Die legendärsten Gigs der ersten Generation von Vancouver-Punkbands fanden Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger statt. Deswegen war es etwas Besonderes, als D.O.A.-Gründungsmitglied Joey „Shithead“ Keithley die ursprünglich 1979 erschienene Compilation „Vancouver Complication“ auf CD wiederveröffentlichte und die Wise Hall mietete, um im Februar 2005 eine Reunion-Show mit Vancouver-Bands zu veranstalten. Zum Teil kam es dabei sogar zu Wiedervereinigungen, die darüber hinaus Bestand hatten, wie im Fall der DISHRAGS. Kurz vor der Veröffentlichung der neuen Vinyl-Retrospektive „Three“, mit zum Teil bislang unveröffentlichtem Material, unterhielt ich mich mit DISHRAGS-Frontfrau Jade Blade.
Jade, wie hat das mit dir und Punk angefangen?
Mit dem ersten Album der RAMONES. Ich habe im Sommer 1976 ein Review zu diesem Album gelesen und dachte: Wow, das klingt echt geil. Ich bin mir sicher, dass es im Circus Magazin war, das ich damals abonniert hatte. Sie haben das Album leider nicht in Victoria verkauft, aber als ich mit meiner Familie nach Seattle gefahren bin, habe ich es dann in die Finger bekommen. Es hat für mich wirklich alles grundlegend verändert – obwohl ich schon immer ein Fan von eher derberen Sachen war. Alle drei späteren Bandmitglieder mochten Sachen, die unsere Klassenkameraden in der Schule nicht so gut fanden. Wir waren große David Bowie-Fans, und sogar der galt als ziemlich schräg in der ländlichen Umgebung von Vancouver Island, wo wir aufwuchsen. Alle haben SUPERTRAMP und APRIL WINE geliebt und wir sind auch zu deren Konzerten gegangen, weil es sonst nichts in Victoria gab, haha.
Ich habe mich immer gefragt, was es mit der Aggression bei den frühen DISHRAGS auf sich hatte. Im Vergleich zu allem anderen, was zu dieser Zeit erschienen ist, wart ihr ziemlich angriffslustig, ziemlich Punk.
Haha! Versetz dich doch mal in ein 15-jähriges Mädchen hinein, das auf der Bühne stehen will. Da muss man sich schon was einfallen lassen! Wir wollten nicht niedlich wirken. Wir wollten erreichen, dass die Leute uns ernst nahmen.
Es gibt wirklich nicht viel wenig, was an den DISHRAGS niedlich und unschuldig ist.
Genau. Es gab zu dieser Zeit nur wenige Girl-Groups und wir wollten nicht denselben Weg einschlagen wie etwa die RUNAWAYS. Cherie Currie hat allen Ernstes Korsetts auf der Bühne getragen. Nicht dass man den DISHRAGS geraten hätte, dasselbe zu tun. Wir wollten für unsere Musik bekannt sein und nicht in Unterwäsche oder hohen Stilettostiefeln auftreten. Ich denke, es war auch so eine Art Abwehrmechanismus, zu versuchen, so angepisst zu klingen, wie wir konnten.
Gab es irgendwelche weiblichen Künstler, die einen Einfluss auf euch hatten? Wart ihr zum Beispiel Fans von Suzi Quatro?
Ja, wir haben Suzi Quatro geliebt. Und Patti Smith war auch klasse. Sie gehörte zu unseren frühen Einflüssen, genau wie Debbie Harrys Performance bei BLONDIE bis zu einem gewissen Punkt. Aber in den Siebzigern gab es nicht so viele weibliche Künstler, die ich mochte; es existierten einfach ansonsten keine.
Ich bin neugierig, was deinen Namen Jade Blade betrifft. Ich weiß, du heißt eigentlich Jill Bain und daher kommen schon mal die Initiale „JB“, aber was weiter?
Ich weiß nicht, ob ich das erzählen möchte. Das ist eigentlich echt langweilig. Ich war wie schon gesagt ein großer Bowie-Fan und es gibt ja auch das Bowie-Messer, daher kommt „Blade“. Außerdem war ich Fan von den ROLLING STONES, und Mick Jaggers Tochter heißt eben Jade. Ich habe verschiedene Namen ausprobiert. Jill Kill stand zum Beispiel auch zur Debatte, aber das war dann doch irgendwie zu blöd.
Und was ist der Ursprung des Bandnamens DEE DEE AND THE DISHRAGS?
Wir waren damals mal bei einer Probe der FURIES in Vancouver, und Kat Hammond, die damalige Managerin der FURIES, war auch da. Wir hingen einfach nur rum und haben zugeschaut, aber mein Cousin Chris, der Frontmann der FURIES und SHADES war, hatte ihr erzählt, dass wir eine Band haben. Sie ist zu uns rübergekommen und fragte, ob wir am 30. Juli 1977 zusammen mit den FURIES einen Gig spielen wollten. Wir haben natürlich ja gesagt. Innerhalb der Band hatten wir schon ungefähr hundert verschiedene Namen für unsere Band vorgeschlagen. Wir konnten uns einfach nicht einigen – drei Teenagerinnen, es war absolut unmöglich. Kat rief dann irgendwann bei uns an und sagte: „Ich hab die Plakate drucken lassen und euch DEE DEE AND THE DISHRAGS genannt.“ Wir dachten nur: „Na schön, gut.“ Sie hatte bei dem Namen an Dee Dee Ramone gedacht, weil sie wusste, dass er eine unserer Hauptinspirationsquellen war, aber ich habe keine Ahnung, woher das mit DISHRAGS kam, also „Die Spüllappen“. Das war ganz allein ihr Werk – es wurde uns einfach so aufgedrückt. Wir haben das mit DEE DEE AND... schon früh wieder weggelassen, aber es war wirklich hart, den Namen abzuschütteln. Wir sind nie gefragt worden, ob wir mit den Plakaten einverstanden sind, ansonsten hätten wir diesen Namen nie gehabt!
Wart ihr jemals bei einem Auftritt von den RAMONES?
Wir haben die RAMONES mehrmals gesehen. Im August 1977 sahen Dale und ich, nach einer Show mit den FURIES, ungefähr anderthalb Lieder von einem RAMONES-Auftritt im Commodore, bevor wir durch die Hintertür rausgeschmissen wurden, weil wir erst 15 waren. Das war echt enttäuschend, besonders, weil wir lange unterwegs gewesen waren. Seitdem habe ich sie aber mehrere Male gesehen, in späteren Line-ups. Wir sind als vierköpfige Band sogar mal im UBC mit ihnen aufgetreten und sollten in Seattle für sie eröffnen ... Es gibt verschiedenste Gerüchte, warum die RAMONES da letztendlich nicht aufgetaucht sind, aber wir haben für sie eröffnet und auch die Show beendet, weil sie nicht da waren. Ich bin aber trotzdem ein Fan von ihnen. Die ersten fünf Alben sind großartig. Danach habe ich das aber nicht mehr so genau verfolgt.
Was ist dir von dem damaligen Auftritt in der Japanese Hall zusammen mit den FURIES noch in Erinnerung geblieben? Das muss ja eine der ersten Punk-Shows in Vancouver gewesen sein ...
Alle haben unterschiedliche Erinnerungen. Es war ziemlich klein. Ich wüsste gern, wie viele Leute tatsächlich da gewesen sind, aber soweit ich mich erinnere, müssen es etwa hundert gewesen sein. Es war ein ein bunt zusammengewürfelter Haufen – die ganze Palette, so wie die Punk-Szene eben war. Von Kindern bis Senioren. Meine Eltern waren da, genau wie Hippies und Möchtegern-Punks. Zu dieser Zeit war in Sachen Punk nicht viel los. Ich glaube, manche Leute haben ein oder zwei Sicherheitsnadeln getragen, aber alles stand noch ganz am Anfang. Es sah aus wie jeder andere Gig auch. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch gar keine eigenen Songs, nur Cover: THE RAMONES, THE CLASH, EDDIE AND THE HOT RODS, THE SAINTS ...
Angesichts der angepissten Grundhaltung und dem Namen THE DISHRAGS habe ich euch immer als feministische Punkband eingestuft. Habt ihr euch als Teenager selbst als Feministinnen gesehen?
Ich würde sagen ja. Wir hätten das alles nicht gemacht, wenn wir keine Feministinnen gewesen wären. Obwohl ich mich nie richtig mit feministischen Theorien beschäftigt habe, zumindest als ich 15 war – es hat eine Weile gedauert, bis ich dazu gekommen bin. Doch was unser Verhalten angeht und unsere Einstellung waren wir definitiv feministisch. Allerdings war das kein klares politisches Programm. Wir haben es nur ganz natürlich verkörpert, weil wir Lederjacken und Jeans getragen haben und als junge Frauen als Band auf der Bühne standen.
Welche Bedeutung hatte Chris Arnett, der Frontmann der FURIES, damals für euch?
Einen gewaltigen. Ich war so wie er immer ein großer Musikfan, deshalb haben wir uns auf dieser Ebene irgendwie verbunden gefühlt. Wann auch immer er also zu Besuch kam – wir hatten mehrmals im Jahr Familientreffen –, habe ich ihn total ausgefragt. Oder er hat Sachen mitgebracht. Wir haben zu Weihnachten auch immer Schallplatten auf unsere Wunschlisten geschrieben und ich habe mir oft dieselben Sachen gewünscht wie er, weil er so einen großen Einfluss auf mich hatte.
Erinnerst du dich an irgendwelche speziellen Einflüsse?
Durch ihn bin ich früh mit Bowie und ROXY MUSIC in Kontakt gekommen. Ich habe zwei ältere Schwestern und eine von ihnen war großer ROLLING STONES-Fan, das war Chris auch, also ist auf diesem Weg einiges davon ins Haus gelangt. Aber es war allein durch Chris, dass ich mich Iggy, Bowie und ROXY MUSIC zugewandt habe. Suzi Quatro und die RUNAWAYS haben wir dann selbst noch für uns entdeckt, weil wir daran interessiert waren, was andere Frauen zu dieser Zeit gemacht haben.
Ihr habt einmal für die AVENGERS eröffnet, eine Band mit einer Frontfrau.
Ja, und ich fand toll, was Penelope gemacht hat. Sie war genial.
Was für Shows habt ihr sonst noch gespielt?
Unsere wahrscheinlich größte Show war mit THE CLASH. Wir waren große Fans und das war ein großer Auftritt. Sie wollten, dass Frauenbands für sie eröffnen, so sind wir an den Gig gekommen. Das war im Commodore. Dann haben wir noch einmal im Paramount in Seattle und ein paar Jahre später für ein anderes Line-up von THE CLASH bei der „Cut The Crap“-Tour eröffnet.
Auf „Three“ gibt es auch eine Coverversion von „London’s burning“ von THE CLASH. Hattet ihr das schon vorher mal gespielt?
Den Song haben wir als Zugabe bei unserer ersten Show mit THE CLASH gespielt. Wir hatten einfach gehofft, dass wir eine Zugabe spielen könnten. Das war dann auch so, also haben wir uns für ein CLASH-Stück entschieden, weil wir in unseren früheren Sets immer ihre Songs gespielt hatten. Wir haben sämtliche dieser ersten Punk-Alben gecovert. Es war also in gewisser Hinsicht eine Mutprobe. Wir sind zurück auf die Bühne gegangen, haben den Song gespielt, und es war einfach nur toll, denn mittendrin haben wir zur Seite geschaut und da standen THE CLASH am Bühnenrand und haben getanzt. Und als sie dran waren, haben sie ihre Version von „London’s burning“ uns gewidmet.Wir waren total begeistert.
Habt ihr auch sonst Zeit mit ihnen verbracht?
Ja, und sie waren supernett. Über die Jahre wurden sie allerdings immer unfreundlicher. Bei ihrem ersten Gig waren sie selbst noch aufgeregt, weil es ihr erster Auftritt in Nordamerika war. Deswegen sind sie am Abend vor der Show ins Windmill gekommen, um mit den örtlichen Punks rumzuhängen; und wir haben vor der Show mit ihnen zu Abend gegessen, das war total aufregend. Es war so, wie seine Idole zu treffen. Ich war backstage im Commodore und Bo Diddley war auch da, weil THE CLASH viele von ihm inspirierte Riffs gespielt haben und wollten, dass er dabei ist. Zu dem Zeitpunkt haben sie viel mit uns geredet, für uns getanzt und uns diesen Song gewidmet ... Das nächste Mal haben wir sie im Paramount getroffen. Sie kamen raus, haben uns die Hand gegeben und waren höflich. Aber zu der Zeit des Coliseum-Gigs haben wir sie überhaupt nicht gesehen – getrennte Garderoben und alles.
Wir sollten auch über die Feindseligkeiten gegenüber den DISHRAGS reden. In Susanne Tabatas Film „Bloodied But Unbowed“ sieht man, dass oft Sachen nach euch geworfen wurden und es viele Buhrufe gab.
Ja, das kam oft vor. Es ist einer der Gründe, warum wir gar nicht anders konnten, als politisch zu sein. Weil die Leute an uns auszusetzen hatten, dass wir drei junge Frauen und obendrein noch eine Punkband waren. Ich sollte allerdings dazusagen, dass es nicht das Punk-Publikum war, das uns nicht mochte. Die Punks waren meist ziemlich nett zu uns. Wenn wir in Läden wie dem Windmill gespielt haben, ist es nie passiert, dass Leute Sachen geworfen oder uns beschimpft haben. Das Filmmaterial stammt, glaube ich, aus Gary Taylor’s Rock Room, wo das Publikum total Mainstream war.
Für die Vancouver-Band CORSAGE habt ihr ja auch Background-Gesang gemacht. Der ist ziemlich verspielt und hat wenig Ähnlichkeit mit dem, was die DISHRAGS gemacht haben. Ihr wart zu diesem Zeitpunkt auch in einer Coverband und seid immer mal wieder als RAISINETTES aufgetreten, oder?
Ja, aber nur zu dritt. Wir waren eine SUPREMES-Coverband. Für CORSAGE nannten wir uns dann RAISON D’ETRES. Die RAISINETTES waren eine der Bud Luxford-„Fuck Bands“ in der Punkszene von Vancouver, die auf nicht ganz ernstgemeinte Art ausschließlich Coversongs spielten. Bud Luxford war eine der treibenden Kräfte in der Bewegung der „Fuck Bands“ und hat auch zwei Compilations mit solchen Bands veröffentlicht.
Die vierköpfige Version der DISHRAGS hatte sich zu diesem Zeitpunkt also schon aufgelöst?
Das hielt nicht sehr lang, wir haben vielleicht sechs Monate zu viert zusammen gespielt. Wir drei waren stärker miteinander verbunden – also ich, Dale Powers und Scout Fairlane. Wir kannten einander noch aus der Grundschule und sind immer noch sehr eng befreundet. Also sind nur wir drei zusammen aufgetreten und standen vorne mit wilden Handbewegungen und langen Kleidern auf der Bühne. Wir hatten allerdings noch eine Begleitband, weil wir wie die SUPREMES seien wollten.
Und wer waren die SNOW GEESE?
Das waren Phil Smith, Bill und die DISHRAGS – wir fünf zusammen. Wir haben die Lieder gespielt, die Phil entweder alleine oder mit Bill zusammen geschrieben hatte. Wir haben Hosenanzüge getragen und ziemlich naive Songs gesungen, die zu dem Namen passten. Das Ganze hatte auch wieder mit Bud Luxford angefangen. Es war also wieder eine Parodie, wie eine Band mit dem Namen SNOW GEESE – „Schneegänse“ – aussehen und klingen könnte.
Wie war es eigentlich beim dem Dreh des Dennis Hopper-Films „Out of the Blue“, der 1980 in Vancouver gedreht wurde? Da wart ihr doch auch dabei, oder?
Genau, wie so oft haben wir bei dieser Show für die POINTED STICKS eröffnet und mussten ewig auf den Auftritt warten. Du weißt doch, wie das an Filmsets ist – man muss auf alles lange warten. Irgendwann musste Dale dann zur Arbeit, also ist Bill eingesprungen. Er hat sich eine Papiertüte über den Kopf gezogen und für sie den Bass übernommen. Es gibt eine Einstellung im Film, in der man uns irgendwo im Hintergrund sieht – mit Bill am Bass. Und ich glaube, es gibt einen POINTED STICKS-Song auf dem Soundtrack, der über der DISHRAGS-Szene läuft, aber das war es dann auch. Es sind vielleicht zwei Sekunden von uns im Film. Und Dennis Hopper war damals ziemlich unzuverlässig. Ich weiß nicht, ob er immer so war. Mehr möchte ich dazu eigentlich nicht sagen ...
2010 sind die DISHRAGS zusammen mit POINTED STICKS in Japan getourt. Wie war das für euch?
Wir waren ziemlich nervös. Wir haben zwei Nächte in Tokio und dann in Osaka gespielt. Tokio war ein bisschen nervenaufreibend. In Osaka hatten wir dann unseren Höhepunkt erreicht – wir hatten keinen Jetlag mehr und es war sehr schön, ein kleiner Club und ein großartiges Publikum. Es war der absolute Wahnsinn und die japanischen Fans, sie kannten die Texte besser als wir!
Die DISHRAGS haben aber nicht vor, noch mal aufzutreten, oder?
Dale lebt in Nanaimo auf Vancouver Island, Scout auf Salt Spring Island und ich auf dem Festland. Es gibt also keine Möglichkeit, sich zu treffen, um zu proben. Es ist ziemlich unpraktisch. Aber wenn jemand uns dafür bezahlen würde, noch mal in Japan zu spielen, dann wäre es uns das sicherlich wert!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Allan MacInnis