Bekannt wurde Sascha Reimann alias Ferris MC mit Rap. Als Teil der Hamburger Mongo Clikke, als Sänger bei DEICHKIND – und solo. In den vergangenen Jahren wendete er sich nun immer mehr dem Punk, Hardcore und Metal zu und schloss sich dem Missglückte Welt-Label von SWISS + DIE ANDERN an. Entsprechend klingt auch sein neues Album „Alle hassen Ferris“, das er dieser Tage zeitgleich mit seiner Autobiografie „Alles außer Kontrolle“ herausbringt. Ferris, früher sprechreimendes Drogenwrack und Enfant terrible, hat in vielerlei Hinsicht eine Wandlung vollzogen. Darüber spricht er im Interview, offenbart darin aber auch ein lange schon vorhandenes Faible für Gitarrenmusik.
Ferris, wir sprechen heute per Zoom. Im Hintergrund bei dir sehe ich die wunderbare Skyline des Hamburger Hafens. Da war gestern ordentlich Sturm angesagt. Das Video einer Hafenfähre, deren Frontscheiben durch eine Welle eingedrückt wurden, ging viral. Ich hoffe, du warst zu diesem Zeitpunkt irgendwo sicher im Trockenen.
Ja. Aber das Video habe ich auch gesehen. Natürlich. Ich schaue ja jeden Morgen Nachrichten bei n-tv und trinke dabei Kaffee.
Das hört sich sehr seriös an für jemanden wie dich. Seit wann pflegst du dieses Ritual?
Ach, seit Jahren schon. Früher habe ich noch das SAT.1-Frühstücksfernsehen geschaut. Heute n-tv. Sobald unsere Kleine in der Kita ist, muss das sein. Dann nehme ich mir die Zeit.
Sieht man dich irgendwann womöglich selbst mal im Frühprogramm, im „ARD-Morgenmagazin“ zum Beispiel? Die BROILERS etwa waren schon da.
Nee, nee, das gucke ich auch gar nicht. Und die Nachrichtenrutsche bei n-tv reicht mir. Da habe ich alle Infos. Aber wenn du es schon ansprichst: Ich war mit Eko Fresh schon mal im „ZDF-Morgenmagazin“.
Oha, wie klein ist dann der Schritt von dort zum „Fernsehgarten“?
Das ist ein Format, das ich bisher noch nicht gemacht habe – warum auch immer, haha. Aber ganz ehrlich: Das sind Diskussionen, mit denen ich mich hinter den Kulissen tatsächlich so herumschlage.
Wie bitte?
Natürlich ist man solchen Dingen gegenüber eher negativ eingestellt. Aber trotzdem stellt man sich ja die Frage: Okay, ich mache jetzt die und die Musik, macht es da vielleicht Sinn, auch mal dahin zu gehen? Bringt es mir vielleicht etwas? Oder vergraule ich damit nur meine Fans? Vielleicht stehe ich dann in so einem komischen Licht da und werde mit meiner Musik nicht mehr für voll genommen.
Das könnte passieren.
Na ja, das ist ein stetiges Abwägen. Wenn ich jetzt nur das Buch herausbringen würde, dann wäre ich mit solchen Formaten vielleicht sogar ganz gut bedient. Aber ich veröffentliche ja auch ein neues Album.
„Alle hassen Ferris“. Hört sich nicht nach „Fernsehgarten“ an.
Und genau deshalb könnte dessen Mystik damit eben schon zerstört werden und ich käme dann nicht mehr so rüber, wie es eigentlich sein sollte. Für die ältere Genration mag das halb so wild sein. Aber womöglich kriegt das dann so ein zwanzigjähriger Lachs mit, der Fan von mir ist. Der hört meine harte Mucke und sieht mich dann in so einer Rätselraterunde. Nee, das muss nicht sein, haha.
Gab es schon halbwegs verrückte TV-Angebote?
Ja. Für „Die Alm“. Die haben mir 50.000 Euro geboten – und ich habe abgesagt. In der Pandemiezeit! Das muss man auch erst mal machen! Vom Geld her hätte ich es gerne getan. Aber der Imageschaden ist unbezahlbar, haha. Und kurz vor dem ersten Lockdown hatte ich über Ikke Hüftgold, den ich persönlich kenne, eine Anfrage für „Promi Big Brother“. Über 80.000 Euro! Da habe ich dann schon überlegt ... Aber es ist dasselbe: Manche Leute können das ja machen. Die bewegen sich in solchen Formaten. Aber in meinem Fall kann das ganz schnell nach hinten losgehen. Da nehme ich dann die 80.000 Euro – und verdiene hinterher nie wieder was! Es sei denn, ich tätowiere mir den Schriftzug „Reality-Star“ auf die Stirn, haha. Aber dann könnte ich eben keine Musik mehr machen. Wie auch immer: Wenn alle Stricke reißen und mich keiner mehr für voll nimmt, kann ich das ja immer noch tun. Dann bin ich vielleicht siebzig und es ist okay.
Du hast es bereits angesprochen: Du bringst dieser Tage zeitgleich eine neue Platte sowie deine Autobiografie mit dem Titel „Alles außer Kontrolle“ heraus. Das ist schon ein kleiner Ferris-Overkill, oder?
Ich habe eben die Zeit sinnvoll genutzt, die ich in der Pandemie hatte, in der ich nicht live auf die Bühne konnte. Da waren die Optionen ja rar gesät. Das Buch war dabei vor allem so ein Familien-Business-Ding. Das ist quasi für meine Frau Helena Anna Reimann. Sie hat das geschrieben. Damit sollte sie als Schriftstellerin einen Fuß in die Tür und eine Plattform bekommen, denn sie hat ein Riesentalent!
Was war denn zuerst da: Album oder Buch?
Erst war das Album „Alle hassen Ferris“ fertig. Dann haben wir versucht, ein Exposé von ihr über die Geschichte einer imaginären Protagonistin bei einem Verlag unterzubringen. Es gab daraufhin ein Angebot, in dem es hieß: „Wenn wir Ferris’ Namen draufschreiben und sie als Ghostwriterin nennen, dann bringen wir das raus.“ Aber das wäre nun überhaupt nicht ehrenvoll! Das ging gar nicht. Also haben wir beschlossen, dass wir es so machen: Sie würde einfach meine Biografie schreiben – denn sie kann schreiben! Sie kennt mich am besten. Sie kann mir sagen, inwiefern ich die Hosen runterlassen soll. Und sie kann gerade die Themen, in denen es ans Eingemachte geht, sehr gut durch Sprache visualisieren, so dass das auch die Leser und Leserinnen verstehen. Der Verlag Edel Books ist dann schnell darauf angesprungen – und jetzt ist das Buch eben da.
Wer von euch hat was zu „Alles außer Kontrolle“ beigetragen?
Sie hat es nach ihrer Vorstellung geschrieben. Ich habe dazu nur die Sprachmemos und Interviews beigesteuert und am Ende noch hier und da den Ferris-Slang ein wenig hineingebracht – und das war es.
Du sprichst von „Hosen runterlassen“. Mein Eindruck ist: Sie sind ziemlich weit runtergerutscht. Du gehst offen mit deinen Abstürzen nach Drogenkonsum um, beschreibst dich als Wrack und schilderst wahre Horrortrips.
Ja, aber trotzdem muss ich sagen: So weit habe ich die Hosen gar nicht runterlassen müssen. Denn für mich ist es ja eigentlich ganz normal, über dieses ganze Drogending zu sprechen. Die Drogengeschichten waren am Ende einfach nur Momentaufnahmen, mit denen ich zeigen wollte, was mir da jeweils widerfahren ist. Das kann man als Entertainment sehen. Das kann man aber auch als Fingerzeig sehen der Art: Ich will nicht so enden wie Ferris, haha. Nein: Für mich war es eher wichtig, wie weit ich meine Hosen in familiären Dingen runterlasse. Also was erzähle ich über das Verhältnis zu meiner Mutter, zu meinem Vater und zu meinen Stiefvätern? Und da habe ich mich doch eher zurückgehalten.
War die Beschäftigung mit diesem Buch trotzdem in irgendeiner Weise eine Art Katharsis, ein Von-der-Seele-Schreiben, für dich, damit du diese ganzen Erfahrungen endgültig ad acta legen kannst?
Sagen wir so, diese Drogensachen hängen mir nicht so nach. Mein ganzes Image ist ja quasi der Tatsache geschuldet, dass ich darüber auch schon ausgiebig gerappt habe. Aber im Kontext mit dem Buch ergibt das einfach noch mal ein anderes Bild: Es wird nämlich gezeigt, warum ich das alles gemacht habe. Ich habe die Leute jetzt tiefer in meine Seele schauen lassen. Das konnte ich mit dem zeitlichen Abstand von gut zwanzig Jahren nun tun. Wäre ich noch, wie damals, im Prozess der Verarbeitung gewesen, hätte ich das Buch, glaube ich, gar nicht schreiben können.
Dann kommen wir mal auf dein Album zu sprechen: „Alle hassen Ferris“. Das ist ein sehr plakativer Titel.
Ja. Es fing an mit der Zeile „Wir hassen Ferris, was hasst ihr?“ aus dem Titelsong. Die ist wiederum abgeleitet von der Zeile „Wir haben Ferris, was habt ihr?“, die aus meiner Zeit bei DEICHKIND stammt. Und das habe ich jetzt eben abgewandelt – und hatte den Albumtitel. Ich fand den von Anfang an, so wie du ja auch sagst, wunderschön plakativ. Nicht tiefgründig, sondern einfach plakativ und selbstironisch. Sich selbst quasi auf dem Cover mit diesem Schriftzug anzupissen – dafür muss man schon Humor besitzen, denke ich.
Bekannt wurdest du in der Vergangenheit vor allem als Rapper. In deinem Buch jedoch schreibst du an einer Stelle, dass du dich nie nur als Rapper, sondern immer schon eher als Crossover-Musiker gesehen hast. Mittlerweile arbeitest du ja auch eng zusammen mit SWISS + DIE ANDERN. Und auch „Alle hasse Ferris“ enthält Punk, Rock, Metal, Hardcore. Was haben diese Genres, was der Rap nicht hat?
Punk, Rock, Metal, Grunge – all das war schon immer in mir verhaftet. Und von meinem ersten Album an, so ab 1993, 1994, waren solche Einflüsse in meiner Musik. Ich bin mit beiden Seiten großgeworden. Ich habe mich eben nur in den Neunzigern irgendwann auf HipHop eingeschossen. Wobei ich immer gesagt habe: Der ist für mich eigentlich Punk! Nur in einem anderen Soundgewand. Aber von der Attitüde her ist er gleich. Und damit meine ich nicht den Polit-Punk oder den „Ich mache mir einen Iro“-Punk oder den „Ich belle mit dem Hund auf der Straße“-Punk, sondern den RAMONES-Punk. So fühle ich mich. Nicht wirklich politisch. Eher in Richtung Teenie-Songs. Hässlich. Und nach dem Motto: „Scheiß auf alle! Ich mache, was ich will!“ Selbstdarsteller-Punk eben, wenn man so will. Das habe ich übernommen. Dann habe ich ja auch mit SUCH A SURGE viele Songs gemacht. Deswegen wiederum war es für mich auch kein großer Schritt, als ich später mit MADSEN als Backing-Band „Wahrscheinlich nie wieder vielleicht“, also ein reines Rock-Album, aufgenommen habe. Der Inhalt dieser Platte ist ein bisschen Ü50, leider. Da war ich einfach noch zu weich, weil ich seinerzeit noch in der Findungsphase war. Aber danach, bei „Missglückte Asimetrie“ und dem Einfluss von Missglückte Welt als Label von Swiss, konnte ich mein damaliges Ich viel besser mit meinem heutigen Ich verbinden. Weißt du, Rap hat für mich etwas sehr Jugendliches. Ich bin aber nicht mehr jugendlich. Und Gitarrenmucke gibt mir immer so das Gefühl von: Das kannst du als junger Mensch machen, das kannst du aber auch sehr glaubwürdig und authentisch in meinem heutigen Alter, mit 48, machen. Punk, Grunge, Metal, was auch immer: Diese Musik ist aggressiv, geht nach vorne. Und ich kann alles in sie reinpacken: Ich kann singen, rappen, schreien. Ich kann echt sein. So wie ich jetzt bin. Rap hingegen hat heute sehr viel mit Street und Juwelierladen, mit „Meine scheiß Ex-Freundin“ und „Ich ficke deine Mutter“ zu tun. Sprich: Da kommt nicht viel bei rum – Marteria oder Casper und solche Leute mal außen vor gelassen. Aber die sind ja auch nicht unbedingt typische Rapper. Beziehungsweise: Ich sehe mich als die Raw-Edition von ihnen. Nicht die „Superheftige ausgedachte Wortspiele“-Edition. Sondern die „Ich sag’s, wie es ist“-Edition mit ein bisschen Witz und ein bisschen mehr Aggressivität. Oder um noch mal den Bogen zum Punk zu schlagen: Ich bin nicht wie DIE ÄRZTE, sondern eher die RAMONES. Meine Frau sagt das übrigens auch, haha.
Dazu passt ja auch die Backsteinmauer auf dem Cover deiner Platte. So eine ziert ja auch das Debütalbum der RAMONES – und ist längst ikonisch.
So ist es, haha! Die RAMONES sind über die Jahre auch zu einer meiner absoluten Lieblingsbands geworden! Ich durfte sie sogar mal live sehen. Auch wenn ich da, ehrlich gesagt, enttäuscht war.
Wie kann das sein?
Na ja, damals haben sie nur fünfzig Minuten gespielt. Immer drei, vier Lieder nacheinander, bei denen man dann immer erst am Ende erkannt hat, welche das waren. Zudem ging zwischendurch das Licht an und es gab eine Pause. Zehn Minuten. Dann ging es weiter. Dann noch mal eine Pause. Und dann waren die fünfzig Minuten natürlich ratzfatz um. Trotzdem, ich habe sie gesehen, nur das zählt!
Eines deiner neuen Stücke heißt „Anger management“. Als jahrelanges Enfant terrible dürftest du dich damit vielleicht sogar auskennen. Also wie sieht deine Bewältigungsstrategie für den Fall aus, dass du wütend wirst?
Ich sage es mal so: Als Vater muss ich Anger Management ja zwingend betreiben und darf meine Wut nicht so rauslassen. Ich kann sie heutzutage entsprechend auch besser kanalisieren und kontrollieren als noch vor zwanzig Jahren. Ich kann sie dafür in meine Musik einfließen lassen.
Das konntest du früher aber auch schon.
Ja. Aber was dabei wichtig ist und den Unterschied zu früher ausmacht: Ich trenne heute viel konsequenter zwischen der Privat- und der Kunstfigur Ferris. Ich kann meine Wut allein auf der Bühne rauslassen. Als Ferris MC. Nicht als Sascha Reimann daheim.
Während der Pandemie ging das leider nicht.
Das stimmt. Aber ich hatte Glück, im ersten Lockdown habe ich „Missglückte Asimetrie“ aufgenommen. Im zweiten kamen dann „Alle hassen Ferris“ und das Buch dazu. Und dazwischen habe ich im Jahr noch so drei, vier Filme gedreht. Trotzdem, schön war das natürlich für niemanden. Mal abgesehen von den Existenzkämpfen vieler Menschen: Man konnte auch nicht frei entscheiden, wann man rausgehen und wieder powern konnte. Man war quasi unschuldig im Gefängnis. Nach dem ersten halben Jahr hatte man alles auf Netflix geschaut – und dann hat man sich in einen Rappel hineingesteigert: Hilfe! Ich kann nicht raus. Es ist hier zu eng! Wobei ich das ja nicht zeigen durfte. Meine Frau und ich mussten schließlich für unsere Tochter stark sein. Und dennoch muss ich sagen: Diese Zeit war – und das kann man nun positiv festhalten – auch gut für die Familie. Wir waren für uns. Wäre ich unterwegs gewesen, hätte das der Bindung untereinander geschadet. Und was nach der Pandemie ist, das wird sich jetzt zeigen. Ich habe natürlich Bock, wieder rauszugehen. Aber ich habe auch Angst: Kommen die Leute wieder? Wie werden sie meine Platte finden? Und mein Buch? Da ist vieles unsicher.
In „Alles außer Kontrolle“ bezeichnest du dich als Musiker, dem live nur wenige das Wasser reichen können. Allen Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten zum Trotz, Selbstbewusstsein scheinst du genug zu besitzen.
Das stimmt. Aber diesbezüglich geht es mir einzig um die Power, die ich auf der Bühne freisetzen kann. Und da kann kaum einer mithalten! An dem Punkt, an dem ich überpace, würden andere zusammenbrechen. Ich dagegen bekomme die zweite Luft. Das ist mir nach all der Zeit mit Abstürzen und Drogen tatsächlich geblieben. Zudem rauche ich noch nicht einmal mehr seit ein paar Jahren. Das hilft auch, haha.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #161 April/Mai 2022 und Frank Weiffen