Ein Nachruf auf Grant Hart

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Oder: Warum man keine Nachrufe auf Grant Hart schreiben sollte

Interviewer: „Wie lange ist das jetzt schon her mit HÜSKER DÜ?“ Grant Hart: „Das war schon vor einem halben Leben, das mit der ,Errungenschaft zum auf den Grabstein schreiben‘.“ Interviewer: „Also sozusagen deine Garantie auf einen Nachruf in der New York Times?“ Hart: „Genau, meine Garantie auf einen Nachruf in der New York Times.“ (Interview aus dem Jahr 2008)

Und dann erschien sie also wirklich, die New York Times mit dem Nachruf auf Grant Hart (18.03.1961 – 13.09.2017), der den meisten vor allem als Schlagzeuger, (Co-)Sänger und (Co-)Songwriter von HÜSKER DÜ in Erinnerung bleiben wird. Das soll er also gewesen sein, dieser Grant Hart. Musikalisch einflussreich, „tortured“, gewiss, aber ach so talentiert. Was Hart wohl durch den Kopf gegangen wäre, hätte er Gelegenheit gehabt, das alles zu lesen? Er tat sich immer schwer mit der Öffentlichkeit und dem Bild, das sie von ihm hatte. Befragte ihn jemand zu seinem Image, wurde er oft sarkastisch: „Mich nervt das immer, wenn Leute einfach davon ausgehen, ich sei ein Arschloch, weil ich ein Rockstar bin. Dabei war ich doch schon immer ein Arschloch!“


Den empfehlenswerten Film „Every Everything: The Music, Times and Life of Grant Hart“ (Gormand Bechard, 2013) hat er sich nach eigenem Bekunden nur einmal und nur aus rechtlichen Gründen angeschaut. Nicht weil er ihn schlecht fand, sondern weil er der Meinung war, der Grant Hart aus diesem Film müsse so oder so jemand anderes sein als er selbst. Ich glaube, er war in dieser Haltung weder bescheiden noch arrogant. Er wollte den Sockel nicht, auf den ihn die Leute stellten, weil ihm die Verarbeitung nicht recht passend schien. Wahrscheinlich ging er davon aus, was es über ihn zu erfahren gibt, komme entweder in seiner Musik und seinen Bildern zum Ausdruck oder müsse (außer im Freundeskreis) eben unverständlich bleiben.

Das unterschied ihn von seinem ehemaligen HÜSKER DÜ-Kollegen Bob Mould, der immer bemüht war, „das Bild geradezurücken“. Als HÜSKER DÜ 1985 von SST zu Warner wechselten, schrieb Bob Mould einen langen und ernsten Artikel für das Maximumrocknroll. Er legte offen, was sie dazu bewegt hatte, bei einem Majorlabel zu unterschreiben, was sie sich erhofften, worin sie die Gefahren sahen und warum sie glaubten, sie umschiffen zu können. Wenig später gab Grant Hart ein Interview, in dem er die Frage darauf reduzierte, wie viele Autos sie sich jetzt kaufen könnten. Mould war außer sich vor Wut, als er davon erfuhr. Vielleicht weil sich darin auf eine verdrehte Weise auch eine andere Wahrheit über die beiden ausdrückte. Mould, der mit den Finanzen der Band betraut war, war die Geschäftsseite wichtig, weshalb er das Bedürfnis verspürte, sich zu rechtfertigen. Hart lagen diese Dinge weniger am Herzen, darum konnte er sich leichtfertiger über sie äußern.

Bob Mould meldete sich kurz nach dem Tod seines ehemaligen Drummers zu Wort und würdigte ihn als „frightenly talented musician“. Das ist eine selten offene Bemerkung von Mould zu ihrem Verhältnis und nicht zufällig kam sie so spät. Mould konnte ein Gefühl der Bedrohung durch Hart und sein Talent nie ganz abschütteln. Zwischen den Zeilen wird das auch in Moulds Autobiografie sehr deutlich. Mit fast lustiger Regelmäßigkeit steht dort überall – wo es der Anstand eigentlich verlangt hätte, irgendetwas Substantielles über eines der großen HÜSKER DÜ-Lieder aus Harts Feder zu schreiben – die immer gleiche, knappe Phrase: „clearly one of his best songs“. Mould schaffte es selbst all die Jahre später nicht, die Songs von Hart wirklich an sich heranzulassen, als hätte er Angst, sie würden ihn mit Haut und Haaren fressen, wenn er ihnen auch nur den kleinen Finger reicht.

Was immer im Laufe der Zeit an Negativem zwischen den beiden vorgefallen sein mag, in ihrer von Bewunderung und Neid geprägten Konkurrenz lag der Ausgangspunkt. Aber sie war auch die Quelle für die kreative Energie, die HÜSKER DÜ zu einer solchen Ausnahmeband gemacht hatte. 1987 war das Bandgefüge schließlich unter dieser konstanten Anspannung zerbrochen. Ja sicher, da waren auch noch die Drogen, aber HÜSKER DÜ war die meiste Zeit über eine Band von funktionalen Abhängigen gewesen (das Kaffeepulver während der Aufnahmen zu „Zen Arcade“ hatten sie mit Crystal Meth versetzt). Es spielte auch alles zusammen. Hart hatte im Heroin einen Weg gefunden, sich emotional noch unabhängiger zu machen und weiter in seine eigene Welt zurückzuziehen. Und für Mould mag es verlockend gewesen sein, Harts Sucht einzusetzen, um ihn auf eine nach außen gut vermittelbare Weise zum „Loser“ (ihres Wettstreits und überhaupt) zu erklären. Greg Norton, der dritte im Bunde, gab später jedenfalls beiden eine Mitschuld für das Ende.

Harts Post-HÜSKER DÜ-Band NOVA MOB war nur begrenzter Erfolg beschieden, zum Teil aus äußeren Gründen wie dem Konkurs von Rough Trade Records. Tatsächlich war aber das Echo in der Musikpresse auf seine Soloalben häufig positiver als auf die NOVA MOB-Veröffentlichungen. Vielleicht hatte Mould (dessen Band SUGAR sich in ihrer Arbeitsweise kaum von Bob Moulds Soloprojekten unterschied) einfach schneller erkannt, dass sie zwar nicht gut miteinander, aber dann wiederum auch mit niemandem anderen gleichberechtigt Musik machen konnten. Ein Einzelgänger war Hart allerdings nicht. Er hatte viele Freunde und war in seiner Heimatstadt St. Paul, der er bis zum Ende die Treue hielt, überaus beliebt, nicht nur als Ikone, auch als Person. Eine langjährige Freundschaft verband ihn auch mit dem Beat-Literaten William S. Burroughs. Dessen unveröffentlichter Bearbeitung von John Miltons „Paradise Lost“ diente Hart als Stoff für sein letztes Album. Alle Mitglieder von HÜSKER DÜ waren ausgesprochene Kenner der Pop- und Rockgeschichte, Hart war darüber hinaus aber auch bewandert in der ganzen Geschichte der Musik, in Kunstgeschichte, in Geschichte überhaupt. Und was kann der Tod schon jemandem anhaben, dem das kulturelle Vermächtnis der Menschheit so vertraut war, dass er sich dort, in seiner neuen Nachbarschaft, sicher problemlos zurechtfinden wird?

Über alles, was hier steht, hätte sich Hart wahrscheinlich ähnlich geäußert wie über das meiste anderswo über ihn Gesagte und Geschriebene: „Aha, das ist also, was du so denkst, aber mit mir hat das ja alles gar nicht viel zu tun.“ Leute, die nach dem wahren Grant Hart suchen, kann man heute nur noch an seine Musik, Bilder und Texte verweisen. So lange sein Tod noch unmittelbar nachwirkt, schlage ich das ätherische Spätwerk „The Argument“ von 2013 als Einstieg vor.