Bei einem "Oi!" im Bandnamen lässt sich so einiges befürchten, doch mit ihrer konsequent antifaschistischen Haltung nimmt die Stuttgarter Streetpunk-Band FREIBOITER jedoch all jenen den Wind aus den Segeln, die sich auch 2008 noch von oberflächlichem Klischeedenken leiten lassen. Zudem spielen die fünf Musiker eingängige, toughe Punktunes mit leichter Hardcore-Kante, auch tighten Reggae-Grooves sind sie nicht abgeneigt. Das Album "Riot Radio" ist eben erschienen und bietet genau diesen Mix, den die Band schon auf zahlreichen Bühnen des Kontinents zum Besten gab, gern gesehen sind die Boys auf klar antifaschistischen Festivals. Fünf Jungs, die zu ihrem Way of Life genauso stehen, wie zu ihrer kritischen Grundhaltung: sich vor allem nicht das Wort verbieten lassen. Mit dem neuen Output sollten sie zudem ihre Fanbase gehörig vergrößern können. So schickte ich im schönen Mai per Datenautobahn ein paar Fragen nach Ruhm, Ehre und ein wenig Punkrock in die Schwabenmetropole. Gitarrist Micha nahm sich dieser an und antwortete, stellvertretend für die Band, umgehend und ohne Kompromisse. "Riot Radio" eingelegt und Ohren gespitzt!
Mit "Riot Radio", eurem dritten Album, habt ihr euch einen festen Platz in der hiesigen Streetpunk-Szene erspielt und seid auf Knock Out in netter Gesellschaft mit gestandenen Szenegrößen. Wie seht ihr selber euren Werdegang, der musikalische Output und euer Standing in der Szene?
"Rockcity" von 2003 und "Brave New World" von 2006, die Split-CD mit YOUNGANG, erschienen noch bei Red Giants Records. Das war für den Anfang okay, aber mit Knock Out Records sind wir sicherlich einen großen Schritt nach vorne gekommen. Da wir nur sehr wenig Zeit in unsere Musik investieren können, dauern das Songwriting und somit der Output neuer Tonträger leider sehr lange. Und leider können wir auch nur einen Teil der Konzertanfragen annehmen. Scheiß Working-Class eben, haha. Manchmal wünsche ich mir, wir wären alle erst 18 und würden noch zur Schule gehen, dann hätten wir die nötige Zeit, um richtig durchzustarten. Unser Standing in der Szene kann ich selbst schwer einschätzen, das überlasse ich anderen. Wir sind mit dem, was wir bisher erreicht haben, zufrieden. Vor allem in Anbetracht der wenigen Zeit, die wir investieren konnten.
Ihr habt dick "Antifascist Oi!" auf eurer Piratenfahne stehen, nehmt auch textlich kein Blatt vor den Mund. Inwiefern hilft euch die klare Einstellung, wo gibt es Anfeindungen und welche Erfahrungen, gerade in Bezug auf euren "Way of life", führten zu diesem eindeutigem Auftreten?
Durch unser Auftreten grenzen wir uns deutlich vom Großteil der Oi!-Szene ab. Das machen so nur sehr wenige Bands, die sich der Skinhead-Szene zugehörig fühlen, behaupte ich. Wir tun das schon, seit ich 2001 bei FREIBOITER eingestiegen bin, weil wir keinen Bock auf zweifelhafte Konzertbesucher, Shows und Veranstalter hatten und haben, weil wir unsere antifaschistische Grundeinstellung nach außen transportieren möchten. Auch in der Hoffnung, dem einen oder anderen eine Anregung mit auf den Weg zu geben. Die Resonanz darauf war von Anfang an gut. Da wir uns wie gesagt auf diesem Weg von der Masse abheben, hilft es uns sicherlich, auch Shows und Aufmerksamkeit zu bekommen, die 08/15-Bands nicht bekommen. Direkte Anfeindungen gibt es eigentlich nicht. Wer uns nicht mag, kommt auch nicht auf unsere Shows. Und für Leute, die wir nicht mögen, spielen wir nicht, ganz einfach.
Eure Texte sind mehrheitlich auf Englisch verfasst. Eine bewusste Entscheidung, vielleicht auch als Abgrenzung zu belanglosen deutschen Oi!-Bands, oder eher Zufall? Oder gar weil es "runder" klingt und die großen Vorbilder auch auf Englisch gesungen haben?
Das kommt automatisch. Ich kann mir zwar vornehmen, zu einem Thema einen deutschen Text zu schreiben, wenn ich dann aber plötzlich einen total geilen Refrain auf Englisch im Kopf habe, dann wird es eben ein englischer Text. Im Endeffekt spielt die Sprache für mich aber auch keine so große Rolle. Das Ganze muss einfach gut klingen und die Message sollte rüberkommen. Und ich denke, das bisschen Englisch, um unsere Texte zu verstehen, sollte eigentlich jeder drauf haben. Die Ausnahme stellt hier vielleicht "Mayday" dar: wenn ich ein Lied beziehungsweise einen Erfahrungsbericht über den 1. Mai in Berlin schreibe, dann möchte ich das auch auf Deutsch sagen. Alles andere wäre da sicher unpassend.
Gab es vor wenigen Jahren noch eine klare Unterteilung der "Szenen", so feiert auf einschlägigen Konzerten mittlerweile ein bunt gemischtes Publikum zusammen. Wo seht ihr euch innerhalb der Subkulturen, wo fühlen sich die FREIBOITER am wohlsten?
Am wohlsten fühlen wir uns auf Shows, wo Punks, Skins, Hardcore-Kids oder auch szenefremde Menschen alle auf einem Haufen feiern! In Stuttgart haben wir das schon seit Jahren. Ein gutes Statement dazu findet man im Netz unter antifascist.org. Das ist auch die Grundaussage der Antifascist Rock Action, so was wie eine Konzertgruppe, die in Stuttgart szeneübergreifende Konzerte gestartet hat und damit sehr erfolgreich war. Inzwischen läuft es zumindest in Stuttgart von selbst. Leider haben wir auf größeren Konzerten von MOTÖRHEAD, DROPKICK MURPHYS oder SOCIAL DISTORTION immer einige Nazis. Soweit sollte die Überschneidung der Szenen dann auch nicht gehen. Das Publikum auf unseren Shows besteht meist aus Punks und Skins. Außerhalb Stuttgarts kommen kaum Leute aus der Hardcore-Szene, wenn wir nicht gerade mit einer Hardcore-Band spielen. In Frankreich letztens, in Dijon, waren es interessanterweise kaum Skinheads, sondern eher ein alternatives Publikum und viele Crust-Punks, würde ich sagen. In der Schweiz ist es dann wieder mehr Skinhead-lastig. Im Osten sowieso! Ganz unterschiedlich also.
"Riot Radio" präsentiert ein vielfältiges Soundspektrum, zeigt euch mal hart, mal smart - ist das der Sound, den ihr schon immer angestrebt habt? Welche soundspezifischen Gewässer wollen die FREIBOITER noch entern?
Das kommt, wie es kommt. Über einen bestimmten Sound haben wir bisher nie nachgedacht. Egal, was man beabsichtigt, wenn man den ganzen Tag beispielsweise AGNOSTIC FRONT und MISFITS hört und sich dann hinsetzt, um ein Lied zu schreiben, kann man sich gegen gewisse Einflüsse einfach nicht wehren. Das macht die Platte aber auch so abwechslungsreich, weil wir natürlich für jedes Genre offen sind und somit alle möglichen Dinge und Bands unseren Sound beeinflussen. Und eine Reggae-Nummer ist ja auch noch drauf. Bleibt also nur zu hoffen, dass ich niemals Fan von Volksmusik, Polka oder ähnlichem Schrott werde. Sonst wird's finster, haha!
0711, die Motorcity, strahlt nach außen hin eher wenig Punkspirit aus, große Unternehmen hier, "schöne" Menschen da. Wie seht ihr selbst eure Stadt, wie steht es vor allem um die Punkszene im Allgemeinen und um spannende Bands im Speziellen?
Die Lebensqualität in Stuttgart ist schon nicht so schlecht. Es geht uns ja allgemein ziemlich gut. Manche behaupten, Stuttgart wäre die schönste Stadt der Welt ... Die Szene hier passt schon, spannende Bands gibt es natürlich einige, da wären etwa GUERILLA, eine wunderbare, sehr wütende HC-Punkband. Ebenfalls HC-Punk spielen RIOT BRIGADE. Die TONY MONTANAS gehören meiner Meinung nach zum Besten, was Deutschland in Sachen Psychobilly zu bieten hat. TEAMKILLER sind eine verdammt gute HC-Band und dann hatten wir früher ja noch die guten alten OI!-GENZ und das Aushängeschild im HC-Sektor: SIDEKICK. Ich hoffe, dass es bei SIDEKICK irgendwann noch eine Reunion geben wird.
Ansprechendes Album-Artwork, die Homepage im Corporate Design, dazu ein breites Angebot an Merchandise - FREIBOITER im Web und zum Anziehen quasi. Wie wichtig ist euch diese Komponente der Selbstdarstellung?
Die Shirts, die wir verkaufen, machen wir in erster Linie, weil wir da selbst Bock drauf haben. Weil fünf Exemplare aber etwas teuer wären, lassen wir eben ein paar mehr produzieren und verkaufen den Rest. Und dass ich privat natürlich nicht wie ein Lumpensammler durch die Straßen laufen möchte, ist ja wohl auch klar! Ich denke, dass vor allem in Subkulturen extrem auf das Äußere geachtet und Wert gelegt wird. Man stelle sich nur mal eine Horde Stuttgarter Skinheads vor, die sich für das abendliche Tänzchen bei einem Soul- oder Ska-Nighter hübsch machen, so etwas hast du noch nicht gesehen, diese beknackte Topmodell-Sendung in der Glotze ist ein Scheiß dagegen ...
Welchen Stellenwert haben für euch "klassische" Fanzines, sozusagen die Szenemedien zum Anfassen?
Inzwischen einen sehr hohen, weil wir einige Interviews geben in letzter Zeit und unsere Platte darin gut beworben wird. Ich kann aber nicht behaupten, dass ich regelmäßig spezielle Fanzines lesen würde. Tut mir Leid!
Na, dann: eure Ziele, Pläne und Wünsche, bitte!
Noch ein paar Jahre Spaß und Abenteuer. Noch eine Platte, noch ein paar gute Shows und "Life deluxe for all", wie die Jungs von GUERILLA so schön singen. Und endlich eine Gesellschaft ohne Nazis. Cheers!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Lars Weigelt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Lars Weigelt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Stefan Kornberger