Man kann kaum bestreiten, dass die englische Musikszene eine dynamische ist, in der viel Bewegung herrscht. Viele Bands, die auf dem Festland Europas gerade entdeckt werden, feiern auf der Insel längst Erfolge. Vor allem sind es auch Bands aus dem Bereich alternativer Musik, die in Großbritannien die Hallen füllen und extra für UK-Touren einfliegen, während das Festland geflissentlich ignoriert wird. Man denke nur an die Sause, die AFI in der Londoner Astoria feierten, während die Band hier in Clubs mit einer Kapazität von bis zu 400 Leuten spielte. Betrachtet man diese Entwicklung in England, könnte man versucht sein, über die Entwicklung englischer Bands hinweg zu sehen, was nicht passieren sollte. Denn während amerikanische Alternative- bzw. im weitesten Sinne Rockbands die Insel stürmen, entwickeln sich quer durch das Königreich immer mehr tolle Bands, die hier zwar noch als Geheimtipp gelten, deren hohe Qualität aber so manche amerikanische Band in den Schatten stellt. Man denke nur an die tollen TODD, deren „Purity Pledge“ letztes Jahr Rockherzen höher schlagen ließ, oder die Emo-Punk-Sympathen TRIBUTE TO NOTHING. In der lebendigen Londoner Szene trieben sich einst auch HANGNAIL rum und zwei der ehemaligen HANGNAIL-Mitglieder formierten sich zu END OF LEVEL BOSS, einer Band, deren Debüt „Prologue“ sehr gelungen ist.
Vor gut zwei Jahren spürte ich, dass bei HANGNAIL nicht mehr viel passieren würde, da die meisten Mitglieder kaum Lust hatten, die Band weiter zu betreiben“, erzählt ein redefreudiger und sehr netter Harry Armstrong, seines Zeichens Sänger von END OF LEVEL BOSS. „Ich suchte mir also ein paar Leute, um ein neues Projekt zu starten. So begann END OF LEVEL BOSS, wir spielten einige Gigs, kamen auf das europäische Festland und dank unseres Labels Exile On Mainstream Records haben wir es letzten Endes geschafft, ein Album aufzunehmen.“
Und selbiges hat es in sich. Die Briten lassen ungeschliffenen, unsauberen und gerade deswegen guten Rock auf Metal-Elemente treffen, so dass beide Sounds zu einem energischen Ganzen verschwimmen. Die Songs erinnern dabei immer wieder an den Drive von Bands wie THE HIDDEN HAND. Die Intensität und die Dunkelheit der Songs hingegen spiegelt einen Wechsel aus BLACK SABBATH, SOUNDGARDEN wider und hier und da kann man leichte Züge von VOIVOD entdecken. „Wir hatten ein sehr viel geringeres Budget als zu HANGNAIL-Zeiten und ich denke, dass ‚Prologue‘ ein besseres Album ist als alle HANGNAIL-Alben. Ich wollte mit END OF LEVEL BOSS mehr in Richtung düsterer Sounds experimentieren und ich denke, dass uns das mit ‚Prologue‘ gelungen ist. Das Album ist in meinen Augen rau, hat aber Tiefe. Wir hatten das Glück, dass wir in einem Voll-Analog-Studio aufnehmen konnten, eine Möglichkeit, die man heute nicht mehr all zu oft geboten bekommt. Ich denke, dass dies sehr viel dazu beigetragen hat, dass ‚Prologue‘ nicht einfach ein weiterer massiver Rockklotz ist, sondern Energie und Frische hat. Ich habe in der Vergangenheit auch schon in digitalen Studios gearbeitet. Alles in allem gefällt es mir aber nicht so gut, wenn man Songs dadurch entstehen lässt, dass man Musikdateien auf Computern hin und her schiebt. Aufnahmen sollten eine Atmosphäre vermitteln und ich finde, dass diese Anforderung nur von sehr wenigen digitalen Aufnahmen erfüllt wird. Und gäbe es weniger digitale Studios, gäbe es weniger Beschiss in der Musikindustrie.“
Vielleicht haben END OF LEVEL BOOS Rock bzw. Metal nicht neu erfunden, sie kombinieren beide Stile aber gut miteinander und mengen dem Ganzen noch Noise-Elemente und frickelige Parts bei. Zugegeben, ein wenig muss man sich an diese Mischung gewöhnen, hat man es aber erst einmal getan, kann man nach und nach in die Platte hereinfallen. Hier und da intervenieren die Herren Armstrong und Co. noch etwas dadurch, dass einen ein überraschend harter Part wieder aus der durch die Atmosphäre der Songs entstandenen relaxten Stimmung reißt. Unter dem Strich ist „Prologue“ aber ein sehr sympathisches, hartes Album, das viele Stimmungen einfängt und das neben intensiven Gitarrenparts vor allem von Harry Armstrongs Gesang, der an eine rauere Version von Chris Cornells Stimme erinnert, lebt. „Trotz der Tatsache, dass unser Sound tendenziell düster ist, haben wir darauf geachtet, dass in dieser dunklen Stimmung ein wenig positive Atmosphäre mitschwingt. Denn eine durch und durch dunkle und wütende Band sind wir nicht. Groove und Melodie sollten erhalten bleiben, denn wie eine typische Doom- bzw. Stoner-Rockband wollten wir auch nicht klingen.“
Eine zweite Sache, die den Briten mit „Prologue“ geglückt ist. Denn während man viele Bands hört, die sich, sei es im Bereich Punk/Hardcore oder im Rockbereich, davor scheuen, musikalische Grenzen einzureißen und dementsprechend Platten aufnehmen, die von vorne bis hinten berechenbar sind, weiß man „Prologue“ zuweilen nicht wirklich einzuordnen. Und das wirkt sich allein auf die Stärke des Albums aus, das im Lager härterer Rockanhänger, in Stoner- und Metal-Kreisen und hoffentlich auch unter den Leuten, die einfach nur auf Alternative stehen, Anklang finden könnte. Verdient hätten es die Briten jedenfalls. „Ich habe schon von vielen verschiedenen Leuten gehört, dass sie eine Beziehung zu unserer Musik aufbauen können, was mich freut. Denn uns ging es niemals darum, diesen oder jenen Stil zu spielen oder ihn in unsere Musik einzubinden. Ich liebe Bands wie KYUSS, ATOMIC BITCHWAX und Bands wie KING CRIMSON und VOIVOD und sie beeinflussen uns sicherlich. Eine bewusste Entscheidung, dies und jenes zu spielen, trafen wir aber nie.“
Mit END OF LEVEL BOSS ist der musikalische Horizont Armstrongs aber noch nicht erreicht, neben EOLB und vergangener Tätigkeit in HANGNAIL musiziert sich der Gute spielwitzig durch eine Reihe an Projekten, die sich noch weitestgehend der Kenntnis der Öffentlichkeit entziehen. „Oh ja, da gibt es einige Projekte. Momentan mache ich viel mit einer Band, oder einem Projekt – nenn es wie du willst – namens THE WINDCHESTER CLUB. Ich spiele Bass und wir machen rein instrumentale, melodische Doom-Songs, mit Längen von bis zu 20 Minuten. THE WINDCHESTER CLUB ist eine Mischung aus MOGWAI, GODSPEED und Doom, wenn du so willst. Man sollte aber nicht denken, dass TWC eine wirkliche Band werden soll, wir haben zwei Shows in fünf Jahren gespielt und auch weiterhin haben wir nicht das Bestreben, auf Tour zu gehen oder die Band sehr intensiv zu betreiben. Für mich bedeutet TWC, dass ich eine Möglichkeit habe, mich auszutoben, wenn EOLB eine Pause machen.“
Dass die Band eine baldige Pause einlegt, dürfte aber eher unwahrscheinlich sein, denn nach dem europäischen Release von „Prologue“ im Juni wird im September das US-Release der Platte folgen, was Harry Armstrong und seine Jungs und Mädels – neben dem ebenfalls einst bei HANGNAIL tätigen Jimm Ogawa sind Ex-FLOOD Drummer Gareth und Bassistin Elenajane bei EOLD an Bord – früher oder später auch hoffentlich über den großen Teich führen wird. Und das Sympathische dabei ist, dass Harry Armstrong wie ein kleiner Junge wirkt, wenn man sich mit ihm über END OF LEVEL BOSS, „Prologue“ und die anstehenden Pläne unterhält. „Weißt du was, ich hatte gedanklich schon sehr viel gespielt, bevor es die Band überhaupt gab. Nicht nur, dass ich viele der Songs geschrieben hatte, bevor die Band existierte. Die Idee, wie das Artwork aussehen sollte, mit dem Booklet aus schwerem Papier und so, hatte ich lange, bevor es die Band gab. Ich wollte unbedingt, dass ich sie umsetzen kann, sobald ich eine Band habe, deren Sound dazu passt. Darüber hinaus hatte ich Namen und Logo schon fertig und spielte immer wieder damit herum und stellte mir vor, wie eine Band damit wohl wirken würde.“
Nun wissen wir es. END OF LEVEL BOSS sind einer der Geheimtipps des Sommers und „Prologue“ ist eines der interessantesten harten Rockalben, das mir seit langem unter gekommen ist. Man darf gespannt sein, wie es weiter geht.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Lauri Wessel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Arndt Aldenhoven
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #72 Juni/Juli 2007 und Frank Schöne
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und Uwe Kubassa