René Herbst, 42, war in den frühen Neunzigern mit seinem in der beschaulichen Südpfalz beheimateten Label Gasoline Boost Records, damit verbundenen Veröffentlichungen und diversen Kontakten eine prägnante Figur der Noiserock-Szene in Deutschland. Das Label betrieb er in D.I.Y.- Manier quasi allein vom heimischen Küchentisch aus. Trotzdem konnte er es jahrelang als eigenständige Marke etablieren. Da man sich nun auch schon geraume Zeit persönlich kennt, war das also eine gute Gelegenheit, ihm in der Bar Milano in Karlsruhe ein paar Fragen zu dem Thema zu stellen und dabei das eine oder andere Bier zu vernichten. Da er schon früher nicht gerade ein Vorzeigeexemplar in Sachen „political correctness“ war, wundert es nicht, dass er auch heutzutage noch nicht aufs Maul gefallen ist.
Wie kamst du auf die Idee, ein Label zu gründen, und wie lief das am Anfang?
Es begann Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger, als ich auf einem NOMEANSNO-Konzert einen Freund der BECK SESSION GROUP kennen lernte, der sich um deren persönliche Angelegenheiten kümmerte und mit dem ich eine Zusammenarbeit vereinbarte. Also gründete ich das Label Sister Records, auf dem ich fünf 7“s veröffentlichte:zweimal BECK SESSION GROUP, FORCE FED, FLEISCHMANN und eine holländische Instrumental-Noise-Band namens MOTHER. Armin von X-Mist übernahm damals den Vertrieb und es kam zu einer weiteren Zusammenarbeit unter dem Namen Strife Records, wo wir unter anderem NATIONS ON FIRE herausbrachten. 1991 hatte ich dann Bock, alleine etwas zu machen, also gründete ich Gasoline Boost, wofür wiederum Armin den Vertrieb übernahm; Releases waren unter anderem zwei Alben von BIG’N, SHORTY, SKINK, DISTORTED PONY und BLACK HAIRY TONGUE.
Gasoline Boost gibt es nun schon länger nicht mehr. Wann und warum hast du entschieden, das Label zu beerdigen?
Halt, GB gibt es noch, wir machen nur schon seit längerem keine Platten mehr. Es wird aber definitiv wieder Releases geben, nicht nur unveröffentlichte Aufnahmen, sondern auch ganz neues Zeug. Das ist sicher.
Du hattest ja mit diversen Leuten zu tun, unter anderem häufig mit Steve Albini. Wie kam das zustande, und waren diese Kontakte geschäftlich oder auch privat?
Es begann mit SHORTY, die wollte ich schon veröffentlichen, als sie noch SNAILBOY hießen. Also fragte ich John Mohr von TAR – sehr netter Typ übrigens – nach einem Konzert seiner Band, ob er den Kontakt zu SHORTY herstellen könne, denn er hatte vorher eine SNAILBOY-7“ veröffentlicht. Kurze Zeit später traf ein Riesenpaket aus Chicago bei mir ein,vollgestopft mit SHORTY-T-Shirts, Aufklebern, Promotionkram und allem möglichen Scheiß, da wußte ich, dass das mit dem Release klappen würde. Da die Band von Albini produziert wurde, kümmerte er sich um „Thumb Days“ – laut Albini die beste Noiserock-Platte aller Zeiten – und produzierte in der Folge fast alle GB-Veröffentlichungen. Ich besuchte ihn dann anschließend in Chicago, wir waren zusammen Billardspielen und er lud uns ein zum ersten SHELLAC-Gig in Europa, verbunden mit der Aufnahme des ersten Albums im Studio in Nantes. Dort bin ich dann versehentlich PJ Harvey auf den Fuß getrampelt ... die war so klein, ich hab sie einfach übersehen!
Unter anderem hast du für den Gasoline-Boost-AC/DC-Tribute den Song „Kicked In The Teeth“ der TREND-Vorgängerband SCUD, anschließend CRIME KAISERS, von Albini produzieren lassen. Wie kam es dazu?
Wie ich bereits sagte, hatte der inzwischen leider verstorbene Ian Burgess ein Studio in Nantes eröffnet, und Albini war gerade dort, um ZENI GEVA zu produzieren. Ich hatte vorher bereits unser Kommen angekündigt, wir hingen ein paar Tage in völlig lockerer Atmosphäre zusammen ab und Albini produzierte die Tracks. So einfach war das. Die unveröffentlichten Tracks von SCUD werden übrigens noch als Doppel-7“ veröffentlicht.
Wenn wir gerade bei Veröffentlichungen sind: die AC/DC-Tribute-7“-Serie erschien ja nie komplett, ein Teil der Aufnahmen liegt nach wie vor auf Eis. Wieso?
Wir fragten bei Skin Graft wegen des US-Vertriebs an und schickten die Bänder zum Mastering in die USA. Gasoline Boost hat die ganzen Aufnahmen bezahlt, und Mark Fischer von Skin Graft hat von uns Geld für die Promotion erhalten, zusammengerechnet 10.000 Dollar. Aber er hat die Kohle abgezweigt und damit eigene Projekte finanziert, und nun rückt er die Bänder nicht mehr raus. Stattdessen hat er nun das AC/DC-Cover von MULE veröffentlicht, und zwar mit dem GB-Logo, obwohl wir seit Jahren keinen Kontakt mehr haben. Das ist wirklich das allerletzte. Es gibt nach wie vor unveröffentlichte Tracks, unter anderem von FUDGE TUNNEL und BARKMARKET, aber die Zukunft der Aufnahmen ist völlig unklar. [Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass noch diverse Nettigkeiten an die Adresse Mark Fischers folgen, die in dieser Form aber nicht zur Veröffentlichung geeignet sind.- Anmerkung d. Red.]
Die Noiserock-Szene zeichnete sich ja auch gerne durch einen Hang zu Geschmacklosigkeiten jeder Art und politischen Unkorrektheiten aus, obwohl viele Leute dort aus der Punk-/HC-Szene stammten und mit ihr teilweise noch beste Kontakte pflegten. Ich erinnere mich, dass auch du selbst einmal in Karlsruhe ziemlichen Ärger wegen eines angeblich sexistischen BOSS HOG-T-Shirts bekamst und auch für das Active Detective Fanzine schriebst, das ebenfalls ziemlich aneckte. Würdest du das Ganze als Gegenentwurf zum p.c.-Zwang vor allem jener Zeit sehen?
Das war einfach so ein Pfalz-Ding, wir wollten endlich wieder Spaß haben und uns nicht von anderen Leuten vorschreiben lassen, wie wir uns zu verhalten haben. Im Grunde genommen war das die Punk-Attitüde: Tu, was du willst, und hab Spaß dabei!
Mal speziell zum Active Detective: Stand dahinter ein übergeordnetes Konzept? Und warum waren letztendlich eine Menge Leute davon dermaßen angepisst?
Wir wollten einfach das Maximum an Spaß haben, das man in der Jugend haben kann, und haben ganz Deutschland aufgewühlt. Jungs waren erschrocken, Mädchen sind uns hinterhergerannt. Ein Konzept hatten wir keins, wir haben einfach versucht, die coolsten Bands vor allen anderen zu kriegen und bei Interviews möglichst viel Blödsinn zu labern. Die anderen wollten einfach cool sein, wir waren es; irgendwann flogen wir dann bei EFA raus, weil die mit unserer Art von Humor nicht klarkamen, und das war der Anfang vom Ende. Und jetzt ist die letzte Ausgabe mit der OBLIVIANS/CRIME KAISERS-Split-7“ im Internet 130 Euro wert, also mehr als alle Ox zusammen, haha. Freunde hatten wir damals fast keine. Es gab in der Szene so viele Arschlöcher. Active Detective hat sie gejagt, gefangen und bloßgestellt. Ihre Tränen waren unsere Energie.
Was machst du heute? Hast du noch Bezug zu der Musik, und wenn ja, gibt es aktuelle Releases, die du empfehlen würdest?
Dasselbe wie früher: arbeiten, saufen gehen, auf Konzerten abhängen und Platten kaufen, unter anderem Noiserock. Momentan mag ich die erste THIS MOMENT IN BLACK HISTORY-Platte, die neue SWANS-CD, STNNNG als die derzeit beste Noiserock-Band, „The Big Ripper“ von TODD, die ist zwar klischeemäßig total übertrieben, aber trotzdem gut, FUTURE OF THE LEFT, PISSED JEANS ... Wer aber noch gar keine Ahnung in dem Bereich hat, sollte aber erst mal „back to the roots“ gehen und sich Zeug wie THE JESUS LIZARD, UNSANE oder TAR anhören, soviel noch als Tip. Ach, eins noch: ich bin nicht 42, ich werde niemals alt. Schreib, dass ich 25 bin, haha!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Stefan Gaffory