ mit Brad Pitt, auf Englisch) und japanischen Spielshows hin und her zu zappen. Mich hat es diesmal nicht ganz so hart erwischt wie sonst und ich konnte gleich einpennen. Habe zwar zwischen vier und acht auch anderthalb mal „Troja“ gekuckt, konnte aber bis zum Soundcheck noch die gelobte Mütze Schlaf ergattern. Soundcheck in Japan ist so in etwa das Entspannteste, was man sich denken kann. Toptechnik, Toptechniker und es wird einem so ziemlich alles abgenommen, außer seinem Instrument, das muss man selber spielen. Das Live Freak ist ein geiler Laden: super Licht, super Sound, eine hauseigene Videoanlage! Das heißt, wir können die Shows aufzeichnen. Super! Zwanzig Uhr dreißig: Showtime! Was soll ich sagen? Ist einfach ein geiles Gefühl, wenn man um die halbe Welt reist und die Leute deine Songs mitsingen! Wir haben anständig gerockt. Und bei uns auf der Bühne angefangen hatte, glaube ich, jeder der Anwesenden eine verdammt gute Zeit. Nach der Show noch ein kleines Meet & Greet mit der Plattenfirma und ein paar Fans und dann ab ins Hotel. Die Jungs haben alle Hunger, ich habe irgendwie mehr Durst, also gehe ich mit Micha, unserem treuen Fan, schon mal ins Current, eine saucoole „Rock Bar“. Der Besitzer, Sushi, ist ein guter Freund von Daisuke, unserem G-Force Records-Vertreter in Japan und meinem Bruder im Geiste. Jenzzz und ich haben hier vor zwei Jahren auf einer Party mal den DJ gemacht und wir sollten unbedingt mal wieder reinschauen, wenn wir in der Stadt sind. Nach dem dritten Bier erfahren wir, dass der Laden montags eigentlich geschlossen ist und sie nur aufgemacht haben, weil das Gerücht umging, dass GIGANTOR noch vorbeikommen. Der Rest der Bande hat es irgendwie nicht geschafft, dann mach ich halt den Alleinunterhalter. Zur „Belohnung“ werden Micha und ich nach Feierabend vom Chef persönlich in eine der berühmt-berüchtigten Sushi Bars ausgeführt. Sehr zur Freude der anwesenden Damen hat Micha noch nie mit Stäbchen gegessen und war auch mit den japanischen Trinkgewohnheiten etwas überfordert. Ja, wir haben viel gelacht ... Gegen fünf bin ich dann noch zum Hotel begleitet worden, aber wohlerzogen wie ich bin, bin ich allein aufs Zimmer („Troja“ gucken!).

22.2.2005
Ich war wohl doch müder, als ich dachte. Wo hört eigentlich Einschlafen auf, und wo fängt eine Ohnmacht an? Immerhin habe ich noch die Schuhe ausgezogen und – cool! – kein bisschen Kater! Jenzzz hat heute ein Meeting mit BALZAC und Management, und so spielen wir auf der Probe zum ersten Mal in der Geschichte von GIGANTOR ohne ihn ein paar Songs. War super, haben wir Jenzzz zumindest erzählt. (Jenzzz sagt: „Ich habe das Gefühl, das ist gelogen.“ Hm ...) Heiko, Andy und Jay sind tagsüber shoppen gegangen, während ich die zweite Runde Schlaf unter der Decke und ohne Hose und Jacke genieße. Bei der heutigen Show spielen wir mal ein „Oldschool Set“ und fangen mit „Lunar bop“ und „My dad looks like Lemmy“ an. Das haben wir das letzte Mal vor zehn Jahren gemacht und irgendwie rocken wir härter als sonst. Unsere Kumpels von den CRISPY NUTS (japanische Punkrock-Kollegen) reichen uns während der Show nicht nur eine Literflasche Jägermeister auf die Bühne, sondern zwei, wobei beide auch noch für Jay sind ... Na dann mal Prost! Nach dem Gig ab ins Hotel und dann wieder ins Current. Diesmal kommen alle mit, die CRISPY NUTS sowie ein paar Freunde und Fans erwarten uns schon. Irgendwie komisch, wenn man in eine Kneipe kommt und die Gäste applaudieren. Der Chef persönlich legt auf, und das vom Feinsten: von CHEAP TRICK bis WILDHEARTS trifft er voll unseren Geschmack. Die Mundwinkel gehen zu den Ohrläppchen, wir huldigen den RAMONES, THE CLASH ... Rock’n’Roll! Sehr viel später sitzen Jay, Jenzzz und ich noch ein bisschen auf dem Hotelzimmer und philosophieren, wobei Jenzzz irgendwann versucht zu schlafen, während Jay und ich vor uns hinbrabbeln. Gehe ich halt auf mein Zimmer, noch ein bisschen „Troja“ gucken.

23.2.2005
Ich konnte mal wieder nur dreieinhalb Stunden am Stück schlafen und Brad Pitt im Lendenschurz geht mir langsam aber sicher auf die Nerven. Wir treffen uns mittags im Club, um ein paar alte GIGANTOR-Songs sowie „My baby is a headfuck“ von den WILDHEARTS zu proben, da ich gestern in meinem jugendlichem Leichtsinn unserem Die-Hard-Fan Yugo versprochen habe, es heute Abend mit ihm zu singen. Nach der Probe fahren Andy und Jenzzz ins Gitarrenland nach Ochanomizu, einem Stadtteil von Tokio, in dem ein Gitarrengeschäft neben dem anderem ist. Ich gehe derweil in Shinjuku bummeln, kauf mir bei der amerikanischen Botschaft (der Fastfoodkette mit dem großen M) den landestypischen Teriyaki-Burger, genieße das Frühlingswetter (jawoll, heute sind draußen zwanzig Grad Celsius und man merkt gleich, dass man im Pazifikraum ist) und beobachte die japanische Stadtjugend beim Flanieren. Die modischen Entgleisungen der Eingeborenen sind sensationell, Vivienne Westwood auf Acid, neben DURAN DURAN vor der Geschlechtsumwandlung und dazwischen Anzugträger und Schulmädchen in Uniform, tausendfach geklont. Aus den Spielhallen wird man genauso laut beschallt wie von Ampeln, Häusern, usw. Irgendwie scheint hier alles zu sprechen, piepsen, einfach Krach zu machen. Großartig so einen Riesenameisenhaufen bei den ersten Sonnenstrahlen des Jahres zu erleben. Wo kommen die bloß alle her? Wir fangen die heutige Show mit „Sweet acid“ von unser allerersten Single an. Pogo ohne Ende, als Zugabe Jenzzz’ Lieblingstrack vom „Atomic!“-Album: „What’s the buzz“ und „Nothingday“ und die WILDHEARTS-Coverversion drückt auch, volle Achtelpower! Nach einer Viertelstunde habe ich mich soweit erholt, dass ich zum Autogramme schreiben rausgehen kann. Oh yeah! Das ist da tatsächlich immer noch so: die Fans warten brav, bis man aus der Garderobe rauskommt und dann muss man alles unterschreiben, was sie einem hinhalten. Dann noch ein Foto, ein scheuer Händedruck und weg sind sie. Die Plattenfirma lädt uns heute zum Essen ein. Juhuu!!! Emiko, unsere Betreuerin, erzählt, dass wir letzte Woche fünfhundert Klingeltondownloads von „Pizza Ramone“ hatten, „which is ... great!“. Genau wie das Essen, langsam kommt Leben zurück in meinen Körper. Aber wohin damit? Die anderen beschließen, den Trojanischen Krieg noch mal aus der Sicht von Hollywood zu betrachten, während Jay und ich vergebens nach der richtigen Bar für heute Nacht suchen. Wir enden mit der verbliebenen Flasche Jägermeister auf meinem Zimmer und reden über Gott und die Welt, wobei Jays indianische Vorfahren nicht nur in seiner Reaktion auf Feuerwasser durchschlagen. Großartig, einen Freund wie Jay zu haben. Hugh!

24.2.2005
Wir treffen uns mittags zum Soundcheck, was eigentlich Schwachsinn ist, da der Sound seit drei Tagen steht und wir heute nur ein eingedampftes 40-minütiges „Hit-Set“ prügeln können. Allerdings haben Andy und Jenzzz beide dieses glückselige Grinsen im Gesicht, das Gitarristen haben nach dem Instrumentenkauf. Die beiden wollen natürlich ihre neuen Gitarren, Andys „Flying V“ und die „Les Paul Junior“ von Jenzzz erstmal ausprobieren. Nach dem Soundcheck erstmal weiterschlafen, ich brauche heute ein bisschen länger. Ich treffe mich mit der Vorband (BUBBLE aus L.A.) im Foyer, um zum Club zu fahren. Sind zwei sehr nette Jungs und ein Mädel. Bam, der Trommler, hat früher bei den WILDHEARTS gespielt und die Sängerin/Gitarristin bei VIXXEN (Achtziger-All-Girl-Hardrock-Sünde). So werden gleich ein paar Tour-Anekdoten ausgetauscht und die Verwunderung über Land und Leute kund getan. Heute Abend kommt das Fernsehen, wir geben noch ein kurzes Interview und sprechen ab, welche Songs für die Sendung aufgezeichnet werden, bevor wir uns in 40 Minuten so kaputt rocken, wie sonst in anderthalb Stunden. Der Schweiß fließt in Strömen, ich sehe Hände und lustige Gesichter, Stagediving ohne Ende. Das sind auf jeden Fall die wildesten GIGANTOR-Fans der Welt. In der Zugabe bolzen wir „Life war“ und „Get the glory“, unsere Coverversionen von japanischen Punkhits, mit Billy, unserem Tour-Promoter und Sänger von BEFORE CHRIST BUTTERFLY, einer JapMetalPunkband. Wer schon mal hier war, kann sich bestimmt was drunter vorstellen. Ich brauche heute eine halbe Stunde Regenerationszeit, bis ich wieder ansprechbar bin. Großes Meet & Greet mit der Plattenfirma, Fernsehfuzzis, Fans und Freunden. So hängen wir noch zwei Stunden im Club ab, bevor wir geschlossen ins Current weiterziehen. Und da heute der letzte Abend ist, geben alle noch mal Vollgas. Jenzzz und ich legen unsere Lieblingslieder auf, und irgendwie habe ich irgendwann nicht mitbekommen, dass meine Band schon ins Hotel ist. Also feiere ich die Nacht mit meinen alten wie neu gewonnenen Freunden durch.

25.2.2005
Um sieben Uhr morgens ist Abfahrt zum Flughafen und somit ist es von Vorteil, dass ich gegen sechs am Hotel rausgelassen werde, da ich noch packen muss und bei weitem nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen wie körperlichen Kräfte bin. Die Fahrt zum Flughafen geht ja noch, doch ab da fühle ich mich wie ein Zombie, und sehe bestimmt auch so aus. Auf jeden Fall werden die Japaner mich in diesem Zustand außer Landes lassen. Im Flieger bin ich gleich weg, kriege nicht mal den Start mit. Nach ein paar Stunden wache ich auf und, oh mein Gott, ich traue meinen geschwollenen Augen nicht: das erste, was ich sehe, ist Bratt Pitt im Minirock! Sie zeigen tatsächlich ... „Troja“! Schnell Augen zu und weiterpennen. Vier Stunden Aufenthalt in A’dam. Und dann nichts wie nach Hause: heute Abend spielen die HANOI ROCKS im Molotow!

Jens Gallmeyer/GIGANTOR

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