EMPOWERMENT

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Each one teach one

EMPOWERMENT sind in Stuttgart verwurzelt, sowie in deren Vorgängerband SIDEKICK, die bereits vom Charisma, der Integrität und der Bühnenpräsenz von Frontmann Jogges profitierte. Nur die Texte sind inzwischen deutsch, an Sprengkraft jedoch haben die alten Stadtfalken nichts eingebüßt. Das Gespräch zum Debüt „Gegen.Kult“, erschienen bei Acuity.Music/Let It Burn, ist im Nachhinein betrachtet sehr von ideellen Themen geprägt, was aber irgendwo auch passt. Hardcore is more than music.

Lass uns doch mal bei SIDEKICK anfangen und dann über EMPOWERMENT sprechen.


Zu SIDEKICK gibt es 2012 im Grunde nicht viel zu sagen. Wir haben am 08.01.2005 unser „letztes Gebet“ ausgekotzt und das war es. War eine coole Zeit, an die ich gerne zurückdenke, mit der ich viel verbinde und die sicherlich auch einiges bewegt hat, gerade in Stuttgart. Mit den Jungs habe ich meine Jugend und mit manchen schon meine Kindheit verbracht. Zusammen sind wir in dieser Gegenkultur groß geworden, teilen also ganz schön viel und jeder geht heute seinen Weg, ohne den Blick für den anderen zu verlieren – auch wenn wir uns nicht mehr so oft sehen. Jedoch bin ich ein Mensch, der nach vorne blickt und den Moment annimmt, im Hier und Jetzt lebt. Der Moment heißt EMPOWERMENT und darüber können wir gerne reden.

Bei vereinzelten Begegnungen habe ich dich als Spaßvogel kennen gelernt. Inwieweit findet diese Seite an dir Einzug in die Songs?

Müsste ich mich selbst charakterisieren, so würde ein großer Teil in mir sicher den Spaßvogel widerspiegeln. Gerne labere ich mit den Jungs Bullshit und wir lachen viel über den geistigen Dünnschiss, den wir produzieren, und die abgedrehten und durchgeknallten Dinge, die uns so durchs Hirn schießen. Jedoch bin ich sicherlich auch ein sehr nachdenklicher und emphatischer Mensch, der sich Gedanken über das Leben macht, dem es nicht scheißegal ist, was um ihn herum passiert. Ich achte und wertschätze mein Gegenüber sehr und versuche, diese Haltung auch zu leben. „Söhne vergessener Straßen mit einem Lächeln im Gesicht“, so beschreibe ich es in einer Textpassage auf der neuen Platte. In meinen gesungenen Worten spiegelt sich also eher der „Stadtfalke“ wider als der Spaßvogel. Der klare Blick des Falken durchleuchtet diese kranke, verfickte und neurotische Gesellschaft und ich versuche das, was mich umgibt, das, was mich geprägt hat, in meinen Texten zu verarbeiten und mich authentisch auszudrücken. Mir ist es wichtig, eine klare Message zu senden und dennoch nicht platt und stumpf zu klingen, aber auch nicht abgehoben und kryptisch.

Was hat es mit dem Song „Szerelem“ auf sich?

Die Musik für einen Song steht immer schon vor den Texten und ich versuche dann, den Vibe des Songs zu catchen. Schließe meine Augen und versuche reinzuspüren. An was erinnert er mich? Was für Bilder entstehen beim Hören? Was erzeugt er für ein Gefühl, für eine Stimmung? „Szerelem“ hat was ganz Majestätisches in mir geweckt. Das Riff klingt mächtig, irgendwie stolz und königlich für mich. Meine Freunde und die, die ich im Herzen trage, sind mir heilig, erfüllen mich mit Stolz. Vorherrschende Parabel in meinem Leben – irgendwie königlich. „Szerelem“ ist also ein Liebeslied an die Meinen. Meine Großeltern kamen aus Ungarn und „Szerelem“ heißt „Liebe“ auf Ungarisch. Auf der Platte widme ich ihn deshalb auch den beiden. Sie sind beide verstorben und ich hab sie von Herzen geliebt – mein Großvater war sehr prägend für mein Leben und ich bin stolz auf das, was er geschaffen hat.

Die aktuellen an den Hardcore angelehnten Strömungen sind größtenteils ohne Message, um nicht zu sagen: ohne Inhalte, obwohl sie einer sehr politischen Subkultur entspringen. Worin siehst du die Ursachen?

Stimmt schon, dass in vielen Texten nur Blabla, Tod und Teufel zu finden ist. Viele Bands suhlen sich in vorgegebenen Etiketten, Verhaltenskodexen oder Dresscodes. Klischees erfüllen, unkritisch und unreflektiert, Hauptsache, es passt ins Genre. Ich denke, jede subkulturelle Strömung ist auch nur ein Spiegelbild der derzeitigen Gesellschaft und des vorherrschenden Zeitgeistes. „No culture without subculture“ werfe ich dennoch mit in den Topf und rühre um. So bedingen sich diese beiden Pole gegenseitig. Blicke ich in diese Welt, so nehme ich sehr stark Oberflächlichkeiten wahr. „Wie geht’s?“ ist längst nur Floskel im täglichen Dialog. Interessiert es überhaupt jemanden, wie es dem Gegenüber geht? Hauptsache Spaß, Hauptsache Entertainment, Hauptsache, ich stehe gut da und ecke nur an, wenn ich es mir auch wirklich leisten kann oder es gerade en vogue ist. Dieses „in Sicherheit leben“ und für alles abgesichert sein, das ist omnipräsent. Neurotische Angst, kein mutiger Schritt nach vorne, kein Strukturen-Auflösen – kein Mut. Vielleicht ein kleiner Erklärungsversuch zu deiner Frage: Wir sind zu angepasst. Wir sind zu übersättigt. Wir sind vollgefressen und träge. „Live your heart and never follow“, so heißt es in einem HOT WATER MUSIC-Song. Wir sind frei und können was ändern – let’s do it.

Viele Leute mit weit weniger Bedeutung für die hiesige Musiklandschaft haben bereits ein Buch geschrieben. Wann trittst du in die Fußstapfen von CRO-MAGS-John Joseph?

Jetzt ist Musikmachen für mich dran und meine „Kurzgeschichten“ und Reflexionen sind in meinen Texten oder auch in Interviews zu finden. Cooles Medium, da brauche ich gerade kein Buch dafür. Obgleich ich sagen möchte, dass es einen großen Reiz für mich hat, mal ein Buch zu schreiben – später im Leben, wenn die Zeit dafür reif ist.

Der Release-Wahnsinn ist derart intensiv, dass viele ältere Klassiker wegen der Informationsüberflutung leider untergehen. Braucht die Hardcore-Bewegung eine Besinnung auf ihre Wurzeln, und wie macht man Jugendliche mit den Klassikern bekannt, was ja paradoxerweise im Metal viel besser funktioniert?

Each one teach one. In jeder Crew gibt es ja immer ein paar jüngere Dudes und ich muss sagen, dass es bei uns in Stuttgart bis jetzt immer ganz gut funktioniert hat. Diese Haltung muss vielleicht auch von jedem gelebt werden. Ich selbst hänge ja nicht mit irgendwelchen Kids rum, fände ich irgendwie unpassend, wegen des Altersunterschieds und so. Was soll ich mit denen reden? Über die ersten Sackhaare oder den ersten Fick? Aber ganz im Ernst, wenn ich dann und wann jüngere Bands sehe und die jungen Kids auf Konzerten wahrnehme, dann haben doch alle ihre BLACK FLAG-Buttons und MINOR THREAT-Patches und BAD BRAINS-Shirts an und so. Es gibt ja immer wieder so eine Art Renaissance in der Szene. Da werden dann „alte Helden“ entdeckt und versucht, möglichst „originell“ zu covern. Vor ein paar Jahren haben alle Rotzlöffel versucht, nach LEEWAY und Neunziger-Jahre-CRO-MAGS zu klingen. Dann war eine Zeit lang UNDERDOG die Sau, die durchs Dorf gejagt wurde. Eine Retro-Achtziger-Welle gab es auch schon. Youth-Crew-Style kommt auch alle paar Jahre wieder ins Rennen. Das schärft bei aller Peinlichkeit ja auch irgendwie den Blick für die alten Bands. Hardcore war doch aber auch schon immer recht progressiv und ich behaupte, dass sich Hardcore rein musikalisch alle paar Jahre neu erfindet. Es gibt nicht „den Hardcore“. Gibt es noch Bands wie CHOKEHOLD, STRUGGLE und UNBROKEN? Fragst du einen über 40-Jährigen nach diesen Bands, springt er dir mit dem nackten Arsch ins Gesicht und fragt dich, was die Scheiße soll, während hingegen Jungs und Mädels Ende 20 und Anfang 30 sicher von „alter Schule“ und Sozialisation sprechen, wenn diese Bands ins Rennen kommen. Wo setzen wir also an, wenn wir von alten Bands sprechen?

Inwieweit hat Stuttgart 21 die ganze EMPOWERMENT-Chose angeheizt und einen Track wie „Blanker Hass“ mit dem Aufruf zum Antifaschismus, zur Solidarität und zur Demokultur vielleicht erst ermöglicht?

„Konflikt“ ist eher der Song, der sich mit der S21-Sache auseinandersetzt und Emotionen dieser Zeit spiegelt, an den Pranger stellt und sicherlich auch den Konflikt bei uns im Kessel reflektiert. Da beziehen wir klare Stellung, ohne dabei dogmatisch zu sein. Selbstverständlich bin ich noch immer Stuttgart-21-Gegner und sage: „Ich habe diese Scheiße nicht gewollt“, sage jedoch auch, es gibt bei weitem wichtigere Dinge, die die Menschheit betreffen. Der Widerstand hat und hatte auch schon immer eine Schattenseite, eine ganz konservative und dogmatische Komponente, mit der ich mich zu keinem Zeitpunkt identifizieren konnte. Mit Sicherheit hat dieser Aufstand der Bürgerlichen ein gewisses Wachrütteln und Hinschauen in der „Normalo-Tagesschau-Bevölkerung“ erzeugt, wenn auch sicherlich nur im Kleinen. Dies finde ich positiv. PMA! Es ist wichtig, auf die Straße zu gehen und für seine Sache einzustehen. Ob EMPOWERMENT da jedoch eine tragende Rolle spielen, wage ich zu bezweifeln. Wir sind ein Tropfen im unendlichen Ozean, nicht mehr, nicht weniger.

Macht es dich auch stolz, wenn du bedenkst, dass eben Leute wie die Jungs von MY HERO DIED TODAY, SIDEKICK, Per Koro, BLACK FRIDAY ’29, TERROR und TRUE BLUE Hardcore einer breiten Masse zugänglich gemacht haben und auch Dinge und Infrastrukturen geschaffen haben, die in den Neunzigern schlichtweg nicht vorhanden waren?

Inwieweit die oben genannten Namen der breiten Masse den Weg zugänglich gemacht haben, weiß ich nicht. Schaue ich meinen Bro Patrick Kitzel/ex-TRUE BLUE an, der mit REAPER eine gute Platte nach der anderen rausbringt und es authentisch am Leben hält, dann habe ich dafür Respekt. Das Gleiche gilt für Scott und die TERROR-Crew. Ich persönlich liebe TERROR und achte und schätze den Weg der Brüder sehr. Für mich stinkt da auch nichts nach Sellout und Kommerz. Marco war bei MY HERO DIED TODAY, richtig? War jetzt nie so meine Mucke, aber ich kenne Marco und die Avocado-Crew schon ewig und auch hier achte und schätze ich ihr Schaffen. In der Summe waren die Neunziger sicher wegweisend für viele Menschen, die jetzt am großen Hardcore-Kuchen partizipieren, vielleicht sogar profitieren. Ich mag Menschen, die ihre Roots nicht leugnen und nicht vergessen, woher sie kommen.