In Ox #127 verglich Dave Smalley seine sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an Musik mit variierenden Maltechniken auf der gleichen Leinwand. Jetzt hat er zusammen mit seinem alten Kumpel Sam Williams eine seiner ältesten Staffeleien vom Dachboden geholt: DOWN BY LAW, die im August via Cleopatra ihr neuntes Album namens „All In“ veröffentlichen, das insgesamt wieder ruhiger wirkt als der Vorgänger „Champions At Heart“ von 2012. Überhaupt scheint Smalley momentan eine kreative Hochphase zu haben. Mit DON’T SLEEP brachte er innerhalb von zwölf Monaten zwei beachtliche EPs raus und zwischendurch tourt er mit den spanischen BANDOLEROS. Dave erklärt im Interview, inwiefern Kreativität ein Spiel gegen die Zeit ist und warum Hörner in einen Punk-Song gehören.
Dave, dein kreativer Output in den vergangenen Jahren ist immens. Wie kommt das?
Durch das Bewusstwerden meiner eigenen Sterblichkeit vermutlich. Unsere Zeit ist begrenzt. Das Leben ist endlich. Ich schätze Dinge, die mir guttun mehr und mehr – sowohl familiär als auch die Musik betreffend. Mit zwanzig denkt man anders, da fühlt ich man sich unsterblich. Ab vierzig weiß man es besser. Also versuche zu brennen, solange du kannst! Momentan brenne ich für viele Dinge. Außerdem bin ich ein besserer Musiker geworden. Na ja, das sollte ich auch nach dreißig Jahren. Daher habe ich viele Möglichkeiten, um Leben, Liebe und Wut auszudrücken. Organisierter bin ich mit der Zeit auch geworden, ein bisschen zumindest. Das alles war gut für mein kreatives Schaffen. Das Wichtigste ist, nichts zu erzwingen. Aber wenn dabei großartiges Material herauskommt wie mit Sam Williams bei DOWN BY LAW, mit DON’T SLEEP oder meiner spanischen Band BANDOLEROS, dann muss ich einfach sinnbildlich aufs Brett springen und die Welle mitnehmen. Einige der neuen DOWN BY LAW-Songs empfinde ich jetzt schon als Höhepunkte meiner kompletten Karriere. Es ist verrückt!
Haben deine Soloaktivitäten deine Herangehensweise an die Arbeit mit einer Band verändert?
Eigentlich nicht. Die Solosachen bleiben die Ausnahme. Tief im Herzen bin ich Metalhead und Rocker, in einer Band zu spielen reizt mich mehr. Insbesondere wenn ich das Privileg habe, mit so guten Leuten zusammenarbeiten zu können. Ich liebe aber die Soloauftritte, so eine warme und intime Atmosphäre kannst du mit einer Band einfach nicht reproduzieren. Für das Publikum ist das dann auch etwas Besonderes. Irgendwann betreibe ich das bestimmt noch einmal intensiver.
Wie sieht das aktuelle Line-up von DOWN BY LAW aus?
Anfangs war es das vom 1994er Album „Punkrockacademyfightsong“, aber Schlagzeuger Hunter hat es dann doch nicht dauerhaft geschafft. Also fragten wir Jack Fantastic Criswell, der schon einige Male auf Tour Schlagzeug bei uns gespielt hat. Er hat einen fantastischen Job gemacht. Und ja, Angry John hat die meisten Basstracks eingespielt, zusammen mit Kevin Coss, der auch vorher schon live mit uns unterwegs war. Beide sind toll! Das Entscheidende ist die musikalische und persönliche Chemie – und die stimmte jederzeit im Studio.
DOWN BY LAW hatten nie einen nennenswerten kommerziellen Erfolg, aber eine treue Fanbase und einen großen Einfluss auf kommerziell erfolgreichere Bands. Seid ihr euch dessen bewusst, wenn ihr ein Album macht? Übt das Druck auf euch aus?
Du hast recht, wir hatten immer viel Rückhalt und einen besonderen Status bei vielen Leuten. Keiner von uns ist reich, wir sind immer noch Working-Class-Jungs. Bekannt genug, um die Alben zu schreiben, die wir lieben, aber niemals erfolgreich genug, um davon in Rente zu gehen. Für mich ist das okay. Gerade das mögen die Leute doch an uns. Wir sind nicht wirklich kommerziell vermarktbar und gerade deswegen auch einzigartig. Sieh es mal so: Erfolg kann man sehr unterschiedlich definieren. Dein inneres Feuer erzeugt musikalisches Feuer. Das ist der wahre Erfolg eines Musikerlebens. Wir empfinden keinen Druck, weil wir einfach zu alt sind, um uns über andere Dinge Sorgen zu machen als die Kunst an sich, die Songs, die Texte und unsere Kreativität. Ich bin dankbar für jede einzelne Person, die uns über die Jahre hinweg dabei begleitet und unterstützt hat. Sie erzeugen den Funken, durch den ich brennen kann. So können wir Songs schreiben, in denen sich die Leute wiederfinden. DOWN BY LAW waren immer ein bisschen anders, unvorhersehbarer. Das war finanziell gesehen zugleich unsere Achillesferse, hat uns aber geholfen, dabei zu bleiben. Also nehmen wir diese Aufgabe an.
Für Sam und dich als Gründungsmitglieder scheinen DOWN BY LAW eine Art sicherer Hafen zu sein, zu dem ihr nach euren Solo-Streunereien immer wieder zurückkommt.
Gute Analogie, da stimme ich dir voll zu! In unserem Genre gibt es wenige Partnerschaften wie unsere. Wir holen gegenseitig das Beste aus uns heraus. Ähnlich wie Bob Mould und Grant Hart bei HÜSKER DÜ oder, natürlich auf einem anderen Level, Bruce Dickinson und Steve Harris bei IRON MAIDEN. Ich liebe Sam als Songwriter, als großartigen und geistreichen Freund und brillanten Gitarristen. Wer Ahnung von Rockmusik und Rockgitarristen hat, weiß, wie großartig Sam Williams ist. Unsere Zusammenarbeit ist geprägt durch absolutes Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen und unsere gemeinsame musikalische Wellenlänge. Egal, was für Tracks er mir schickt, ich fühle mich ihnen direkt verbunden. Das ist etwas Besonderes. Sam schreibt mittlerweile auch mehr Material für DOWN BY LAW als ich. Ich habe drei Songs zum neuen Album beigesteuert, er den Rest. Oft hatte ich schon beim Hören seiner Tracks die passenden Melodien im Kopf und die Texte sprudelten nur so aus mir raus. Sams Musik berührt mich wirklich im Herzen, kein Witz.
„All In“ ist ein eher ruhiges und melodisches Album geworden. Meinst du, es wäre anders ausgefallen, wenn du zwischenzeitlich nicht schon mit DON’T SLEEP härtere Sachen produziert hättest?
Vielleicht. Schwer zu sagen, weil DOWN BY LAW nie eine Hardcore-Band waren. Den Einfluss von DON’T SLEEP kann ich deshalb genau gar nicht benennen. Im Herzen bin ich natürlich ein Hardcore-Kid. Aber ich bin auch ein Musiker, der von MOTÖRHEAD über Hank Williams bis zu LYNYRD SKYNYRD, THE JAM und BOSTON alles hört. Letztlich waren DBL immer eher eine Rockband mit Punk-Wurzeln und anspruchsvollen Texten.
Ich brauchte drei Durchläufe, um in das neue Album hineinzukommen. Der Sound ist unerwartet herausfordernd.
Erst mal vielen Dank für deine Geduld und die Bereitschaft, dich damit auseinanderzusetzen. Einige meiner Lieblingsplatten musste ich auch erst öfter hören, bevor es Klick gemacht hat. „All In“ ist eine organische Punk- und Rock-Platte. Teilweise mit dem bis heute besten Songrwriting von Sam und mir. Es sollte ursprünglich keine Herausforderung für den Hörer werden. Ich liebe das Album und hoffe, dass unsere Fans es auch tun werden.
Für mich ist es unter dem Strich das fehlende Bindeglied zwischen den Alben „Blue“ und „Fly The Flag“: frühes DOWN BY LAW-Songwriting, gemischt mit Mod/Powerpop und ein bisschen Seventies-Rock.
Perfekt auf den Punkt gebracht. Okay, mach das Interview alleine fertig, du kannst das besser, haha. „All In“ ist tatsächlich eine Art Quintessenz von Sams und meinem musikalischen Schaffen und unseren Vorlieben. Und die Tatsache, dass du das alles raushören kannst, zeigt, dass wir offenbar eine klare Spiegelung dessen hinbekommen haben, wo wir als Musiker herkommen und wo wir jetzt stehen. Das Coole ist, irgendwie kommt dabei dann doch dieser typische DBL-Sound raus. Ich weiß nicht wie, aber es klappt.
Der Titel „All In“ erinnert mich an den schmalen Grat zwischen Erfolg und Scheitern. Was verbindest du damit?
Beim Pokern setzt du „All In“, wenn du dir deiner Sache sehr sicher bist und alles auf Sieg setzt. Es geht um Zuversicht und Risikobereitschaft. Wir denken, das ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Gehe ein Risiko ein und ziehe es durch, sei zuversichtlich und gehe „All In“!
Stimmlich hast du dich über die Jahre hinweg vom Shouter zum echten Sänger entwickelt. Hatten deine Akustikprojekte dabei einen entscheidenden Einfluss?
Jeder hat den Wunsch, sich weiterzuentwickeln. Wenn man es einmal mit dem Schreiben vergleicht: Man fängt in der Schule an, schreibt gute Essays. Dann macht man bei einem Magazin mit, hat einen Blog, reviewt und interviewt auf internationaler Ebene. Am Schluss schreibt man noch ein Buch. Man ist immer noch der gleiche Schreiber, aber unterschiedliche Anlässe lassen dich deine verschiedenen Fähigkeiten ausleben. Wenn dann das Buch am Ende noch die gleiche Energie und Leidenschaft aufweist wie der erste Essay, dann ist man gewachsen – persönlich und professionell. Das kann man auch auf die Musik übertragen. Was mich betrifft, bin ich dasselbe Hardcore-Kid wie 1981, nur erfahrener und mit Spaß daran, stimmlich zu experimentieren, um jedem Song den passenden Spirit zu geben. Ich habe als Kind in Kirchenchören und bei Highschool-Musicals gesungen. CHICAGO, die ALLMAN BROTHERS, James Taylor, Alice Cooper, alles großartige Musiker, die mich beeinflusst haben. So gesehen war ich immer schon Shouter und Sänger zugleich. So auch auf dem neuen Album. Ich hoffe, den Leuten gefällt das.
Die erste Zeile des Openers „Aperture“ lautet: „I remember when we used to dream so big“. Welche Ziele will man mit einer Band nach 28 aktiven Jahren noch erreichen?
Alle meine Texte bedeuten für mich, für dich, für jeden, der sie hört, etwas anderes. Gib ihnen die Bedeutung, die zu deinem Leben passt. Für mich ist die Zeile eine Erinnerung an meine Highschool-Freunde und die frühe Boston Hardcore Crew. Uns standen damals alle Türen offen. Wir sind vor Energie und Vorstellungskraft fast geplatzt. Haben die Nächte durchgemacht, sind rumgefahren, haben Filme geguckt, Junkfood bei 7-11 gegessen, über Mädchen, die Welt und Comics philosophiert und dabei Punk- und Rock-Platten gehört. Es gab nichts anderes für uns. „Aperture“ erfüllt mich mit dem gleichen Glücksgefühl wie diese Erinnerungen.
HÜSKER DÜ benutzten schon eine Triangel. Bei DOWN BY LAW sind es im Song „Undone“ jetzt Hörner. Gibt es irgendein Instrument, vor dem du zurückschrecken würdest?
Ich liebe diese Hörner. Als ich Sams Gitarrenspur hörte, habe ich sofort an Hörner gedacht. Sie mussten einfach da rein. Ich schnappte mir das Keyboard meiner Tochter und versuchte, die Melodie in meinem Kopf auf die Tasten zu übertragen und die Noten herauszufinden. Nach einer Stunde hatte ich es raus, Hauptmelodie und Harmonie. Danach mussten wir das nur noch im Studio umsetzen und jemanden finden, der das Horn spielen kann. Zurückschrecken? Wir sind, genauso wie HÜSKER DÜ, Punkrocker und Musiker. Im Punkrock gibt es keine Regeln, die einen limitieren. Elvis Costello hatte auf allen frühen Alben Keyboards. THE CLASH haben endlos experimentiert, als sie musikalisch gewachsen sind. Solange ein Instrument natürlich klingt, würde ich es jederzeit einsetzen. Man darf es nicht erzwingen, es muss seinen richtigen Platz haben. Im Song „Breakout“ vom Album „Fly The Flag“ haben wir zum Beispiel Flöten benutzt.
Wie sieht es mit einer Tour in Europa aus?
Gerade eben laufen die Planungen für eine Europatour im November. Hoffentlich sehen wir uns da. Man weiß nie, wann man für etwas die letzte Gelegenheit hat. Das Leben passiert einfach, alle werden älter. Wir sind keine 21 mehr, müssen früh zur Arbeit, mit dem Hund spazieren gehen oder der Babysitter bleibt nur bis Mitternacht. Aber ich hoffe, dass interessierte Leser sich davon nicht abhalten lassen und die Mühe auf sich nehmen, uns live zu sehen. Wir werden unser Bestes geben. Diese Verbundenheit von Band und Publikum, die kannst du nur auf einem Konzert fühlen, die ist mit nichts anderem auf der Welt vergleichbar.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #103 August/September 2012 und Guntram Pintgen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #139 August/September 2018 und Daniel Schubert
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