Das oberschwäbische Ska-Punk-Septett ESCANDALOS bringt mit dem abermals gelungenen „Zuhause“ sein drittes Album an den Start. Darüber sprachen wir mit Sänger Christian und Gitarrist Martin.
Euer letztes Coverartwork beim Mini-Album „Die Augen weit geschlossen“ zeigte junge Damen in Reizwäsche, diesmal sieht man nun ein leerstehendes, verlassenes Haus. Soll das bedeuten, alle Dekadenz hat einfach ein Ende?
Martin: Dass jemand auf die Idee kommt, die Bedeutungen der Artworks beider Platten miteinander zu verknüpfen, finde ich stark. Bei uns war das aber nicht so, weshalb die grafische Aufmachung beider Platten in keinerlei Verbindung zueinander stehen. Für unser neues Album „Zuhause“ entschieden wir uns für ein heruntergekommenes, verlassenes Gebäude, weil wir damit unterstreichen wollen, dass ein Zuhause nicht unbedingt ein schönes Haus mit Garten und Garage sein muss. Der Begriff Zuhause ist wesentlich vielschichtiger als das und beinhaltet unzählige Emotionen und Gefühle, kann aber gleichzeitig auch für Bodenständigkeit oder Ausgeglichenheit stehen.
Ihr stammt aus dem Ort Obersulmetingen. Zweimal geht es auch direkt um das Leben dort, in „Auf dem Land“ und „Dorfpunks“. Aus ersterem spricht schon eine gewisse Wut darüber, abgehängt zu sein. Sehe ich das falsch?
Christian: Es stimmt, wir setzen uns in einigen Songs auch stark damit auseinander, wo wir herkommen. Bei „Auf dem Land“ sollte man als Hintergrund erwähnen, dass wir hier, teils metaphorisch, mangelhafte medizinische Strukturen im ländlichen Bereich besingen. Nun darf man sich das aber nicht so vorstellen, dass wir in einem Dorf mit acht Einwohnern leben. Wir sprechen hier von Städten und Gemeinden mit 15.000 oder 20.000 Einwohnern, in denen es schlicht unmöglich ist, beispielsweise einen neuen Hausarzt zu finden. Ich würde nicht sagen, dass wir in diesem Zusammenhang von Wut, reden sollten, provokativ auf etwas aufmerksam machen halte ich für zutreffender.
Muss man auch davon ausgehen, dass in eurer Gegend ein Rechtsruck stattfindet?
Martin: Der findet definitiv statt. Es gibt Bundesländer, bei denen das Ganze in wesentlich größeren Dimensionen passiert, aber das darf absolut nichts beschönigen, die AfD ist drittstärkste Kraft, auch in Baden-Württemberg. Um auf die vorherige Frage Bezug zu nehmen, je weiter wir aus den Ballungszentren in den ländlichen Raum wandern, desto einfacher ist es für die AfD, Wähler zu mobilisieren, das stimmt schon. Man darf aber keinesfalls übersehen, dass hier auch sehr viele Menschen leben, die nach wie vor dagegen ankämpfen.
Annette Benjamin, ehemals Sängerin von HANS-A-PLAST, ist bei „Zuhause sicher“ als Gast zu hören, hat den Song aber auch mit geschrieben. Wie lief das genau ab?
Christian: Kurios. Ich begann, diesen Song zu schreiben, und als er so weit ausgereift war, haben wir ihn mit ins Studio genommen. Mit dem Ergebnis war ich zwar grundsätzlich zufrieden, hatte aber trotzdem das Gefühl, dass irgendwie noch etwas fehlt. Nach längerem Hin und Her habe ich Annette kontaktiert und ihr die Idee samt Song vorgestellt. Sie war begeistert, hatte jedoch kleinere Bedenken bei manchen Textzeilen und zu diesem Zeitpunkt leider auch nicht wirklich Zeit, uns zu unterstützen. Einen Monat nachdem wir unsere Aufnahmen dann komplett im Kasten hatten, meldete sich Annette mit einer grandiosen Textidee bei mir, die wir definitiv nicht beiseitelegen konnten. Ich glaube, Song und Thematik haben sie einfach nicht mehr losgelassen. Wir brachten daraufhin unsere Ideen zusammen und nahmen das Ganze noch mal neu auf, mit neuem Text und dem sagenhaften Charme von Annette. Sehr viel Aufwand für einen Track, aber bei diesem wichtigen Thema auf jeden Fall gerechtfertigt.
In meinem Review schrieb ich, dass mich eure Art positiv an die BROILERS erinnert, was wohl auch an euren sehr präzisen, guten Texten liegt. Aber ist da noch mehr, das euch zu einer Band macht, die nach Corona hoffentlich große Hallen füllt?
Martin: Vielen Dank für das Kompliment. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass alle an einem Strang ziehen, gerade in dieser Phase, in der fast alles aus DIY besteht. Wir sind in dieser Konstellation eine Band, die ganz passable Musik macht und live gerne mal einen abfeuert, wir sind aber auch, und ich glaube, das ist sogar wichtiger, mitunter die besten Kumpels und pflegen einen familiären Umgang. Wir sehen uns fast täglich und verbringen sehr viel Zeit miteinander. Das führt dazu, dass ordentlich Zug dahinter ist. Für uns steht die Musik absolut im Mittelpunkt und so haben wir in den vergangenen Jahren nach und nach alle anderen Hobbys abgelegt. Ich denke, es gibt viele Bands ,die musikalisch in der Lage sind abzuliefern, aber wenn es zwischenmenschlich nicht passt, dann ist das nichts wert – und dein Publikum spürt das.
Jedenfalls seid ihr jetzt bei Ring Of Fire Records gelandet, einem sehr guten Label. Wie gestaltete sich der Aufnahme- und Abgabeprozess bei „Zuhause“?
Christian: Wie bereits bei der vorherigen Platte haben wir uns für drei Wochen bei Claudius Carstens und Fabian Finaske im Tonstudio raum36 in Kiel breitgemacht. Wir waren in der Vergangenheit sehr zufrieden und auch bei „Zuhause“ war die Zusammenarbeit absolut harmonisch – manchmal genügt da schon ein Blick und alles ist gesagt. Einen Studiowechsel für weitere Aufnahmen können wir uns aktuell nicht vorstellen. Die Zusammenarbeit mit Claas König und Ring Of Fire Records hätte nicht besser laufen sein. Bereits ab dem ersten Mail-Kontakt war uns Claas absolut sympathisch und das hat sich inzwischen unzählige Male bestätigt. Schade, dass uns Corona inzwischen so lange auf Trab hält. Ein gemeinsamer Abend mit Claas und unzähligen Kaltgetränken ist längst überfällig.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #152 Oktober/November 2020 und Markus Franz
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