Dieter Meier

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Ein Zufall

Anfang der Achtziger Jahre besuchte Dieter Meier eine Kneipe in Hamburg. Dort lief unter anderem seine Single „Cry For Fame“ von 1978. Beim Verlassen des Lokals sprach ihn ein Iro-Punk an: „Deine Musik finde ich ja scheiße, doch dass du dich Meier nennst, finde ich großartig!“ Diese Anekdote erzählt Dieter heute noch gerne bei Live- sowie TV-Auftritten und in Interviews, wenn es um das Thema Punk geht. Der Iro-Punk lag mit seiner Ansage aber doppelt daneben: Erstens gehört „Cry for fame“ noch heute zu einem der besten Schweizer Punk-Songs, die jemals auf Vinyl gepresst wurden. Für viele ist er sogar einer der besten hundert Songs aus der Frühphase des Punk schlechthin. Zweitens kam Dieter am 4. März 1945 in Zürich mit dem Familiennamen Meier auf die Welt. Er, der sich gar nicht gerne kategorisieren lässt, kam somit als über Dreißigjähriger etwas spät zur Musik. Dass er mit YELLO ab Ende der Siebziger Jahre eine neue Musikrichtung mit prägte, ist weitgehend bekannt. Über sein musikalisches Œuvre vor der Zeit von YELLO ist bis heute sozusagen fast nichts durchgedrungen. Erst im November erschien in einer Auflage von 500 Vinyl-Exemplaren das Album „Dieter-Anthony-Gutze“, das neben den bekannten Songs auch unveröffentlichte Demotracks aus dieser Zeit beinhaltet. Ein 28-seitiges Booklet und ein großes Poster runden das Ganze ab.

Ich wollte unsere Begegnung in einem Museum stattfinden lassen, weil wir ja auch zusammen ein bisschen in der Vergangenheit wühlen möchten. Ich bin mir jedoch plötzlich nicht mehr so sicher, ob es der richtige Ort ist. Denn du bist meines Erachtens einer, der immer nach vorne blickt, eben neue Formen sucht. Findest du es nötig zurückzuschauen, machst du das gerne?


Nein. Ich schaue eigentlich nie zurück. Egal ob bei Film oder Musik. Wenn etwas fertig ist, ist es fertig. Quasi eine Spur, die ich hinterlasse. Und ich schaue nie über meine Schulter zurück auf diese Spuren. Ich habe einmal für einen Klappentext ein Gedicht verfasst, das geht so: Nur für Sekunden heiss’ ich Dieter, und freue mich, als Untermieter, hier auf diesem Kleinplaneten, fröhlich eine Spur zu treten, auf die ich weiter gar nichts gebe, weil ich sonst nur an ihr klebe.

Ich finde, das fasst meine Aussage perfekt zusammen. Und trotzdem sind nun alle deine alten Singles vereint auf einer LP wieder neu aufgelegt worden. Ich nehme jetzt nicht an, dass du beim Frühjahrsputz über die Bänder gestolpert bist und gedacht hast: „So, jetzt ist die Zeit reif, dass die Menschen da draußen hören, was Dieter Meier in seiner Prä-YELLO-Zeit so getrieben hat!“

Überhaupt nicht. Nein, nein. Also wenn ich die Songs mal im Radio höre, freut mich das und ich kann darüber lachen. Aber ich bin auch unglaublich unsorgfältig, wenn es darum geht, Sachen zu archivieren oder schon nur zu behalten. Wenn ich da nicht seit vierzig Jahren mit den richtigen Menschen zusammenarbeiten würde, hätte ich eigentlich alles, was ich je gemacht habe, irgendwo liegen lassen oder verloren. Es hat schon fast etwas Pathologisches, dass ich nichts mit mir herumschleppe.

Aber wie kam diese Neuauflage dann zustande? Wer war im Besitz dieser Aufnahmen?

Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, wer die Rechte daran besitzt. Ich habe keine einzige Single davon zu Hause, die Sachen seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Ich habe auch keine Ahnung, um was es jetzt eigentlich bei dieser Platte geht oder was da genau für Songs drauf sind.

Darauf sind die klassischen, alten Songs wie „Cry for fame“ oder „Jim for tango“ vereint, die du mit FRESH COLOR und THE WALL aufgenommen hast. Außerdem noch ein paar bis her unveröffentlichte Demoversionen unbekannter Songs mit FRESH COLOR.

Ich habe mal einen Coverentwurf gesehen, mit irgendwelchen Bildern von mir darauf. Mehr nicht, keine Ahnung.

Also lässt du solche Anfragen einfach an dir vorbeiziehen und denkst: „Na, wenn da jemand daran Spaß hat, dann raus damit“?

Genau so. Klar, da bin ich sehr unkompliziert.

Gäbe es irgendwelche Sachen, bei denen du dich dagegen wehren würdest, wenn die jetzt wieder jemand ausgräbt?

Nein, nein. Das ist ja alles Teil meiner Geschichte, meiner Erfahrung. Auch wenn ich mal daneben gehauen habe, kann ich hinter all dem stehen. Ich habe mich ja auch, als Jurastudent getarnt, zwei oder drei Jahre in irgendwelchen Hinterzimmern als mehr oder weniger professioneller Pokerspieler verbracht. Mein Leben wirklich verblödet mit Kartenspielen um Geld. Und mich auch geschämt, dass ich mit meinem Leben nichts Besseres anzufangen wusste, als auf die nächste Pokerrunde zu warten.

Also wenn jetzt jemand deine Biografie herausgeben möchte und genau über diese „verblödete Zeit“ ein ganzes Kapitel schreiben will, würde dich das nicht belasten?

Nein, da stehe ich dazu. Pokern um hohe Beträge war für mich wie Boxen. „You are busy surviving“, da blendet man alles andere aus. Auch was man als junger Mensch mit seinem Leben jenseits des Pokertisches anfangen soll. „Hinter dem Pokertisch gibt es keine Welt“, sagt man ja. Da ist man wie unter einer Kuppel. Wie beim Boxen geht es beim Pokern darum, dass man möglichst schnell eine Partie dominiert. Pokern ist kein Glücksspiel, sondern ein Psycho-Geschicklichkeitsspiel. Es gewinnen eigentlich immer die Gleichen. Da muss man einfach schauen, dass man der Stärkste am Tisch ist. Mir wurde zum Teil sogar Geld geboten, so dass ich erst gar nicht auftauchen musste. Ein heute in Zürich sehr bekannter Anwalt hat mir damals 1.000 Franken dafür bezahlt, dass er bei der nächsten Partie der einzige „Haifisch“ ist, haha. Verrückte Geschichte. Da hieß es dann in den Hinterzimmern und Spielhöllen von Zürich: „Der Meier spielt gar nicht mehr, der verkauft nur noch seine Schürfrechte.“ Aber das stimmte natürlich nicht. Ich habe mir zwar eingeredet, dass ich mich, wenn ich mal genug Geld gewonnen habe, nach Nordafrika absetze, um ein Buch zu schreiben. Aber der Spieler spielt nur, um zu gewinnen und am nächsten Tag dann weiterspielen zu können.

Es ist eben in erster Linie eine Sucht.

Eine Sucht, absolut, zu 100%.

„Schürfrechte“ ist ein gutes Stichwort. Mir ist aufgefallen, dass bei all diesen verschiedenen Bands und Formationen, wie Dieter Meier & THE WALL oder Dieter Meier & FRESH COLOR, du immer eine Sonderrolle zugesprochen bekommen hast, aber nie so richtig zur eigentlichen Band gehörtest. Hat man dich da gezielt dazugeholt? Hat man sich vielleicht sogar darum gestritten in der Szene, wer jetzt den verrückten Meier bekommt, um die nächste Single rauszuhauen?

Gar nicht. Das war alles Zufall. Zum Teil hat man auf der Bühne überhaupt das erste Mal zusammen Musik gemacht. Reine Anarchie. Ich hatte zwar immer irgendwelche Texte im Kopf, aber kaum stand ich auf der Bühne, ist daraus ein anarchisches, unstrukturiertes Geschrei geworden. Nach einem Auftritt war ich regelmäßig zwei Wochen heiser. Das war total unprofessionell, naiv und spontan. Ich war auch nie die zentrale Figur bei diesen Punkbands. Das habe ich immer wieder klargestellt. Ich bin immer nur Gast gewesen. Auch bei YELLO: Boris Blank hat diese Klangwelten erschaffen und ich bin nur der Gast darin, der schnell seinen Auftritt hat und dann wieder verschwindet.

Bei YELLO macht das auch total Sinn, da sind eure Rollen vorgegeben und gehören zum Konzept. Boris Blank, der sich immer gegen Live-Auftritte sträubte, und du, die Rampensau, die eigentlich die ganze Energie abbekommt und aushalten muss. Aber bei einer breitbeinigen Punkband stelle ich mir das etwas schwieriger vor. Haben die das wirklich so einfach weggesteckt, dass du da kommst, die Show an dich reißt, dich über alle Strukturen hinwegsetzt, um dann wieder weiterzuziehen?

Nun, als wir „Cry for fame“ und diese Songs im Studio eingespielt haben, war das natürlich schon geprobt. Wir nahmen mehrere Takes auf und die Songs hatten durchaus eine Struktur. Aber bei den Live-Auftritten habe ich das Geübte ganz schnell verlassen und die Band war dann auch in der Lage, das mitzumachen. Weil meine Sachen auch immer sehr rhythmisch waren. Ich war ja nie ein guter Sänger, sondern habe meine Stimme wie ein Perkussionsinstrument eingesetzt. Das haben die auch sicher immer lustig gefunden, wenn ich da so als Gast fungiert habe. Deswegen sind auch immer wieder Leute auf mich zugekommen, die was mit mir machen wollten.

Trotzdem ist es dein Antlitz, das es immer wieder auf das Cover schafft, dein Name klar vom Rest abgehoben. Die Bands wechselten, gerieten in Vergessenheit, Dieter Meier blieb aber in den Köpfen.

Das war nie meine Absicht. Das wollten jene, die die Sachen schlussendlich herausgegeben haben. Ich war nie ein Bandleader oder so was in der Art.

Hattest du überhaupt je eine Absicht? Du warst ja 1977, als die Punk-Szene in Zürich aufpoppte, auch schon etwas älter als die meisten Protagonisten. Provokativ gefragt, hast du dir die Punk-Szene damals nur zunutze gemacht, um deine ganz eigene musikalische Karriere zu pushen?

Nein, nein. Absolut nicht. Ich war damals 32 Jahre alt und das war bei mir pure Verzweiflung, überhaupt mal etwas zustande zu bringen. Mit Musik hat das bei mir ja schon vorher mit einer akustischen Gitarre angefangen, die ich mir von meinem gewonnen Pokergeld gekauft hatte. Ich bin in den Laden rein und bat um die teuerste Gitarre. Der Verkäufer fragte mich, auf welchem Niveau ich denn spielen würde, und ich meinte nur: „Ich spiele gar nicht. Aber ich will jetzt eine schöne Gitarre haben!“ Der weigerte sich fast, mir die Gitarre zu verkaufen, wollte, dass ich zumindest einmal darauf zupfe. Aber ich kam gerade von einem Lachsfrühstück und meine Hände waren ganz fettig und fischig, so dass ich aus Scham darauf verzichtete. Zu Hause habe ich dann als Erstes alle Saiten bis auf eine von dieser wunderschönen Gitarre entfernt und tagtäglich wie ein Zen-Meister stundenlang nur diese eine Saite angeschlagen. Immer nur so „dämm, dädämm, dämm, dämm“ und dazu irgendwelche erfundenen, verrückten Texte gesungen. Das war wie eine Erleuchtung für mich!

Also ging es dir um die komplette Reduktion.

Nein. Ich konnte ja nichts anderes. Nur diesen einen Ton, „dämm, dädämm, dämm, dämm“.

Und wie ging es weiter?

Von meinen Experimentalfilmen her kannte ich Anthony Moore, der dann später mit bekannten Größen der Musikwelt wie PINK FLOYD zusammengearbeitet hat. Anthony fand meine musikalischen Ansätze ganz lustig und hat mich nach Hamburg eingeladen, um mit seiner damaligen Band SLAPP HAPPY einen Track einzusingen. Das war mein erster Musikauftritt in einem Studio überhaupt und da bin ich dann mit meiner einsaitigen Gitarre aufgekreuzt. Ich war unglaublich nervös und hatte vorher schon einige Underberg getrunken, um mir dann die Seele aus dem Leib zu schreien. Die Band meinte dann, das sei eigentlich okay gewesen, aber es sei alles total übersteuert. Ich solle es noch mal machen. Aber ich habe es nicht mehr hinbekommen, weil ich mich dermaßen verausgabt hatte. Man kann also sagen, dass dies bereits meine total misslungene Geburt als Sänger war. Aber das war mir damals egal und so habe ich weitergemacht mit der Musik. Hatte ein paar Auftritte in Zürich und damit die Aufmerksamkeit des bekannten Zürcher Plattenladenbesitzers Paul Vajsabel auf mich gezogen. Der hatte ein tolles Label namens Periphery Perfume, auf dem auch die erste Zürcher Punkband eine Single veröffentlichte.

Die NASAL BOYS, oder?

Eine unglaubliche Band war das. Schon nur der Name ... NASAL BOYS, genial!

Wenn wir schon dabei sind, darf ich dir noch ein paar andere Schweizer Bands nennen?

Natürlich.

KLEENEX oder respektive LILIPUT?

Auch eine unglaublich inspirierende Band. Eine seelenvolle Aufbruchsstimmung haben die mit ihren Konzerten in Zürich verbreitet. Im Gegensatz zu meinem Verschwinden aus der Szene hat man das Verschwinden dieser Band als sehr, sehr schade empfunden. Das war plötzlich vorbei. Eine der wenigen Bands aus der Zeit, zu deren Konzerten ich regelrecht hingepilgert bin.

Dann noch einen weltbekannten Schweizer, der sehr ähnlich argumentiert wie du. Er verweigert sich dem Begriff „Musiker“ oder „Sänger“ und gebraucht seine Stimme, wie du, ebenfalls eher rhythmisch zu, sagen wir mal, elektronischer Tanzmusik.

Wer soll das sein?

Böse gesagt, könnte man ihn als mainstreamigen Gegenentwurf zu YELLO bezeichnen.

DJ Bobo?

Genau den meinte ich. Ein absolut brillanter Unterhalter und Showman. Könntest du dir eine Kooperation mit DJ Bobo vorstellen?

Ich will es so sagen: Musikalisch hat er ja nichts Neues erfunden. Aber er hat etwas gefunden. Etwas, das die Leute, von alt bis jung, bestens unterhält. Der müsste eigentlich in Las Vegas eine Daily Show bekommen. Da wäre ich für eine Zusammenarbeit sofort zu haben.

Aber wieder nur als Gast.

Absolut. Sofort!

Zurück zu Paul und Periphery Perfume.

Paul hat mich immer weitervermittelt. Zum Beispiel dann eben auch an FRESH COLOR, damals noch unter dem Namen THE DANGER bekannt. Die wollten bei ihm eine Single herausbringen. Paul meinte dann: „Ja, machen wir eine Single zusammen. Aber ihr müsst unbedingt den Meier als Sänger nehmen!“ Daraus entstand dann eben diese „Cry For Fame“-Single, die wiederum Boris Blank hörte. Der ging dann mit seinen Tapes sofort zu Paul in den Plattenladen und sagte: „Was dieser Dieter Meier da macht, ist ja die reine Anarchie. Hör dir mal meine Sachen an, die sind viel besser.“ Und Paul sagte wieder: „Ja, wir machen eine Platte zusammen, aber du musst Dieter Meier als Sänger nehmen!“ Boris wollte mich aber nicht über seine Klangbilder krähen lassen. Doch Paul blieb hart. Und so kam es zu einer ersten Begegnung zwischen mir und Boris. Zusammen hatten wir dann auch einen ersten Auftritt im Zürcher Kino Forum. Ich am Mikrofon und Boris an seinen Synthesizern. Widerwillig hat Boris da mitgemacht, aber es hat funktioniert und Aufmerksamkeit generiert. Das war die Geburt von YELLO.

Wieder reiner Zufall also.

Absolut. Jemand hat einen biografischen Film über mich gemacht. Der Film hatte einen viel zu komplizierten Namen. Ich sagte ihm dann, dass der Film eigentlich: „Dieter Meier: Ein Zufall“ heißen sollte. Denn ich sehe mich wie einen japanischen Kaligraphen, der seinen Pinsel eintaucht und dann sekundenschnell irgendetwas auf das Papier wirft, das dann der Ausdruck einer Befindlichkeit ist oder es ist eben „nichts“. Und das war immer meine Methode. Ich habe mich nie vorbereitet auf meine Gesänge. Das ist erst im Studio losgegangen. Heute haben Boris und ich das perfektioniert. Er stellt seinen Track auf Endlosschlaufe ein und verschwindet dann, um mich machen zu lassen. Ich sage das mal auf Englisch: „I can make a fool of myself“. Ich muss dann nichts beweisen. Ich kann dann ein Vollidiot sein, der irgendetwas in dieses Mikrofon bellt, und plötzlich kommt etwas zustande, das so gar nicht geplant war.

Ich habe in meinem Bekanntenkreis, die deine punkigen Pre-YELLO-Sachen nicht kannten, mal herumgefragt, wie sie sich deine frühen Songs vorstellen. Öfter vermutete man, es seien wohl minimale, elektronische Tracks. Wie die Songs von TRIO vielleicht.

Lustig, für TRIO habe ich mal ein Video gemacht, aber nie für sie gesungen.

Meine Bekannten waren meistens perplex bei diesem astreinen, englisch geprägten, fast schon puristischen Punksound von damals. Waren deine ehemaligen Bandgefährten nicht auch ein wenig überfordert mit den neuen Tönen von YELLO? So nach dem Motto: Jetzt spielen wir doch gerade so toll diesen angesagten, punkigen Gitarrensound und der Meier macht plötzlich so schräges Zeugs mit dem Boris!

Ach, das waren doch nur so lokale Geschichten. Da war noch nichts festgelegt. Es war ja nicht so, dass da irgendjemand einen total neuen Sound erfunden hätte. Ich wurde ja erst mit dem Sound von YELLO bekannt.

Aber in der kleinen Zürcher Punk-Szene der Siebziger?

Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie die reagiert haben. Das hat mich auch nicht wirklich interessiert. Ich war ja schon rein äußerlich immer ein Fremdkörper. Immer mit Anzug, vernünftigen Hosen und Krawatte zwischen den Typen mit ihren Lederjacken. Das war meine Verkleidung, mein Tarnanzug. Ich wusste ja selber noch nicht, wo meine Artistik hinführt, und wollte mich nicht aufgrund meiner Erscheinung festnageln lassen. Wie gesagt, auch in der Punk-Welt war ich nur ein kurzer Gast. Das ganze Punk-Universum habe ich dann ganz undramatisch verlassen, weil sich das für mich einfach ausgespielt hatte. Bei Punk war das irgendwann nur noch Lärm. Bei Boris Blank, der Rhythmus über Rhythmus auf seine Bänder schichtete, war das hingegen schlussendlich nur noch ein Rauschen. Das fand ich spannender. Überhaupt lebt Boris Musik, er ist Musik. Musik ist sein Sauerstoffzelt. Auch wenn es YELLO nie gegeben hätte, würde Boris irgendetwas Stupides für seinen Lebensunterhalt ausführen, nur um sich in der Freizeit voll auf seine Musik konzentrieren zu können. Er war ja ursprünglich Lastwagenfahrer und hat mit einer solchen Konzentration seine eigenen Tapes in der Fahrerkabine gehört, dass er immer wieder kleinere Unfälle verursachte. Er ist irgendwo dagegen gefahren oder hat jemanden gerammt.

Boris Blank, Zürichs gefürchtetster Lastwagenfahrer?

Genau. Deswegen hat er dann auch seinen Fahrerjob verloren. Aber da waren wir schon mit YELLO dran und konnten für 10.000 Dollar für Ralph Records, das Label der RESIDENTS, eine Platte aufnehmen. Die meinten, wenn Boris Musik machen würde, die lauter als das Rauschen auf seinen Bändern ist, dürfe er wieder bei ihnen anklopfen. Nun, Boris hat das hinbekommen.

Ich merke schon, die alten, punkigen Sachen waren eigentlich nur ein „stepping stone“ für dich. Du bist regelrecht verliebt in YELLO und Boris. Dies immer noch, du schwärmst ja richtig!

Absolut. Ich bin so Fan von ihm. Gerade durfte ich in die neuen Tracks reinhören. Was der wieder zustande gebracht hat! Komplett neu, total crazy, ein neuer kreativer Schub. Wahnsinn!

Könntest du dir trotzdem vorstellen, wieder einmal mit den alten, gitarrenlastigen Dieter Meier-Songs live aufzutreten?

Wohl nicht mehr mit den alten Leuten von damals. Aber ich habe ja zwischendurch Auftritte mit meinem „Out Of Chaos“-Album gehabt und dafür Gitarrensongs geschrieben. Inzwischen kann ich auch ein paar Griffe. Aber das waren ja neue Songs.

Ich spreche von den alten Gassenhauern, die jetzt wieder neu aufgelegt worden sind.

Why not! Why not! Gerade vor zwei Jahren hatte ein Freund, Martin Wanner, ehemaliger Gitarrist von MICKY & DIE MÄUSE und GEEK STOMPERS, eine Lesung seines Romans „Time out“ in der Roten Fabrik in Zürich und es spielte dazu ein Duo namens WOLFWOLF.

Die kenne ich, die sind aus der Innerschweiz oder?

Ich glaube ja. Zwei normale Typen in normalen Jobs, die als Trashpunk-Band in ganz Europa auftreten. Sie spielen „Cry for fame“, da habe ich es mir nicht nehmen lassen, mit ihnen den Song auf der Bühne zu performen. Wir haben dann sogar zusammen einen Song im Studio aufgenommen. Wieder ein Zufall. Alles, alles ist Zufall bei mir.

Zufällig bist du Musiker und Filmregisseur geworden. Bist zufällig Künstler geworden.

Auch zufällig bekam ich eine Einzelausstellung im Zürcher Kunstmuseum. Da hat mich damals, ich weiß gar nicht warum, der Direktor angerufen und gefragt: „Herr Meier, würden Sie eine Ausstellung im Kunsthaus machen?“. Ich meinte nur: „Was soll ich denn ausstellen?“ Ich machte ja damals einfach so radikale Straßenperformances. So komisches, leerlaufendes Zeugs, das am Nichts vorbeischrammte. Absolut nichts, das man ausstellen konnte. Da meinte der Direktor nur: „Herr Meier, Ihnen wird schon etwas einfallen.“ Damit hatte ich wieder eine dieser rettenden Deadlines, um 140 Exponate herzustellen. Haarsträubende Skulpturen aus irgendwelchen Granitabfällen. Das war so was von nichts. Gummiband drumherum geklebt und fertig. Die habe ich dann abfotografiert und wie etwas ganz Wichtiges an die Wand gehängt. Völlig Instant. „Meisterwerke des Nichts“ habe ich das genannt. Ich habe ja dann auch später die „Association des Maîtres de Rien“ gegründet, die Vereinigung der Meister des Nichts. Ich habe zum Beispiel ein 22-karätiges Goldband genommen, das ja ganz weich ist und um irgendwelche Objekte gewickelt und fertig! Das war damals ganz außergewöhnlich. Auch noch heute mache ich aus Kinderknete Kunstwerke. Ich knete nachts in meinem Haus in Argentinien hunderte von kleinen Skulpturen, bis ich etwas darin sehe. Ganz zufällig, aus dem Nichts. Ich bin also kein Künstler mit Absicht, sondern eben ein Künstler ohne Absicht! Dem etwas zufliegt und der dann im richtigen Moment auch die Seele darin erkennt. Auch das, alles nur ein Zufall.

Das klingt ein bisschen wie eine Entschuldigung für deine erstaunliche Karriere.

Nun, es ist nicht so, dass ich mich entschuldige. Weil dieser Zufall, dieses Unbedeutende, dieses Ausleuchten des Nichts hat ja durchaus Methode. Egal ob beim Malen, Schreiben oder am Mikrofon. Ich fange immer wieder bei Null an, bin der, der immer wieder hinterfragt: Was habe ich da wieder gemacht? Und für dieses Einlassen auf die Leere, diese Professionalität der Unabsicht, entschuldige ich mich keineswegs.

Dieter Meier: Künstler oder bereits selber ein Kunstwerk?

Das sind viel zu große Worte. Mich stört ja schon der Begriff „Künstler“, obwohl ich ihn selber benutze. Ein Notausdruck, weil man sonst nichts hat. Ist einer, der in einer Hochschule gelernt hat, Pferde zu malen und das gut kann, bereits Künstler? Maler und Musiker waren ja ursprünglich in erster Linie einfach hochbegabte Handwerker. Und die avantgardistischsten von ihnen hatte man dann beauftragt, um die erstarrte Aristokratie durch ihre Werke infrage zu stellen. Später hat dann das Bürgertum diese „Künstler“ benutzt, um ihren eigenen Reichtum abzubilden. Der meiner Meinung nach wichtigste von ihnen, Rembrandt, sollte ja zum Beispiel die damalige Händlergilde malen. Und hat die Pfeffersäcke dann so gemalt, wie er sie sah. Die wollten das Bild sofort vernichten. Aber irgendwie hat es die Zeit überstanden. Also zuerst ist etwas Handwerk, dann ändert es den Aggregatzustand und wird dann plötzlich zu Kunst. Eigenartig, was soll das?

Konntest du die Abneigung der Punks gegenüber Zürich damals nicht teilen? Die Band TNT schrieb in der Zeit ja die Anti-Hymne auf diese Stadt: „Züri brännt!“

Ich bin da einen ganz anderen Film gefahren. Der Protest und das Dagegensein ist ja ein Privileg der Jugend. Das braucht es unbedingt. Das hat mich damals bereits nicht mehr interessiert. Ich hatte mich ja Jahre vorher mit sehr aggressiven Straßentheatern ausgedrückt.

Hast du in der 68er-Szene verkehrt?

Ich war nie dazu geeignet, in Massenveranstaltungen zu demonstrieren. „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“ Das war nie mein Ding, in so einer Menge oder Masse Parolen zu skandieren. Ich war immer als individuelle Figur unterwegs.

Wie ist das hier, hängt Dieter Meier irgendwo als Kunstwerk?

Also in diesem altehrwürdigen Landesmuseum sicher nicht. Ich bin ja noch nicht museal. Aber ich könnte ja mal anfragen, ob sie mich nach meinem Tod hier einbalsamiert ausstellen möchten wie den Lenin.

Epilog:

Auf dem Weg zum Ausgang, vorbei an Zeugnissen lange und noch gar nicht so lange vergangener Zeiten, zupfe ich Meier am Arm und zeige auf eine Wand mit Ausstellungsstücken der Schweizer Jugendkulturen. Da hängt es dann eben doch, das Konterfei von Dieter Meier, auf dem Umschlag der „Cry For Fame“-Single. Meier stemmt die Hände in die Hüften und blickt zu sich selber hoch. Das eben noch müde wirkende Gesicht strahlt. Erstaunt und auch ein bisschen stolz. „Nein so was! Da bin ich!“ Meier wendet sich ab, zieht sein Telefon aus der Hosentasche und verabredet sich gutgelaunt zu einer Partie Golf. Ohne nochmals zurückzublicken.