Das natürliche Habitat des Punks ist die Großstadt. Schon immer. Die Metropole als Fluchtpunkt für alle Unangepassten. Aber nicht alle Punks leben da, können oder wollen da leben. Und finden ihren Fluchtpunkt in der ländlichen Provinz. Da, wo man seinen Nachbar:innen idealerweise dank großer Distanzen auch gut aus dem Weg gehen kann. Das süße, oft verkitschte Landleben also? Normen von der Band FORNHORST, die benannt ist nach dem Gehöft, wo er wohnt, thematisiert all das in den Texten des Albums „Leben ohne Scheiss“, und da bot es sich an, das Thema Landlust (oder Landfrust?) auch im Interview zu thematisieren.
Normen, du hast den Claim „Fornhorst – Punkrock aus Hamburg und Umgebung. Zum Beispiel Bayern.“ Schaut man, was eine Kartenwebsite bei der Eingabe von „Fornhorst“ auswirft, landen wir an deinem Wohnort gleichen Namens, nahe Nienborstel, Mückenbusch und Todenbüttel. Wo ist das, wie lebt es sich da, wie hat es dich dahin verschlagen ... und warum wurde das dann dein Quasi-Bandname?
Der Fornhorst liegt in einem Dorf mit etwa 500 Einwohner:innen mitten in Schleswig-Holstein. Ungefähr 25 Kilometer entfernt liegt Wacken, was wohl den meisten Leser:innen ein Begriff sein dürfte. Der Hof befindet sich im Außenbereich, insofern haben wir ziemliche Ruhe und bekommen vom Dorfleben nur die Nordic Walker mit, die am Hof vorbeilaufen. Auf dem Fornhorst gibt es exakt zwei Resthöfe. Den einen bewohnen wir, der andere wird lustigerweise auch von ollen Punkrocker:innen bewohnt. Dass das so ist, haben wir herausgefunden, als die Nachbarn auf einem Gig von uns waren. Die dachten, der Name sei Zufall. Gelandet bin ich hier eher aus Versehen, das hat sich ergeben. Geboren bin ich am Niederrhein, auch sehr ländlich. Vor ein paar Jahren hatte ich Lust, wieder Musik zu machen, und habe erst mal für mich im Heimstudio vor mich hingebastelt, weil ich hier im Norden auch schlicht und einfach kaum Leute kannte, die Musik machen. Daher auch der Name. Da wir hier viel Platz haben, haben wir zum Jahreswechsel immer viele Menschen zu Gast, die vor dem ganzen Silvestergeböller flüchten. Da sind entsprechend auch viele Musiker:innen dabei. Und so kam die Idee auf, das Ganze als „Punkrock-Kollektiv“ auf die Bühne zu bringen. Mit Freund:innen aus Berlin und Bayern. Mittlerweile gibt es eine etablierte Besetzung aus Hamburg und Umgebung. Der Kollektivgedanke, also die Idee, dass wir als Band immer Lust auf neue Menschen haben, die mal mehr oder weniger fest mitmachen, begleitet uns aber weiter.
Apropos Bandname: Du machst ja schon länger Musik ...
In den 1990er Jahren habe ich in einer Oi!-Punkband namens EU!-KRAMPF gespielt, danach zusammen mit meinem ältesten Freund Lupo, der später bei BASH! aktiv war, bei einer Band namens ASIDE!, mit der wir bei Mike Weger auf Rabauz Records veröffentlicht haben. Der unmittelbare Vorgänger von FORNHORST hieß SCHNELLER. Leider ist das Projekt der Pandemie zum Opfer gefallen, außerdem hat man gelitten, wenn man „Schneller Punkrock“ googlet.
Und was machst du im „normalen“ Leben? Mais pflanzen, Felder pflügen ...?
Beruflich arbeite ich mit Hunden beziehungsweise bilde Menschen weiter, die mit Hunden arbeiten möchten. Außerdem leite ich ein relativ großes Tierheim. Früher habe ich mal Soziale Arbeit studiert und danach „was mit Medien“ gemacht.
Das Landleben wird ja gerne verklärt, gerade von Großstädtern, die es da so schön ruhig finden. Du thematisierst das in „Alles so schön ruhig hier“. Aber wie ist es, da aufzuwachsen, da zu leben? Siehe deine Textzeile „Hier auf dem Dorf trägt die Jugend noch Thor Steinar / Hier ist Antifa noch echtes Abenteuer“.
In das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, ist meine Familie gezogen, als ich ungefähr ein Jahr alt war. Sie haben dort über vierzig Jahre gelebt und waren dennoch immer „die Zugezogenen“. Das Dorf war stark katholisch geprägt. Pech für mich, da ich nicht katholisch getauft und damit verdächtig war. Als Junge konntest du Messdiener werden oder Fußball spielen. Als Mädchen konntest du nicht mal das. Für Jugendliche gab es alle Jubeljahre sogenannte „Scheuerfeten“, also mobile Disco im Stall auf einem Bauernhof, der dafür leergeräumt wurde. Bei so einer Veranstaltung habe ich die ersten Punks kennen gelernt und wollte mit 13, 14 genauso sein wie sie. Im Dorf war ich ab sofort nicht mehr nur unterschwellig, sondern für alle sichtbar ein „Alien“. Dafür wurde ich natürlich mindestens kritisch beäugt und hatte oft genug Ärger. Meistens mit den Söhnen der Landwirte, die so eine gewisse machtbewusste Gutsherrenart mit der Muttermilch aufgenommen hatten und für die meine pure Anwesenheit eine Beleidigung fürs ganze Dorf war. Es gab in meiner Jugend nie wirklich organisierte Neonazis, vielleicht eine Handvoll. Gleichzeitig waren die Jugendlichen in weiten Teilen quasi per Naturgesetz stramm rechts. So nehme ich es hier auch wahr. Thor Steinar sieht man in der Kreisstadt tatsächlich recht oft, FREI.WILD- und „FCK Grüne“-Sticker auch. Diese „Deutschland den Deutschen“-Rufe in den Diskotheken, die durch die Nachrichten gegangen sind, waren im Nachbarkreis zu hören. Wenn du diesen Typen aber sagst, dass sie Faschos sind, gucken die dich mit großen Augen an und sind beleidigt, weil du ihnen mit der „Nazikeule“ kommst.
Wie kommt man damit im Alltag klar?
Ich nehme großen Konfliktstoff wahr. Viele auf dem Dorf haben das Gefühl, dass „die da oben in Berlin“ ihnen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben, und fühlen sich abgehängt. Die Leute können zum Beispiel mit einem Deutschlandticket nichts anfangen, weil es keinen ÖPNV gibt. Die brauchen keine Kaufanreize für Lastenfahrräder, weil die Wege viel zu weit sind. Diese Beispiele hört man immer wieder. Das sind Konflikte, die schon lange wabern. Dementsprechend habe ich mich auch nicht gewundert, dass die Landwirte so steil gegangen sind, als es um die Subventionskürzungen ging. Solange du freundlich grüßt und den Ball flach hältst, kannst du hier gut leben. Wenn du Ärger machst, wird es ungemütlich. Nicht in dem Sinne, dass sie dir auf die Fresse hauen. Aber wenn dein Haus brennt, könnte es sein, dass die Freiwillige Feuerwehr etwas länger braucht.
In „Vielen Dank für deine Angst“ rechnest du ab mit diesen Wut-, nein besser „Angstbürgern“. Was für konkrete Erfahrungen stecken dahinter ... und inwiefern spiegelt sich das bei Menschen in deiner Umgebung wider?
Angstbürger:in trifft es sehr gut. Weil meiner Meinung nach zuerst die Angst da ist, die dann zu Wut wird. Angst an sich ist ein sehr spannendes Thema. Wenn du eine Spinnenphobie hast, weißt du in der Regel sehr genau, dass die dir eigentlich nichts anhaben kann. Sobald aber eine vor dir steht, kannst du nicht mehr klar denken. Genau das machen sich doch AfD und Co. zunutze. Sie verbreiten Angst und bieten vermeintlich einfache Lösungen, damit man nicht selber denken muss. Früher verbreiteten sie Angst vor Geflüchteten, Muslim:innen oder Kommunist:innen. Damit hatten sie jedoch wenig Erfolg, denn offen rassistische oder faschistische Hetze schreckt die allermeisten dann doch ab. Heute sind die Nazis schlauer und haben „die da oben“ als Feinde auserkoren. Damit können sich viele identifizieren, weil ja irgendwie jede:r schon mal Ärger mit dem „System“ hatte. Sei es der Strafzettel, Stress mit dem Arbeitsamt oder die Steuernachzahlung. Das konnte man hier ganz gut beobachten, als es um die „Bauernproteste“ ging. Zuerst hatten die Leute Angst um ihre Zukunft, das konnte ich gut nachvollziehen. Dann plötzlich haben sie sich gegenseitig eingeredet, dass Robert Habeck persönlich ihnen morgen die Höfe dichtmacht, wenn sie jetzt nicht sofort etwas unternehmen. Wenn man mal ein bisschen recherchiert, wie die auf diese Ideen gekommen sind, ist die AfD nicht weit weg.
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