Eines kühlen und versmogten Tages, als Punk gerade kurz davor war zu explodieren, verließ Don Bolles seine Heimatstadt Phoenix in Richtung Los Angeles. Dort, so will es die Legende, spielte er in einer Lache aus Pisse und Bier auf dem Schlagzeug vor, bei Darby Crash, Pat Smear und Lorna Doom – den GERMS, jener legendärsten aller Los Angeles-Punkbands, die sich 1976/77 gründete und 1980 mit dem Selbstmord von Frontmann Darby am 7. Dezember 1980 verglühte. Pat Smear hatte übrigens das zweifelhafte Vergnügen, 14 Jahre später als kurz zuvor rekrutierter NIRVANA-Gitarrist das zweite Mal den Tod des Sängers seiner Band erleben zu müssen. Nachdem Bolles also den Trommler-Job bekommen hatte, sollte die Welt des Punk und Hardcore nie mehr dieselbe sein. Man könnte sogar durchaus behaupten, dass Don Bolles der erste Hardcore-Drummer überhaupt war! Seine Karriere mit den GERMS war zwar einerseits geprägt von vielen Turbulenzen, aber auf der anderen Seite auch sehr produktiv. Bolles fand sogar noch die Zeit, um gemeinsam mit anderen bemerkenswerten Musikern aus L.A., wie zum Beispiel Paul Cutler oder auch Jeff Dahl, bei VOX POP zu spielen. Später war er dann Mitglied bei 45 GRAVE und CELEBRITY SKIN, zwei auch nicht unbekannten Westküsten-Bands. Sein gegenwärtiges Projekt KITTEN SPARKLES ist ein Experiment aus Sachen Licht, unterschiedlich langen Frequenzwellen und Lautstärke, und auch die GERMS (Smear/Doom/Bolles) sind seit 2005 wieder aktiv, mit dem Schauspieler Shane West als neuem Sänger – einer Verbindung, die sich aus den Arbeiten am GERMS-Film „What We Do Is Secret“ ergeben hatte.
Don, verfolgst du mit deiner Musik ein weitergehendes Ziel, abgesehen davon, die Leute unterhalten zu wollen?
Natürlich. Die GERMS waren eher ein postindustrieller „teenage dervish spazz-trance freak-out“ als irgendeine Art von „Musik“. Und in dieser Hinsicht waren sie auch sehr effektiv. Bei 45 GRAVE ging es dann schon mehr um die Musik und zwar in der Hinsicht, dass jeder Einzelne in der Band ein hervorragender Psychedelic-Improvisator war – mit einer extra Dosis Bösartigkeit. Denn wir haben oft gut die Hälfte unserer Live-Shows einfach nur improvisiert. Und das, ohne dass es anfing scheiße zu werden, was der knifflige Teil bei dieser Angelegenheit ist ... Paul und Rob waren fantastisch; sogar ich war ziemlich großartig und ich war der mieseste Musiker von uns allen, mal abgesehen von unserer fabelhaften Sängerin Dinah Cancer, die sich geradezu militant weigerte, irgendein Instrument spielen oder singen zu lernen, aber dennoch darauf bestand, eben genau das zu tun. Was cool war, denn es bewahrte uns davor, zu einer weiteren Bar-Band oder so zu werden. Wir haben damals eine Menge LSD eingeworfen, als wir aber auch noch mit dem Heroin anfingen, begannen wir, scheiße zu werden, und schließlich lösten wir uns auf. VOX POP war hauptsächlich ein psychedelischer, versoffener Sauhaufen; quasi FLIPPER, die RUNAWAYS, MC 5 und FAUST gemeinsam in einer grauenhaften, lauten und unfassbar zugedröhnten Rockband.
Und heute?
KITTEN SPARKLES, mein Kurzwellenradioimpuls- und Stroboskoplicht-Ding ist, was Live-Auftritte betrifft, eigentlich das wirkungsvollste Projekt, welches ich jemals durchgezogen habe. Ich arbeite mit kurzwelligen Drones und beginne, in kompletter Dunkelheit, die Lautstärke ganz langsam zu steigern, um die Leute in den richtigen Zustand der Aufnahmefähigkeit zu versetzen. Nach einer Weile, und ohne das irgendjemand bemerkt hätte, was denn überhaupt Sache ist, sind sie quasi in die Sitze genagelt von der Lautstärke, die beständig, aber unmerklich seit knapp 20 Minuten angestiegen ist, bis es suuuuperlaut ist, aber irgendwo auch abgefahren und sogar ein bisschen hübsch. Schließlich, wenn alle ihre Augen geschlossen haben, füge ich das Stroboskoplicht hinzu, begleitet von den kurzwelligen Audioimpulsen – beides mit der „Dream machine“-Frequenz von 115 Beats pro Minute – das Stroboskop scheint direkt auf die geschlossenen Augenlider der Leute und der Impuls wird aufgedreht, verstärkt von einem Ampeg SVT. Das wiederum versetzt nun jeden, der sich im Raum befindet, in eine unbeschreibliche „space trance“-Zustand, bis der Strom am Veranstaltungsort zur Neige geht und es endlich vorbei ist. Es ist intensiv, sehr, sehr psychedelisch und speziell zu dem Zweck gestaltet, modernen Menschen Zutritt zu anderen Dimensionen zu verschaffen, was sogar ohne starke psychedelische Drogen funktioniert, obgleich es natürlich besser ist mit ihnen, vor allem mit 5MEO DMT. Ein paar Frauen haben von Spontanorgasmen berichtet, viele Leute haben abgefahrene, leuchtende Traumzustände erleben dürfen; es ist in der Tat ziemlich wirkungsvoll. Einmal habe ich einen Abend für CLUSTER eröffnet, und Moebius sagte, es würde ihn an den frühen Conrad Schnitzler erinnern. Das hat mich ziemlich gefreut. Ich habe mit Menschen gefüllte Säle durch meine Performance in richtige Trancezustände versetzt. Ich versuche, meine Musik nicht an Menschen in Bars zu verschwenden – leider funktioniert sie bei betrunkenen Idioten nicht so gut.
Hast du denn auch schon einmal abseits von dem, was du soeben bezüglich KITTEN SPARKLES geschildert hast, etwas ähnlich Wirkungsvolles erlebt – in der Natur zum Beispiel? Ohne Licht, „short-wave drones“ und ansteigende Lautstärke? Sogar ohne Strom?
Ich habe schon an manchen großflächig angelegten, öffentlichen „Experimenten“ mitgewirkt, beispielsweise bei einigen geheimen Radio-Piratensendern. Diese Sender klangen zwar „echt“, waren insgeheim aber absolut subversiv. Am meisten Freude daran bereitete mir der Gedanke, dass jemand versehentlich den Sender einschaltet, um nach einer Weile zu fragen „Was zur Hölle ist hier eigentlich los?“, und zu bemerken, dass er auf ein komplett anderes, fremdartiges Universum gestoßen ist, als das stumpfsinnige und langweilige Scheiß-Kontinuum, in welchem die meisten Menschen ihre langweiligen, oberflächlichen Leben verbringen. Es interessiert mich, normale Umgebungen in einer abnormalen Weise zu beeinflussen. Hauptsächlich möchte ich diese Welt zu einem ein wenig psychedelischeren Ort machen als der, der sie vorher war ... Mehr Konfusion, mehr Spaß, weniger Langeweile.
Wenn ich mich recht erinnere, las ich irgendwann einmal ein Interview mit dir, in dem du geäußert hast, dass du an der aktuellen Musik nicht allzu viel interessant oder relevant findest.
In der Tat empfinde ich die meiste Musik nur selten als interessant oder relevant. Die Vergangenheit hat einfach so viel mehr an unentdeckter großartiger Musik angehäuft, als dass es irgendeine Gegenwart jemals könnte, alleine schon deswegen, weil sich die Vergangenheit aus so unglaublich vielen „Gegenwarten“ zusammensetzt, von denen wiederum jede ihre ganz eigene großartige Musik besaß. Und diese in der Vergangenheit befindlichen Gegenwarten, lassen sich heute leicht von all dem trennen, was man früher als störend empfand, oder all das, was eigentlich großartig war, überschattete. Es ist viel leichter, sich das ganze gute Zeug rauszupicken und den Müll beiseite zu lassen, wenn man sich sein persönliches Archiv im Nachhinein zusammenstellt.
Konntest du denn damals, zu GERMS-Zeiten, Darby deine Faszination für zum Beispiel Karl-Heinz Stockhausen nahe bringen? Hatte er überhaupt Interesse daran?
So weit es Darby betraf – und zu einem ziemlich hohen Maße verhielt es sich mit den anderen in der Band genauso –, fiel alles, was auch nur entfernt in diese Richtung ging, unter die verabscheute Kategorie „Kunst“ und wurde demzufolge gemieden und verachtet.
Warum wurdest du trotz deines musikalischen Backgrounds damals eigentlich nicht für „The Decline of Western Civilization“ interviewt?
Weil die Macher des Filmes schlau genug waren, mich gar nicht erst für ihren langweilen Film zu befragen. Dieser Film – und insofern du ein Fan sein solltest, tut es mir Leid – ist langweiliger Mist und wahrscheinlich sogar noch schlechter als der neue Film über die GERMS, „What We Do Is Secret“, der auch langweiliger Mist ist. Doch das ist nicht der Grund dafür, weswegen sie mich nicht interviewt haben. Sie hatten einfach keinen Bezugsrahmen für mich, keine Schublade, in die sie mich stecken konnten, welche auch nur im Entferntesten Teil ihrer lächerlichen und – zum Glück für uns alle – unwahren, zurechtgebogenen Märchenwelt, dieser abschreckend-apokalyptischen „Clockwork Orange in suburbia“-Vision hätte sein können, auf welche die Produzenten fälschlicherweise ihren Fokus setzten. Okay, manche Dinge mögen einigermaßen richtig dargestellt sein, aber die meisten nicht. Hätte ich diesen Film früher gesehen, hätte ich wahrscheinlich niemals Phoenix in Richtung L.A. verlassen.
An sich bin ich auch kein wirklicher Fan von „The Decline ...“, aber als Zeitdokument, so ungenau er auch sein mag, fand ich ihn doch hilfreich, um einige Lücken zu schließen. Soweit ich weiß, bietet er zum Beispiel auch eine der seltenen Gelegenheiten Claude Bessy zu erleben.
Gut, das stimmt. Es gibt von einigen der dort gezeigten Leute nur wenig filmisches Material. Doch CATHOLIC DISCIPLINE war niemals eine echte Band und wären sie’s gewesen, dann hätte es sich bei ihnen um eine ziemliche Scheißband gehandelt. Das Zeug über Darby war lustig – ich weiß ja nicht, ob du mal mein Buch „Lexicon Devil“ gelesen hast, doch darin befindet sich eine amüsante Geschichte über das Interview und Darbys so genannte „Mitbewohnerin“ Michele. Darbys eigentlicher Mitbewohner war sein damaliger Liebhaber, Tony the Hustler, ein ausgewachsener, heißblütiger Stricher in Ledermontur. Die Regisseurin Penelope Spheeris kündigte sich also an, mit dem Kamerateam vorbeizukommen, um ein Interview mit Darby zu führen, der allerdings unglaubliche Angst davor hatte, als schwul geoutet zu werden. Tony riet ihm, eine Freundin zu bitten, sich zur Tarnung als seine Mitbewohnerin auszugeben, da seine Homosexualität ansonsten zu offensichtlich gewesen wäre. Also wurde Michele angerufen, sie kam vorbei, gab sich als Darbys Mitbewohnerin aus und dessen Geheimnis war einmal mehr bewahrt – zumindest eine Zeit lang. Der GERMS-Auftritt in „The Decline“ wurde in einem Studio, in welchem man eine Bühne aufbaute, gedreht – und zwar deswegen, weil wir damals in Los Angeles quasi Auftrittsverbot hatten und keine einzige Show spielen konnten, ohne dass die Bullen dem Ganzen ein Ende setzten, bevor es überhaupt losging. Der Großteil der Zuschauer setzte sich aus dem zusammen, was wir als „The Riverside Contingent“ bezeichneten, angeführt von Bill Bartell, der später als Pat Fear von WHITE FLAG bekannt wurde, sowie Gary Ryan – er heiratete Lorna und spielte Bass bei JOAN JETT & THE BLACK HEARTS – und Darbys männlicher Liebe seines Lebens, Donny Rose ...
In deinem Buch „Lexicon Devil“ erwähnst du irgendwo, dass die GERMS immer an der Grenze ihrer physischen und emotionalen Möglichkeiten gespielt hätten und es stets darum ging, diese immer weiter nach oben zu setzen. Ist das nun, da die Band heute gewissermaßen wieder zusammen ist, immer noch der Fall? Was wollt ihr als Band dafür tun, um es „neu“ klingen zu lassen?
Ich versuche einfach, das alte Zeug mit mehr Power zu spielen. Ich bin heutzutage ein besserer Schlagzeuger als früher und ich weiß auch, was ich selbst von diesen GERMS-Typen erwarten würde, wäre ich es, der im Publikum stünde – also versuche ich auch, genau das zu leisten.
Habt ihr auch vor, neues Material aufzunehmen?
Wir spielen momentan einige niemals aufgenommene Songs aus der Darby Crash-Zeit. Gelegentlich auch Coverversionen, wie zum Beispiel „Hang on to yourself“ von Bowie oder „Amoeba“, als wir mit den ADOLESCENTS zusammen spielten. Des Weiteren gibt es noch diese ganzen Songs von „Germicide“, die wir nicht mehr gespielt haben, nachdem die Band besser wurde, wie „Suicide machine“, „Get a grip“, „Street dreams“ und „Vile babies“. Einige dieser Songs sind im Grunde genommen ziemlich gut, wir verstanden uns damals nur nicht darauf, sie vernünftig zu spielen. Es ist also durchaus Material vorhanden. Wir hängen ziemlich an dem Zeug mit den Darby Crash-Texten, keiner von uns möchte ihn, was das betrifft, ersetzen. Ich, für meinen Teil, hasse es, Texte zu schreiben, und so fähig Shane West als neuer GERMS-Sänger auch diesbezüglich wäre, glaube ich kaum, dass wir in Kürze irgendwelche Texte von ihm erwarten dürfen.
In diversen Interviews, wie auch in deinem Buch, hattest du erwähnt, dass LSD eine bedeutsame Rolle spielte, sowohl was mehrere deiner Bands betrifft, als auch die Musikgeschichte zwischen 1968 und ’74 im Allgemeinen.
Ich denke, Sky Saxon hat es bekanntermaßen ein wenig übertrieben, doch heutzutage geht es ihm verdammt gut, insbesondere für jemanden, der über 70 ist! Er schmeißt sich noch immer das Zeug ein, wann es nur geht ... Bei mir haut das dieser Tage nur noch gelegentlich hin, aber er scheint mehr für umsonst aufzutreiben, als ich es jemals könnte. Er kriegt auch immer noch die heißesten Groupies ab! Ich finde, dass LSD wirklich alles zum Besseren verändert hat, auf zirka eine Milliarde verschiedene Arten, und es gibt wirklich nichts, was daran von Natur aus schlecht wäre. Meiner Meinung nach gibt es keine „schlechten Trips“, und falls doch, dann ist niemals die Droge daran schuld. Die Dinge wären dann auch so aus dem Ruder gelaufen, nur empfindet man es halt stärker, wenn man auf LSD ist. „Set and setting“ sind sehr wichtig! Die falsche Handhabung ist es, die einen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Scheißtrip haben lässt. Sowohl Darby, Pat als auch ich hatten – und zwar jeder einzelne von uns – mehr als tausend Trips und die meisten davon in unseren Kindheits- und Teenagertagen. Man muss einfach nur die Musik hören, die Kunst betrachten oder die Literatur lesen, die aus dieser Zeit stammt beziehungsweise sie zum Thema hat, um zu verstehen, was ich meine. Es handelte sich um eine tiefergehende Renaissance als die Epoche, die man eigentlich als Renaissance bezeichnet. Natürlich, einiges an dieser „Hippy-dippy“-Scheiße nervte, aber das lag halt damals in der Luft und war gewissermaßen nicht zu vermeiden. Aber abgesehen davon, sieh dir den Krautrock an, die Happenings und die Acid-Tests. Betrachte die Artworks und die Underground-Comics, die so smart und abgedreht waren, wie niemals zuvor.
Aber es kam ja auch viel Müll dabei heraus.
Zugegeben, es war auch eine Menge Schrott dabei, der unter der Bezeichnung „Psychedelia“ firmierte, aber der gute Kram war in der Überzahl und ist auch heute noch hervorragend: Acid Rock, LSD-Mindfucker, Aleister Crowley, Kenneth Anger, Leary, Burroughs mit seinem Yage-Hype, all die ganzen smarten, fantastischen Motherfucker – Acid, Acid, Acid! Oder zumindest Pilze, Peyote, oder welche Psychedelika auch immer, einschließlich Gras. Es ist alles das Gleiche und es funktioniert. Es gibt eine Gruppe von Leuten, die wahrhaftig daran glauben, die biblischen Zitate von Jesus Christus würden allesamt mehr Sinn ergeben, wenn sie von einem „magic mushroom“ in Menschengestalt gesprochen würden. Versuch mal, die Jesus-Zitate im Neuen Testament auf diese Weise zu lesen, und finde selber raus, ob sie damit richtig liegen. Wie auch immer, Fakt ist und bleibt, dass LSD und andere Psychedelika extrem wichtig sind, und es ist unser eigener Nachteil, wenn wir ihre positiven Wirkungen nicht hinreichend zu schätzen wissen.
Jason Honea
Übersetzung: Ben Bauböck
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #82 Februar/März 2009 und