Auch wenn er nicht auf der Bühne steht und seine Anekdoten und Geschichten erzählt, ungelenke Lieder singt oder sich mit seinem Handpuppen-Alter Ego Sharkey streitet, kann der Berliner Entertainer Fil es nicht lassen, den Entertainer zu geben. Zu gern erzählt er aus seinem Leben und hört sich selbst reden, ist dabei derart unterhaltsam, dass man sich die Frage stellt, ob man überhaupt ein Interview braucht, ihn in dieses Korsett aus Frage und Antwort zwingen muss, anstatt ihn einfach frei sinnieren zu lassen. Das kennt man auch aus seiner Bühnenshow, bei der er scheinbar endlose gedankliche Haken schlägt und seine Geschichten irrwitzige Wendungen nehmen lässt, die jeden handelsüblichen Comedian vor Scham erröten lassen würden. Überhaupt: Comedy! Mit aus vielen Fernsehshows bekannter, normierter und hirnloser Witzreißerei hat Fil nun gar nichts zu tun. Nur wenige Ausnahmen stechen aus dem Einheitsbrei aus Zotenreißern und Niveausenkern heraus und wenn man sich eine seiner grandiosen Bühnenshows ansieht, dann möchte man ihn gar nicht erst mit den Medienschleimern und Celebrity-Blutegeln Marke Mittermeier, Appelt und Barth in einen Topf werfen. Dafür hat er sich in den vergangenen Jahren zu meisterhaft seine eigene Nische geschaffen oder vielmehr diese ausgebaut mit Fundstücken aus dem Berliner Alltag, Betrachtungen über das Leben und einem Restpegel Punk.
Ganz nebenbei macht er auch noch Comics - "Didi & Stulle" erscheinen alle zwei Wochen im Stadtmagazin "Zitty" und gesammelt bei Reprodukt, "Mädchenworld" wird Einigen von der "Jungle World" bekannt sein. Und auch dort reißt Fil mit einer ehrlichen, natürlichen Selbstverständlichkeit Humormauern nieder, die nicht zwischen absurden Wendungen, fast dadaistischen Verrenkungen, klassischer Stand-up-Comedy und tiefer gelegtem Stammtischwitz unterscheidet. Und wenn man ihm beim Reden zuhört, dann sagt er es nicht direkt, aber es wird schnell klar, wie viel von der Bühnenperson Fil in dem Phil Tägert steckt, der mir an einem schönen Sommertag in einem Schöneberger Bistro gegenüber sitzt. Natürlich dreht er vor Publikum ein wenig auf und man merkt ihm an, dass er unter Strom steht, aber das Unterhaltende, auch ein wenig der Drang, im Mittelpunkt stehen zu wollen und eben der Entertainer zu sein, fließt einfach in seinem Blut. Ein Geheimnis seines relativen Erfolges liegt in genau dieser Natürlichkeit - die allerdings nicht nur locker ist: Halbe Sätze, Stammeln, Stottern - was Berufskollegen verdrängen und vertuschen wollen, lässt er ungeschminkt stehen bzw. macht sie zum unverkennbaren Stilmittel, mit denen er im Vorbeigehen kleine Anspielungen drechselt, die den Saal vor Lachen beben lassen. Und auch er selbst steht ungeschminkt auf der Bühne mit Schweißflecken, die sich nach einer Weile unter seinen Achseln zeigen, die man für das Ehrlichste halten möchte, was deutschsprachige Unterhaltung zu bieten hat.
Kollegen merkt man an, dass in ihren Auftritten hedonistische Machtspielchen mitschwingen, wenn man ihre eitle Lust bemerkt, mit der sie das Publikum in der Hand zu halten meinen. Davon ist bei Fil keine Spur - im Gegenteil: Er macht gar keinen Hehl daraus, dass er seine Gitarre, mit der er seine Lieder begleitet, nur mäßig beherrscht. Oder im Falle des Klaviers fast gar nicht. Seine verwunderte Bemerkung, als er sich bei einem Lou Reed-Cover verspielt, dass die schwarzen Dinger ja auch Tasten seien und nicht Stützstreben des Pianos, glaubt man ihm in dem Sinne, dass er sicher einmal vor der Klaviatur saß und mit diesem Gedanken selbst seinen Spaß hatte. Seine Scherze wirken nicht kalkuliert und durchgeprobt, sind aber auf ihre geradlinige, im besten Berliner Slang vorgetragene Art Volltreffer und funktionieren auf diese ehrliche, manchmal eben windschiefe Art, wie sie Fil in den letzten Jahren meisterhaft kultiviert hat.
Fils letztes Interview im Ox liegt nun auch zehn Jahre zurück, seitdem ist eine Menge passiert. Schon allein, was die Zuschauerzahlen angeht. Früher trat er auch vor einer Hand voll Leuten auf und gerne macht er sich einen Spaß daraus, davon zu erzählen, wie ihm besoffene Punks Zigaretten ins Gesicht schnippten. "Ich habe eine erfolgreiche Entwicklung durchgemacht. Dieses Jahr kamen oft bis zu 250 Leute zu den Auftritten. Im Sommer lief es eher schlecht, da kamen manchmal nur 100. Aber jetzt sage ich schon 100 sind schlecht ..." Überschlägt man das einmal, so sahen ihn bei seinen Auftritten im Kreuzberger Mehringhof-Theater im Frühjahr einige Tausend Leute. Und das Ganze weitestgehend nur durch Mundpropaganda, von Eigenwerbung in der "Zitty" und gelegentlichen Werbejingles im Lokalradio abgesehen. Selbstvermarktung ist also nicht seine Sache. Trotzdem oder auch gerade deswegen kommen die Leute, um ihn zu sehen: Er arbeitet hart daran, nicht den großen Erfolg zu haben und immer die Aura eines Geheimtipps zu versprühen. "Es gab Ansätze zum Hype, aber dann bin ich anderthalb Jahre nicht aufgetreten. Aber nur, weil ich da Vater geworden bin. Ansonsten gab es Angebote, die ich ausgeschlagen habe - das ist für andere eine ganze Karriere, ein ganzer Lebenslauf. Ich sollte zu Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und zu Stefan Raab, sogar zwei Mal in den Quatsch Comedy Club. Früher sollte ich auch auf den ?Heißen Stuhl' und in irgendwelche anderen Idiotenshows. Das waren immer so unsympathische Angebote. Zu Heike Makatsch wäre ich fast gegangen, aber da habe ich zu spät reagiert. Vielleicht hätte ich dann eine Affäre mit ihr gehabt, aber dann habe ich ihre Sendung gesehen und die war so grottenschlecht, dass ich ganz froh war, da nicht hingegangen zu sein. Brainpool hatte auch einmal angefragt, ob ich nicht als Gagschreiber für sie arbeiten will."
Er gibt auch zu, dass es nicht zuletzt auch an seiner Faulheit liegt, nicht ins Fernsehen zu gehen. Der Aufwand dorthin zu gehen, sich pudern zu lassen, sich um einen gepflegten Auftritt zu kümmern, dann aber nur herumgeschubst zu werden für ein paar lausige Minuten, die alles andere als Spaß machen ... Da gehorcht er lieber dem Lustprinzip und macht, was ihm gefällt, und man nimmt ihm sofort ab, dass es stimmt, dass er zu faul ist und keine Lust hat, ein Rädchen im Getriebe Fernsehen zu sein und lieber den Moment vor überschaubarer Publikumsmenge genießt. Ein weiterer Baustein seiner Bühnenattraktivität: Lieber auf kleiner Flamme und dafür selber kochen. In diesem Sinne ist er so erfolgreich, wie es geht, was er selbst sehr zu schätzen weiß. Was für Leute zieht er an? "Das ist unmöglich zu sagen. Es kommen wirklich die unterschiedlichsten Menschen: Alt und jung, Behinderte, Leute die schon mal da waren, Neue, ich habe auch Reisegruppen schlimmster Art, radikale Fanatiker ... Das Einzige, was fehlt, sind Teenager, aber die fehlen mir nicht wirklich: Die sind nicht ironiefähig."
Zu gerne macht er sich über sie lustig, wie sie trendversessen und in ihre Handys vertieft nicht am eigentlichen Leben teilnehmen. Wobei "sich lustig machen" in Fils Universum immer relativ ist, da er niemanden ausklammert, über den man lachen darf. Allerdings werden da keine Tabus gebrochen oder selbstzweckhaft Geschmacksgrenzen überschritten. Ein weiterer Reiz seiner Bühnenpräsenz liegt in dieser Atmosphäre, die er aufbaut, in der alles das Potential hat, witzig zu sein. Man braucht nur den richtigen Betrachtungswinkel, um das Komische offen zu legen. In dieser gelösten, witzigen Stimmung, die sich während der oft über zweistündigen Auftritte einstellt, wird glücklicherweise kein kumpelhaftes "Ich bin wie ihr"-Verhältnis zwischen Künstler und Publikum hergestellt. Erzählt Fil von seinem Unverständnis gegenüber der Jugend heutzutage, könnte man das alte Generationenspiel wieder entdecken, das auch vor einem Punker-im-Herzen wie Fil nicht Halt macht. Das Ungeschminkte macht auch angreifbar und dadurch ehrlich.
Wie lange er für sein letztes Programm geprobt hat? "Nee, ich kann gar nicht proben. Nicht vor Freunden oder Verwandten ... Viele meiner Witze entstehen immer auf der Bühne. Leider. Deswegen sind die Premieren meistens nur Songs und der Rest entsteht später. Einige Witze habe ich diesmal mit meiner Ex-Freundin zumindest besprochen, was ich vorher noch nie gemacht habe, aber sehr geholfen hat. Der Ablauf - wann kommt dies und wann kommt das."
Was sich nach Bühnenimprovisation anhört, ist manchmal auch genau das: Wenn man sich mehrere Shows ansieht, merkt man schnell, dass sein zwischenzeitliches Zögern und Überlegen Zeichen wirklicher Improvisation sind. Und oft sind es die besten Abende, wenn er seine Gedanken entfesselt und ihnen freien Lauf lässt. Dann entsteht Assoziations-Free-Jazz, oft nur durch einen Halbsatz, ein Wort oder ein Zögern angedeutet, dass man nur durch enthemmtes Lachen reagieren kann. "Man merkt es nicht, aber ich versuche meine Stücke immer wieder, von einer anderen Seite anzugehen. Wenn ich Witze mache und die Leute lachen und es ist vielleicht ein besonderes Lachen dabei, selbst ein hysterisches von so einer irren Frau, dann freut mich das sehr. Das pusht mich. Ich versuche nie routiniert zu sein, dafür sind die Witze auch zu schwach. Es ist aber auch nicht mehr so wie früher, wo ich jeden Abend versucht habe, andere Witze zu erzählen. Es ist schön, wenn einem ein neuer einfällt, aber es muss nicht. Bei einer Premiere sind vielleicht 90% improvisiert. Der Anteil sinkt von Mal zu Mal und irgendwann bin ich so sicher bei meinen Nummern, dass eine neue Art von Improvisation anfängt. Das sind dann so wellenförmige Bewegungen."
So fordert er sich selbst immer neu heraus und kitzelt an seinen Fähigkeiten. Dabei passt er auf, dass er nie den Autopilot anschaltet und die eigene Show an ihm vorbei rauscht: Schon ein unpraktischer Gitarrengurt und unbequeme Schuhe sorgen dafür, dass er immer bei der Sache bleibt. So ist er kein Schauspieler, der für die gesamte Show in die Rolle des Unterhalters schlüpft, sondern - so weit es geht - authentisch. Das soll nicht heißen, dass er nicht auch schauspielern kann. Seine Darstellung Berliner Mitte-Szene-Hipster, desinteressierter Kids, seine Lieder, mit ihren Grönemeyer- und TOTEN HOSEN-Anleihen und seine absurde "Berliner Prolls in Nachmittagstalkshow"-Version zeugen von genauer Beobachtungsgabe.
Höhepunkt seiner darstellerischen Fähigkeit, wie auch seiner Auftritte überhaupt, sind die Nummern mit seiner Handpuppe Sharkey, einem zunächst unauffällig wirkenden Stoffhai. Der ist allerdings mit einer dominanten Ader ausgestattet und der dazu passenden Berliner Schnauze, die Fil mit zwei Fingern vor dem Mund mühevoll als Fake-Bauchrednerstimme intoniert. Damit drängt Sharkey ihn immer wieder in die Ecke. In den manchmal ausufernden Unterhaltungen, Diskussionen und Streits mit seinem Alter Ego brilliert Fil dann ein ums andere Mal. Da erzählt er vorschnell Sharkeys Pointe, worauf der Hai ihn erbost zur Rede stellt. Fil flüchtet sich in aberwitzige Erklärungskonstruktionen und wie Leid es ihm tut, nur um ihm kurz darauf reflexhaft wieder ins Wort zu fallen und die Nummer kaputt zu machen. Später singt Sharkey ihm ein Liebeslied, nur um ihn anschließend darauf hinzuweisen, dass das Einzige, was noch erbärmlicher wäre als seiner rechten Hand ein Liebeslied zu singen, es ist, sich von seiner rechten Hand eins vorsingen zu lassen. Dabei kann man sich dazwischen entscheiden, ob Sharkey jetzt eine Rolle sein soll, die er spielt, ob er mit dem Motiv der gespaltenen Persönlichkeit spielt, ob Fil selbst in dem Moment nicht nur eine Rolle ist oder ob doch nicht alles zusammen im gleichen Moment passiert. In den Nummern treffen sich ebenso Drama und Projektion wie auch genial dargebotener Quatsch.
Fans wird es allerdings enttäuschen, dass Fil ankündigt, Sharkey aus dem Programm nehmen zu wollen. "Ich werde ihn wahrscheinlich rausschmeißen. Da ist die Frage: Hat man Eier oder nicht? Du kannst immer der Erwartungshaltung unterliegen wie die scheiß ROLLING STONES: Nichts Neues mehr machen, nur noch dich selber revivalen. Oder man macht es wie meine Lieblingsgruppe MOTÖRHEAD: Sie machen immer neue Sachen und spielen auf ihren Konzerten manchmal die alten Sachen einfach nicht. Eine Zeit lang haben sie nicht "Ace of spades" gespielt. Gut, irgendwann haben sie es wieder ins Programm genommen, aber immerhin die Eier zu haben und es eine Zeit nicht zu spielen, finde ich gut. Und ich will auch kein Erwartungserfüller sein, das interessiert mich gar nicht. Es wird sich zeigen. Wenn ich den Mut habe, schmeiß ich ihn raus."
Vielleicht macht er in Zukunft ja ernst und bringt ganz andere Dinge auf die Bühne. "Ich würde gerne einen Tanz aufführen. Ich habe leider zwei operierte Knie, aber mir schwebt schon lange ein komödiantischer Tanz über das Leben vor. Die Jugend, das Älterwerden zu so einer schönen Balalaika-Melodie, die ich neulich gefunden habe." Auch wenn damit in näherer Zukunft eher nicht zu rechnen sein dürfte, werden seine Auftritte spannend bleiben. Weiterhin wird er bei seiner Art intuitiver Bühnenkomik bleiben, bei der nicht alles funktionieren muss, nur um genau darin eine eigene Größe zu entwickeln. Ansonsten bleiben ihm seine weiteren Standbeine: Comics natürlich. "Didi & Stulle" feiern in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum und ein Ende der Abenteuer der beiden Berliner Originale ist nicht in Sicht. Fil hat Angebote, ein Buch zu schreiben. "Ich habe sogar eine Lektorin zur Seite gestellt bekommen. Allerdings habe ich ihre Karte verloren." Wieder zeigt sich, dass das chaotische Moment seiner Auftritte keine Berechnung ist, und wenn Fil anmerkt, dass er dankbar ist, als Künstler leben zu können und glücklich ist mit dem, was er macht, weil er genau das macht, was er gut kann, dann freut er sich auch darüber, etwas aus seinen Punkertagen in den 80ern hinübergerettet zu haben. Sonst noch was? "Ein paar T-Shirts."
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #69 Dezember 2006/Januar 2007 und Christian Maiwald