Lange war es ruhig um Jim "JG" Thirlwell, den FOETUS-Mastermind, fünf Jahre vergingen, bis der Meister mit einem neuen Album an die Öffentlichkeit treten konnte und wollte. Thirlwell, das ist ein Überbleibsel aus den Achtzigern, aus der New Yorker Industrialszene, ein Mann, der mit unzähligen Bands gearbeitet hat, der in Personalunion Musiker, Grafiker, Produzent, Mixer und DJ sowie sein eigener Manager ist. Seit 20 Jahren ist das aus Australien stammende, mit dem Umweg London nach New York gelangte Allroundtalent nun dabei, und diese wenigen einleitenden Zeilen bieten kaum die Möglichkeit, das Gesamtwerk dieses eigenwilligen Genies zu umreissen, genauso wenig wie dieses Interview, das viel mehr den Status Quo wiederspiegelt. Weit erschöpfender hilft da die Homepage www.foetus.org weiter, die vor allem all jenigen ans Herz gelegt sei, die bislang nicht mit FOETUS und den verschiedenen musikalischen Auswucherungen vertraut sind.
Jim, ich habe gesehen, dass dein neues Album schon über ein Jahr fertig in der Schublade war, bis es jetzt endlich erscheinen konnte. Wie kam´s?
Nachdem ich die Platte fertig hatte, musste ich mich erstmal ums Geschäft kümmern und vor allem ein Label finden, bei dem ich sicher sein konnte, alle Rechte selbst behalten zu können - meine bisherigen Erfahrungen waren da nicht so gut. Es hat jedenfalls ewig gedauert.
Aber ein Jahr ist wenig im Vergleich zu den fünf oder sechs Jahren, die seit dem letzten Album vergangen sind. Warum hat es denn so lange gedauert?
Lass es mich so ausdrücken: das Leben hat nicht nur schöne Seiten, und wenn die weniger schönen sich zeigen, muss man sich erstmal darum kümmern. Als damals "Gash" erschien, waren wir auf Columbia und der Deal fiel dann auch so schnell wieder in sich zusammen, wie er zustande gekommen war. Es war ein Alptraum, und von Anfang an eine schlechte Idee dort zu unterschreiben. Die Sache hat mich ziemlich demotiviert, und so kam ein Ding zum anderen und ich musste erst unten ankommen, mein Leben unter Kontrolle bringen und mir darüber klar werden, was ich überhaupt will. Aber so ist das bei mir wohl einfach: Ideen und Projekte stauen sich an, eine ganze Weile passiert nichts und dann kommt eine ganze Menge auf einmal. So werden dieses Jahr gleich drei Alben von mir erscheinen: zwei unter dem Namen FOETUS und eines unter MANOREXIA. Das erste FOETUS-Album, das jetzt erscheint, heisst "Flow", das nächste im September wird den Titel "Blow" tragen und ein Album mit verschiedenen Gast-Remixes von "Flow"-Tracks sein. Das MANOREXIA-Album, das Ende letzten Jahres erschien, wird wohl nur über meine Website und auf Tour erhältlich sein. Das Album ist eine Reaktion auf den ganzen Business-Mist, durch den ich mich kämpfen musste. Meine Erfahrung ist einfach, dass die erzwungene Beschäftigung mit Business-Aspekten sich nicht positiv auf den künstlerischen Output auswirkt. Es frisst ohne Ende Zeit, gerade bei mir, der ich ein absoluter Controlfreak bin und derzeit kein Management habe, sondern alles selbst checke.
War es denn schwer für dich wieder Fuß zu fassen? Ich meine, fünf Jahre sind eine lange Zeit und gerade im Musikbereich werden die Halbwertszeiten immer kürzer, ist man sehr schnell vergessen - von den Die Hard-Fans mal abgesehen.
Das musikalische Klima in den Neunzigern war sicher ein anderes als das heute. Heute ändert sich alles sehr viel schneller, die ganze Welt. Was nun meinen Bekanntheitsgrad betrifft, wird sich das herausstellen, wenn die Platte raus ist und ich auf Tour gehe. Zumindest die Leute bei Labels, Bookingagenturen und so weiter kennen mich aber, weil die meist in meinem Alter sind und quasi mit meine Platten aufgewachsen sind.
Was hast du denn die letzten Jahre so gemacht? Du erwähntest ja gewisse "Schwierigkeiten", aber ich erinnere mich da beispielsweise an eine Kollaboration mit den MELVINS.
Ja, wir haben einen Song zusammen aufgenommen, und ich war auch letztes Jahr auf Tour mit einer neu zusammengestellten Band, als Vorbereitung auf ein Konzert in der Royal Festival Hall in London. Ansonsten kann ich nur nochmal sagen, dass dieses Remix-Album und die Business-Sache alles andere als ein Spaziergang waren. Aber was soll´s, es läuft ja wieder, und ich habe jetzt schon ein neues STEROID MAXIMUS-Album zur Hälfte fertig, das nächstes Jahr erscheinen wird. Danach, den Sommer über, werde ich wohl auch wieder an neuem FOETUS-Material arbeiten. Es ist halt so, dass die Tatsache, dass in letzter Zeit nur wenig von mir zu hören waren, keine Rückschlüsse auf meine wirklichen Aktivitäten zulässt. Ich hatte und habe eben immer verschiedene Eisen im Feuer, arbeite unter anderem auch als DJ.
Im Booklet des neuen Albums gelten sämtlich Credits JG Thirlwell. Du hast also tatsächlich von Komposition über Einspielung bis Mix und Artwork alles selber gemacht?
Ja, bis auf ein Violinsolo von Hahn Rowe und zwei Gitarrenparts von Christian Gibbs bzw. Oren Bloedow habe ich alles im Alleingang gemacht.
Alles D.I.Y.
Ja, back to old school, haha. Sogar noch mehr als das, denn früher saß ich nicht selbst hinter dem Mischpult. Früher lief es so, dass ich Demos gemacht habe und dann ins Studio ging, um die Sachen neu einzuspielen. Heute bin ich jedoch in der Position alles in meinem eigenen Studio machen zu können.
Wie muss man sich das "Self Immolation Studio" vorstellen?
Ich habe ein komplettes Studio, in dem ich wirklich alles machen kann, was ich machen will. Der technologische Fortschritt im Bereich der Studiotechnik war ja rasant in den letzten Jahren, und so habe ich heute alles zuhause stehen, was in den Achtzigern noch Millionen gekostet hat und was es nur in richtig guten Studios gab, sei es Hard Disk Recording oder A-DAT oder Computer-Sampler. Ich kann mit meiner Ausstattung alles umsetzen, was ich mir vorstelle, mit der Einschränkung, dass ich keine richtige Band oder ein echtes Drumset aufnehmen kann. Dazu fehlen mir einfach die entsprechend guten Mikros.
Inwiefern haben diese neuen Aufnahmetechniken und -möglichkeiten deine Musik beeinflusst bzw. die Art, wie du deine Ideen umsetzt? Ich meine, wenn du in ein Studio gehst ist da ja zumindest auch noch eine weitere Person, die das, was du machst, kommentiert. So bist du ja wirklich ganz auf dich alleine gestellt.
Hahahaha, ja, und genau so habe ich es am liebsten. Ich habe noch nie mit einer Band aufgenommen, und wenn ich mit einer Band arbeite, dann so, dass ich die Peitsche schwinge. Eine Band stelle ich dann zusammen, wenn die Platte längst aufgenommen ist, und dann folgt der Prozess, Songs für Livekonzerte neu zu arrangieren, auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen. Wenn ich einen Song aufnehme, mache ich mir nämlich keine Gedanken darüber, wie ich den irgendwann mal live umsetzen kann oder welche Instrumente mir dann zur Verfügung stehen. So erfahren meine Songs live auf der Bühne also eine ganz neue Interpretation, die was damit zu tun hat, wer mit mir spielt, was für eine Besetzung ich habe, und so weiter. Bei meinen letzten Touren war es so, dass die Band live doch sehr Richtung Hardrock ging, also zumindest soviel Hardrock wie ich zuließ, was dann manchmal schon eher eine Parodie war, so mit drei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Die Sache ist damit für mich ausgereizt, ich will davon weg, will wieder mehr hin zu den Elementen, die FOETUS klassischerweise ausmachen, etwa wie Klänge, Melodie und Rhythmus interagieren. Die ganzen kleinen Nuancen, die Spannungen zwischen verschiedenen Elementen gehen verloren, wenn man die Sachen einfach auf der Gitarre nachspielt. Von daher werde ich wohl in Zukunft verstärkt mit meinen Studioelementen arbeiten, mit meinen Samples, dabei aber schon darauf achten, dass das auch auf einer Bühne spannend ist.
Wie schwer ist es denn für dich, überhaupt Musiker zu finden, mit denen du arbeiten willst bzw. die bereit sind mit dir zu arbeiten?
Es ist schwierig, wirklich. Das liegt mit daran, dass viele der Musiker, mit denen ich arbeite, eigene Bands und Projekte haben, und so muss ich mir für jede Tour eine neue Band zusammenzustellen, wobei es natürlich mit jedem Jahr mehr Musiker werden, mit denen ich mal zusammen gespielt habe und die in einem ständigen Wechsel kommen und gehen. Das macht die Sache aber auch nicht gerade einfacher.
Mit was für einer Besetzung planst du denn in Europa auf Tour zu gehen?
Das wird sich noch zeigen, denn ich bin gerade im Gespräch mit einem neuen Gitarristen und einem neuen Keyboarder. Brian Emrich am Bass und Vinnie Signorelli sind aber immer noch mit dabei. Ihr könnt auf jeden Fall ab Ende August mit mir rechnen, die letzte Europatour war ja schon 1996, mit Ausnahme der Show in London letztes Jahr. Von den Reaktionen, die ich gerade auch über meine Website bekomme, weiss ich aber, dass es eine ganze Menge Leute da draussen gibt, die heiss darauf sind mich live zu sehen.
Apropos: FOETUS ist in dieser Hinsicht ein Phänomen, denn auch wenn man den Begriff "Kultband" vorsichtig benutzen sollte, so ist er in diesem Fall sicher angemessen.
Was soll ich sagen, es stimmt schon. Nimm etwa meine Website, die von einem Fan gestartet wurde. Ich war echt beeindruckt als ich sah, wieviel Zeit der allein in die Diskographie gesteckt hat. Da waren Sachen dabei, von denen nicht einmal ich etwas wusste. Ich merkte da erstmals, dass da draussen eine Menge Leute sind, die sich ernsthaft mit dem beschäftigen, was ich mache - was in gewisser Weise schmeichelhaft ist, aber mir auch Angst macht: Mein Gott, die kennen mein Leben beinahe besser als ich selbst.
Was dein neues Album "Flow" anbelangt, so fand ich es sehr erstaunlich, wie viele swingende, jazzige Einflüsse du verwendet hast.
Weisst du, es war einfach diesmal das Mittel meiner Wahl, um das zu vermitteln, was ich vermitteln wollte als ich die Platte aufnahm. Ich neige dazu, warum auch immer, viele verschiedene Genres und Ideen in einen Song zu packen, verliere dann aber auch schnell wieder die Lust an einer Sache und widme mich einer ganz neuen Sache. So kommt es, dass ich wegen mir sechs oder sieben Songs eines Albums in einem bestimmten Stil aufgenommen habe, dann aber das Gefühl habe, zur Abrundung noch was ganz anderes machen zu müssen. Ich glaube, ganz tief in meinem Unterbewusstsein bin ich davon besessen, mich der gesamten Geschichte von auf Tonträgern gebannter Musik widmen zu müssen - innerhalb eines Albums. Aber dann gibt´s ja noch MANOREXIA und STEROID MAXIMUS, die in eine ganz andere Richtung gehen und es mir erlauben, mich wieder ganz anderen Dingen zu widmen. Aber was nun die Big Band- und Jazzelemente auf "Flow" anbelangt, so kann ich dir auch nicht sagen, wo die herkommen, denn in Sachen Jazz bin ich nicht gerade ein Fachmann. Das kam in dem Augenblich einfach so aus mir heraus, und natürlich arbeite ich da mit Samples.
Als ich Mitte der Achtziger erstmals auf FOETUS stieß, war FOETUS ziemlich einzigartig in Sachen Härte und Kompromisslosigkeit, doch heute ist die Welt voll von ach so harten und "krassen" Bands. Wie empfindest du das?
Weisst du, wenn ich etwas aufnehme, habe ich zu keinem Zeitpunkt im Kopf, ob das, was da entsteht, härter ist als diese oder jene Band oder ob es in dieses oder jenes Marktsegment passt. Nein, mein Maßstab ist nur, was ich hören und zum Ausdruck bringen will. Seit ich Musik mache bin ich durch verschiedenste Phasen bezüglich meiner Motivation gegangen. Anfangs war es die Faszination für mathematische Systeme, und ich habe mich mehr meinem Coverartwork gewidmet als meinem Gesang, und musikalische Einflüsse reichten von Stockhausen über John Cage bis zu Steve Reich und James Chance & The Contortions. Das war ziemlich offensichtlich, und es dauerte dann nicht lang, bis ich meine Stimme gefunden hatte, vom Aufnehmen in 8-Spur-Studios wegkam und ich mich mehr und mehr der Technik widmete, So kam ich der Musik, die ich im Kopf hörte, immer näher und schaffte es immer besser, sie auf Band zu bannen. Ich habe auch kein Standardverfahren bei der Umsetzung eines Songs, das ist immer wieder anders. Manchmal habe ich das Lied komplett im Kopf und zerbreche mir den dann darüber, wie ich das umsetzen kann, während ein anderer Song Stück für Stück entsteht. Da muss man dann verstehen den Prozess so zu steuern, dass der Song sich quasi nach und nach selbst schreibt. Es gibt da also eine ganze Menge verschiedener Möglichkeiten. "Flow" ist in diesem Kontext gesehen und gegenüber "Gash" eine Übergangsplatte auf dem Weg zu was immer als nächstes in der FOETUS-Weltordnung passiert, wobei da auch noch eine Rolle spielt, wo ich mich emotional, psychisch und geographisch gerade befinde. Dazu kommt, dass ich finde, dass seit ich Musik mache, die Grenze zwischen Komposition und Produktion immer weiter verschwimmen. Für mich sind nämlich die Produktionsmöglichkeiten und die Klänge, die ich damit erschaffen kann, genauso wichtig wie Werkzeuge zur Erzeugung von Melodien. Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt deine Frage beantwortet hat, aber es war ein Versuch, haha.
Es war auf jeden Fall interessant.
Ich wollte auch nur zum Ausdruck bringen, dass wenn jemand meine Sachen damals als extrem empfunden hat, es nur ein Nebenprodukt war. Wichtig ist für mich in erster Linie, dass ich ehrlich bin in dem, was ich mache.
Albumtitel, die aus vier Buchstaben bestehen - warum?
Das fing mit "Deaf" an und ging dann einfach weiter. Ich habe meinen Spass an kleinen versteckten Botschaften im gesamten FOETUS-uvre, webe weiter am FOETUS-Mythos. Jedes FOETUS-Album hat also einen Titel, der aus vier Buchstaben und nur einer Silbe besteht und der zudem verschiedene Bedeutungen hat sowie mehrere Interpretation zulässt. Meine Alben sind sowas wie ein Tagebuch, wie ein Reisetagebuch meines Lebens, und wenn man das FOETUS-Werk auf die wirklich geplanten Studioalben reduziert, ist "Flow" erst das siebte. Insgesamt werden es zehn Alben werden und das war´s dann. Kommen also noch drei Platten, die Livesachen, EPs und Compilations nicht mitgerechnet.
Wenn du dir wieder so viel Zeit lässt wie bei "Flow" hast du ja noch 20 Jahre bis dahin...
Nein, so lange wird´s nicht dauern. Ich arbeite auf 2010 hin, ich habe ja noch viel viel mehr vor. FOETUS ist mir mittlerweile eigentlich viel zu sehr auf das klassische Songformat beschränkt, denn ich habe die instrumentalen Sachen zu STEROID MAXIMUS und MANOREXIA ausgegliedert.
Wird das neue Album auf Vinyl erscheinen?
Nein, aber "Blow", das Remix-Album. Es war zwar angedacht, aber als es dann akut wurde, hatte ich keine Zeit das Artwork anzupassen.
Du bist also kein Dogmatiker in Sachen Vinyl.
Nein, obwohl ich Vinyl mag, und ich weiss auch nicht wieviele Leute heutzutage noch Vinyl kaufen.
Die grafische Komponente war bei FOETUS schon immer ein wichtiger Teil eines Albums, und ich finde, die alten Sachen unterscheiden sich schon ziemlich vom Artwork der neuen Platte.
Als Vinyl noch das Standardformat war, hatte man eine viel größere Fläche zur Verfügung und ich versuchte die auch immer zu nutzen für einen direkten Schlag ins Gesicht des Betrachters. Das Artwork von "Flow" ist dagegen stark beinflusst von Saul Bass, einem Designer, der unter anderem Plakate für Hitchcock entworfen hat. Bei der Auswahl der Farben bin ich jedoch meinen bisherigen Sache treu geblieben.
Wie arbeitest du heutzutage?
Teils am Computer, teils ganz altmodisch. Normalerweise mache ich in einem kleinen Notizbuch Skizzen und mache dann später in Photoshop weiter.
Ich danke dir für das Interview.
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