Oh ja, der neue Trend, deutsch zu singen – wer hasst ihn nicht? Genug grottige, ach so eloquente, jung-flippig-poppige Bands gibt es, um dafür einen Grund zu haben. Wenn dann noch crazy elektronische Instrumente ins Spiel kommen, wird es noch schlimmer, und so war meine erste Reaktion auf DIE TÜREN aus Berlin auch erstmal Erschrecken. Doch dann habe ich ganz genau hingehört, was die Herren da so über traurige Skinheads, Zucker, Starkstromelektriker und Traummädchen singen, und ich wusste: Ja, die sind gut. Zu mal eleganten, mal trashigen Elektrobeats plündert man sich mit Gitarre und mittels weiterer elektronischer Gerätschaften erstaunlich poppig durch die Achtziger-Originale, aber auch deren Leichenfledderer selbst aus den letzten paar Jahren müssen dran glauben. DIE TÜREN und ihr Debüt sind der Fall einer Platte, die einem entweder schnell auf den Geist geht oder die man zielsicher als Geniestreich erfasst. Ich plädiere für letzteres und habe mich deshalb entschlossen, den Herren ein paar Fragen zu stellen.
Was erzählt ihr euren amerikanischen Freunden, wenn sie euch komische Blicke zuwerfen, nachdem ihr ihnen euren Bandnamen übersetzt habt?
Ramin: „I‘m sorry man.“
Gunne: „We were first.“
Wer von euch war schon mal am Grab von Jim Morrison? Habt ihr da auch auf dem Grabstein eure Freundin gefickt?
Maurice: „Warum immer nur ficken? Ich will Liebe!“
Gunne: „Ich war noch nie am Grab von Jim Morrison, aber zwei Freunde von mir sind da mal zu Teenagerzeiten hingefahren. Und prompt sind sie als Foto in einer Jim Morrison-Biografie gelandet – mit der Bildunterschrift, dass sie gerade Haschisch von einem Dealer gekauft hätten ...“
Werdet ihr von Biffar gesponsort? Oder von Porta?
Maurice: „Leider nein. Ich verstehe auch nicht, dass sich das Crossmarketing nicht als übermächtige Werbeidee durchsetzen konnte. Ich würde doch sofort als Band für einen Türenhersteller einen ‚Daumen nach oben‘ in die Linse drücken. Aber gut ist, dass die Türenhersteller ohnehin ganz ordentlich für uns mitwerben. Schau dich um auf den Autobahnen, in den Fußballstadien, in den Gewerbegebieten dieser Republik: Türen, Türen, Türen! Und genau da verirren sich auch unsere Fans hin: In die Gewerbegebiete deiner Stadt – ausgehungert auf der Suche nach der allergeheimsten Trucker-Imbissbude.“
Wer seid ihr eigentlich? Und wie war das noch gleich mit der NOVOTNY TV-Connection?
Maurice: „Gunther war ja Zeit seines Lebens, also im ersten, weitaus aufregenderen Teil seiner Seinsparty Gitarrist von NOVOTNY TV. Ich war der erste Schlagzeuger, und wurde nach einem Jahr wegen Drogensucht und Erschöpfungszuständen durch Antek Pistole ausgetauscht. Dann wurden NOVOTNY TV weltberühmt. Ich bin also quasi der erste Schlagzeuger der BEATLES bei NOVOTNY TV. Kann man das so sagen, Gunther?“
Gunne: „Ja, das kann man so sagen. Nachdem dann alle anderen Mitglieder von NOVOTNY TV ebenfalls wegen Drogensucht und Erschöpfungszuständen aus der Band ausgestiegen waren, bin ich nach Berlin gezogen.“
Wie ging das los, wer hat wen aus welchem Proberaum gezerrt?
Maurice: „DIE TÜREN sind als Seitenprojekt, als Feuerwerkskörper der guten Laune entstanden, um unseren sonst so tristen Hauptjobs, die aber eigentlich Nebenjobs sind, den lebensnotwendigen Pfiff zu geben. Oder um es mit den BEACH BOYS zu sagen: ‚Fun, fun, fun!‘ Wir sind Unterhaltungsjunkies, und fangen an Dummheiten zu begehen, wenn wir Langweile bekommen. Wir müssen uns ständig unterhalten. Wir können es zwar schon ziemlich gut, dieses ‚Nichtstun‘, begreifen das dann aber meist nicht so richtig. Wir haben ohnehin Verständnisprobleme mit der Welt. Wir brauchen Therapie. Wir sind für Dackelzuchtvereine zu jung. Wir wollen raus aus Deutschland, der Proberaum ist am Ende. Irgendwie ...“
Ramin: „Aus dem ‚Fun fun fun‘ der BEACH BOYS wurde schnell das ‚Fahren Fahren Fahren‘ von KRAFTWERK, und zwar auf der Autobahn, wo man dann Stunden verbringt, um in Brummshafen vor acht zahlenden Gästen eine Monstershow hinzulegen. Yes!“
Gunne: „Mir ging‘s eher um das Freibier. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich kurze Zeit später mit anderen Leuten die COCKBIRDS gründen würde. Jetzt habe ich ein Problem.“
Berlin ist ja voll von schlauen jungen Menschen mit zu viel Zeit, um über Stil nachzudenken. Was unterscheidet euch von denen?
Ramin: „Im Grunde gar nichts. Du hast uns gerade auf den Punkt genau beschrieben.“
Maurice: „Bei Ramin ist das manchmal so, bei mir fehlt leider immer das Geld. Wenn ich ein größeres Einkommen hätte, würde ich doch wesentlich mehr konsumieren. Warum nicht auch mit den Haaren, dem Schuhwerk oder einer Ohne-Form-Jeans rumexperimentieren. Man hat doch den ganzen Tag nichts besseres zu tun. Eine neue Frisur – dein neuer Job. Wir hatten aber genug Zeit zu lernen, systematisch ohne das Modegeld mit den alten, gleichen Klamotten auszukommen. Wir haben gelernt, den Marmeladenfleck auszuwaschen und beim Kauf auf lebenslange Faserarbeit zu achten. Wir sind bauernschlau, wenn es um Stil geht. Die Frisuren werden im Freundeskreis entworfen. Das gibt der Gruppe einen Riesenrückhalt.“
Verblüffende Texte habt ihr, mit jeder Menge Wortwitz, der mir ehrlich gesagt viel besser gefällt, weil er anarchischer und nicht so verkopft ist wie die etwa bei MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER oder VON SPAR.
Maurice: „Unser Geheimnis ist schwer zu erraten. Ich müsste mir auch eins ausdenken. Wichtig ist: Sich selbst aus den Texten rauslassen. Was da von unten nach oben will, sollte man ungefiltert herauslassen. Auch wenn sich das beim ersten Hören peinlich anfühlt, ist da oft mehr drin, als man sich eingestehen mag. Wir sind halt auch Idioten, wenn es ums Menschliche geht. Auch wenn wir uns Mühe geben – die Müllhalde unserer Emotionen erreicht galaktische Ausmaße. Das lässt sich nicht so leicht wegträumen. Es geht viel um den Überfluss von Energien. Um Verschwendung. MTK und Von Spar sind gar nicht so verkopft. Die haben viel Herz.“
Würdet ihr sagen, dass ihr Teil einer gewissen Szene deutschsprachiger elektronischer Bands seid? Gibt es die, oder sollte es sie besser nicht geben?
Maurice: „Im Augenblick ist das alles Hype. Für Szenen sind wir zu alt, wir wären auch eine sehr langweilige, nervige Szene – elektronisch, ein wenig liebenswert und immer leidend.“
Gunne: „Wenn das eine Szene sein sollte, dann ist es auf keinen Fall eine gewachsene. Man hat inzwischen ein paar Leute kennen und schätzen gelernt. Das ist es aber auch schon.“
Sagt mal was zu eurem Instrumentarium. Legt ihr Wert auf besonderes Equipment, am Ende alte analoge Synthies etc.?
Ramin: „Ja, wir legen Wert auf analoge Geschichten. So ein warmes analoges Set halt mit allem Schnickschnack ... Und nachher noch mal alles schön fett machen.“
Maurice: „Mittlerweile hören wir den Unterschied noch kaum. Wir haben uns eingehört. MP3, CD, LP, Orgel oder Groovebox. Hauptsache es macht Kling-Klang oder Schängelläng. Wir brauchen doch alle viel Rhythmus.“
Gunne: „Ich glaube wir haben gar keinen Synthesizer, das passiert alles bei Ramin im Computer ...“
Euch graut es in Sachen gut abgehangener Effekte aus den Achtzigern ja vor gar nix. Darf man nach 20 Jahren wieder NDW machen als Deutscher?
Ramin: „Nur als Deutscher!“
Maurice: „Beim nächsten Mal werden die Medien vorher alarmiert, damit sich alle sicher sind, dass gerade was passiert, nicht so wie gestern, wo ja nichts passierte. Und passiert morgen was? In Deutsch? In welcher Sprache kaufen wir denn morgen? Wir fordern viel mehr Sicherheit im Marketingbereich. Aristoteles – übernehmen sie!“
Gunne: „Man durfte auch vor zehn Jahren NDW machen, da wollte es nur niemand, weil SCOOTER-Techno doch geiler abgeht. Im Grunde gibt es eine direkte Verbindung von denen zu uns – das fehlende Gespür für Peinlichkeiten. Aber nur daraus entsteht Großes.“
Kann man euch auch überinterpretieren bzw. überhaupt deuten?
Gunne: „Da die Texte fragmentarisch entstehen und eher assoziativ sind, kann man da soviel reininterpretieren, wie man lustig ist. Man kann aber auch einfach nur den Klang genießen.“
Mögt ihr die FEHLFARBEN und Peter Hein?
Maurice: „In den Dorfdiscos der westfälischen Heimat war ‚(Ein Jahr) Es geht voran‘ ein wichtiges Stück für mich. Dann habe ich über meine damalige Freundin ‚Die Platte des himmlischen Friedens‘ kennen und lieben gelernt. ‚Leute, ihr steht am verkehrten Bahnsteig‘ ... Das hat mich berührt, auch wenn es gar keinen Bahnhof in meiner Heimatstadt gab – nur Bushaltestellen. ‚Monarchie und Alltag‘ habe ich dann später gekauft, aber wegen dem ganzen Kult darum war ich damit immer überfordert, auch wenn es eine tolle Platte ist. Aber es ist mir nie gelungen, in ‚Monarchie und Alltag‘ den heiligen Gral zu sehen. Peter Heins Texte jedenfalls sind für immer. Aber ich schweife ab ...“
Eure drei liebsten Bands aus der Zeit zwischen 1979 und 1983?
Maurice: „CHIC, FALL, FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE.“
Ramin: „SLAYER, SELECTER, SANTA KLAUS.“
Gunne: „WIPERS, ZZ TOP, GANG OF FOUR.”
„Always say hello and never goodbye“ aus „Tschüss“ ist doch eindeutig von EA 80 – oooooooooder?
Maurice: „Der Textbrocken ist mir so rausgerutscht. Stimmt aber. Auch wenn ich nur die ‚Schreie‘-Platte kenne und bei EA 80-Livekonzerten immer zu spät komme, und der Laden ausverkauft ist, weiß ich, wie viele Seelen diese Band schon gerettet hat. Für mich die deutschen Joy Division, auch wenn der Vergleich total hinkt.“
Sehr penetrant war ja, wie ihr plötzlich von den einschlägigen Popkulturblättern und den Feuilleton-Schmierfinken entdeckt wurdet. Wie erlebt man das? War das ein Strohfeuer oder ist davon was geblieben?
Ramin: „Was davon blieb? Ein Stapel Altpapier.“
Maurice: „Ich fand das zunächst sehr spannend. Wie ein Ekel-Narzisst fing ich plötzlich an, absurde Dinge zu tun, wie meinen eigenen Namen zu googeln – nur weil man hofft, noch irgendwo was Schlaues über sich zu lesen. Hinzu kommen Anfälle von abnormaler Paranoia. Dann stellt man aber fest, dass sich eigentlich so gut wie keiner von den Schreibern wirklich für das interessiert, was man tut, sondern dass die Presse ‚das Thema einfach drin haben muss‘. Einer schreibt vom anderen ab, und im Endeffekt hat man eine Stille-Post-Variante von dem, was man selber aus Verlegenheit mal auf ein schlechtes Infoblatt geschrieben hat. Bleiben tut ein komischer Geschmack, den man mit einigen Schnäpsen aber wieder los wird, und dabei eine Ahnung von dem bekommt, was Andy Warhol sich so gedacht haben muss. Ich sehe eine handelsübliche Banane heute mit ganz mit anderen Augen.“
Was geht derzeit so? Was macht ihr außerhalb der Band? Und was wird passieren?
Maurice: „Ich versuche, unser Label Staatsakt weiter anzukurbeln, damit das in ein paar Jahren auf eigenen Beinen steht und Heimat für mehr Künstler werden kann. Ich kann ja nicht viel mehr, habe nichts ordentliches gelernt. Weiter arbeite ich an einem Projekt namens MORITZ LOVE, zusammen mit Christian Harder und Victor Marek. Wird ziemlich eigenartiges Zeug. Mit sehr viel Funk, was ja neben Punk zu meinen Haupteinflüssen zählt. Seit ja alle die alten GANG OF FOUR-Platten wieder aus dem Schrank holen, darf man das ja wieder laut sagen. Ansonsten lebe ich mit meiner Freundin und ihrem Sohn im Moloch Berlin, in dem die Zeit einfach so davon rennt und versuche, die Beine auf dem Boden zu halten. Mein Kopf jedenfalls ist immer ganz woanders. Ich habe viel Zeit gebraucht, um mich selbst zu verstehen Mittlerweile habe ich es größtenteils verstanden – dass ich nun mal ein Traumtänzer mit Beruf bin.“
Gunne: „Staatsakt, COCKBIRDS, Promotion, Krankenhaus, Kneipe, Singlehaushalt.“
Ramin: „Nichts außer Schlafen.“
Foto: Britt Rode
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