DR. RING DING

Foto© by Claas König

Haltung und Unterhaltung

Als ich Anfang 2015 ein Radiointerview mit THE BUSTERS machen sollte, wurde mir mitgeteilt, dass diese nun mit Richie einen neuen, zweiten Sänger hätten. Richie (bürgerlich Richard Alexander Jung), wer ist denn das? Eine Art Scham stieg in mir auf, als ich erfuhr, dass es sich dabei um einen meiner favorisierten Stars handelt, nämlich Dr. Ring Ding aus Münster. Mit „The Remedy“ bringt er dieser Tage nun sein 17. Studioalbum seit 1995 heraus. Noch gar nicht mitgezählt sind dabei die Platten mit seiner alten Band EL BOSSO & DIE PING PONGS, wo er ab 1987 als Posaunist war, oder mit THE BUSTERS. Abgesehen davon gibt es nur wenige neuere deutsche Ska-Platten, wo der Doktor nicht wenigstens bei einem Song mitgewirkt hat. Er gibt sich immer hemdsärmelig und ist ein Typ mit klaren Ansagen, doch unterm Strich mit dem Wunsch ausgestattet, die Menschen einander durch die Musik näherzubringen. So nahm er unter anderem auch eine Scheibe in Seoul auf, mit koreanischen Musikern. Er ist eigentlich längst für das Bundesverdienstkreuz prädestiniert oder sollte bald wenigstens im ARD-„Tatort Münster“ auftreten.

Du warst ja zuletzt etliche Jahre mit THE BUSTERS auf Tour und im Studio. Ich hoffe, dein Weggang ist in Harmonie abgelaufen?

Ja klar! Mit THE BUSTERS waren es insgesamt sieben Jahre, vier Studioalben und ein Live-Doppelalbum. Ist alles toll gelaufen, aber ich hatte das Gefühl, gerne auch wieder etwas mehr „der Doktor“ sein zu können. Der Kontakt ist immer noch da, und ich werde es sicher vermissen, auf der Bühne „Mickey Mouse in Moscow“ zu singen ...

Die letzten drei Dr. Ring Ding-Platten erschienen 2014, zwei mit SHARP AXE BAND, und 2015 mit SKA-VAGANZA. Für THE BUSTERS hast du auch etliche Songs komponiert, da erstaunt es schon, wie schnell du wieder mit neuem Material auf den Markt preschst.
Streng genommen waren es sogar zwei Alben mit SKA-VAGANZA, dann noch eins mit dem polnischen Produzenten Dreadsquad, und eine schöne Weihnachtsplatte gab es ja auch noch. Aber wer will das schon alles zählen? So ein Album ist für mich zum Teil auch eine Art „Bestandsaufnahme“. Mit meiner Band haben wir ja schöne Konzerte und Touren gemacht, und so gibt es auf dem neuen Album eben vor allem Musik zu hören, die wir auch live spielen, die es aber noch gar nicht in Studiofassungen gab. Dazu dann ein paar Coverversionen von „genreuntypischen“ Stücken, die mir sowieso immer schon gut gefallen haben oder die eine Neuentdeckung waren. Und sobald sich dann so ein kleines Programm angesammelt hat, werde ich doch schnell kreativ und bekomme Ideen für neue Sachen – außerdem kommt auch Inspiration von außen, wenn wir mit Gästen spielen.

Ich hielt dich ja immer für einen peniblen Perfektionisten, aber jetzt sagte mir dein Bandkollege Mathias Demmer, du seist eher so einer, der lieber bereits einen der ersten Aufnahmetakes nimmt, anstatt noch ewig rumzuprobieren. Zählen Frische und Authentizität für dich mehr der glasklare Klang?
Wenn Mathias das so erlebt hat, dann spricht es ja in erster Linie dafür, dass er selbst ein ausgezeichneter Musiker ist. Ich muss natürlich schon mit dem zufrieden sein, was wir da aufnehmen, und ich habe das große Glück, mit Musikern zusammenarbeiten zu können, die toll sind. Meine Aufgabe sehe ich darin, eine Vision zu haben, und diese zu vermitteln. Wenn das ein Profi wie Mathias dann richtig verstanden hat und direkt umsetzen kann und dazu noch seinen eigenen Input und Charakter unterbringt, muss er ja nicht noch stundenlang an einem Ton herumprobieren. Dadurch ist dann oft Frische und klarer Sound vereint. Manchmal experimentiere ich auch gerne, aber auch da kommen wir oft rasch zu einem befriedigenden Ergebnis.

Dein erstes Album „Dandimite!“ von 1995 und das dritte von 1997, „Ram Di Dance“, beide als DR. RING-DING & THE SENIOR ALLSTARS, sind für mich bereits schwer zu toppende Meilensteine. Greifst du die mit deinem neuen Album indirekt an, nach dem Motto: „Ich bin heute ja als Musiker und Songschreiber noch viel besser“?
Ich versuche nicht, meine bisherige Arbeit zu widerlegen. Mir gefällt die Musik, mit der wir damals angefangen haben, ja immer noch. Ska, Reggae, Dancehall und sonstige Blüten aus dem Kräutergarten der Karibik – das mache ich heute wie damals. Es wäre ja traurig, wenn das Songwriting sich im Laufe von 25 Jahren verschlechtert hätte, aber angreifen oder übertrumpfen will ich da nichts. Das war früher schon alles so, dass ich mich heute nicht dafür schämen muss, und hoffentlich sage ich das in 25 Jahren vom aktuellen Album auch.

Mit der Platte „Nice Again“ bist du mal in Richtung Mainstream/Discosound/HipHop abgebogen, und siehe da, es war dein erfolgreichstes Album. Ist es für puren Ska und Rocksteady ein noch weiterer Weg zum Mainstream-Publikum?
Richtig „abgebogen“ war das nicht, ich habe mich immer schon gerne stilistisch aus dem Fenster gelehnt – und ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie erfolgreich das Album wirklich war. Finanziell sicher nicht, auflagenmäßig wohl auch nicht – da hatten die ersten Platten mit den SENIOR ALLSTARS doch sicherlich einen größeren Radius. Aber um die Frage zu beantworten: Sobald man sich „Ska“ oder „Rocksteady“ auf die Fahne schreibt, ist der Mainstream überfordert. Ich denke, dass der allergrößte Teil des Publikums von etwa MADNESS in England oder GEIER STURZFLUG in Deutschland mit dem Wort „Ska“ gar nichts anzufangen weiß. Dass sie also gerne Ska hören, es dann aber eher als „Party- und Zirkusmusik“ klassifizieren.

Kommen wir zu „The Remedy“. Von was willst du uns reinigen, wo setzt die Behandlung des Doktors ohne Kittel genau an?
Als Musiker haben wir die Möglichkeit, die Chance, und auch die Verantwortung, Menschen zusammenzubringen. Mir ist es wichtig, dass wir als Menschen füreinander Verständnis aufbringen und erkennen, dass wir alle zusammen auf dieser Kanonenkugel durchs All reiten, da ist dann all das fehl am Platze, was die Harmonie angreift. Rassismus, Faschismus, Sexismus ... Bei den Texten, die ich für unsere Produktionen bei THE BUSTERS geschrieben habe, war ich da sehr explizit, als Dr. Ring Ding – und Privatmensch – versuche ich vor allem vorzuleben, wie Völkerverständigung funktioniert, wie ein Miteinander aussehen kann und wie Musik sogar Kontinente verbindet. Und das alles mit Spaß, was für mich ein wichtiger Faktor ist. Haltung und Unterhaltung.

Der internationale Aspekt war dir immer sehr wichtig, was ja schon am Ursprung deiner Musik liegt. Auf diesem Album singst du sogar in Spanisch und Französisch. In Frankreich hast du einen Teil deiner Kindheit verbracht, ist das ein Tribut an diese Zeit? Wie geht es deinen Leuten dort in der aktuellen Pandemie-Krise?
Ich bin mit zwei Nationalitäten und Sprachen großgeworden, und schon als Kind habe ich gesehen, wie groß und bunt die Welt ist, bei uns gab es immer Gäste aus Zaire, Portugal, Australien, England und, und, und ... Außerdem hat mich die Musik schon in Kontakt mit sehr vielen Ländern und Kulturen gebracht – dafür bin ich dankbar! „The Remedy“ spiegelt das natürlich wider. Musiker aus aller Welt haben uns dabei unterstützt. Das Lied „Je n’ai rien appris“ ist die französische Version des Joni Mitchell-Songs „Both sides now“, den wir ja in einer Seventies-Reggae-Version aufgenommen haben. Eine deutsche Variante gibt es auch, da unterstützt uns dann Schlager- und Chansonsänger Michael von der Heide aus der Schweiz! Meine Mutter lebt seit ihrer Pensionierung wieder in ihrem Heimatort in Nordfrankreich. Die waren da komplett abgeschottet, und wir haben uns monatelang nur per Telefon und Skype sprechen und sehen können – dabei sind es nur gut vier Stunden Fahrt bis zu ihr. Vor kurzem konnte ich sie endlich wieder besuchen, was sehr schön war, und danach kam mein Bruder aus Norwegen zu ihr. Toll ist das alles nicht; meine Mutter sagt, dass ihr diese Einschränkungen ähnliche Gefühle vermitteln, wie sie sie während des zweiten Weltkriegs erlebt hat.

Der Titelsong „The remedy“ ist irgendwie Programm, musikalisch vereint er dein bisheriges Schaffen perfekt. Was ist das Rezept zur Heilung – wohl weiterhin deine Scheiben hören, richtig?
Wer daran Freude hat ... Für mich ist gerade diese Nummer sehr erfrischend, weil ich da mit Sista Gracy erneut mit einer langjährigen jamaikanischen Freundin den Dancehall-Style der Achtziger aufleben lassen konnte. Diese Art des „Storytellings“ ist ja mittlerweile verloren gegangen, aber wir beide haben sehr große Freude daran, die ganze Band hatte unglaublichen Spaß an der Nummer.

Nun hast du etliche Gäste auf dem neuen Album, wie den erwähnten Schlagersänger und Chansonnier Michael von der Heide. Erzähl bitte mehr über eure Zusammenarbeit. Wäre es nicht auf auch etwas für dich, deine Rocksteady-Nummern in französische Chansons zu wandeln?
Michael ist ein fantastischer Sänger und Performer, der auch international als Theaterschauspieler arbeitet. Wir haben uns vor ein paar Jahren kennen gelernt, bei dieser Fernsehsendung von Stefan Mross. Ich war mit der Band SCHRAMME11 dort, und er präsentierte ein Stück seines „Paola“-Albums. Ich fand das toll, wir haben uns gleich gut verstanden und seitdem stehen wir in Kontakt und treffen uns schon mal in Zürich oder Berlin. Und interessant, dass du fragst – es ist schon seit einigen Jahren ein Album mit französischen Chansons in Ska/Reggae-Arrangements in Vorbereitung, mit Musikern aus Grenoble und Paris. Leider gehen von den drei Elementen „Schnell, gut, günstig“ immer nur zwei, deswegen dauert es auch hier, bis es fertiggestellt wird.

Für dich ist ja harmonische Musik das A und O. Wie stelle ich mir den Doktor vor, wenn er mal richtig sauer ist? Legst du dann auch mal eine Metal- oder Hardcore-Scheibe auf?
Metal und Hardcore höre ich auch, allerdings seltener als zu meinen Teenagerzeiten. Aber ich werde mir doch nicht den Musikgenuss durch schlechte Laune kontaminieren lassen ...

Sauer werden kann man ja zum Beispiel über die Verrohung durch das Internet. Wären sonst solche unsäglichen Demos denkbar wie hier neulich in Berlin, wo die seltsamsten Leute vereint gegen Corona-Auflagen demonstrierten? Und was tut man dagegen als Künstler?
Man kann dagegen vor allem etwas tun, indem man klar Stellung bezieht, Kante zeigt und ansonsten eine „bessere“ Form des Miteinanders vorlebt. Über die Reichweite, die man als Künstler über die sozialen Medien hat, können das viele mitbekommen – das ist ein Vorteil. Im Nachhinein ist der Dialog wichtig, obwohl ich da leider auch aussortieren muss, mit wem das überhaupt sinnvoll ist. Diese Querfront, die sich da neuerdings gebildet hat und die dazu geführt hat, dass sich hier Individuen mit völlig widersprüchlichen Ansichten zusammentun und vereinnahmen lassen, ist eine gefährliche Entwicklung. Nicht jeder Nazi, Schwule und Lehrer ist weitsichtig genug, das Ausleben seines Unmuts und die daraus resultierenden Konsequenzen abwägen zu können.

In diesem Jahr bist du fünfzig Jahre geworden. Ist es da an der Zeit für eine persönliche Rückschau oder sagst du dir, das ist nur eine Zahl, hier wird nicht ausgeruht?
Ja, im Juni war es soweit! Ich warte allerdings immer noch darauf, erwachsen zu werden. Ansonsten mache ich das, was mir Freude bereitet und was mir richtig erscheint – das hat aber mit dem Alter weniger zu tun. Manches klappt besser, anderes schlechter, das lässt sich aber alles ganz gut hinnehmen.

Bist du dankbar dafür, dass du ein so populärer Musiker bist, dass du womöglich besser durch die aktuelle Krise kommst als Nachwuchsmusiker, die nun alles auf die Profi-Karte setzen?
Durch die Krise komme ich vor allem, weil ich sowieso Optimist und Fatalist bin. Eine Popularität hilft mir da nicht. Wenn andere das gut finden, was ich mache, ist das schön, das definiert aber nicht in erster Linie, ob ich in meinem Leben eine Erfüllung finde. Mein vermeintlicher Status als bekannter Künstler in einer Nischenszene und das professionelle Level, auf dem ich mich seit vielen Jahren bewege, sichern mir überraschenderweise nicht immer meinen Lebensunterhalt. Dankbar bin ich aber trotzdem, dass ich in dieser Zeit jetzt so oft positive und liebe Rückmeldungen von Freunden und Fremden bekomme. Das macht mich auch glücklich.