DIRTYS

23 Stunden, 35 Minuten und 15 Sekunden vor Eröffnung des ersten Glühweinstandes auf dem festlichen Mülheimer Weihnachtsmarkt kann mich nichts, ABER AUCH GOTTVERDAMMT NOCHMAL GAR NICHTS, in meiner festen Überzeugung erschüttern, daß die Krone für die krudeste Entkorkung des kollektiven Kerosin-Klang-Kanisters in diesem Kalenderjahr an THE DIRTYS aus Port Huron, Michigan gehen wird. Sind die fünfzehn down´n´dirty ditties auf "You Should Be Sinnin´" per se schon aller Ehren wert, so stellt sich eingedenk der Tatsache, daß besagte Herrschaften bis dato vinylös gänzlich unbeleckt waren und sich zudem in einem Alter befinden, in dem die meisten ihrer musizierenden Zeitgenossen sich gerade mal darüber klarwerden, ob se nun Frosties oder Cocoa Pops zum Frühstück essen sollen, unweigerlich die Frage: what gives? Zu einem klärenden Gespräch fanden sich ein : Joe (full-throttle thumb + revved up reverb roar), Marc (searin´geetar maulin´), Nick (astoundin´poundin´) und Larry (string scrapin´savagery). In diesem Sinne: let the square ones go and we´ll start the show!

Vor Erscheinen eures Debütalbums war mir der Name THE DIRTYS gänzlich unbekannt. Handelt es sich bei "You should be sinnin´" um eure ersten Aufnahmen überhaupt?

Marc: Wir hatten vorher lediglich ein 5-Song-Tape aufgenommen, das wir eigentlich selber als 7" veröffentlichen wollten. Wir haben das Ding dann aber auch noch an Crypt geschickt, und denen hat es so gut gefallen, dass sie uns gefragt haben, ob wir noch weitere zehn Songs aufnehmen könnten, um die ganze Sache dann als Album zu veröffentlichen. Das war übrigens das erste, was Tim Warren zu mir gesagt hat, als er uns live in Detroit gesehen hat. Ich hatte ihn vorher noch nie getroffen und als er an dem Abend auf mich zukam, waren seine ersten Worte: "Bitte, nehmt ein Album für uns auf!"

That suave fuck! Stimmt es eigentlich, dass ihr alle zwischen 19 und 24 Jahre alt seid?

Marc: Yeah!

Was zum Teufel ist dann euer Problem? Wieso tragt ihr nicht Schlabberhosen und Rucksäcke und spielt Straight Edge Hardcore, Skatecore oder andere wundervolle Musik, wie es sich für 19-24-jährige gehört?

Marc: Weil wir unser ganzes Leben lang Punkrock gehört haben und gottverdammt nochmal wissen, was Rock'n'Roll bedeutet.

Gott segne dich, mein Sohn! Eure Platte ist von Mick Collins produziert worden. Ist Mick in Michigan mittlerweile schon so etwas wie eine Berühmtheit?

Joe: Beinahe. Die wenigsten Leute kennen Mick, weil er ständig mit Sonnenbrille herumrennt und ein Pseudonym benutzt.

Marc: Wahrscheinlich wird er aber schon bald sehr berühmt sein, weil die neue Platte seiner Band THE DIRTBOMBS absolut unglaublich ist.

Ich hab' nicht ganz verstanden, weshalb in eurem Bandinfo der Vergleich zu den STOOGES anno 1971 gezogen wurde. Abgesehen von der geographischen Nähe scheint ihr mir mit dem stark rocklastigen Detroit/Ann Arbor-Sound eher weniger zu tun zu haben.

Marc: Das hat auch seine guten Gründe.

Joe: Fuckin' thank god!

Marc: Wir lieben nunmal Rock'n'Roll und wir hassen Rock-Platten.

Mir kam es auch so vor, dass ihr ähnlich wie die GORIES eher von einem Blues- und R&B-Background kommt.

Joe: ALRIGHT! Das höre ich gerne. Unser Ziel ist übrigens die gänzliche Vernichtung von Ska.

Oh, man, that shit's been run into the ground.

Marc: And we're trying to run it even further into the ground. Hoffentlich, aber ehrlich gesagt habe ich, was Ska- und Skatecore angeht, die Hoffnung auf jegliche Art von Besserung mittlerweile gänzlich verloren.

Joe: Egal welche Art von Musik du nimmst, sobald du die Silbe "-core" hinten anfügst, wird unweigerlich Scheiße dabei herauskommen. FUCK CORE! FUCK CORE!!

Ok, mal gucken... oh, ja, Michigan, "Detroit Rock City"... wart ihr bei der KISS-Reunion?

Marc: Leider nein, obwohl wir da umsonst hätten reinkommen können. Wir kennen die Typen nämlich noch aus Zeiten, als sie noch kein Make-Up trugen.

Ich hab' gehört, daß ihr demnächst mit einer weiteren feinen Band, den SPACESHITS touren werdet. Denen müsstet ihr vielleicht mal etwas Selbstvertrauen eintrichtern. Die haben gerade eine der besten Platten des Jahres abgeliefert und letzte Woche, als ich mit deren Drummer geredet habe, hat der keine Möglichkeit ausgelassen, um zu betonen, wie misslungen er die Produktion findet und wie beschissen das Album generell ist.

Joe: Stimmt, genau dasselbe haben die uns auch erzählt, dabei finde ich die Platte sehr gut.

Larry: Das ist halt das Problem mit Kanadiern... they freak out on their own shit... ich bin früher mit Kanadiern Skateboard gefahren und jedesmal, wenn du denen gesagt hast "YAou rip, you're fine", dann fingen die immer an von wegen "No, I suck" und öööhm...

Marc: Das war übrigens Larry, der Gitarrist.

Joe: The drunk!

Ok, was könnte ich euch noch fragen? Scheisse, mir fällt nichts ein, weil ich absolut nichts über euch weiss!

Marc: Du könntest uns fragen, weshalb wir bei unseren Shows ständig mit Frauenslips beworfen werden.

O.k., betrachte die Frage als gestellt.

Joe: Nun, obwohl ich das Groupie-Phänomen nicht verstehe, habe ich mich entschlossen, ihm zu einem Comeback zu verhelfen. Titty-Shows sind eine feine Sache, weil man so, während man für das Entertainment der Leute sorgt, selber Entertainment geboten bekommt.

Sind die HOOKERS aus Kentucky eigentlich so eine Art Geschwisterband von euch?

Marc: THE HOOKERS are awesome!

Joe: Yeah, they're really cool fuckers!

Marc: Wir haben mit den HOOKERS zusammen in Cincinatti gespielt. Das erste und das letzte Mal. Nach der Show sind wir für Cincinatti mit einem lebenslangen Auftrittsverbot belegt worden. Der Kongress arbeitet wahrscheinlich gerade an einem Gesetz, das es den HOOKERS und den DIRTYS untersagt, jemals wieder gemeinsam aufzutreten. Die HOOKERS-LP "Satan's Highway" ist übrigens grossartig. Das Ding kommt demnächst auf Scooch Pooch heraus.

Wieso hat Tim Warren sich letztendlich entschlossen, die Platte doch nicht herauszubringen?

Marc: Ich glaube, ihm gefiel der Drumsound nicht. Er war es aber auch, der anschliessend den Kontakt zu Scooch Pooch hergestellt hat.

Feines Label! Aber was zum Teufel ist bloss mit Ohio los? Als Heimat der DEAD BOYS und PAGANS haben die doch schliesslich einen gewissen Ruf zu verteidigen, und trotzdem belegen die euch mit einem Auftrittsverbot.

Marc: Es ist immer dieselbe Leier. Solange man nur Sachen zerbricht, ist alles in Ordnung, aber sobald man das Feuerzeugbenzin rausholt und die Verstärker anzündet, plustern sich alle sofort mächtig auf.

Ja ja, da sägt man einmal den Bassisten in Stücke und schon...

Joe: Aber dafür haben uns die Cops anschliessend bis zur Stadtgrenze eskortiert. Das war ziemlich nett.

Und dann haben sie gesagt: "I don't ever wanna see your asses around these parts again!"

Marc: Genau so war's: "Don't ever come back to Ohio!" Aber wenn wir unseren Namen ändern, dürfte es eigentlich kein Problem sein, sich wieder in den Staat hineinzuschleichen.

Und welcher Name wäre das wohl?

Marc: Ööhm... THE CLEANIES? THE BLOODY STOOL??

Klingt nach einem sicheren Verkaufsschlager.

Joe: Für welches Heft ist dieses Interview eigentlich?

Ox, falls dir das was sagt. Das ist übrigens ein gutes Stichwort: welches Fanzine sollte man eurer Meinung nach lesen, um sich geschmacklich weiterzubilden?

Joe: `Horizontal Action' aus Chicago!

Klingt nach einem Booze'n'Nookie-Zine. Ist das so ähnlich wie Shane Whites altes Fanzine... Mist, wie hiess das nochmal?

Marc: `Pure Filth'? Ja, so in der Art, nur besser. Greg Oblivian's `Wipeout!'-Zine ist auch ziemlich cool.

Mit eurem Blues- und R&B-lastigen Sound passt ihr auch ziemlich gut zu euren Labelkollegen OBLIVIANS und REVELATORS.

Marc: Stimmt, wir sind auch schon öfters mit denen zusammen aufgetreten, aber die REVELATORS feiern einfach nicht genug. Keine Ahnung, was mit denen los ist.

Joe: Die können nichts dafür. Die sind schliesslich aus Missouri.

Trotz der stilistischen Gemeinsamkeiten mit den OBLIVIANS und den REVELATORS hatte ich das Gefühl, daß eure Platte irgendwie zehnmal schneller und brachialer klingt und...

Marc: Elfmal schneller, um genau zu sein!

Tschuldigung. Jedensfalls läßt einem das Ding nicht gerade viel Zeit zur Erholung, sondern geht von Anfang bis Ende full-tilt.

Joe: UN-RE-LEN-TING!!!

Marc: Übrigens haben wir die zehn Songs, die wir neben unserem Tape zur Komplettierung von "You should be sinnin´" brauchten, größtenteils erst während der Aufnahmen geschrieben. Komischerweise sind das die besten Titel auf dem Album. Für unsere nächste Platte werden wir daher gänzlich unvorbereitet ins Studio gehen, die Songs an Ort und Stelle schreiben und während der Aufnahmen willkürlich irgendwelche Texte ins Mikro sabbeln.

Aber um nochmal auf euer Alter zurückzukommen: es will mir einfach nicht in den Kopf gehen, wie man als 19jähriger auf die Idee kommt, ein Album wie "You should be sinnin´" herauszuhauen.

Joe: Wir hängen nunmal viel mit alten Fürzen rum.

Marc: So geht's dir halt, wenn du nichts anderes hörst als LIGHTNIN' HOPKINS und die DWARVES.

Haltet ihr es live auch wie die DWARVES, also 15 Minuten zu spielen und ein blutiges Schlachtfeld zurückzulassen?

Joe: Leider gelingt es uns nicht immer, so lange auf der Bühne zu bleiben. In Columbus haben wir nur einen halben Song geschafft. Wir waren gerade mal eine Minute auf der Bühne und schon flogen haufenweise Gegenstände durch die Luft und direkt auf uns zu. Ein paar Minuten später war dann unser gesamtes Equipment im Eimer und halb Columbus wälzte sich auf dem Boden rum. An dem Abend hat sich Larry auch sein Bein gebrochen, als er mit einem Krug Bier in der Hand von der Theke gesprungen ist und sich dabei lang gemacht hat.

Marc: Und trotzdem ist er anschließend noch mit diesem 300 Pfund schweren Monster namens Juba in den Nahkampf gegangen. Die hat Larry gezwungen, sich Mädchenkleider anzuziehen, und dann hat sie ihn verführt.

Larry, möchtest du dich vielleicht dazu äussern?

Larry: Hey, fuck you!

Marc: Nachdem Larry von Juba runtergerollt war, befand er sich in einem anderen Staat, hahaha.

Wow, und das in Ohio!

Marc: Ohio ist schliesslich für zwei Dinge bekannt: mass murderers and fat bitches!

Aber in Detroit gibt es bei Ford am Fliessband doch bestimmt auch Frauen, die ordentlich zupacken können.

Joe: Du meinst wahrscheinlich die DETROIT COBRAS, hahaha! Deren Sängerin Rachel entspricht so ziemlich dem Stahlarbeiter-Typ.

Marc: She's a rocker!

Joe: No, she's a butcher! Oahm butch.

Das ist aber nicht die Rachel aus dem Jon Spencer-Song.

Marc: Mmh, keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. Schliesslich stammt Jon Spencer nicht aus Detroit, obwohl der Bengel ja ganz ordentlich herumkommt. Übrigens, falls du in den nächsten Tagen mit Crypt sprechen solltest, sag bitte Tim, dass uns das mit dem Beach-House leid tut. Wir befinden uns nämlich gerade im Crypt-Beach-House und Larry hat die Toilette zerstört.

Soso, das Crypt-Beach-House. Was darf ich mir darunter vorstellen? Chicks and Martinis?

Marc: Ganz genau! Chicks, Martinis, Weintrauben, Roast Beef, Kokain...

Hey hey, was soll eigentlich das ständige Kokain-Gelaber? Kokain ist immerhin der Inbegriff des Yuppietums.

Joe: Nein nein, Kokain ist nicht mehr wirklich Yuppie, sondern mittlerweile wieder Rock'n'roll. Du musst nämlich wissen: back when blow was blow, that's when shit used to get done! And rock was fatass! Diese Art von Lebensgefühl wollen wir wieder zurückbringen.

Marc: Wir wollen uns alle umbringen.

Meinetwegen, aber bitte erst nachdem ihr hier auf Tour wart.

Marc: Am 10. Januar kommen wir rüber. Die Tour beginnt in Hamburg und wir haben vor, Europa nach und nach einzukreisen und letztendlich unter Zuhilfenahme des Schlieffen-Plans zu erobern.

Alright, pillage and destroy!

Marc: Yessss, pillage and destroy and rape and maim!

Passt nur auf, dass ihr euch nicht wieder selber verstümmelt wie in Columbus.

Marc: Larry wird am Ende der Tour wahrscheinlich in einem Ganzkörperkorsett auf die Bühne gerollt werden. Wahrscheinlich werden wir einen Haufen Shows zusammen mit LOS ASS-DRAGGERS spielen.

WHOOAA!!!! Killer-Package! Die Jungs rocken ebenfalls in einem nicht unerheblichen Maße! Und ihr Gitarrist Mr. Bratto ist ein verdammt feiner Kerl.

Marc: Mr. Who?

Mr. Bratto!

Marc (offensichtlich davon ausgehend, der Chord Lord des Oviedo Onslaughts buchstabiere sich Mr. Bretto): Hey, soll das so eine Art BAD RELIGION-Verarsche sein? The Spanish BAD RELIGION with Mr. Bretto!

Wohl kaum. Ich finde auch, dass die beste Verarsche von BAD RELIGION nach wie vor BAD RELIGION selber sind.

Marc: Hey, hast du unser Band-Info gelesen? Da steht, dass wir wie eine komplette Panzer-Division klingen. Wir werden die gesamte Welt erobern und niemand wird uns dabei aufhalten können. We're on the move! Wir suchen gegenwärtig nur noch nach den passenden Namen. Joe ist Rommel.

O.k., was stand nochmal genau in dem Info? "Burdick's bass style is reminiscent of an entire panzer division in the midst of frenzied attack." Whoa!

Joe: Hahahaha! I shoot the shit, man!

Wer hat denn dieses wundervolle Info geschrieben?

Joe: Das war so ein Typ, der zu einer unserer Shows gekommen ist. Ein wirklicher begnadeter Schriftsteller, der sich auch sehr stark für wohltätige Zwecke einsetzt.

O.k., das war's.

Joe: Hey, was heisst "bye" auf Deutsch?

Marc: Auf Wiedersehen. O.k., pass auf, ich kann noch mehr Deutsch: arbietest du?

Häh?

Marc: Arbeitest du? Egal, hier kommt mein richtiges Deutsch. Bist du bereit?

Schiess los!

Marc (brüllt): EI GREF RACHÄH WOT ISSE POLÄHN ACH ROHSTUDIEL OHGENIEKLAUCH ACHEN DEUSCHTI DEUTSCHLAND!!!!!! Na, wie war das?

Das klang wie Sgt. Schulz aus "Hogan's Heroes".

Marc: Hahahaha, hey, der Scheiß war 100 % authentisch; eine Dokumentation über den 2. Weltkrieg.

JAWOHL, HERR KOMMANDANT!

Marc: Ei noh nassink!

Diiiiismissed!