Das Osloer Label Fysisk Format, das mit Tiger auch einen Plattenladen in der norwegischen Hauptstadt betreibt, ist zwar nicht die Label-Homebase von KVELERTAK, aber wäre es einst fast geworden. Hier erscheinen die Platten von THE GOOD THE BAD AND THE ZUGLY, der anderen, älteren Band von KVELERTAK-Sänger Ivar Nikolaisen. Und wenn einer sich auskennt mit der aktuellen norwegischen Hardcore- und Post-Hardcore-Szene, dann ist es Kristian „Kalle“ Kallevik, der Fysisk Format seit 2008 betreibt und früher auch mal bei ÅRABROT spielte. Wir lassen uns von ihm erklären, aus was für einem Szenekontext KVELERTAK stammen.
Kalle, was ist deine Verbindung zu KVELERTAK?
Ich kenne einen Teil Jungs von KVELERTAK schon ewig, und etwas besser, seit ich angefangen haben, mit BEACHHEADS zu arbeiten, der anderen Band von Vidar Landa and Marvin Nygaard. Und Sänger Ivar kenne ich schon lange von SILVER und natürlich THE GOOD THE BAD AND THE ZUGLY. Es ist eine kleine Szene hier in Norwegen, und KVELERTAK sind darin sehr stark verankert und aktiv. Anders als einst A-HA sind sie nicht nach London gezogen, um groß und berühmt zu werden, haha. Sie sind Teil der Szene, sie gehen zu Konzerten, sie interessieren sich für Musik. Das kann man nicht von allen Bands ihrer Größe behaupten. Sie sind also echte Musikfans und so haben wir uns im Laufe der Jahre kennen gelernt und angefreundet. Tatsächlich wären sie anfangs fast auf Fysisk Format gelandet. Damals hatten wir gerade die erste SILVER-7“ veröffentlicht und das HAUST-Album „Ride The Relapse“. Ruben von HAUST schickte mir eine Nachricht. „Ich bin gerade im Caliban Studio und nehme diese Band namens KVELERTAK auf, sie wollen eine 7“ machen, rede mal mit denen. Das klingt wie Punkrock und Classic Rock in einem.“ Und ich dachte mir, okay, ich komme im Studio vorbei und höre es mir an. Was ich übrigens viel zu selten mache, also es kommt sehr selten vor, dass ich als Labelboss ins Studio komme und mich einmische. Ich kam also dahin, traf die Jungs und hörte mir einige der Tracks an. Da ich zu der Zeit schon vier, fünf Jahre in einem Plattenladen gearbeitet hatte, wusste ich, wie viele coole Leute schon versucht hatten, ein Plattenlabel zu starten, indem sie erst mal ein paar 7“s veröffentlichten. Und ich habe gesehen, wie einer nach dem anderen mit tollen Absichten, tollem Artwork und tollen Bands scheiterte, weil das Geschäft mit 7“s wirklich nicht rentabel ist. Schon 2008 war ich also fest entschlossen, die Sache rational und wirtschaftlich anzugehen und eben keine 7“ zu machen, wenn wir das Label gründen. Tja, und dann haben wir als ersten Release die SILVER-7“ gemacht, haha. Ich sagte zu KVELERTAK: „Gefällt mir, was ihr da macht, aber ich bin nur interessiert, wenn ich ein Album machen kann.“ Und sie sagten: „Hast du wirklich ein Label? Hast du die Kapazitäten, um das alles zu handlen?“ Und ich sagte: „Hmmm ... vielleicht.“ Also habe ich nicht die erste KVELERTAK-7“ gemacht, und das war wahrscheinlich meine größte Fehlentscheidung im Labelkontext.
Schön, dass ich mit meiner Frage Salz in deine Wunde streuen konnte.
Ich kann sehr gut damit leben, denn ich finde, sie hatten absolut recht. Wenn wir als erste Veröffentlichung das KVELERTAK-Album gemacht hätten, wäre es wahrscheinlich eine Katastrophe gewesen. Wir haben also ein paar Jahre gebraucht, um mit Bands wie OKKULTOKRATI und HAUST Erfahrungen zu sammeln. Ich weiß aber noch, wie es war, als ich KVELERTAK das erste Mal live gesehen habe. Die waren damals sehr umstritten in unserer Szene, die Jungs von OKKULTOKRATI und HAUST meinten: „Warum haben die drei Gitarristen? Das ist viel zu viel. Das ist völlig unnötig!“ Es gab eine Art moralische Entrüstung darüber. KVELERTAK hatten drei Gitarristen, dabei hätte einer genug sein sollen. Okay, vielleicht zwei, aber drei? Nein, das ging doch nicht! Wahrscheinlich war es ein protestantischer Reflex, hahaha.
Protestantische Schlichtheit versus katholische Opulenz ... Die drei norwegischen Bands, die mir in den Sinn kommen und die weltweit bekannt sind, sind A-HA, TURBONEGRO und KVELERTAK, wenn wir mal Black Metal beiseite lassen und uns auf eher zugängliche Rockmusik konzentrieren.
Norwegische Musik hat schon immer in den Nischen am besten funktioniert. Wir haben keinen großen einheimischen Markt, aber wir haben gute Förderbedingungen. Das bedeutet, dass es in Norwegen wahrscheinlich verlockender ist, eine experimentelle Band zu gründen. In Deutschland ist es vielleicht verlockender, eine publikumswirksame Band zu sein, weil es tatsächlich ein Publikum gibt, dem man gefallen muss oder kann. Die drei Bands, die du erwähnt hast, haben sich schon immer auf ein Publikum außerhalb Norwegens konzentriert. Dorthin gehst du, wenn du zugänglichere Musik machen willst. In Norwegen kennen wir aber durchaus auch diese Vorliebe für zugängliche Musik, was ich für einen seltsamen Begriff halte. Ich finde auch nicht, dass wir „populäre Musik“ sagen sollten, denn ich würde behaupten, dass die meisten der sogenannten Pop-Künstler, die wirklich großartig sind, auch auf gewisse Weise seltsam sind. Und wir lieben sie, weil sie so seltsam und schräg sind. Das ist etwas, das oft heruntergespielt wird. Und dann haben wir diesen Fetischismus in Norwegen, der besagt: Okay, lasst uns Pop machen, der möglichst viele Leute anspricht, lassen wir die schrägen Aspekte weg. Wir fabrizieren hier auf diese Weise eine Menge fader Musik. Deshalb würde ich sagen, dass KVELERTAK und TURBONEGRO keine typisch norwegischen Bands sind. Das sind Kids, die mit US-amerikanischen, britischen und deutschen Underground-Sounds aufgewachsen sind. Dort haben sie ihre Freunde gefunden, mit denen sie sich verbunden fühlen, dorthin fuhren sie, um zu spielen. Ihre Eltern leben in Norwegen, das verbindet sie mit dem Land. Aber es sind internationale Bands.
Inwieweit spielt die Wahl der Sprache bei den Texten eine Rolle?
Diese langweiligen Popbands in Norwegen singen immer auf Englisch, weil sie denken, dass es außerhalb Norwegens mehr Menschen gibt als in Norwegens und sie so außerhalb potenziell ein größeres Publikum erreichen können. Wir haben also eine Menge lahmer Bands mit englischen Texten. Und es ist eine der großen Errungenschaften von KVELERTAK und TURBONEGRO, dass sie nie versucht haben, auf Englisch so zu amerikanisch zu klingen wie RAMONES oder METALLICA oder so. Das Tolle an TURBONEGRO ist ja, dass es durch Hank immer diesen seltsamen norwegischen Akzent gab. Abgesehen davon, dass Happy Tom immer ein bisschen verbergen musste, wie schlau und intelligent und vernetzt und talentiert er in Wahrheit ist. Ich denke, das gilt auch für die anderen TURBONEGRO-Mitglieder. Die sind wirklich smart und erfolgreich, sie versuchen nur, es herunterzuspielen. Bei den KVELERTAK-Leuten ist das etwas anders. Die sind sehr bodenständig.
Spielt es in Norwegen eine Rolle, ob man als Band aus der Hauptstadt Oslo kommt oder etwa aus Stavanger?
Als ich selbst an der Westküste in einer kleinen Stadt lebte, war ich mir dessen nicht bewusst. Erst als ich nach Oslo gezogen war, habe ich gemerkt, wie viel „Oslo-Arroganz“ es gibt. Osloer Musiker hielten sich schon immer für etwas Besseres als die Bands von der Westküste. Das hat aber auch etwas Gutes: So sind die langweiligen Bands in Oslo geblieben. Sie haben im Last Train gesessen ...
... der legendären Rock-Bar in Oslo ...
... und haben sich gegenseitig zu ihrem degenerativen Retro-Rock beglückwünscht, ohne zu ahnen, dass KVELERTAK das nächste große Ding sein würden. Diese Arroganz ist etwas, mit dem ich bei meiner Arbeit ständig zu tun habe. Mittlerweile bin ich selbst auch mal arrogant, haha. Als ich noch bei ÅRABROT war, waren wir ständig damit konfrontiert, dass seitens der Osloer Rockszene auf uns von der Westküste herabgeschaut wurde. Ich weiß nicht, ob KVELERTAK das auch mal zu spüren bekommen haben. ÅRABROT jedenfalls sind damals nach Oslo gekommen, um den Last Train-Rock mit Noiserock zu zerstören. Ich bin bei ÅRABROT ausgestiegen, als ich nach Oslo zog, weil ich hier anfing, bei Tiger zu arbeiten, und ich war sehr erleichtert, den Bass wegzulegen und mich nur noch ums Geschäftliche zu kümmern und im Laden zu arbeiten, denn das ist mein Ding. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass ich mich von Anfang an mit den KVELERTAK-Leuten so verbunden fühlte, weil sie eben nicht diese Oslo-Arroganz haben. Aber wir hatten auch sonst einiges gemeinsam, weil sie sehr auf CONVERGE und DOOMRIDERS und andere Deathwish-Bands standen und damit auf einen Sound, auf den Tiger Records spezialisiert war. Es fühlte sich also an, als kämen wir aus einer Szene, aus der selben Welt.
Wie siehst du ihre aktuelle Entwicklung und wo siehst du sie mit dem neuen Album?
Es fällt mir schwer, dazu viel zu sagen. Es fällt mir leichter, über die frühen Jahre zu sprechen. Ich denke, dass die früheren Jahre als Projektion für das dienen können, was jetzt passiert. Ich habe nämlich ein paar Theorien, warum KVELERTAK so eine großartige Band sind. Eine ist, dass sie schon eine „Gang“ waren, die miteinander Witze riss und tatsächlich Spaß hatte, bevor sie eine erfolgreiche Band wurden. Die Eulen-Sache, die Riffs und die Songtitel sind aus diesem kreativen Raum entstanden. Sowas entsteht, wenn eine Gruppe von Kids sich gegenseitig erlaubt, einfach wild herumzualbern, über sich hinauszuwachsen, etwas mal ganz anders zu machen, Dinge auf den Kopf zu stellen, an die eigenen Grenzen zu gehen oder sogar darüber hinaus, und solche Sachen. Ich denke also, wenn sie sich in einer „School of Rock“ getroffen hätten, wäre das Ergebnis eine Katastrophe geworden. Dann würden sie wahrscheinlich mehr nach MADRUGADA klingen. Eines der Geheimnisse von KVELERTAK ist also, dass sie verdammt viel Spaß haben bei dem, was sie tun, auch wenn wir das nicht immer mitbekommen. Aber darauf basiert ihr ganzes musikalisches und visuelles Universum.
Wahrscheinlich erkennst du das eher als andere, weil ihr aus einem gemeinsamen Kulturraum stammt, ihr einen gemeinsamen Hintergrund habt. Solche augenzwinkernden Seitenhiebe und Anspielungen sind oft schwer zu entziffern, wenn du aus einem anderen Sprachraum, einem anderen Land kommst.
Ich erinnere mich an einen Song von ihnen, dessen Titel übersetzt ungefähr bedeutet „Töte alle Schwachen und lege sie ihn Essigsud ein“. An der Westküste gab es ein paar Bands wie HAGGIS, die man heute wohl als politisch unkorrekt bezeichnen würde und die mit Themen herumspielten, die wir heute unter Hassrede subsumieren würden. Ich weiß nicht, ob wir das Wort „rechts“ verwenden sollten, weil das nicht wirklich eine politische Sache war, es war eher Working-Class-Style, wie sie mit dem Finger auf die moralische Mehrheit zeigten. KVELERTAK hatten früher auch etwas von dieser Attitüde. Und sie waren sehr gut darin, strategische Allianzen einzugehen. Einerseits also dieses Herumalbern, andererseits aber auch der Wille, etwa als Support für SILVER zu spielen, die damals ein großes Publikum hatten und Teil des NRK-Wettbewerbs für Nachwuchsbands waren. Ich glaube, es gibt bei YouTube ein altes Video von KVELERTAK mit typischen Emo-Frisuren, da waren sie noch ganz jung. Sie haben die Band auf eine sehr clevere Weise aufgebaut. Diese Mischung aus Albernheit und strategischem Handeln war eine kluge und gute Kombination. Und ich glaube, es gibt noch ein drittes Element, weshalb sie die größte Rockband aus Norwegen überhaupt sind.
Nämlich?
Als bei Kjetil von ÅRABROT vor ein paar Jahren Krebs diagnostiziert wurde und das offiziell bekannt wurde, schrieben einige Leute eine Mail oder eine SMS und drückten ihr Mitgefühl aus. Aber es gab auch einen, der anrief und fragte: „Können wir nicht eine Benefizshow machen, um euch zu helfen?“ Und das war einer der Jungs von KVELERTAK, und der rief nachts aus dem Nightliner von ihrer Tour in den USA aus an, denn er hatte das gerade gelesen. Da dachte ich, dass das kein Zufall ist, sondern dass das eine Band ist, die so mit anderen verbunden ist, dass sie weiß, sie werden gerade gebraucht. Die weiß, dass sie etwas beitragen kann, und der das am Herzen liegt. Wenn ich Dozent an der „School of Rock“ wäre, würde ich das als Beispiel dafür anführen, was es an Voraussetzungen braucht, um die größte Rockband der Welt zu werden: Du musst ein guter Freund sein.
Es fäll mir schwer einzuschätzen, wie groß KVELERTAK wirklich sind. Sie haben einen Vertrag mit Rise Records in den USA, Rise ist mit BMG verbunden, sie haben weltweiten Vertrieb. Ist das heute eine Voraussetzung für den Erfolg einer Band?
Ich glaube, diese Idee, eine Band in allen Territorien bekannt zu machen, ist ein imperialistisches Überbleibsel und schon seit ein paar Jahren nicht mehr aktuell. Diese Idee fängt an zu stinken, oder anders ausgedrückt: Ich denke, das ist wahrscheinlich die teuerste Art, eine Band zu betreiben. Aber ich verstehe, dass KVELERTAK es in den USA schaffen wollten. Was ich damit sagen will: Du brauchst Partner und Freunde, mit denen du in den Regionen der Welt arbeiten kannst, auf die du dich am meisten konzentrierst. Wenn du in die USA oder nach Großbritannien gehst, heißt es meistens: Uns gehört die Welt, also machen wir es weltweit. Diese Denkweise wird manchmal auch hier in Norwegen geteilt, als kleiner Helfer des großen imperialistischen Systems. Ich denke, wenn du in anderen Ländern wahrgenommen werden willst, ist es wichtig, etwa in Spanien oder Italien mit Freunden zu arbeiten, und ich denke, so machen KVELERTAK das.
Lass uns mal über SILVER reden. Ivar Nikolaisen von KVELERTAK war ja einst bei SILVER, und über die berichteten wir seinerzeit mit gewissen Vorbehalten, weil die trotz ihres Szene-Backgrounds auch als christliche Band galten. Ich habe das aber nie so ganz durchschaut.
Nun, Jesus war ein Punkrocker, ein Rebell, ein Revolutionär. Er hat alles auf den Kopf gestellt. Ich würde sagen, ich könnte Jesus und GG Allin nebeneinander an die Wand hängen. Hier in Norwegen sind wir so weit vom Papst entfernt, dass es schon immer großartige Gelegenheiten gab, alternative Kirchen zu gründen. Die Bischöfe hatten nicht so viel Kontrolle. Es gab also jede Menge Freikirchen hier, und die Hälfte von diesen Leuten ist später in die USA gezogen. Deshalb sind die jetzt in den USA alle so crazy, die ganzen Quäker und so.
Das ist auch ein Thema in Happy Toms Doku-Serie „UXA“.
Ja. Das Christentum ist auch in Norwegen so was wie eine Staatsreligion, es unterliegt der staatlichen Verwaltung und so weiter. Ich bin damit aufgewachsen und bin zum Glück ausgestiegen, bevor es mich verrückt gemacht hat. Aber das ist etwas ganz anderes als die Freikirchenszene, die der gesellschaftliche Hintergrund von SILVER und BLOOD COMMAND und ein paar anderen Bands ist und von der sie sich lösen mussten. Ich selbst habe nie dazugehört, aber ich fühlte mich mit dieser Form von revolutionärem Christentum, dem ursprünglichen Christentum, wenn du so willst, mehr verbunden als mit dieser Staatsreligion. Und das ist auch der Fall bei einem großen Teil der norwegischen Musikszene. Denn als wir aufwuchsen, hatten wir diese linksgerichtete, kommunistische Politclique, die im Grunde mit der Moskauer Internationale zusammenhing, die Norwegen viele Jahre lang mehr oder weniger wie einen Einparteienstaat regierte. Und die offiziellen Stellen waren daher, wie es bei Kommunisten oft der Fall ist, gegenüber Rockmusik ziemlich feindselig eingestellt, weil sie das für US-Propaganda hielten. Das ist eine sehr merkwürdige Sache und ich nehme an, man vergisst leicht, dass die Generation vor uns eigentlich keine Rockmusik hören durfte. Die betrachteten Jimi Hendrix nicht als Teil von gesellschaftlicher Befreiung, sondern als imperialistische Propaganda. Als wir also ins kommunale Jugendhaus gingen, war es unmöglich, dort eine Rockband zu gründen, weil die gesamte Musikausrüstung kaputt war. Ob die von den Kommunisten sabotiert wurde, weiß ich nicht, aber es könnte sein. Aber wenn du in ein freichristliches Gemeindehaus gingst, das oft gleich nebenan war, dann musstest du zwar vielleicht einen Gottesdienst über dich ergehen lassen, aber sie waren sehr freundlich und danach konntest du ihre Musikausrüstung nutzen. Bei SILVER und BLOOD COMMAND gab es immer diese riesigen Verstärker, diese tollen Rickenbacker-Bässe und eine sehr inklusive Atmosphäre. Die Gemeinden fanden es toll, was diese netten Jugendlichen da machten. Aber in den kommunalen Jugendzentren war es eher so: Müsst ihr wirklich Rockmusik spielen? Könnt ihr euch nicht stattdessen für die Ölindustrie engagieren? Deshalb also haben wir ein so zwiespältiges Verhältnis zu Bands, die diesen christlichen Hintergrund haben. Es würde mich übrigens wundern, wenn nicht auch einer der Jungs von TURBONEGRO insgeheim so einen Hintergrund hätte.
Es ist sehr interessant, was du mir erzählst. In Deutschland sind wir in dieser Hinsicht eher streng: No gods, no masters. Wenn du auf Jesus stehst und Punkrock spielst, fick dich und verpiss dich. In Ost-Deutschland zu Zeiten der DDR-Diktatur war das anders, da war oftmals ebenfalls der einzige Freiraum für Punkbands in Kirchenräumen zu finden.
Das ist eine interessante Parallele. Ich bin mir nicht sicher, wie wir KVELERTAK damit in Verbindung bringen können, aber ich habe mal gehört, dass Erlend, der erste Sänger, der Sohn eines Predigers ist.
In gewisser Weise passt das natürlich auch wieder zu dieser Faszination, die Menschen auf der ganzen Welt bezüglich dem norwegischen Black Metal haben, der den Gegenpol zu allen christlichen Werten darstellt mit seinem satanistischen Nihilismus, der bis zum Niederbrennen von Kirchen führte. Wenn du also einen so starken christlichen Hintergrund hast, ist eine so heftige Reaktion darauf erklärbar.
Ich finde es interessant, wie KVELERTAK es geschafft haben, die nordische Bildsprache mit Classic Rock, Punk und Black Metal zu verbinden. Aber ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass KVELERTAK jemals eine bestimmte Botschaft verkündet haben, im Vergleich etwa zu ENSLAVED, die aus demselben Teil des Landes stammen und sich intensiv mit Runen und Odin beschäftigt haben. ENSLAVED haben dieses rituelle, heidnische Element und ein paar Black-Metal-Bands sind noch stärker in diese Richtung gegangen. Generell hat ein Rockkonzert ja rituelle Züge. Meinem Empfinden nach ist der Bass bei KVELERTAK das Hauptinstrument, nicht die Gitarren. Aber wir dürfen nicht auf die einfache Erklärung hereinfallen, dass sie sich einem heidnischen Ritual hingeben. Sie würzen das globale Rock-Ritual mit einem heidnischen Beigeschmack, nicht andersherum. Wohingegen ENSLAVED ein heidnisches Ritual mit einem Touch von globalem Rock zelebrieren. Für KVELERTAK ist dieses Odinismus-Ding höchstens ein Partygag, das ist mein Eindruck.
Sobald bei einer Rockband aus Norwegen jemand einen Bart hat, sind Journalisten aus dem Ausland versucht, im ersten Satz über die Band das Wort „Wikinger“ unterzubringen. Ein billiges Klischee. Wie reagierst du darauf?
Ich finde es peinlich. Die Wikinger stehen für eine vergessene, unterdrückte Weltanschauung und Tradition, die nun in Hollywoodfilmen zu reinen Unterhaltungszwecken wiederbelebt werden.
Was hast du derzeit so zu tun? Ihr seid unlängst mit dem Plattenladen im Zentrum von Oslo umgezogen, das weiß ich.
Wir haben einen unabhängigen digitalen Vertrieb aufgebaut. Das war eine große Sache für uns, direkt mit dem Indielabel-Verband Merlin zusammenzuarbeiten, denn wir hatten in Norwegen eine feindliche Übernahme, wo Sony und Universal im Grunde den gesamten digitalen Markt übernommen haben. Wir haben ein paar neue Bands gesignt, und ja, wir sind mit dem Laden umgezogen und haben neue Leute im Team. Wir haben ein hartes Jahr hinter uns, eine normale Firma hätte wahrscheinlich zumachen müssen. Es war immer schon ein hartes Geschäft, und wir haben uns gerade so durchgeschlagen. Aber dann kam das eine zum anderen: Wir mussten mit dem Laden umziehen und gleichzeitig wurde Eivind krank, der Fysisk Format mit mir zusammen betrieb. Er war selbstmordgefährdet. Und dann hat er sich Ende Mai umgebracht. Keine Sorge, es ist okay für mich, darüber zu sprechen. Das bedeutete für alle in der Firma großen Stress, so dass ich ein paar Mitarbeiter verloren habe, die deshalb gekündigt haben. Ich musste ein neues Team aufbauen. Es war also eine sehr anstrengende Zeit für mich, umso mehr weiß ich das, was ich hier mache, zu schätzen. Ich war noch nie in meinem Leben so direkt mit einem Selbstmord konfrontiert oder musste miterleben, dass ein junger Mensch stirbt. Das ist schwer. Jetzt schaue ich nach vorne und habe wieder etwas Hoffnung. Ich muss mich auch selbst mehr um ein paar wichtige Dinge kümmern, das habe ich gelernt. Ich war immer sehr egalitär eingestellt, aber ich habe gelernt, dass man Menschen auch zu viel Verantwortung aufbürden kann. Ich werde also künftig vorsichtiger sein, wenn es darum geht, welche Art von Verantwortung ich jemandem übertrage. Letztlich bin ich aber froh, dass ich Fysisk Format in meinem Leben habe. Ich muss eine Aufgabe haben, die eigentlich unmöglich ist. Ich muss darum kämpfen müssen. Ich glaube, dass es irgendwie sinnvoll ist, für etwas zu kämpfen und etwas zu schaffen, weil du dann etwas bewirken kannst. Und ich bin nicht gut darin, mit dem Strom zu schwimmen oder oben auf einer Welle. Ich glaube daran, dass es Sinn hat, kulturelle Oppositionsarbeit zu leisten. Das gibt mir Energie, das stimmt mich positiv, das bereitet mir Freude. Und insofern habe ich wohl nicht viel gemeinsam mit den größeren Labels hier in Norwegen.
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