Bekanntermaßen sind HOT WATER MUSIC aus Gainesville, Florida seit Mai 2006 Vergangenheit, auf Eis gelegt, aufgelöst, wie auch immer. Frontmann Chuck Ragan wollte nicht mehr, die Jahre auf Dauertour hatten ihren Preis gefordert. Die anderen drei HWMs freilich hatten noch lange nicht genug, und so machten sie einfach weiter zusammen Musik. Schon vor Monaten hatten Chris Wollard (vox, gt), Jason Black (bs) und George Rebelo (dr) THE DRAFT gegründet und holten sich mit Todd Rockhill einen neuen Mann und alten Freund in die Band. Mit „In A Million Pieces“ ist just das Debütalbum erschienen, ich bin rundum begeistert und sprach mit Chris Wollard über die letzten Tage von HWM und seine Pläne mit THE DRAFT.
Chris, wie wird dein heutiger Tag aussehen?
Ach, ich bin gerade erst aufgestanden, und ich werde wohl zusammen mit einem Freund ins Studio gehen, weiß aber momentan noch nicht, ob das klappt. Gainesville ist eine kleine Stadt, hier kennt jeder jeden, und wenn jemand mal einen Tag nichts zu tun hat in seinem Studio, dann fährt man da halt hin, sitzt zusammen rum, schreibt vielleicht einen Song und nimmt ihn auf.
Klingt nach einer recht entspannten Zeit für dich.
Irgendwie schon, klar, jetzt da das Album fertig ist, was mich die ganzen letzten Monate auf Trab gehalten hatte. Andererseits ist die Platte noch nicht erschienen, ich hänge irgendwie in der Luft und versuche mich zu entspannen, und das Nichtstun macht mich etwas verrückt. Und eigentlich will ich nur zurück ins Studio, um neue Sachen zu schreiben und aufzunehmen. Ich habe ja neben THE DRAFT auch noch verschiedene andere Projekte am Laufen, mit anderen Leuten hier aus Gainesville: Wir schreiben zusammen Songs, nehmen sie auf und schauen, was dabei herauskommt.
Und das Ergebnis sind dann so Sachen wie CRO(W)S oder BLACKTOP CADENCE.
Ja, und ich arbeite auch seit einer ganzen Weile an einem Soloalbum, weitgehend akustisch, und das sollte auch allmählich mal fertig werden. Alle paar Monate spiele ich irgendwo ein paar Songs ein, hier oder bei Freunden in Kalifornien, doch wegen des THE DRAFT-Albums kam ich da in letzter Zeit nicht weiter.
Ich höre da raus, dass du keinen anderen Job hast derzeit, oder?
Hahaha, oh Mann ... Ich lebe echt von der Hand in den Mund, schlage mich irgendwie durch. Wir alle von THE DRAFT haben so unsere Nebenjobs, etwa für den örtlichen Rock’n’Roll-Club, aber davon kannst du vielleicht gerade mal die Miete bezahlen. Hier in der Stadt gibt es außer in Kneipen und Restaurants auch kaum irgendwelche Jobs. Und da wir ja auch ständig mit der Band unterwegs sind, ist es schwer, einen guten, festen Job zu finden. Mit HOT WATER MUSIC waren wir in der glücklichen Situation, uns fünf Jahre lang keine Gedanken machen zu müssen über Nebenjobs, aber es war auch nie so, dass wir was sparen konnten, und als es dann mit der Band vorbei war, war mein Konto so leer wie immer. Na ja, ich besitze immerhin ein kleines Haus am Rande der Stadt, aber das ist es auch schon. Als Musiker richtig Karriere zu machen, ist ziemlich illusorisch, denn wenn du eine Band hast, bist du die meiste Zeit damit beschäftigt, sie irgendwie am Laufen zu halten. Der Traum ist für jeden Musiker natürlich, dass du mit der Band deinen Lebensunterhalt bestreitest und es wirklich zum Leben reicht, so dass du den ganzen Tag nur Musik machen kannst. Aber es ist eben nur ein Traum – und ein harter Kampf.
Nun bekommt man aber immer wieder mit, dass Musiker irgendwann den Ausstieg wagen, wegen Frau, Kind und eines normalen Jobs alles hinschmeißen. Und gerüchteweise hört man das auch bei Chuck ...
Nun, wenn jemand sagt, er müsse aus so einem Grund seine Band verlassen, aufhören Musik zu machen, dann kann ich das nicht verstehen, dann widerspricht das völlig meiner Sichtweise. Einen normalen Job zu machen, bedeutet doch nicht, dass man deshalb aufhören muss, Musik zu machen. Du hast doch dann abends Zeit, und es muss dir doch auch was wert sein, mit deinen Freunden zusammen zu sein. Wir haben doch früher auch Musik gemacht, obwohl wir alle noch Jobs hatten. Klar ist es cooler, keinen Job haben zu müssen, aber mein Haus ist voller Gitarren, wie soll ich da nicht ständig an Musik denken? Kein Job wird mich also jemals vom Musikmachen abhalten.
Und was ist mit Chuck ...?
Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte seine Familie und sein Job was damit zu tun, aber sicher nicht nur. Wir hatten mit HOT WATER MUSIC eben kein einfaches Leben, waren ständig unterwegs, und das hat uns verdammt viel Spaß gemacht – es kann dich aber auch total runterziehen, dich zum totalen Zombie machen. Ich glaube, Chuck wollte einfach wieder etwas mehr Kontrolle über sein Leben haben. Wenn du in einer aktiven Band bist, diktiert die Musik deinen Lebensrhythmus, du musst bereit sein, Opfer zu bringen. Chuck hat vor einer Weile wieder geheiratet, er hat schon immer gerne auf dem Bau gearbeitet, und so musste er sich eben für das eine oder das andere entscheiden. Dabei hat er aber nicht aufgehört, Musik zu machen, nur Vollzeit, das wollte er nicht mehr. Sein Herz hing letzten Endes mehr an seiner Frau, seinem Alltagsleben, als an der Band. Außerdem wohnt er mittlerweile in Kalifornien, was schon unsere Proben ziemlich aufwendig machte. Es wurde für uns immer stressiger, und wir anderen waren ja auch finanziell auf die Band als Vollzeitjob angewiesen, und so ging das dann halt irgendwann nicht mehr. Letztlich hat Chuck sich dann für das Leben entschieden, nach dem wir uns alle während einer langen Tour gesehnt haben. Aber wenn du dann auf die Bühne gehst, sind die 23 schmerzvollen Stunden des Tages vergessen.
Sprechen wir über die neue Platte: Ich muss sagen, das neue HOT WATER MUSIC-Album gefällt mir sehr gut ...
Oh, wirklich? Das höre ich jetzt aber zum ersten Mal, hahaha. Also ich bin wirklich zufrieden mit der Platte, sie hat eben die ursprüngliche Power, die auch HOT WATER MUSIC ausmachte. Fuck everything, fuck everbody, I wanna play with my friends. In unserem Songwriting steckt die gleiche Energie, ja, ich denke sogar noch mehr als zuletzt bei HWM, denn da war es in letzter Zeit doch zunehmend stressiger geworden. Ich mag das letzte HWM-Album immer noch, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass uns da schon eine gewisse Energie abhanden gekommen war. Als wir dann diese neue Band gründeten, war uns klar, dass wir erstmal nur spielen, spielen, spielen müssen. Und als wir dann nach sieben, acht Monaten Dauertour nach Hause kamen, waren wir zwar erledigt und machten erst mal ein paar Wochen Pause, aber es war eine grandiose Erfahrung gewesen, mit all diesen anderen Bands aufzutreten, neue Songs zu spielen, fünf Tage die Woche auf der Bühne zu stehen.
Warum habt ihr eigentlich nicht als Trio weitergemacht, also mit der HWM-Kernbesetzung, nur eben ohne Chuck?
Ich fühle mich als alleiniger Gitarrist nicht so wohl, das liegt mir nicht. Wenn ich Songs schreibe, höre ich immer zwei Gitarren, von daher war klar, dass wir uns einen Gitarristen suchen würden. Ich mag große, offene Akkorde und wenn jemand anders die Lead-Gitarre spielt. Ein Trio kann total cool sein, aber mein Ding ist es eben nicht, und außerdem könnte ich dann keine anderen Instrumente einbringen, wie etwa ein Piano, was ich aber sehr gerne mache. Anfangs waren wir ja auch zu dritt, als Todd dann dazukam, hatten wir schon zehn, zwölf Songs fertig. Todd ist ein alter Freund von uns, und als er dann festes Bandmitglied wurde, wussten wir, dass wir jetzt komplett sind. Es klappt einfach sehr gut mit uns. Wir waren ja auch als Trio schon nach Washington D.C. gefahren, um im gleichen Studio wie HWM ein paar Aufnahmen zu machen, und Brian Baker spielte und arbeitete mit uns, und als wir dann wieder zu Hause waren, war klar, dass wir einen zweiten Gitarristen brauchen. Zuerst half uns ein Freund von STRIKE FORCE DIABLO aus, dann Chris von LESS THAN JAKE, und Todd blieb schließlich hängen. Nach einiger Zeit fühlten wir uns dann reif für ein erstes Album, und wir wussten, dass es nicht wie HOT WATER MUSIC klingen muss, dass wir auch anderes machen können als Musik mit zwei Sängern und zwei lauten, verzerrten Gitarren. Wir ließen den Songs schon bei den ersten Aufnahmen mehr Raum, beschränkten uns nicht, und das war eine sehr befreiende Erfahrung für uns.
Das offizielle Ende von HWM kam im Mai 2006, aber für euch stand das sicher schon länger fest, oder?
Mir war klar, dass die Band am Ende ist, als wir erkannten, dass bedingt durch die räumliche Entfernung – Chuck in Kalifornien, wir in Florida – HWM keine Vollzeit-Band mehr sein kann. Wir waren eben nur nicht offiziell aufgelöst, wozu es auch keinen Grund gibt – wir würden eben nur auf absehbare Zeit keine Konzerte mehr spielen. Na ja, und ab da schleppte sich das alles so vor sich hin, jeder in der Band hatte da sicher andere Empfindungen, und wir wussten, wir würden ein offizielles Statement dazu abgeben müssen, denn wir wurden ja täglich darauf angesprochen. Na ja, und im Mai kamen die anderen dann mit diesem Statement an, für mich klang es okay, aber ich war mit dem Kopf schon ganz woanders, nämlich beim ersten Album von THE DRAFT, und HWM waren für mich schon seit einem Jahr Vergangenheit. Außerdem hatte ich THE DRAFT nicht als Side-Project gestartet, ich meinte es von Anfang an ernst, hatte die letzten anderthalb Jahre HWM in bester Erinnerung, als niemand sich wirklich darum bemühte weiterzumachen.
Das neue THE DRAFT-Album ist jedenfalls sehr gelungen, ein Song wie „Lo zee rose“ ist ein echter Hit, und an anderer Stelle hört man sogar mal einen Off-Beat.
Ja, ich mag den Song auch, und was den Ska-Einfluss anbelangt: Na ja, ich bin nicht gerade eine Ska-Genie, ich habe halt versucht, so etwas in der Art zu schreiben, und das Ergebnis kennst du ja, haha. Es war ein Experiment, bei dem ich selbst überrascht bin, dass es geklappt hat.
Wie weit kommt man mit zwölf Songs bei einem Konzert? Und muss man da am Ende mit Liedern einer gewissen anderen Band auffüllen ...?
Nein, um nichts in der Welt werden wir mit THE DRAFT irgendwelche HWM-Songs spielen. Keine Chance, vergiss es. Wir könnten es auch gar nicht, und ich glaube auch nicht, dass es jemand von uns erwartet. Klar, es gab bei dem einen oder anderen Konzert mal einen Zwischenruf diesbezüglich, aber wenn, dann wollen die Leute die echten HWM hören und nicht THE DRAFT, die einen HWM-Song spielen. Und wenn wir es täten, wären sie enttäuscht, denn es würde anders klingen. Wir waren mit THE DRAFT für ein paar Konzerte in Brasilien, wir haben viele Orte im Süden der USA schon mehrfach besucht, und da wollen die Leute THE DRAFT hören, nicht HWM. Und wenn jemand nach einem HWM-Song verlangt, werden wir nicht sauer oder so, wir spielen ihn halt nur nicht. Und außerdem haben wir ja auch eine Menge mehr Songs als die zwölf vom Album, haben ein paar Coversongs im Programm – nur nicht von HWM ...
Europa steht im Herbst auf eurem Tourplan.
Ja, ab Mitte Oktober kommen wir für drei, vier Wochen – zusammen mit SAMIAM! Und Mann, ich liebe die, das ist meine Band! Und ich freue mich, dass wir jetzt zusammen spielen, denn mit HOT WATER MUSIC haben wir es in all den Jahren seltsamerweise nie geschafft, mal eine gemeinsame Show zu spielen – obwohl wir seit langem auch befreundet sind. Und dass es jetzt endlich klappt, ist beinahe das Schönste an THE DRAFT. Stell dir vor, ich kann sie auf der Tour jeden Abend live sehen, das ist sooo cool!
Gibt es eigentlich eine Story zu eurem Bandnamen?
Nein. Ich könnte dir jetzt natürlich irgendwas erzählen, aber eigentlich sind mir Bandnamen völlig egal. Manche Bands sind grandios, haben aber schreckliche Namen, andere sind schrecklich und haben einen coolen Namen, und unterm Strich ist der Name völlig egal. Einen Namen braucht man aber, wir haben einen gefunden, und damit ist die Sache für mich erledigt. Zudem ist es total nervig, sich einen Bandnamen ausdenken zu müssen, schrecklich! Dazu kommt der ganze rechtliche Aspekt, man muss ja wirklich gut recherchieren, um einen Namen zu finden, der noch nicht belegt ist. Wir saßen also im Band-Van, waren auf dem Weg nach D.C. zu unserer ersten Aufnahmesession und redeten totalen Müll, wollten einfach nur einen Namen finden, bevor wir ankommen. Na ja, und irgendwie kam dann George mit THE DRAFT an, und das war’s.
Euer Albumcover ist wirklich hübsch.
Ja, das ist von Chris Norris, den man vielleicht von der No Idea-Band COMBAT WOUNDED VETERAN kennt. Er hat auch schon Cover für AGAINST ME! gemacht, für diverse andere Bands hier aus Gainesville, diverse Gig-Poster – und er ist ein guter Freund und verdammt gut. Vor allem aber gefällt mir, dass seine Bilder so bunt sind, das finde ich besser als das ganze düstere, schwarze Artwork, das heute jeder zu bevorzugen scheint.
Chris, vielen Dank für das Interview.
thedraftband.com
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