Wie ist es wohl, als vegane Band unterwegs zu sein? Jeden Abend nur Reis mit Scheiß? Wie reagiert das Publikum auf Ansagen zum Thema Tierrechte? Schafft man es als Band auch heute noch, Menschen zum Nachdenken anzuregen? Was hat vegane Ernährung mit Hardcore zu tun? Hier die Antworten von MAROON-Bassist Tom.
Ihr seid in der Band alle vegan. Wie seid ihr zu dieser Philosophie gekommen? Was ist euch daran wichtig?
Wir waren alle schon einige Jahre Vegetarier und haben uns dadurch schon länger mit dem Thema Tierrechte befasst. Wir haben als Kids halt alle nur Metal gehört und da waren Bands, die sich mit solchen Themen auseinander gesetzt haben, eher die Ausnahme. Aber auch diese Bands gab es, zum Beispiel CARCASS oder NAPALM DEATH, die in Interviews immer mal wieder auch politische Themen und auch den Vegetarismus angesprochen haben. Dann haben wir so 1993 unsere erste Punkband gegründet und durch diese ganze politische Punkszene in Deutschland sind wir schließlich auch zum Vegetarismus gekommen. Dann so 1998, als wir MAROON gründeten, hatten Bands wie EARTH CRISIS, REFUSED oder LOXIRAN einen großen Einfluss auf uns, und so sind wir schließlich zum Veganismus gekommen. Wir haben realisiert, dass Veganismus die einzige Konsequenz ist, um soviel Tierleid wie möglich zu verhindern. Uns war es wichtig, diesen Schritt zu gehen, nach drei Jahren Vegetarismus. Denn als Vegetarier nimmt man noch einen gewissen Grad von Tierleid in Kauf.
Wie kommt das bei eurem Publikum an? Ihr geht ja relativ offensiv damit um.
Früher war das mehr, jetzt ist Veganismus kein so großes Thema mehr auf unseren Shows, weil wir einfach keine Lust mehr haben, als Zeigefinger-Band dazustehen, die den Leuten erzählt, was richtig und was falsch ist. Aber in Interviews reden wir immer noch gerne über das Thema, weil es uns einfach sehr am Herzen liegt! Früher bewegte man sich in einer Szene, in der eh neunzig Prozent der Besucher über die meisten Dinge genauso dachten wie wir, aber als das Publikum immer größer und vielfältiger wurde, änderten sich auch die Reaktionen. Aber wir haben live noch nie etwas Negatives erlebt. Im Gegenteil, es gibt Leute, die uns nach unserem Konzert schreiben, um sich zu bedanken, dass wir sie angeregt haben, über das Thema Tierrecht nachzudenken.
Wie reagiert eure Umwelt darauf, also Freunde, Familie, Kollegen ...?
Kollegen haben wir ja nicht und Freunde erst recht nicht, haha! Aber im Ernst, dadurch dass wir mehr als 150 Shows im Jahr spielen, sind die meisten Leute, mit denen man zu tun hat, Leute aus dem engeren Umfeld der Band, und die sind fast alle vegan. Früher gab es da schon mal Stress. Mein Vater konnte das anfangs gar nicht verstehen, und meine Mutter hatte ständig Angst, wir würden verhungern. Auch Schulkameraden oder frühere Arbeitskollegen konnten damit gar nichts anfangen. Wir kommen alle aus einem kleinen Dorf und waren die einzigen Veganer. Schon als Metaller und Punks waren wir Exoten im Dorf, aber als wir dann auch noch aufhörten, Fleisch zu essen, waren sich alle sicher, wir sind nun Anhänger einer Sekte, haha. Aber nach fast zehn Jahren haben sich alle damit abgefunden. Viele unserer Freunde sind selbst vegan und alle anderen reagieren ziemlich gelassen, weil sie gemerkt haben, dass vegane Ernährung etwas völlig Normales ist.
Wie wichtig ist es für euch, diesen Gedanken nach außen zu tragen?
Schon wichtig, weil wir denken, dass Veganismus eine sehr positive Sache ist, für die es sich lohnt, viel Zeit zu investieren. Wir benutzen die Plattform, die wir uns mit unserer Musik geschaffen haben, um etwas Positives zu vermitteln. Wir wollen den Leuten nichts vorschreiben oder ihnen mit unseren Ideen auf den Sack gehen, aber gerade Interviews wie dieses jetzt machen wir sehr gerne.
Seht ihr euch als eine Art Vorbild?
Oh nein, dafür sind wir viel zu verantwortungslos und bauen zu viel Scheiße! Vorbild möchte ich für niemanden sein und für mich hat dieser Begriff immer einen faden Beigeschmack. Jeder sollte sein Leben in die eigene Hand nehmen und versuchen, das Beste draus zu machen, egal was andere Leute sagen oder machen. Natürlich freue ich mich, wenn Leute durch meine Texte oder Interviews über ihr Leben nachdenken und vielleicht realisieren, welchem Leid Millionen von Tieren täglich ausgesetzt sind. Jeder Mensch hat ein Herz und es Bedarf keiner Vorbilder, dieses Herz zu erreichen. Mitleid und Verstand wohnen jedem Menschen inne und wenn wir es durch die Musik schaffen, diese Dinge anzuregen, ist das natürlich toll. Aber am Ende ist jeder selbst für das verantwortlich, was er tut.
Wie schwierig ist es, als Veganer auf Tour zu sein und sich da gesund zu ernähren?
Ach, das wurde über die Jahre immer besser. Anfangs haben wir überall für Spritgeld und eine warme Mahlzeit gespielt. Da gab es oft tagelang Nudeln mit Tomatensoße oder Reis mit Scheiß! Das war schon hart. Aber jetzt haben wir Verträge und können sicherstellen, dass wir manche Dinge auf Tour auf jeden Fall haben, Sachen wie Obst, frisches Gemüse, Sojamilch, Sojajoghurt oder Fruchtsäfte und natürlich eine wertvolle warme vegane Mahlzeit. Das klappt eigentlich in 99 Prozent aller Fälle perfekt und die Veranstalter geben sich wirklich große Mühe. Manchmal leben wir auf Tour gesünder als zu Hause, haha.
Jedes Jahr sterben laut PETA allein in Deutschland 500 Millionen Tiere für die Fleischproduktion. Der ganz normale Wahnsinn?
Ich befürchte ja. Es ist unvorstellbar, wenn man diese Zahlen sieht, und es ist noch unbegreiflicher, mit wie viel Gleichgültigkeit die Menschen solche Zahlen in Kauf nehmen! Ich meine, selbst wir sprechen von "Produktion", weil man es auch kaum noch anders ausdrücken kann. Tiere werden "hergestellt" und "verarbeitet" wie irgendein Rohstoff! Es ist einfach unglaublich, zu was Menschen fähig sind. Solche Zahlen lassen mich immer wieder am Verstand der menschlichen Rasse zweifeln. Wie können wir jedes Jahr eine solche Zahl, die ausschließlich mit Leid, Tod und Verzweiflung verbunden ist, in Kauf nehmen? Leider verliere ich immer mehr die Hoffnung, dass wir irgendwann mal aus diesem Alptraum erwachen werden.
Fleisch spielt im Leben vieler eine wichtige Rolle. Zum Beispiel ist "Mann und Fleisch" ja auch so ein Mythos. Eine Theorie ist, dass das etwas mit Macht über ein anderes Leben, dem Entscheiden über Leben und Tod zu tun hat. Wie ist eure Meinung dazu?
Ich glaube, diese ganzen pseudo-soziologischen und halb- philosophischen Erklärungsversuche dienen nur zur Rechtfertigung des eigenen Verhaltens. Ich meine, selbst die durchschnittliche Hausfrau empfindet Mitleid, wenn sie eine Legebatterie sieht. Viele halten Tiertransporte für hochgradig verwerflich. Dennoch wollen sie nicht auf ihr tägliches Steak verzichten und dieses müssen sie einfach irgendwie rechtfertigen. Ich denke schon, dass sich der, meiner Meinung nach geisteskranke, Metzger beim Zerhacken einer Leiche seiner angestauten Aggressionen entledigt. Ich glaube auch, dass manche dieser Leute ein Gefühl grenzenloser Macht bei ihrer Tätigkeit entwickeln, obwohl ich diesen Menschen den nötigen Verstand für solche Gedankengänge absprechen würde. Aber der Endverbraucher, der meist nichts über den Entstehungsprozess seines Steaks weiß oder wissen möchte, hat doch mit solchen Mythen nichts zu tun. Diese Klischees sind bloß ein weiterer Teil in ihrem Weltbild, genau solche Sachen wie Sexismus oder Chauvinismus. Manche Männer denken halt, sie müssen einem gewissen Bild entsprechen und dazu gehört nun mal auch der Verzehr von Fleisch. Aber wenn es darum ginge, dass dies die Erklärung eines natürlichen Verhaltens von Männern sein soll, müssten wir ja alle durch die Wälder streifen und Wildschweinen das Genick brechen und sie dann an Ort und Stelle runterschlingen. Jeder Mensch ist fähig, sein Verhalten selbst zu bestimmen.
Wo ist für euch der Zusammenhang zwischen Punk/Hardcore und Veganismus?
Ich glaube, der war früher sehr viel stärker als heute. Aber wir alle sind letztendlich durch Punk, Hardcore, aber auch durch einige Metal-Bands auf dieses Thema aufmerksam geworden. Als wir anfingen, Musik zu hören, waren Politik und soziale Missstände bei vielen Bands noch ein großes Thema, aber Ende der Neunziger änderte sich das meiner Meinung nach. Ich meine, wir haben Mitte der Neunziger bei uns eine Antifa gegründet aus der wir zwei Jahre später ausgetreten sind, weil wir dieses ganze Gelaber nicht mehr ertragen konnten! Wir wurden in der Antifa-Szene als Nazis gebrandmarkt, weil wir vegan und Straight Edge waren. Die Leute, die sich Ende der Neunziger in den Antifas aufgehalten haben, haben mich mit ihrer selbstgefälligen Art einfach nur angekotzt. Also haben wir unser eigenes Ding durchgezogen. Und wenn uns Leute Nazis nennen, weil wir uns vegan ernähren und auf Alkohol und Drogen verzichten - für mich alles eher positive Dinge - ist das ihr Problem. Denen kann ich nicht helfen. Man muss sich das mal überlegen: Die meisten Anfeindungen kamen damals aus der Antifa-Szene! Das macht mich richtig wütend und traurig, dass Leute, die mich vor zehn Jahren zum Veganismus gebracht haben, jetzt gegen diese Überzeugungen kämpfen. Auf einer der letzten Antifa-Demos, auf der wir waren, so irgendwann 2001 oder so, sind danach fast alle geschlossen zu McDonalds essen gegangen. Wir konnten das einfach nicht fassen. Ich denke halt, der politische Bezug in der Musik ist allgemein immer mehr zurückgegangen.
Wie und wo seht ihr eure Verantwortung, wenn ihr einkaufen geht?
Wir versuchen, wo es nur geht auf Tierleid zu verzichten, und das fängt beim täglichen Einkauf an. Wir kaufen einfach keine Produkte, für die Tiere sterben oder leiden mussten. Es ist wichtig, bewusst einzukaufen und sich bewusst zu ernähren. Für mich eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich als Veganer gemacht habe ist, dass ich alles viel bewusster mache. Ich weiß, was ich esse, und das ist nicht nur gut für die Tiere, sondern auch für mich selbst. Durch meine Frau bin ich noch aufmerksamer geworden, was biologische Produkte angeht. Wir kaufen fast ausschließlich Bio-Produkte. Manche denken jetzt vielleicht, wir sind alles Öko-Hippies, aber ich denke einfach, wir müssen aufpassen, was wir machen, sonst geht es mit dieser Welt noch schneller bergab und da drauf hab ich keinen Bock!
Was fällt euch zu den Themen Lebensmittelkonzerne, Verantwortung und Macht ein?
Eigentlich nicht viel, außer, dass wir als Veganer dieses Machtverhältnis jeden Tag zu spüren bekommen, wenn wir wieder mal für unsere Sojamilch fast zwei Euro bezahlen und daneben steht die Kuhmilch für fünfzig Cent! Aber solange nur eine Minderheit diese Produkte konsumiert, wird sich das nicht ändern. Aber viele meiner Freunde, die Fleisch essen, trinken mittlerweile Sojamilch und essen Sojaprodukte und das hat sich schon bemerkbar gemacht. Es gibt nun Alpro-Produkte in jedem Supermarkt und sogar schon billige Alternativen. Vor zehn Jahren mussten wir noch zwanzig Kilometer ins nächste Reformhaus fahren, um einen Liter Sojamilch für acht Mark zu kriegen. Und die hat, ehrlich gesagt, scheiße geschmeckt.
Vegane Ernährung: Theorie und Praxis?
In der Theorie genauso einfach wie in der Praxis! Leuten, die mir heute noch erzählen wollen, dass sie nicht vegan werden könnten, weil es in der Praxis so schwierig umzusetzen wäre, kann ich einfach nicht mehr glauben. Es gibt mittlerweile in jedem Dorfsupermarkt vegane Produkte und wenn man selbst oder Mama nur einigermaßen kochen kann, bekommt man viele wunderbare vegane Sachen gezaubert!
Wie habt ihr das ernährungstechnisch hingekriegt? Bücher gewälzt? Eine Ernährungsberaterin besucht? Einfach drauf los? Vegane Ernährung besteht ja nicht nur daraus, Fleisch und Milchprodukte wegzulassen.
Wir haben damals leider einfach erstmal angefangen und nur die Sachen weggelassen, was sicherlich nicht gerade klug ist! Dann haben wir halt tagelang nur Gemüse gegessen, und wenn jemand verreist ist, hat er immer mal Sojamilch und Tofu mitgebracht. Dann haben wir Flyer aus irgendwelchen Reformhäusern gelesen und haben uns Bücher besorgt. Für mich war eine der besten Anschaffungen zu dieser Zeit das erste Ox- Kochbuch, aus dem wir dann zusammen ständig irgendwelche neuen Rezepte nachgekocht haben! Mit der Zeit lernt man einfach, auf was man achten muss, und fängt an sich bewusst zu ernähren.
Welchen Rat könnt ihr jemandem geben, der sich vegetarisch oder vegan ernähren möchte, aber nicht so recht weiß, wie er oder sie es angehen soll?
Ich würde erstmal mit bewusstem Kopf stundenlang durch den nächsten Supermarkt streifen und alles an veganen Produkten kaufen, was da ist. Da wird man erstmal richtig realisieren, wie viel Zeug man da kriegt. Dann würde ich mir die Veganissimo-Büchlein und "Vegan" von Kath Clements und "Vegane Ernährung" von Dr. Gill Langley besorgen. Alle leicht und billig im Internet oder im nächsten Buchladen zu bestellen. Und natürlich, unverzichtbar für mich seit nun fast zehn Jahren, die Ox-Kochbücher, die voll sind mit tollen veganen Rezepten, von einfachen Sachen, die schnell gehen, bis zu aufwändigen Gerichten für den Besuch der Schwiegereltern haha! Das Wichtigste ist aber ein, zwei Freunde zu finden, die mitziehen und mit denen zusammen richtig viel Essen zu kochen! Als wir anfingen, haben wir ständig zusammen soviel gekocht und gegessen, bis wir fast kotzen mussten, selbst Nicht-Veganer haben sich immer auf diese Tage gefreut. Steht einfach dazu und zieht es durch! Es ist wirklich eine gute Sache. Und heute in Zeiten des Internets ist es auch sehr einfach, Gleichgesinnte auf der ganzen Welt kennen zu lernen.
Hängt in euren Augen Veganismus automatisch mit Tierschutz zusammen?
Wie soll das sonst funktionieren? Ich meine, es gibt viele Gesundheitsfreaks, die immer mal vegane Phasen haben, um ihren Körper zu entgiften. Aber ich denke, die meisten überzeugten Veganer handeln aus purem Mitleid für die Tiere und sind somit automatisch mit dem Thema Tierschutz verbunden.
Ihr engagiert euch für Tierrechte. In welcher Form kann ich mir das vorstellen?
Wir nutzen Solche Sachen wie Interviews, um immer wieder auf dieses Thema aufmerksam zu machen, oder spielen Benefizshows. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, nur dass wir niemanden zu Straftaten aufrufen möchten oder diese selbst begehen würden ... Wir unterstützen als Band PETA, in dem wir Sachen für PETA2 machen, aber keiner von uns ist Mitglied in irgendeiner offiziellen Organisation. Wir unterstützen Sachen wie die ALF oder die autonomen Tierbefreier, wo wir können, weil diese Leute ihre persönliche Freiheit für das Wohl der Tiere opfern würden! Leider sind manche direkte Aktionen der ALF nötig, um den Tieren helfen zu können ...
Verratet ihr uns euer momentanes Lieblingsrezept?
Also, der Renner, als wir anfingen, war definitiv Spaghetti Bolognese mit zerhacktem Tofu! Das haben wir ständig gekocht und auch heute noch ist das eines meiner Lieblingsrezepte. Dann irgendwann haben wir Seitan entdeckt, mit dem man fast alles machen kann. Zurzeit ist mein Lieblingsessen Cannelloni in veganer Sahne-Tomaten-Sauce! Oder auch Paranusspastete in Blätterteig! Aber es gibt so viele einfache Rezepte mit denen man so leckere Sachen machen kann. Selbst gemachte Burger oder richtig schönes Gyros mit selbst gemachtem Tsatsiki ist immer gut. Kauft euch die Ox-Kochbücher oder schaut im Internet und ihr werdet staunen, wie viele gute Sachen man vegan zubereiten kann!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #70 Februar/März 2007 und