15 Jahre ist es nun schon her, dass Lee Joseph sein Label Dionysus Records aus der Taufe hob. Im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Labels hat er sich nie auf einen einzigen Stil festgelegt, sondern versucht, eine "pluralistische Labelpolitik" durchzuziehen. Jetzt zum 15jährigen Jubiläum ist es nun an der Zeit, das Label und vor allem die Menschen dahinter unter die Lupe zu nehmen.
Nachdem Joseph ganz am Anfang ein reines Tapelabel betrieben hat, fühlte er sich als Freund des Vinyls doch verpflichtet, ein richtiges Label zu starten. Gegründet wurde Dionysus Rec. im Jahre 1984, und auf diesen doch eher sonderbaren Namen ist Lee nicht durch Zufall gestossen, sondern die Lebensweise des griechischen Gottes ("Wein, Weib und Gesang") kam seiner eigenen zu dieser Zeit relativ nahe. Die erste Veröffentlichung war eine Single seiner eigenen Band YARD TRAUMA, die scheinbar niemand anders veröffentlichen wollte, also nahm Lee das in die Hand. Später, als er seine zukünftige Frau Aime traf, meinte die "Lass mal sehen, ob ich das nicht kann, lass mich dein Label führen." Als er einige Jahre später nach Los Angeles zog, traf er dort eine Menge anderer, guter Bands, deren Platten er veröffentlichen wollte. Nach einigen Versuchen bemerkte er freilich, dass er mit Dionysus bereits zu tief in der 60´s Punk- und Garage-Szene verwurzelt war, was zur Folge hatte, dass seine neueren Veröffentlichungen seine Stammkäufer ziemlich vor den Kopf stiessen. Lee meint: "Sobald du Musik auf ein Stück Plastik bannst, machst du daraus ein Produkt. Ein Produkt muss man verkaufen. Wenn Leute eine Dionysus-Platte kaufen, dann bekommen sie etwas, das irgendwie nach amerikanischem Rock´n´Roll klingt."
Daraus und aus der Tatsache, dass niemand Dionysus aussprechen konnte, resultierte das Sublabel Hell Yeah, das 1992 aus der Taufe gehoben wurde. Dessen erste Veröffentlichung, eine Platte von FEARLESS LEADER beschrieb Lee so: "Ihre Songs waren wirklich lächerlich. Sie klangen ungefähr wie punkrockige KISS auf einem schlechten BAD ANGEL-Trip nach zuviel Bier." Weitere Platten waren z.B. die erste RED AUNTS-Single oder HOT DAMN. Damit noch nicht genug, denn es gibt noch ein drittes Label: Bacchus Archives, gegründet ein Jahr nach Hell Yeah. Stilistisch kann man die Platten, CDs, oder was auch immer, die auf diesem Label veröffentlicht werden, überhaupt nicht einordnen. Vielmehr handelt es sich ausschliesslich um "alte" Musik, die schon einmal veröffentlicht worden ist, aber nicht mehr erhältlich ist. Lee: "Unter diesem Namen bringen wir Sachen heraus, die ansonsten in Thrift Stores oder auf Tauschbörsen vor sich hingammeln würden."
Und Aime ergänzt: "Die älteste Platte dürfte "The East Side Sound" sein, das ist "Chicano Rock" aus den späten 50´ern und 60´ern. Es gibt zwar einige Konzeptalben von Künstlern wie MAE WEST, aber ein festes Konzept für Bacchus gibt es nicht. Wir veröffentlichen 50´s Lounge, 60´s Surf wie z.B. die SURF TEENS, Garage, "Frat Rock" und auch 70´s Punk wie die DEAD BOYS, oder die Band von Joey Ramone´s Bruder, THE RATTLERS."
Der größte kommerzielle Erfolg bisher war übrigens die Veröffentlichung zweier Platten von Les Baxter, quasi dem Erfinder des "Exotica"-Stils. Darunter versteht man eine Mischung aus karibischen, afrikanischen, südamerikanischen Einflüssen, gepaart mit Jazz, wobei die Songs sehr "exotische" Titel haben.
Diese grosse Vielfalt an Labels und an verschiedenen Veröffentlichungen lässt einen aber fragen, ob es nicht anstrengender ist, drei Labels anstatt einem zu betreiben. Darauf antwortet Aime: "Nein, es ist nicht wirklich anstrengender. Es ist eher einfacher, da zu jedem Label andere Musik gehört und auch jeweils ein eigenes Codesystem. Die Unterteilung hilft uns auch, beständiger zu sein. Jemand, der eine Hell Yeah Veröffentlichung kauft, weiss, dass er etwas lautes und aggressives bekommt, während er bei einem Dionysus-Produkt eine Garage- oder Rockabilly-Band bekommt, von Bacchus ganz zu schweigen."
Crypt Records hat vor einiger Zeit frustriert damit aufgehört, aktuelle, noch existierende Bands zu veröffentlichen und konzentriert sich auf die verschiedenen Sampler Reihen. Was hält das Dionysus-Paar davon? Sie haben ja auch gesagt, dass es schwieriger ist, neue Bands zu finden und vor allem zu unterstützen. Lee: "Falls wir den einfachen Weg wählen wollten, würden wir nur noch Reissues machen. Wir kennen den Markt, wir wissen, wieviele Platten wir verkaufen würden und wieviel wir ausgeben könnten. Platten mit neuen Bands zu machen ist allerdings ein Risiko, vor allem jetzt, wo es so viele Bands und so viele Labels gibt, von den unzähligen Platten ganz zu schweigen. Es ist nicht mehr wie in den frühen 80ern. Damals ging man in einen Plattenladen und es gab eine Kiste mit Independent-Platten. Man hatte Punkrock, Gothic oder Noise und das war es dann. Jetzt sind die Leute eher genreorientiert."
Aime ergänzt: "Neue Bands verkaufen sich nicht mehr so gut wie vor zwei oder drei Jahren. Dionysus wird aber weiterhin Platten von neuen Bands, deren Musik wir lieben, herausbringen. Der einzige Grund, warum Dionysus gegründet wurde und schon so lange existiert ist unsere Liebe und Leidenschaft für die Musik. Wenn wir eine Band hören, durch die wir uns lebendig fühlen, oder die einfach rockt und die Band unser Label mag und unseren eingeschränkten finanziellen Spielraum versteht, dann lohnt es sich für die Band und für uns, diese Investition zu tätigen."
Noch einmal muss Crypt Records für einen Vergleich herhalten. Crypt wurde nämlich ein Jahr vor Dionysus gegründet. War das Zufall oder herrschte damals eine gewisse Stimmung? Was war los 1983 und 1984?
Aime: "Niemand von uns kannte zu der Zeit Tim Warren oder Crypt Records. Lee hatte 1981 ein Kassettenlabel namens Iconoclast, das er in Tucson, Arizona gründete. Selbst nach der YARD TRAUMA-Single gab es niemals eine Intention, ein Label zu gründen. Lee nahm das erste "Back From The Grave"-Album in das Sortiment seines Plattenladens auf, den er damals betrieb, aber es schien sich dabei um eine Eintagsfliege zu handeln, obwohl es die meisten 60´s-Compilations der damaligen Zeit in den Schatten stellte. In Los Angeles gab es Anfang der 80´er Jahre eine große 60´s-Szene mit Clubs wie "The Rave Up" oder "PVTV03" und vielen Bands. Lee zog 1984 nach L.A., um bei THE UNCLAIMED einzusteigen. Ich persönlich war mehr am 70´s Punk interessiert, an den RAMONES und den DEAD BOYS."
Über die Jahre hat das Dionysus-Imperium hat noch ein weiteres Standbein bekommen: den Film. Wie kam es dazu? Aime: "Vor Dionysus arbeitete ich bei eine Firma, die Musik für Film und Fernsehen lizensierte. Ich war überrascht, wie einfach es war und wieviel Geld man auf diese Weise machen konnte. Als hier bei Dionysus die Gelder etwas knapp waren, haben Lee und ich beschlossen, unsere Musik bei verschiedenen Produktionen beizumengen. Eine Zeitlang lief das ziemlich gut, wir bekamen wöchentlich Anrufe von Paramount und Warner Brothers, aber die Dinge sind etwas ins Stocken geraten, da die TV Industrie zyklisch abläuft. Vor einigen Monaten allerdings haben wir drei Chaino-Songs u.a. für den neuen Sandra Bullocks Film "Forces Of Nature" lizenziert."
1998 aber war ein sehr erfolgreiches Jahr. So kann man z.B. einen Track der BOMBORAS ("Pier Thirteen") auf dem Soundtrack zu "Starship Troopers" finden, einen anderen ("Guitar Grinder") in "Revent". Zwei Songs der RATTLERS wurden im Pilotfilm von Paramounts neuer Serie "Naked City" verwendet, und ein Instrumental der FINKS wurde in "Golfballs" plaziert. Doch wie ist es mit Kontakten und Verkäufen in Europa? Gibt es hier ein paar wertvolle Unterstützer? Oder lebt das Dionysus Empire hauptsächlich von der amerikanischen Fangemeinde?
Aime: "Die Fans in Europa sind großartig. Unser Distributor Mordam verkauft viel an Läden und andere Vertriebe. Tower verkauft unsere Releases auch gut, und das obwohl wir viel direkt nach Europa verkaufen, wir haben wenigstens 1500 ausländische Mailorder-Kunden, und der Grossteil davon sind Europäer. Lee tauscht auch mit einigen Labels. An Bands haben wir auch einiges: THE SATELLITERS aus Deutschland, THE DIABOLIKS aus England, THE SPLASH 4 aus Frankreich, PUSSYCATS aus Spanien oder auch THE KWYET KINGS aus Norwegen."
Einmal pro Jahr organisieren Lee und Aime auch ein Festival, das "Demolition Derby"-Festival, auf dem viele gute (und auch neue) Garagebands auftreten. Es ist schon verwunderlich, wie sie dafür neben all der Arbeit (Platten herausbringen, Platten vertreiben, Lizenzen für Filme gewähren...) auch dafür noch Zeit finden. Von den Releases des Jahres 1999 haben mir persönlich die HATE BOMBS, SURF TRIO und das Reissue der SURF TEENS LP am Besten gefallen, allerdings kenne ich noch längst nicht die gesamte Bandbreite der Dionysus-Releases. Auf jeden Fall lohnt es sich, sich nach und nach ins Dionysus-Empire reinzuhören...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Ox