Über vier Jahre ist es schon her, daß FORCED TO DECAY mit ihrem "No Way Out"-Demo das erste Mal in Erscheinung traten. Seit damals hat sich viel bei der im Großraum Solingen beheimateten Band getan. Diverse Sampler-Beiträge, die "Yggdrasil"-7" und die "Lächeln als Leistung"-LP/CD folgten. Doch vor allem live hat sich die Kapelle nicht lumpen lassen, und somit kann man mittlerweile auf gut 200 Konzerte zurückblicken. Dabei waren die Reaktionen gelegentlich auch mal geteilt. Ein Grund hierfür ist sicherlich, daß sich die Band sowohl musikalisch als auch von ihrem übrigen Auftreten her nicht so ganz auf einen Nenner bringen läßt. Mit "Perkussive Perlokution", dem aktuellen Album, lassen FORCED TO DECAY jetzt einmal mehr aufhorchen, und darum steigt das Gespräch auch genau bei diesem Thema ein...
Stimmt ihr mir zu, wenn ich behaupte, daß die neue Platte um einiges extremer ist als der Vorgänger? Vor allem das Wechselspiel zwischen akustischen, melancholisch klingenden Passagen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite heftigste Knüppelpassagen, die ab und an im Chaos ihren Höhepunkt finden, scheint für mich deutlich betonter zu sein als auf euren vorherigen Veröffentlichungen.
Thorsten: Wir haben sicherlich einige krasse Breaks auf der neuen Scheibe: im einen Augenblick ist ein Song akustisch mit unverzerrtem Gesang, und im nächsten ist es dann richtig heftig. Bei einigen Liedern bauen diese Steigerungen aber auch aufeinander auf.
Carsten: Vielleicht entsteht dieser Eindruck auch dadurch, daß wir mittlerweile einige schnelle Passagen in unserer Musik haben, was früher nicht der Fall war. Dies liegt sicherlich daran, daß wir uns als Musiker verbessert haben, denn schnelle Songs wollten wir eigentlich schon immer machen, nur waren wir früher dazu nicht in der Lage.
Das macht die ganze Sache mit Sicherheit abwechslungsreicher und man kann trotzdem von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung sprechen. Mit "Himmel und Erde" ist diesmal allerdings ein Stück dabei, das ein wenig aus dem Rahmen zu fallen scheint, denn erstmals ist der Gesang durchgängig klar, und außerdem wird dieser Song auf der Platte von Thorsten gesungen.
Thorsten: Das lag ausschließlich daran, daß Daniel an dem Tag keine Stimme im Studio hatte. Außerdem habe ich versucht, Daniel von der Stimme her zu kopieren, von daher wird sich das sonst nicht groß anders anhören. Eigentlich sollte das Stück auch keine verzerrten Gitarren haben, was sich dann aber als zu langweilig herausstellte. Mir gefällt dieses Lied übrigens außerordentlich gut.
Carsten: Ich finde es mit Abstand das schlechteste Lied auf der Platte. Nicht weil das Lied an sich schlecht ist oder weil Thorsten schlecht singt, sondern eher weil wir da vielmehr hätten rausholen können. Live finde ich es z.B. um einiges besser.
Ich denke, daß ihr mit dem Song Leute ansprechen werdet, die sonst überhaupt nix mit euch anfangen können.
Carsten: Ja, z.B. Frauen... (lacht). Das war aber nicht beabsichtigt. Wir wollten schon immer mal ein Lied machen, das akustisch bzw. ganz mit normalen Gesang ist.
Thorsten: Der Song "Himmel und Erde" paßt aber trotzdem in das Gesamtbild rein und bringt außerdem auch ein wenig Abwechslung.
Ich für meinen Teil habe ab und an ein Problem mit euren lyrischen Ergüssen. Es scheint mir fast so, als sei mein Hirn zu klein, um auch nur ansatzweise zu verstehen, was ihr eigentlich sagen wollt.
Carsten: Wie auch schon auf der "Lächeln als Leistung" LP/CD hat Tina einen Text geschrieben und dazu möchte ich jetzt auch nichts sagen, denn Texte anderer Leute möchte ich nicht interpretieren. Die Texte, die ich verfaßt habe, sind sehr persönlich und handeln von den alltäglichen Dingen und Problemen, denen wir Menschen ausgesetzt sind, aber halt aus meiner eigenen Sichtweise.
Jetzt bin ich schlauer... Es scheint mir manchmal so, als wollt ihr einen gewollt künstlerischen Aspekt in eure Texte bringen....
Carsten: Künstlerisch? So hoch würde ich das nicht ansetzen. Daß die Texte schwer verständlich sind, ist allerdings richtig. Ich finde das aber gut so, denn so müssen sich die Leute auch mehr Gedanken darum machen.
Götz: Wir wollen halt nicht so plakative Texte fabrizieren...
Thorsten: Es ist auf jeden Fall nicht so, daß wir zwanghaft versuchen künstlerische Texte zu formulieren, aber es macht uns halt Spaß ein bißchen mit den Worten zu jonglieren. Wir brauchen z.B. 1 - 2 Monate um die Musik für ein neues Lied zu machen. Und genauso ist das dann auch mit den Texten. Das sollen dann nicht so zwei, drei Schlagworte sein, sondern da machen wir uns halt länger Gedanken drum. Ähnlich ist das auch mit den Covern. Da versucht Tina ja auch einen künstlerischen Aspekt mit einzubringen, so daß das Ganze dann eine Einheit bildet und nicht irgend etwas hinter dem anderen zurücksteht.
Wie in der Vergangenheit kommt auch diesmal LP und CD auf verschiedenen Labels heraus. Die LP erscheint nach wie vor auf Per Koro, und die CD erscheint auf dem Impact-Ableger System Shock. Wie kam´s dazu?
Thorsten: In der Vergangenheit sind wir eigentlich ganz gut damit gefahren, obwohl sich das eher zufällig ergeben hat, daß die CD damals auf Autonomy Productions erschienen ist. Mittlerweile gibt´s Autonomy Productions ja nicht mehr, und für den Markus von Per Koro wäre es ein ganzer Batzen Geld, wenn er beides machen würde. Außerdem ist es für uns ja auch ganz gut, wenn die Platte nicht nur einschienig verkauft wird.
Du meinst, weil Per Koro eher nur die HC-Schiene abdecken?
Thorsten: Ja genau. Und ich stehe seid einiger Zeit mit dem Hardy von Impact in Kontakt, der unsere erste Platte schon sehr gut fand. Und so hat sich das dann ergeben. System Shock haben ja mit Bands wie Vader oder Malevolent Creation auch einen ganz guten Ruf bei den Metallern.
Götz: Die Frage war aber nicht: Wie können wir neue Märkte erschließen, sondern wo bringen wir die CD heraus? Und das ist mit System Shock doch in Ordnung.
Aus promo-technischer Sicht ist System Shock sicherlich ein Glücksgriff für die Jungs, bedenkt man einmal, daß Anzeigen in allen größeren Magazinen geschaltet werden oder die CD auch in den meisten Geschäften erhältlich sein wird. Auf der anderen Seite hört man aber auch negative Dinge über die Geschäftsphilosophie von Impact (Hallo Hardy! Der Scheck ist in der Post oder was? jh). Macht man sich da denn auch Gedanken drum?
Götz: Sicherlich macht man sich dazu Gedanken. Aber es kursieren so viele Gerüchte und ich bin da dann der Letzte, der irgend jemanden etwas unterstellen will. Wir haben den Vertrag von System Shock gründlich geprüft, und für uns sieht das alles sehr in Ordnung aus. Der Rest wird sich zeigen. Wir sind auf jeden Fall optimistisch und bisher läuft alles sehr gut!
Euer Trommler hatte doch einen dicken Autounfall und es sah eine Weile nicht danach aus, als ob er weiter bei euch spielen könne.
Carsten: Ja, das war so Ende April. Damals sagten die Ärzte, daß der Hanno für ca. 2 Jahre kein Schlagzeug spielen könne. Nach dem Sommer ging es ihm dann aber schlagartig besser und er versuchte es wieder mit dem Schlagzeug spielen.
Aber es gab doch eine Zeit, wo ihr nach einem Ersatztrommler gesucht habt.
Carsten: Ja, das hat uns Hanno sogar empfohlen. Bei den HC-Tagen hatten wir z. B. einen 16-jährigen Aushilfstrommler. Wir hatten auch noch einige andere Leute ausprobiert, aber mit denen hat das einfach nicht geklappt. Auf der anderen Seite spielen wir jetzt mit dem Hanno seid 5 Jahren zusammen. Da weiß man dann auch genau was und wie man zusammen spielen will. Von daher sind wir doch sehr froh, daß es letztendlich wieder mit ihm klappt.
Gibt es da eventuell auch noch den unbedeutenden Grund, den man allgemein als Freundschaft umschreibt?
Thorsten: Ja klar! Wir haben mittlerweile über 200 Konzerte gemeinsam gespielt und wir gehen auch so schon mal gemeinsam weg. Klar, daß da vor allem menschlich was fehlen würde.
Carsten: Natürlich geht man sich auch schon mal auf den Sack, aber wenn man es 5 Jahre miteinander aushält ist doch wohl klar, daß man sich zu schätzen weiß... Ich denke aber auch, daß es die Band ist, die uns alle miteinander verbindet. Ich glaube nicht, daß wir alle viel miteinander zu tun hätten, wenn es Forced To Decay nicht geben würde.
Wie seht ihr denn eigentlich so generell die Entwicklung der sogenannten HC-Scene?
Thorsten: Ich denke mal, daß wir so um ´88 alle mit Bands wie den RAMONES, SUICIDAL TENDENCIES oder auch Gang Green usw. angefangen haben HC bzw Punk zu hören. Bei mir hat es dann auch nicht lange gedauert, bis ich begonnen habe selber Musik zu spielen. So blöde sich das jetzt auch anhören mag, aber gerade durch diese Bands hat sich dann bei mir eine gewisse Haltung oder besser gesagt Lebenseinstellung entwickelt.
Aber gerade da sehe ich einen großen Unterschied zu der HC-Scene von heute, etwa wenn man mal das damalige "Unity"-Gelaber mit den Tausenden von verschiedenen Einstellungen vergleicht, die einen heutzutage in der HC-Scene zudröhnen.
Carsten: Ja, damals war eigentlich alles auf einer Schiene, sowohl musikalisch als auch von der Einstellung her. Mittlerweile ist das alles viel weiter gefächert. Diese ganzen verschiedenen Strömungen in der eigentlichen HC/Punk-Szene sind ja kaum noch zu überschauen. Deshalb finde ich persönlich diese Szenescheißerei absolut zum Kotzen. Ich meine es ist o.k., wenn man HC oder meinetwegen auch Punk als Rahmenbegriff nennt, aber sich dann auch nochmal als Edger, Vegan Edger, Anarcho-Punk, HC-Metaller usw. zu bezeichnen ist doch voll für den Arsch. Dadurch wird doch dieses dumme Schubladen-Denken erst richtig gefördert.
Götz: Vor allem finde ich diese ganze Splitterei völlig lächerlich. Daß nicht alle Leute der gleichen Meinung sind ist doch völlig normal, warum aber versucht man immer wieder sich irgendwelche Etiketten aufzudrücken, nur um einer bestimmten Szene anzugehören, bzw. um andere davon auszuschließen. Klar, ich möchte auch keine Faschos auf unseren Konzerten haben, aber es kann auch nicht angehen, daß nur Veganer Zutritt haben...
Carsten: Bei den letzten HC-Tagen habe ich mich mit einem unterhalten, der sagte, daß die Death Metal-Band DEW-SCENTED scheiße war. Daraufhin fragte ich: "Warum?" Er antwortete: "Weil die unpolitisch sind und das kein HC ist." Ich fragte ihn dann, ob er MÖRSER kennt. Und er sagte mir, daß er die total geil finden würde. Ich fragte dann wieder, ob er glauben würde, daß die politisch seien. Darauf antwortete er: "Weiß ich nicht, aber die sind doch auf Per Koro!" Was für ein Idiot!!!
Thorsten: Das ist genau so ein Dreck wie Leute, die behaupten, daß alle Metaller unpolitisch sind. Schau dir doch nur Napalm Death oder BOLT THROWER an. Die spielen ja nunmal lupenreinen Death Metal, stehen politisch aber dermaßen links, daß sich da noch manch einer ´ne Scheibe von abschneiden kann.
Lohm
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