Fat Wreck Wiki

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Ab ins Archiv!

Der Mensch denkt, der Mensch schafft, der Mensch archiviert. Letzteres, um den Überblick über die Erstgenannten nicht zu verlieren, das Ergebnis erinnerbar und abrufbar zu machen. So weit, so sinnvoll. Aber wo ist die Grenze zwischen Relevanz und Irrelevanz in der Flut von Informationen? Radikale Lösung: nirgends. Alles ist es wert, Bestand zu haben. Und irgendeiner muss diese Archivierungsarbeit leisten. Im Zweifelsfall Nerds. So einer ist Jason. Sein Spezialgebiet unnützen Wissens ist zu meiner großen Freude der Output des kalifornischen Labels Fat Wreck. Unter FatWreckWiki sammelt er seit Jahren akribisch Infos und Details zu sämtlichen Releases des Labels – eine Leidenschaft, die nur durch eine tiefe Passion für die Ananas übertroffen wird, wie ich im Interview erfuhr.

Jason, erzähl mal ein bisschen über dich, welche musikalischen Projekte betreibst du zur Zeit, was machst du so, wenn du nicht gerade mit der Pflege von FatWreckWiki beschäftigt bist?

Ich werde GFS genannt, aber mein Name ist Jason. Ich bin vierzig Jahre alt. Ich lebe derzeit in Gainesville, Florida in den USA. Viele Jahre lang habe ich in einer Punkband namens MIDGET FAN CLUB gespielt, in der heutigen Zeit, oder zumindest in Zeiten, in denen es keine Pandemie gibt, spiele ich solo akustische Musik unter dem Namen Jason Guy Smiley. Vor kurzem habe ich auch hier in der Stadt mit einigen Freunden aus der Gegend eine Band gegründet, aber wir haben gerade erst angefangen, also noch keinen Namen oder so. Ich versuche nur, wieder lautere und rauhere Musik zu spielen.

Welche Veröffentlichung von Fat Wreck hast du als Erstes in den Händen gehalten?
Ich bin mir nicht ganz sicher, es ist über zwanzig Jahre her. Wahrscheinlich die NOFX-7“ „Timmy The Turtle“.

Bist du selber passionierter Plattensammler und Komplettist?
Früher habe ich viel gesammelt, aber irgendwann wurde es zu kompliziert und zu teuer, alle Dinge zu bekommen. Ich fokussiere mich jetzt auf Bands, die ich wirklich liebe, von denen bestelle ich aber immer noch Sachen vor. Ansonsten sammle ich unfreiwillig Dinge mit Ananas-Motiven, weil ich solchen Kram ständig geschenkt bekomme. Ich bin bekannt für meine Partys mit Tropen-Motto und so hat sich das irgendwann ergeben. Meine Sammelleidenschaft hat nachgelassen, als ich älter wurde und mir ehrlich gesagt ein einfacheres, weniger überladenes Leben wünschte.

Wie entstand die Idee, FatWreckWiki ins Leben zu rufen? Ein bestimmtes Ereignis, eine bestimmte Platte?
2003, als ich noch ein junger Mann von 23 Jahren war, trat ich einem NOFX-Forum namens no-eff-eks.com bei, das sich zu nofxwiki.net entwickelte. Irgendwann wurde der Betrieb zu viel für den ursprünglichen Initiator, und als die Seite irgendwie nicht mehr funktionierte, schlossen sich ein paar Stammgäste zusammen und starteten 2008 die neue Seite. Seitdem kümmern wir uns um alles von Fat Wreck. Ich mag die Label-Philosophie von Fat Wreck, also machte es einfach Sinn, den Umfang auf die Unterlabels und alle ihre Bands zu erweitern. Fat Wreck teilt die Gewinne paritätisch und sorgt dafür, dass die Bands eine Krankenversicherung bekommen. Das ist ein wichtiges Thema für tourende Musiker in den USA. Ein medizinischer Notfall bedeutet ansonsten lebenslange Schulden für die Betroffenen.

Wie viel Zeit nimmt FWW für dich in Anspruch?
Als wir damit anfingen, jede freie Minute. Heute ist der Aufwand gering. Alle Mitglieder sind sehr gewissenhaft und aufmerksam. Wir haben einen konstanten Kreis an Leuten, die dabei sind. Im Laufe der Jahre haben wir eine Menge Freiwillige gehabt. Am Anfang brauchten wir ein ziemlich großes Team, um so viel Arbeit zu erledigen, aber jetzt gibt es nur noch mich und ein paar Admins. Es ist stressfrei.

Katalogisierte Informationen über Bands bekommt man zum Beispiel auch bei Discogs oder den Websites der Bands. Inwiefern siehst du FWW als Ergänzung dazu? Oder ist FWW ein reines Nerd-Ding für dich?
Vor 15 Jahren waren Plattformen wie Discogs noch unzuverlässig. Zum Beispiel gab es eine NOFX-Platte in der Discogs-Diskografie, die es überhaupt nicht gab, angeblich von Mitte der Achtziger Jahre. Wahrscheinlich beruhte das auf einem Tippfehler. Über Discogs landete sie auch in ihrem offiziellen Wikipedia-Artikel. Das führte sogar zu einem Streit zwischen denen und uns, weil wir den Eintrag löschen wollten. Mit unserem eigenen Fan-Wissen und den Daten des Labels waren wir damals einfach zuverlässiger und genauer. So etwas passiert aber heute viel seltener, die großen Plattformen sind besser geworden.

Dinge und Informationen zu archivieren ist immer eine retrospektive Handlung. Wird Punkrock nicht zu einer Art Museumsgegenstand, wenn man anfängt, ihn lückenlos zu dokumentieren?
Auf lange Sicht ist alles ein Museumsstück. Bei FatWreckWiki weiß ich zumindest, dass Leute mit Herzblut sich die Mühe gemacht haben, Informationen zusammenzutragen. Punkrock ist sowohl Zeitgenosse als auch ein Relikt zugleich. Ich hoffe, dass wir für kommende Generationen von Punks weiterhin eine verlässliche Quelle sind, um etwas Neues zu entdecken.

Durch die Möglichkeiten der Archivierung und Verfügbarkeit von Informationen im Internet stehen unwichtige und sehr wichtige Informationen gleichwertig nebeneinander. Das Internet vergisst nichts. Aber warum sollte jede durchschnittliche oder schlechte Veröffentlichung immer dokumentiert und verfügbar sein?
Ich sehe das Problem auch. Aber wie kann ich wissen, dass etwas momentan Unwichtiges für jemanden nicht später relevant wird? Dasselbe gilt auch für Musik. Selbst wenn 99 von 100 Zuhörern eine Band schrecklich finden, gibt es immer noch diese eine Person da draußen, die sie vielleicht liebt und mehr über sie wissen möchte. Wenn es nicht um den Einzelnen geht, wofür steht Punkrock dann noch?

Wie informierst du dich über die unterschiedlichen Veröffentlichungen, die verschiedenen Pressungen und Stückzahlen? Bekommst du offizielle Informationen und Hilfe von Fat Wreck?
Fat Wreck – insbesondere Pat – ist eine unschätzbare Ressource für uns gewesen, sie haben uns super unterstützt. Eine zeitlang haben sie Sticker von uns in jede Fat Bestellung mit reingepackt, was unseren Bekanntheitsgrad enorm erhöht hat. Sie sind eine großartige Gruppe von Leuten.

Kannst du deine All-time-Favoriten nennen? Und welchen Release findest du richtig schlecht?
Oh Mann, es gibt so viele grandiose Platten. Aber ohne diese fünf Alben des Labels kann ich mir mein Leben nicht vorstellen: Tony Sly – „12 Song Program“, LAGWAGON – „Blaze“, THE LOVED ONES – „Keep Your Heart“, LESS THAN JAKE – „Borders And Boundaries“, NO USE FOR A NAME – „The Feel Good Record Of The Year“. Die schlechteste Band, die je bei Fat war, ist LOVE EQUALS DEATH. Daher sind alle ihre Platten bei weitem am wenigsten mein Favorit. Sicherlich nette Leute, aber absolut nicht mein Ding.