FRED LEE AND THE RESTLESS

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Ruhelos im Luftschloss

„Sleepwalking In Daylight“ ist der Titel des Albums von FRED LEE AND THE RESTLESS. Ein Bandname, der einem zunächst nichts sagt, hinter dem aber Fredrik Lindkvist (Gesang, Gitarre, Banjo) aus der Nähe von Umeå, Schweden steckt, den man wiederum unter anderem von TOTALT JÄVLA MÖRKER kennt und der auch das DIY-Punklabel Luftslott Records betreibt. Erschienen ist das Album, das eher nach Joe Strummer als nach Hardcore klingt, allerdings auf Lövely Records.

Fredrik, wie hast du die Pandemie bis jetzt überstanden?

Ich habe überlebt, aber musikalisch war ich zeitweise wie gelähmt. Im Jahr 2020 konnte ich überhaupt nichts schreiben, ich konnte das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen. Aber ab November habe ich mich gezwungen, ein paar Songs zu schreiben, und danach kam es wie eine Welle über mich, Song für Song. Aber ich arbeite auch in einem Kulturzentrum, und dadurch, dass ich den ganzen Tag mit Arbeit ausgelastet bin, kam ich nicht so recht voran. Und die Sache mit der Arbeit von zu Hause aus war auch nicht gut, denn ich habe drei Kinder, die den ganzen Tag Aufmerksamkeit wollen, also bin ich völlig erschöpft. Haha, ich beginne dieses Interview damit, verbittert zu sein, sorry dafür.

Wann und wie und wo und womit bist du das erste Mal mit Punk und Hardcore in Berührung gekommen?
Da war ich in der sechsten Klasse. Ich war ungefähr zwölf Jahre alt und gründete mit Freunden eine Band. Wir haben Coversongs von Bands wie GUNS N’ ROSES gespielt. Als ich später in die Highschool kam, gab es ein paar ältere Schüler, die in der Schulcafeteria Punk und Hardcore spielten. Also saß ich in den Pausen dort herum und lauschte, ich traute mich nicht nach vorne zu gehen und zu fragen, was sie für Musik machten. Ich wollte nicht von den harten Punks verprügelt werden, haha. Also fing meine Coverband an, Songs von EBBA GRÖN zu spielen, die waren damals die bekannteste Punkband in Schweden. Und dann begannen meine Freunde und ich, selbst gute Platten und Bands zu entdecken, wie STREBERS oder DLK, später die Hardcore-Welle aus den USA, und natürlich die Umeå-Szene. 1995 gründete ich meine erste Hardcore-Band PINCHER, wo ich später rausgeschmissen wurde. Der erste Punk-Gig, auf dem ich war, war außerhalb der Schule mit einer lokalen Band namens THE RONKERS – später änderten die ihren Namen in SKUMDUM – und es war ziemlich geil. 1996 gründeten wir eine Straight-Edge-Band namens BITTER END. Ich spielte Gitarre und unser größter Traum war es, in Umeå zu spielen. Wir fuhren oft zu Konzerten nach Umeå, schliefen bei irgendwem auf dem Boden, es war eine lustige Zeit.

Was hat dich an dieser Musik, Szene, Idee angezogen? Und wie hat das dein späteres Leben und dein Glaubenssystem geprägt?
Mir gefiel, dass es da musikalisch eine Kraft gab, die ich vorher noch nie erlebt hatte. Und dass es Zusammenhalt und eine politische Agenda gab, die mich sofort packte. Die Tierrechtsbewegung erlaubte mir, in Worte zu fassen, was meiner Meinung nach in der Gesellschaft falsch lief. Sie prägte meine Einstellung zu Gleichberechtigung und Feminismus, und brachte mich dazu, mich politisch zu engagieren. Die Punk- und Hardcore-Szene hat mich als Mensch wirklich geprägt, das spüre ich auch jetzt, wo ich älter werde. Viele der Ideen, die mir wichtig sind, sind immer noch jene, die ich in den späten Neunziger Jahren entdeckt habe. Wobei ich heute natürlich weniger schwarzweiß denke – es ist nicht mehr so, dass ich gleich wütend werde, wenn jemand Fleisch isst.

Du lebst nicht von deiner Musik, oder?
Ich habe es nie geschafft, von der Musik zu leben, also habe ich immer einen Job gehabt. Leider. Ich war immer neidisch auf Freunde, die von der Musik leben konnten. Es war mir immer ein Rätsel, wenn wir auf Tour waren, dass sich jeder eine Auszeit von seinem Job oder Studium nehmen konnte. Heutzutage muss man kämpfen, um Zeit für die Musik zu bekommen. Die meisten meiner Songs habe ich in zwanzig oder dreißig Minuten gemacht – es ist wichtig, effizient zu sein. Denn da ist ja noch eine Windel, die gewechselt werden muss, oder jemand, der vor mir steht und nach Essen schreit. Ich habe aber das Glück, seit einigen Jahren im Kultur- und Musikbereich arbeiten zu können.

Von 1997 bis 2017 warst du in der Hardcore-Band TOTALT JÄVLA MÖRKER.
Ich mache es kurz, denn es ist schwierig, zwanzig Jahre zusammenzufassen. Wir haben damals in Skellefteå angefangen, wir waren ein paar orientierungslose Teenager, die etwas Spektakuläres machen wollten. Ich, Tomas und Anders kamen von der Hardcore-Band BITTER END. Die stand um 1997 herum kurz davor, sich aufzulösen. Also wechselten wir die Instrumente und versuchten, eine Mischung aus Crust-Punk und Black Metal zu spielen. Wir baten unseren Freund Makke, Bass zu spielen, und nach ein paar Wochen trafen wir Inge Johansson außerhalb unseres Proberaums beim Rumhängen. Zu dieser Zeit war unser einziges Ziel zu provozieren, wir spielten oft nackt oder in Frauenkleidern. Wir kamen mit Sozialistenflaggen oder wie Leichen geschminkt auf die Bühne und hatten Sticker, auf denen stand „Skellefteå Gay Pride“.

Warum?
Skellefteå war damals eine Stadt, in der die Freikirchen sehr groß waren und das Leben bestand daraus, Hockey zu spielen, in die Kirche zu gehen – oder Musik zu machen. Am Anfang spielten wir in den Jugendzentren rund um Skellefteå. Die Leute dachten, dass wir dumm sind und dass die Musik scheiße ist. Wir haben 1998 eine EP veröffentlicht und um 1999 herum waren wir kurz davor aufzuhören. Aber ob du es glaubst oder nicht, in diesen Jahren hatten wir eine Fanbase, die uns wirklich daran hinderte, etwas Neues zu machen. Also wechselten wir die Instrumente und ich begann, zusammen mit Anders und Inge zu singen. Wir fanden einen neuen Schlagzeuger namens Jeker „The Butcher“. Makke zog in den Süden, Krille begann, Bass zu spielen, und wir nahmen eine weitere EP auf. 2001 wurde Skellefteå vom schwedischen Radio zur „Popcity des Jahres“ ernannt, es gab ein Festival und wir bekamen etwas Spielzeit. Plötzlich waren eine Menge Vertreter aus dem Musikbusiness und andere schicke Leute da. Denen fielen die Kinnladen runter, als wir auftraten. Von da an lief es mit den Gigs und ich war der Booker der Band. Es war eine wirklich lustige Zeit. Wir hatten keine Einschränkungen, wir spielten in Kellern und auf großen Festivals. Wir bekamen sogar eine Anfrage, dass wir bei der „Big Brother“-TV-Show spielen sollten, aber wir konnten nicht, weil wir zu der Zeit auf Tour waren. Inge verließ die Band dann 2004/05 nach dem zweiten Album „Människans Ringa Värde“. Für eine der Touren konnten wir Jerker „The Butcher“ nicht erreichen, er war in Irland und arbeitete. Also musste Krille am Schlagzeug einspringen und sein Freund Victor Brandt als Bassist. Und so machten wir mit diesem Line-up weiter. Anders verließ uns 2006 und dann begann Joakim „Sylen“ mit mir zu singen. Eigentlich war er nur der Ersatz für Anders auf unserer einzigen Deutschlandtour. Wir wurden also von einer, jedenfalls in den Augen der anderen, lächerlichen Band zu einem respektierten Live-Act, den die Leute sehen wollten. Ob man die Musik nun mag oder nicht, es war immer chaotisch. Ich denke auch, dass die Leute unseren politischen Anspruch zu schätzen wussten.

Wie ging es weiter?
2010 verließ ich die Band, hauptsächlich weil ich gerade Vater wurde und wir unterschiedliche Ansichten über die Band hatten. Aber die Sehnsucht nach meinen Freunden und danach, live zu spielen, ließ mich 2015 wieder an Bord kommen. In diesen fünf Jahren, von 2010 bis 2015, haben TOTALT JÄVLA MÖRKER überhaupt nicht live gespielt und nur eine EP namens „Helvetespunk“ veröffentlicht. Dann haben wir uns entschieden, 2017 aufzuhören, als die Band zwanzig Jahre alt wurde. Wir hatten einige wirklich lustige Auftritte und manchmal vermisse ich diese Tage.

In der Ox-Rezension des TJM-Albums „Människans Ringa Värde“ schrieb ich, dass im Text von „Under zion’s cold star“ eine eher problematische Sicht auf den Staat Israel zum Ausdruck komme ...
Wir wollten die Unterdrückung aufzeigen, der das palästinensische Volk ausgesetzt ist. Im Nachhinein habe ich verstanden, dass gerade dieser Song bei Freunden Israels für Kritik gesorgt hat. Ich denke, es ist wichtig, einen konstruktiven Dialog über schwierige Themen zu führen. Unsere Position war, dass wir eine Zwei-Staaten-Lösung befürworten, so dass sowohl Israelis als auch Palästinenser in Frieden miteinander leben können. Das ist aus meiner Sicht ein Standpunkt, den wir mit vielen in den politischen Parteien teilen. Heute bin ich 42 Jahre alt, und auch wenn ich den Text zu diesem Lied nicht geschrieben habe, sind meine Texte und meine politische Sichtweise nicht mehr so schwarzweiß. Bei TOTALT JÄVLA MÖRKER haben wir immer Texte geschrieben, in denen wir es auf die Spitze getrieben haben, um den allgemeinen Lärm zu durchdringen, das war unsere Idee. Heute wäre ich wahrscheinlich viel kritischer mit der Songerklärung und den Texten umgegangen. Ich denke, wir können uns alle darauf einigen, dass es eine unhaltbare Situation ist, die im Nahen Osten herrscht, und es macht mich traurig, dass wir in dieser Sache nicht weitergekommen sind. Ich möchte nicht, dass die Kinder von irgendjemandem zu Tode gebombt werden und dass irgendein Volk der Unterdrückung unterworfen wird.

Discogs verbindet dich mit diesen Bands: KNUGEN FALLER, RIWEN, ROYAL DOWNFALL, SISTA BRYTET, TOTALT JÄVLA MÖRKER. Fehlt da was?
KNUGEN FALLER ist die schwedische Übersetzung von ROYAL DOWNFALL. Wir haben die Band bei einer „Food not Bombs“-Veranstaltung gegründet und ein Album und zwei EPs gemacht. Die Idee war dabei, dass wir die Instrumente spielen, an denen wir am schlechtesten waren. Ich habe Schlagzeug gespielt, aber war nie ein guter Drummer. ROYAL DOWNFALL waren eine Indie-Band, wir spielten die meisten Gigs Mitte der 2000er. Unsere letzte Platte haben wir 2015 gemacht, acht Jahre nach unserer zweiten Platte. Wir haben nicht viele Touren gemacht, aber die, die es gab, haben Spaß gemacht. RIWEN ist Hardcore im Stil von INTEGRITY und DAMNATION. Ich bin der Sänger und schreibe die Texte. Es ist schon lange her, dass wir live gespielt haben, aber ich glaube nicht, dass wir die Band aufgelöst haben. SISTA BRYTET ist meine Hauptband. Wir haben angefangen, als ich eine Pause von TOTALT JÄVLA MÖRKER gemacht habe. Es ist melodischer schwedischer Punk. Die Jungs sind meine besten Freunde und wir haben eine Menge gemeinsam, mehr als nur Musik. Hier spiele ich Gitarre und singe. Als wir anfingen, waren MASSHYSTERI einer unserer großen Einflüsse, auch wenn es nicht so klang. Wir haben zwei Alben und zwei EPs veröffentlicht. Wir arbeiten gerade an unserem dritten Album, es wird wahrscheinlich noch 2021 erscheinen.

Das Label Luftslott Records betreibst du auch noch.
Ich veröffentliche da Sachen, die ich mag, ohne auf die Kosten zu achten. Mein größtes Problem ist, dass ich nie Geld auf dem Firmenkonto habe. Ich habe 2014 angefangen, Platten zu veröffentlichen, dann habe ich eine Band meiner Freunde veröffentlicht, aber sie haben nie einen Gig gespielt, nachdem ich die Platte rausgebracht hatte. Schade! Die Bands, die ich veröffentliche, mögen es, auf Luftslott zu sein, weil ich extrem leidenschaftlich bin. Ich mache alles DIY und denke, dass es sich gut anfühlt, auch wenn es eine Menge Energie kostet. In diesen Jahren habe ich es geschafft, einige wirklich gute Platten zu veröffentlichen und werde damit weitermachen, bis ich genug von Punkmusik habe. Was wahrscheinlich noch eine Weile dauern wird!

Deine Adresse ist in Holmsund, ein paar Kilometer außerhalb von Umeå. Wie ist das Leben dort, und ist die Stadt über all die Jahre dein „kreativer Hotspot“ gewesen?
Holmsund ist ein kleines Dorf, ein Vorort von Umeå. Ich lebe da ein ganz normales Leben. Ich war 2002 nach Umeå gezogen, weil es so eine gute Stadt mit Gigs und vielen tollen Bands war, leider ist es nicht mehr so. Vor ein paar Jahren haben wir den Club Out Of Step gegründet, um ein bisschen mehr Leben in die Punk-Szene zu bringen, er war sehr erfolgreich. Wir haben viele gute Gigs mit lokalen und internationalen Acts gehabt.

Als FRED LEE AND THE RESTLESS hast du gerade das Album „Sleepwalking In Daylight“ veröffentlicht. Wer sind THE RESTLESS, was ist die Idee hinter dieser Band?
Ich fuhr im Sommer 2019 mal mit dem Zug nach Stockholm und hörte mir Billy Liars Album „Some Legacy“ an. Plötzlich kam mir der Gedanke: Ich werde eine Soloplatte machen. Ich werde Musiker, mit denen ich schon immer mal spielen wollte, fragen, ob sie mitmachen, also stand der Bandname THE RESTLESS schon fest, bevor ich Mitglieder hatte. Warum THE RESTLESS? Nun, weil ich ein ruheloser Mann bin. Ich hatte einige Songs, die wir mit SISTA BRYTET nicht gemacht hatten, also fing ich mit diesen an und schrieb dann weitere. Als ich zehn Songs hatte, fingen wir an, sie einzustudieren, und es war unglaublich tight. Dann habe ich mich um die Aufnahmen gekümmert.

Das Album klingt für mich sehr nach Joe Strummers späten Solosachen. Und Springsteen ist auch drin. Und sonst?
Das freut mich zu hören, daran hatte ich gar nicht gedacht. Joe Strummer war während meiner gesamten Musikkarriere ein großes Vorbild für mich. Dass du Springsteen erwähnst, freut mich ebenfalls. Ich wollte ein Album machen, das temporeich und nachdenklich ist. Ich habe auch viel Frank Turner gehört, er hat fast alle für mich wichtigen Emotionen in seinen Alben. Ich hatte mir vor allem „Positive Songs For Negative People“ angehört. Außerdem mag ich LOST DOGS STREET BAND, Brian Fallon und Billy Liar, was man vielleicht nicht richtig auf der Platte hört, aber ich habe mich trotzdem von denen inspirieren lassen.

Musikalisch ist es ganz anders als TJM oder RIWEN. Warum diese „leichtere“ Herangehensweise an die Musik?
Ich hatte schon immer eine Schwäche für Heartland Rock und ich mochte immer gerne Folk- und Akustikgitarren in der Rockmusik. Einer meiner Lieblingskünstler ist Billy Bragg. Ich sage nicht, dass ich in irgendeiner Weise auch nur annähernd an ihn herankomme, aber ich wollte mich diesem Genre annähern. Ich bin jetzt erwachsen und ich habe nicht das Gefühl, dass ich ein langes politisches Statement abgeben muss, wenn ich Lovesongs schreibe. Diese Zeiten sind vorbei.

Kannst du mir was zu ein paar deiner Texte erzählen? „Who do you wanna be“ ...
Ich habe diesen Song in Anbetracht all der Demonstrationen zum 1. Mai geschrieben, auf denen ich war. Manchmal erlebe ich, dass viele da sind, weil es cool ist. Politik ist aber so viel langweiliger, als auf Demonstrationen zu gehen, es geht um Haushaltsverhandlungen, Gewerkschaftstreffen und vor allem darum, dass man dort arbeitet, wo man steht. Manchmal wünschte ich, ich wäre weniger prinzipientreu oder hätte eine starke politische Meinung, dann wäre alles einfacher.

„New Sweden“.
Es ist eine persönliche Reflexion über die Klimakrise. Ich singe: „Ich wollte meinem Sohn sagen, dass alles in Ordnung ist. Aber mir blieben die Worte im Halse stecken.“ Denn so fühlt es sich oft an. Der Titel ist an Billy Braggs „New England“ angelehnt. Ich denke, das wichtigste Thema ist die Klimakrise. Ich verstehe nicht, dass die Politiker jetzt nicht einfach die Notbremse ziehen. Es ist nicht normal, dass es in Kanada 49 Grad heiß ist! Es passiert wirklich etwas mit unserem Planeten.

„Capitalist market“.
Es ist ein Lied über den Kapitalismus, der sich in alles einschleicht. Wir müssen eine bessere Gesellschaft schaffen, wir Menschen sind zu schlau, um dem Kapitalismus nachzugeben.

„These times are so dark“.
Um ehrlich zu sein, bin ich ab und zu depressiv. Es ist ein Song, in dem ich meine Gefühle in Worte fassen konnte. Ich bin oft regelrecht ein Wrack, und es kann erlösend sein, das dann auszusprechen. Der Song passt auch ganz gut in Pandemie-Zeiten, aber er ist entstanden, bevor ich eine Ahnung hatte, was 2020 auf uns zukommen wird.