Vom reinen Streetpunk ihrer Anfangstage haben sich FIGHTBALL mit ihrer neuen LP „Théâtre Fatal“ verabschiedet. Die fünf Berliner lassen sich nicht mehr so leicht in eine Schublade stecken. Dennoch: Was geblieben ist, sind eingängige Refrains und einprägsame Melodien, die der Band ihre verdiente Live-Beachtung einbringen. Im Rahmen der Record-Release-Party zu „Théâtre Fatal“, die im Berliner SO36 stattfand, traf ich mich mit 3/5 der Band – Philipp, Jens und Roger – zum Interview.
Werfen wir mal einen Blick aufs Cover. Es besticht eindeutig durch Schlichtheit!
Philipp: Die Idee stammt von unserem Grafiker Georg, einem Kumpel von uns. Der kam mit diesem Dolch als Symbol an. Der hat uns das dann total doll erklärt: So vor 500 Jahren, als die Bücher quasi erfunden wurden, wurde der Dolch in Texten als eine Art Sonderzeichen verwendet, um gewichtige Passagen zu markieren. So in dem Sinne: Aufpassen, hier steht jetzt etwas Wichtiges! Das hat Georg dann abgewandelt und daraus unseren Cover-Dolch gemacht.
Roger: Zum Titel „Théâtre Fatal“ passt der Dolch ja auch gut. In der Kombination deutet das Gefahr an, wirkt aber im Zusammenspiel auch elegant. Theater – das kann komplex sein, in der Direktheit aber auch gefährlich: „Das tödliche Theater“.
Welche Geschichte steckt hinter dem Albumtitel?
Philipp: Bei einigen Songs haben wir uns von Theaterstücken inspirieren lassen, die eben alle sehr tragisch, sehr brutal sind.
Das erklärt jetzt natürlich auch die Ästhetik eurer ersten Videoauskopplung „Voices“ ...
Philipp: Ja, das strahlt alles eine gewisse Theatralik aus. Dieses Theater-Ding war für uns dann einfach ein kleiner Leitfaden. Der Titel für das Album stand schon fest, bevor wir die meisten Song überhaupt geschrieben hatten.
Roger: Das kam einfach als ein schöner Einwurf und wir dachten dann alle: Ja, klingt geil.
Aber ein Konzeptalbum ist „Théâtre Fatal“ dann trotzdem nicht, oder?
Roger: Nee!
Philipp: Wir haben schon diesen Begriff „Theater“ immer im Hinterkopf gehabt und uns davon inspirieren lassen.
Roger: Der war immer präsent, wir haben die Songs schon ein bisschen um den Albumtitel herum aufgebaut. Bei den Texten wird das auch an manchen Stellen deutlich. Da sind einige an Georg Büchners „Woyzeck“ angelehnt. So ist es dann immer wieder zu Schnittstellen gekommen.
Wer von euch hatte Deutsch im Leistungskurs gehabt?
Jens: Philipp, oder?
Philipp: Ja.
Roger: Hätte ich gerne gehabt. Ich hatte nur einen Grundkurs. Ich habe mich geärgert, dass ich keinen Deutsch-LK hatte. Ich habe aber eine Stunde Referat über den „Woyzeck“ gehalten. Der Songtext ist nicht von mir, aber ich fand es sehr schön, als Philipp mit der Textidee ankam, da musste man auch nichts mehr groß dran machen.
Philipp: Ich habe hier und da ganz bewusst direkte Passagen aus dem „Woyzeck“ hergenommen. Wenn man sich den Text zu „Voices“ durchliest, ist das ganz offensichtlich. Aber der Song funktioniert auch ohne Kenntnis des Originalstücks. Wir haben im Video jetzt auch nicht „Woyzeck“ nachgespielt, das wäre zu blöd. Das hätte was von einer Schulaufgabe gehabt. Das soll auch jeder selbst interpretieren können.
Es gab ja bei euch mal einen Sängerwechsel. Du bist später dazugestoßen, oder Philipp?
Philipp: Ich kannte die Band vorher überhaupt nicht. Hätte ich sie vorher gehört, wäre ich auch gar nicht in den Proberaum gekommen, hehe. Aber ich war auf der Suche. Und dann hieß es da in einer Anzeige: „Punkrock-Band sucht Sänger“. Dann hatten die da ganz viel aufgelistet, wie sie angeblich klingen würden.
Jens: Nichts, was zutraf. Nichts stimmte!
Philipp: Die haben von sich behauptet, sie würden klingen wie STREET DOGS, RANCID, BOMBSHELL ROCKS ...
Jens: Alles, was man selbst gern hört hat, aber in Wahrheit gar nicht wie FIGHTBALL klingt.
BOMBSHELL ROCKS als Vergleich finde ich aber sogar ganz treffend. Auch in Hinblick auf euer aktuelles Album.
Philipp: Da bist du nicht der Erste, der das sagt.
Roger: Ich kenne die gar nicht so gut. Den BEATSTEAKS-Vergleich müssen wir uns aber noch öfter anhören. Obwohl das ein charmanter Vergleich ist, finde ich.
Philipp: Hervorragende Band!
Ihr kommt ja ursprünglich aus dem Streetpunk. Im Grunde ein blutleerer Begriff ...
Roger: Für mich ist Streetpunk was in Richtung Oi!, zumindest fast. Englischsprachig, etwas melodischer und schneller als klassischer England- oder UK-Oi!. Einfache Melodien, aber etwas schepperiger. Und klar, auch mit Singalongs.
Kriegt ihr mit „Théâtre Fatal“ denn den klassischen Streetpunk-Hörer noch?
Philipp: Nee. Ist ja auch kein klassischer Streetpunk mehr.
Jens: Zur Zeit des ersten Sängers konntest du noch sagen: Das ist klassischer Streetpunk. Da konnte man das noch deutlich so sagen.
Roger: Das soll es jetzt auch nicht mehr sein. Wir wollten langsam weg davon, auf zu neuen Ufern. Wir haben uns da auch zu limitiert gefühlt, definitiv. 2006 hatte ich das erste Mal einen Bass in der Hand. Klar, da bist du dann limitiert. Wir haben aber dann nach und nach doch mehr Zeit im Proberaum verbracht als in der Kneipe. Dann willst du mal was ausprobieren, dann kommen andere Sachen. Da willst du dich nicht mehr auf ein Ding festnageln lassen.
Machen eure Fans diese stilistischen Wandel mit?
Roger: Wir haben natürlich einige der Stiefelträger und Kurzhaarigen von früher verloren oder zumindest vor den Kopf gestoßen. Aber im Endeffekt gibt es genügend Leute, die das Ganze mitgemacht haben und meinen: Geil, wie ihr euch entwickelt habt! Es gibt viele, die es interessiert hat und die dann am Ball geblieben sind und die Entwicklung verfolgt haben.
Philipp: Und die finden das dann auch gut?
Roger: Zumindest höre ich das immer, haha!
Philipp, deine Gesangskunst zeugt ja von großer Vielseitigkeit. Du kannst deine Stimme sehr gezielt einsetzen.
Philipp: Learning by doing. Ich höre alle Musikstile querbeet. Meine Schwester ist ausgebildete Opernsängerin. Die hat mir mit der Technik auch ein bisschen geholfen. Ich habe auch mal Gesangsunterricht genommen. Das hat aber irgendwie nichts gebracht. Ich wollte richtig schreien lernen. So, dass man sich die Stimmbänder nicht kaputt macht. Aber im Grunde hat mir das mehr geschadet, als dass es mir etwas gebracht hätte. Und so mache ich einfach so weiter wie bisher.
Roger: Möglichst viel saufen und rauchen.
Ich finde diese eine Passage in „Voices“, wo du den Gesang so variierst, extrem stark. Da merkt man deutlich, wie versiert du tatsächlich am Mikro bist.
Roger: Die Elvis-Stimme!
Oder MISFITS, „Project 1950“!
Philipp: Oh, yes!
Roger: Dann freu dich mal auf das MISFITS-Cover, das es nachher von uns zu hören geben wird!
Hättet ihr einen klaren Song-Favoriten, wenn ihr das neue Album selbst bewerten müsstet?
Roger: Schwierige Frage, man hat ja einen eigenen Favoriten, aber man weiß auch, welche Songs live funktionieren. Und das sind nicht immer unbedingt die, von denen man es selber angenommen hätte. Daher käme ich auf zwei unterschiedliche Songs.
Philipp: Ist doch einfach: „So what“ in beiden Fällen.
Jens: Bei mir wäre es eher „Desert ship“.
Roger: Dann „L.o.b.s.t.e.r.“, „Voices“ natürlich auch. Aber wir haben das Ding einfach so totgespielt. Der war mit als einer der ersten Songs fertig.
Wenn ich euch eine zunehmende Professionalisierung unterstelle, liege ich da sehr daneben?
Jens: Haha! Die Fassade hält!
Philipp: Es ist mehr als nur ein Hobby. Ein zweiter Job. Ein Job, den man gerne macht.
Jens: Na ja, es ist kein Job in dem Sinne. Aber die Band hat oberste Priorität. Bei jedem von uns. Im Kopf arbeitet es: Was kann man machen? Was muss man machen? Der Alltag ist schon von der Band geprägt. Wir sehen uns auch fast täglich, weil wir alle auf einer Ecke in Friedrichshain wohnen.
Roger: Und keine Freunde haben, außer uns! Aber stimmt schon, es vergeht kein Tag, wo man sich nicht mit der Band beschäftigt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Lauri Wessel
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