GHOST TOWN NOIZE RECORDS

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Geisterstadt Regensburg?

Dass ein Label ein Netzwerk aus Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten entstehen lässt, mag in großen Städten eine normale Entwicklung sein. Dass derzeit aber gerade in der bayerischen Domstadt Regensburg ein gut funktionierendes Kollektiv um das 2015 gegründete Label Ghost Town Noize heranwächst, ist angesichts der überschaubaren Größe der Stadt doch bemerkenswert. Labelgründer Jürgen Streu erklärt, wie eins zum anderen kam.

Jürgen, wie ging es los mit Ghost Town Noize?

Wir haben mit unserer Band JOHNNY FIREBIRD ein Label gesucht und einem der Labelmacher war es ähnlich ergangen wie uns jetzt – für seine Band fand sich kein Label, also hat er selbst eins gegründet. Da einige meiner Freunde – Torsten von XNO oder Fratz von Hulk Räckorz zum Beispiel – schon erfolgreich Labels betreiben, entschloss ich mich, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Das war der Kern von Ghost Town Noize. Die Idee, ein Kollektiv zu gründen, kam uns, als wir merkten, dass wir viele fähige Leute in unserem Bekanntenkreis haben, die alle ihr eigenes Süppchen kochen: vom Aufnehmen und Mastering, über Booking, Grafik bis Videos drehen. Das haben wir nun gebündelt und versuchen, uns so untereinander zu helfen und Strukturen zu etablieren. Das Label ist also einerseits Mittel zum Zweck, um Musik professionell und geregelt unter die Leute zu bringen und Bands in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, Promo und auch sonst unter die Arme zu greifen, andererseits steht dahinter der Kollektivgedanke.

Das Ganze ist ja auch örtlich gebündelt. Wir sitzen hier in eurem Büro, in dem deine Labelkollegin Heike als Grafikerin arbeitet. Eine Etage unter uns sind die Proberäume.

Hier proben viele Bands, die wir rausbringen: SICKSICKSICK, THE WULFFS und natürlich JOHNNY FIREBIRD. Die Bands nehmen hier teilweise auch gleich auf. Heike ist beruflich Grafikerin und arbeitet eben hier, ich bin im IT-Bereich tätig und kann so Wissen beisteuern, unser Sänger macht Musikvideos, dazu haben wir jemanden, der ein Mastering-Studio hat. Es hat also nahezu Firmencharakter, was wir da abdecken. Außerdem wollen wir uns in Zukunft nicht mehr nur auf Regensburger Bands beschränken. Wir bringen jetzt beispielsweise auch THE RESTLESS aus Altötting raus. Das Ganze soll sich ja nicht tot laufen. Unsere erste Labelparty war ausverkauft und ein super Abend, aber wenn du das Ganze nicht lebendig hältst und immer wieder was Neues machst, dann wird es für die Leute langweilig und uninteressant.

Stichwort Namenswahl: Eine Geisterstadt ist Regensburg ja nicht, wie gerade schon angedeutet. Welche Probleme gibt es aber in der Stadt?

Die Gentrifizierung und das damit verbundene Sterben der Auftrittsorte ist ein Problem. Man kann derzeit an einer Hand abzählen, wo man Konzerte machen kann. Zusätzlich werden die Läden streng reglementiert, so dass nur wenige Veranstaltungen monatlich möglich sind. Ein Fallbeispiel ist etwa die H5, eine Halle, die als Konzertort geplant war. Da wurde über die Jahre viel Geld seitens der Betreiber investiert, das Ordnungsamt aber fand immer wieder Gründe, um sie zu verunmöglichen. Paradoxerweise gibt es in Regensburg dafür extrem viele Bands, auch solche, die man überregional kennt, wie THE PROSECUTION, die Thrash-Metal-Band ANTIPEEWEE oder IRISH HANDCUFFS. Für so eine kleine Stadt ist das schon ordentlich, Regensburg ist also keineswegs eine Geisterstadt.

Du bist selbst ja schon eine ganze Zeit lang aktiv, hast damals auch bei USE TO ABUSE und GROWING MOVEMENT gespielt. Was hat sich über die Jahrzehnte in Regensburg verändert?

Die Kneipenkultur war damals viel rauher. Wenn wir in den Neunzigern etwa mit GROWING MOVEMENT irgendwo gespielt haben, kann ich mich an nur wenige Konzerte erinnern, wo es mal nicht Stress gegeben hätte. Es gibt Veranstalter, die uns wahrscheinlich heute noch hassen. Das hat die Kneipenszene hier auch widergespiegelt. Da wurde sich teilweise übel aufgeführt, Gläser an die Wand geschmissen und der ganze Pulk an Punks hat das alles auch mitgemacht. Das passte aber irgendwie in die Zeit, so etwas gibt es heute schlicht nicht mehr. Es läuft alles viel gesitteter ab.

Wie sah es damals mit Veranstaltungsorten aus?

Das war damals noch schlechter, es gab eigentlich nur die Alte Mälzerei. Heute konzentriert sich die Sache sehr auf die Innenstadt. Es gibt eine Unmenge an szenerelevanten Kneipen, die alle sehr nah beieinander liegen. Der Kiez Regensburgs steht meiner Meinung nach einer Großstadt in nichts nach. Das Problem daran ist nur, dass es für die Leute nicht mehr so attraktiv zu sein scheint, einen Konzertort zu besuchen, der nicht direkt in der Altstadt ist, wie eben die Alte Mälzerei. Das ist schade, denn die war immer sehr wichtig und leistet auch immer noch gute Arbeit. Heute gibt es dafür in der Innenstadt ein paar Konzertlocations. Es gab früher zwar auch kleinere Kneipenkonzerte, aber das hatte eher Spaßcharakter. Wobei man natürlich die Kinokneipe nicht unerwähnt lassen sollte, die schon seit Jahrzehnten eine Institution in unserer Subkultur ist.

Die Kinokneipe gehört zum Ostentor-Kino, das es schon seit über vierzig Jahren gibt. In deren Umfeld entstehen immer wieder neue Bands. Dem Kino, der Kneipe und einem Restaurant im selben Komplex drohte noch vor kurzem ebenfalls das Aus.

Genau, die Kinokneipe ist auch um ein Haar weggentrifiziert worden. Die Kneipe beherbergt seit jeher eine sehr umtriebige Musikszene, aus der Bands wie BEIGE GT, ZWEI TAGE: OHNE SCHNUPFTABAK oder die Post-Rock-Band CONTAINERHEAD stammen, deren letzte Platte wir auch rausgebracht haben. Zur Rettung von Kneipe und Kino wurde dann eilig ein D.I.Y.-Benefiz-Sampler namens „Beat The Reaper“ mit 18 Bands aus dem Umfeld zusammengestellt. Es gab dazu ein Release-Konzert mit zehn Bands in der kleinen Kneipe, die sich nach jeweils zwei, drei Songs den Klinkenstecker in die Hand gegeben hatten, was in Anbetracht der Enge der Kneipe wirklich bemerkenswert gut geklappt hat. Da schließt sich auch ein bisschen der Kreis, denn diese Rettungsaktion war auch mit ein Anstoß für unser Label. Es hat bewiesen, dass man mit Engagement und Eigeninitiative einiges bewegen kann. Ich denke, da war eben auch der Kollektivgedanke die treibende Kraft, und hat gezeigt, wie viel man erreichen kann, wenn man sich zusammentut.