FARIN URLAUB RACING TEAM

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Das ist die ganze Wahrheit

Der Himmel ist grau, die Bäume kahl, es ist kalt – der Winter naht. Keine passende Jahreszeit eigentlich, um eine Platte wie „Die Wahrheit übers Lügen“ zu veröffentlichen, eine Platte, die nach Sonnenschein und Wärme klingt. Und doch hat Farin Urlaub das getan, Verzeihung, hat das FARIN URLAUB RACING TEAM dies getan. Denn bereits mit der Veröffentlichung des „Livealbum of death“ 2006 ist ja aus dem Studio-Soloprojekt des DIE ÄRZTE-Gitarristen durch Verschmelzung mit seiner bis dato „nur“ als Live-Unterstützung agierenden Band ein zwölfköpfiges Orchester entstanden, das aber nun erstmals zusammen im Studio musizierte. „Die Wahrheit übers Lügen“ ist also einerseits Farin Urlaubs drittes Solo-Album, aber eben auch eine Art Debütalbum, das nicht nur wegen der veränderten Personalia wieder anders klingt als seine Vorgänger. Genau genommen ist obige Reduzierung auf „Sommerplatte“ auch etwas albern und zu kurz gegriffen. Am Tage dieses Interviews Anfang September aber gab es genau so ein traumhaftes Wetter. Beinahe wie bestellt, um sich, ganz alleine und in Ruhe auf der Dachterrasse des Kölner Savoy-Hotels sitzend, über einen Kopfhörer erstmals „Die Wahrheit übers Lügen“ anzuhören, bevor es dann zum Gespräch selbst runter in eine Suite ging.

Farin, ich hab dir das Ox-Kochbuch mitgebracht, du bist ja „Beinahe-Vegetarier“.


Danke für das Buch, leider kann ich überhaupt nicht kochen. Ich ernähre mich, mache Salate und mal Nudeln, aber Kochen kann man das nicht nennen, ich habe da kein Talent und keine Geduld für. Ich esse auch immer dasselbe, wenn ich mir Nahrung zubereite.

Eben auf dem Dach wurden mir kleine Häppchen gereicht, darunter auch welche mit Fisch, die ich als „nichts essen, was mal Augen hatte“-Vegetarier nicht gegessen habe. Wie strikt bist du da?

Ich esse nur keine Land- oder Säugetiere. Das Fischessen muss ich aber irgendwann mal einstellen. Mein Gehirn sagt mir das schon länger, aber mein Magen und meine Geschmacksnerven sind noch total dafür. Mit Fleisch aufzuhören war leicht, das passierte von einem Tag auf den anderen, aber beim Fisch ... Ich habe es sogar mal probiert, auf Fisch zu verzichten, aber nach zwei Monaten kleinlaut aufgegeben. Bei Käse habe ich etwas länger durchgehalten, aber ich fand das nicht gut, ich mag Käse.

Es bringt ja auch nichts, wenn das in Selbstquälerei endet.

Und das war wirklich eine Qual: Nein, das esse ich nicht. Was bleibt denn dann? Salat mit Kartoffeln, hm ...

Ich achte seit einiger Zeit darauf, dass „mein“ Käse zumindest „Bio“ ist und ohne tierisches Lab hergestellt wurde. Wie hältst du es? Achtest du genau auf die Inhaltsstoffe?

Ich gebe richtig ausführliche Anweisungen, was ich nicht essen will. Aber Gelatine beispielsweise stört mich nicht, das sind ja nur Knochen. Und ein bisschen Hirn ist da auch mit drin, oder? Insofern finde ich das schon okay, dass die „Abfälle“ verwertet werden. Mit Leder habe ich nicht so viel am Hut, eine Lederjacke trage ich schon ganz lange nicht mehr. Bin ich überhaupt noch Punker? Nein!

Angenommen, ich hätte dir einen Kuchen gebacken, mit etwas Rum drin. Würdest du den essen?

Wenn ich da rein beiße und es schmeckt danach, dann spucke ich den wieder aus. Aber ab sechzig Grad ist eh jeder Alkohol verflogen, also stört mich das nicht. In jede italienische Tomatensoße kommt ein kleiner Schuss Wein, verkocht dann aber. Allerdings esse ich ja Orangen, die, wenn sie frisch sind, auch Alkohol enthalten. Marzipan auch. Als Gärungsprodukt ist Alkohol in vielen Sachen drin, und da dann ganz genau zu sein, finde ich Quatsch. Genauso Honig als Ausbeutung von Tieren zu sehen; da stehe ich nicht so drauf, wenn es dogmatisch wird.

Passender als heute hätte das Wetter nicht sein können, um sich „Die Wahrheit übers Lügen“ zum ersten Mal anzuhören. „Beschwingter“ ist vielleicht nicht das passende Wort, aber die Platte ist nicht so „brettig“ wie „Am Ende der Sonne“.

Bei „Am Ende der Sonne“ musste etwas aus mir raus, das war mir wichtig. Wäre ich danach weiter in diese Richtung gegangen, dann wäre das nächste Album wirklich düster geworden. Aber die ersten Stücke, die für „Die Wahrheit übers Lügen“ aus mir rausgekommen sind, waren dann nicht so düster, so dass das Thema offenbar erledigt war. Das zentrale Thema der ersten Demos, der ersten Songs, die ich aufgenommen habe, war dann so deutlich „Liebe“, dass ich mich schon wunderte und dachte, das würde ein ganzes Album mit Liebesliedern, aber das wäre mir auch zu viel geworden.

Der Entschluss, aus „FU“ das „FURT“ zu machen, stand ja schon vor den Aufnahmen. Hast du die Platte unter diesem Aspekt geschrieben oder hättest du sie auch wieder alleine machen können?

Ich hätte das Album alleine machen können, aber das hätte mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass ich das hinter mir gelassen habe. Ich habe die anderen gefragt: „Sollen wir einen Schritt weiter gehen?“ und da das mit dem Livealbum schon gut klappte, sind wir jetzt eine Band, wo jeder seinen Teil im Studio mit Leben erfüllen darf. Ein weiterer Schritt wäre, wenn sie selber mit Stücken ankommen. Das war jetzt noch nicht so, die Lieder waren fertig, aber zur Diskussion freigegeben. Das ging von „okay, gefällt mir, spiele ich“ bis zu „der Teil ist noch doof“. Den Bläsern hatte ich viel Freiraum eingerechnet, den sie gar nicht so genutzt haben. Wenn ich ihnen sagte, hier könnt ihr euch was überlegen, haben sie gefragt, wie ich das denn meinte, dann habe ich ihnen was vorgesungen und das haben sie gespielt. Den Sängerinnen dagegen hatte ich ein paar Reggae-Platten gegeben und gesagt, „So in der Art, aber wie ihr das sehen würdet“, und da kamen sie mit schönen Vorschlägen an. Wie dem Toasting bei dem Dancehall-Stück „Insel“. Bei den Texten redet mir aber einfach keiner rein. Ich will nicht sagen, dass sich das keiner traut, aber ein wenig ist es wohl doch so. Ein bisschen Chef sein ist ja auch in Ordnung.

Hast du dich auf deinen Gesang und die Gitarre beschränkt, oder dich am Ende doch noch mal hinters Schlagzeug gesetzt?

Nein. Ich habe zwar die Demos auch jetzt wieder ganz alleine gemacht, wobei es zu den beiden Vorgängern gar keine gab, da waren die Demos quasi schon der fertige Tonträger, die endgültigen Aufnahmen sind danach zusammen entstanden. Ich hatte als Beispiel für alle Songs ein Schlagzeug programmiert, was in den meisten Fällen von Rachel, der Schlagzeugerin, auch so gespielt wurde, nur eben nicht so „tot“. Für „Niemals“ hatte ich mir was ziemlich verkopftes überlegt und entgegen meinen Befürchtungen, dass sie das vielleicht nicht schaffen könnte, hat sie das sogar übertroffen und mit Leben erfüllt. Da war ich echt geplättet, denn selber hätte ich das nie spielen können, das wäre viel schlechter gewesen. Da werde ich in Zukunft also noch weiter gehen können. Insgesamt war es eine tolle Erfahrung, das mit diesen elf Leuten zusammen aufzunehmen. Aber natürlich nacheinander, nicht alle gleichzeitig. Das war so schon ein bisschen grenzwertig, als die vier Sängerinnen zur selben Zeit im Studio waren: die haben nicht aufgehört zu reden, haha ...

Das eben von dir erwähnte „Insel“ zeigt ja schon ein neues Element in deiner Musik.

Ich bin ja auch Musik-Konsument und bei gewissen Sachen habe ich etwas länger gebraucht, sie zu entdecken. Dancehall mag ich zwar schon seit ein paar Jahren, aber bisher hat es nie gepasst, das unterzubringen. Die Idee, mit FURT ein Dancehall-Stück zu machen, ist auf der vorletzten Tour aus ein paar Albereien entstanden, jetzt haben wir das umgesetzt.

„Insel“ befindet sich auf der kleinen, „Ponyhof“ genannten, Platte. Warum diese Zweiteilung des Albums?

Mich hat es auf den ersten beiden Alben total genervt, dass da solche Brüche waren. Rock und Ska mischen sich nicht so richtig gut, das ist wie Öl und Wasser. „Dermitder“ auf „Am Ende der Sonne“, dieses Posaunen-Stück, empfinde ich als Störenfried auf dem Album. Ich mag das Lied, aber es holt dich zu sehr raus aus der Gesamtstimmung und danach wird es schwer, dich da wieder rein zu bringen. Bei „Endlich Urlaub!“ ging es noch, da wollte ich mal sehen, was alles geht, bei „ ... Sonne“ hatte ich aber ein Konzept und da hat es nicht gepasst, dort noch Reggae unterzubringen. Dieses Mal gibt es eben zwei Tonträger, bei Partylaune hörst du die Kleine, fürs normale Leben gibt’s die Große. Das Album ist so viel stringenter. Es ist zwar die selbe Band, aber mit zwei Gesichtern. Die FOO FIGHTERS haben das ja auch mal so gemacht. Bei den Konzerten mischen wir aber alles wieder.

Hakst du Sachen ab, die du musikalisch „erledigt“ hast? Oder kehrst du auch wieder zurück?

Es gibt Themen, die ich gemacht habe und nicht noch mal machen muss, aber Punkrock liebe ich immer noch. Das habe ich ja eigentlich sehr „abgehakt“, der will aber nicht weg. Ich probiere gerne neue Sachen aus, möchte die alten deswegen aber nicht missen, deshalb wird das wohl immer mehr.

Jetzt, wo aus deinem Soloding eine Band geworden ist, brauchst du doch eigentlich ein neues Soloprojekt.

Ich habe sogar ein Konzept und Songs, aber keine Zeit, sie aufzunehmen. Da war das DIE ÄRZTE-Album, die DIE ÄRZTE-Touren, in der Pause zwischen denen habe ich das Album hier gemacht, dann gehe ich damit wieder auf Tour; irgendwann will ich ja auch mal das Leben genießen. Was nicht heißen soll, dass das hier nicht schön ist, aber ...

Du schläfst also doch irgendwann mal?

Ja, manchmal schlafe ich sogar und demnächst verreise ich auch wieder mal. Deswegen wird dieses Side-side-project noch ein bisschen auf sich warten lassen und das wird, falls es kommt, auch ganz klein. Denn was ich tatsächlich abgehakt habe, zumindest für eine Weile, ist diese großen Arrangements ganz alleine aufzunehmen.

Also „der Mann mit der Gitarre“.

Ja, das könnte man gut im Alter machen. Ich denke da an Johnny Cashs erstes „American Recordings“-Abum. Aber um dessen Coolness-Faktor zu erreichen, müsste ich schon vierhundert Jahre alt werden, haha. Aber, ganz ehrlich, ich will den Leuten nicht noch mehr auf die Eier gehen. Die leiden ja jetzt schon ganz schön: „Kommt der schon wieder um die Ecke ...?“. Ja, ich bin schon fleißig.

Es kommt aber immer was vernünftiges dabei raus.

Danke! Das ist das schönste Kompliment, das du mir machen kannst. Ich bin jedenfalls verdammt stolz auf „Die Wahrheit übers Lügen“.