DICTATORS

Die DICTATORS, das ist New York 1975, das ist "Go Girl Crazy!", das ist ein herrlich großkotziger und respektloser Umgang mit Rock-Klischees und der damals noch nicht so genannten "Political Correctness", das sind großartige Songs wie "The next big thing", "Master race rock" oder "Teengenerate" - und das ist Heute! Denn mit "D.F.F.D." ist seit Ende letzten Jahres das erste DICTATORS-Album seit 23 Jahren erschienen, mit 4/5 der Originalbesetzung, sprich Handsome Dick Manitoba singt auch heute noch, Andy Shernoff spielt Bass, Ross Friedman ist an der Gitarre und Scott Kempner an der zweiten Gitarre - nur am Schlagzeug ist mit J.P. Patterson Nachwuchs tätig. So richtig aufgelöst waren die DICTATORS ja nie, gerade Andy Shernoff trieb sich immer wieder mal in Skandinavien rum und hing mit den HELLACOPTERS ab, und TURBONEGRO wiederum kupferten ohne rot zu werden massiv bei den New Yorkern ab. "DICTATORS Forever, Forever DICTATORS" also ist das neue Album, und ja, was mit dem (allerdings bereits vorab bekannten) hymnischen Hit "Who will save rock and roll?" beginnt, geht mit "I am right" nicht minder gut weiter, und auch die restlichen zehn Songs knüpfen wirklich begeisternd gut an die Hochphase der DICTATORS an, will sagen von einem schwachen bis nostalgischen Alterswerk kann auf keinen Fall die Rede sein. Deshalb und weil´s schon lange fällig war ein Interview mit Andy Shernoff.

Andy, erstmal Gratulation zu eurem wirklich gelungenen Album.


Danke, Danke! Wir sind selbst sehr glücklich damit, haben bislang auch nur positive Reaktionen bekommen und es ist einfach schön, nach so langer Zeit nochmal ein Album zu machen und dann so gutes Feedback zu kriegen.

Was ist es denn für ein Gefühl, mit der Band wieder so richtig auf der Matte zu stehen?

Hm, also wir waren ja nie richtig weg vom Fenster, wir spielten in den letzten 25 Jahren regelmäßig Konzerte, und seit fünf oder sechs Jahren haben wir jedes Jahr 20 bis 30 Shows gespielt. Was wir natürlich nicht hatten, war ein neues Album. Wir haben natürlich gemerkt, dass es in den letzten Jahren für uns konzertmäßig immer besser lief, mehr Leute kamen, die Läden größer wurden. Und da tauchte immer öfter auch die Frage auf, was denn mit einem neuen Album sei. Uns selbst wurde es auf Dauer auch langweilig, immer nur die alten Songs zu spielen, so fing ich an neue Lieder zu schreiben, die wir live spielten und die gut angenommen wurden – und bald war klar, dass wir wohl eine neue Platte machen würden. Wir entschieden uns dann, die Platte komplett in Eigenregie zu produzieren und finanzieren, und jetzt ist sie raus.

Wie schwer oder leicht ist es denn für eine Band wie euch, den Erwartungen der Leute gerecht zu werden? Ich meine, die haben von den Platten her die Band von vor 25 Jahren im Kopf, die erwarten, dass ihre verehrten DICTATORS heute so gut sind wie damals.

Das war sicher ein Grund, weshalb es etwas länger gedauert hat, bis diese Platte fertig war. So viele Bands nehmen Reunion-Platten auf, und die sind IMMER enttäuschend. In unserem Fall geht´s nicht um eine Reunion, und ich denke sogar, die neue ist unsere bisher beste Platte. Ich kann nämlich eines nicht leiden: alte Bands, die nur aus ihrem früheren Erfolg Profit ziehen wollen, wobei bei uns erschwerend hinzu kommen würde, dass wir auch damals nicht wirklich erfolgreich waren. Das Ziel, das es mit der neuen Platte zu erreichen gilt, ist für mich, die Leute zu begeistern und dem Rock´n´Roll neues Leben einzuhauchen, den wir mögen: alter Seventies-Rock mit Drei-Minuten-Songs, die wirklich hängen bleiben, gute Gitarren-Riffs haben und hymnische Refrains. Wir haben einen guten Job gemacht, denke ich, nicht perfekt, aber so, dass wir zufrieden sein können.

Euer Line-Up ist bis heute beinahe unverändert, was euch ebenfalls von vielen anderen alten Bands unterscheidet, bei denen oft nur noch einer von der Ur-Besetzung übrig geblieben ist.

Ja, bis auf den Drummer ist alles beim Alten geblieben, aber wir hatten ja auch schon immer verschiedene Schlagzeuger. J.P. Patterson ist aber schon was für länger, und wir haben auch schon 1991 auf Manitobas "Wild Kingdom"-Album mit ihm gearbeitet. Dass wir als Band bis heute zusammen geblieben sind, hat was damit zu tun, dass wir schon gute Freunde waren, bevor wir die Band gründeten. Andere Bands brechen auseinander, weil die Leute sich privat und beruflich auseinander entwickeln, doch bei uns hat es sich trotz der eigenen Wege, die wir privat und beruflich seit damals gegangen sind, für uns als wichtig herausgestellt, dieses Album zu machen. Das Vermächtnis der DICTATORS wäre sonst nicht komplett gewesen.

Die DICTATORS sind eine der ganz wenigen Bands, die aus der New Yorker Punk/Rockszene von Anfang und Mitte der Siebziger überlebt haben. Was ist das für ein Gefühl, "Überlebende" zu sein, gerade auch angesichts der diversen Leute aus jenem Umfeld, die mittlerweile gestorben sind?

Oh ja, manchmal fühle ich mich schon wie ein Überlebender. Wir kommen aus einer Zeit, als Glam-Rock das große Ding in New York City war, als die NEW YORK DOLLS ihre Hochphase hatten. Wir waren damals die erste Band, die mit Lederjacken rumlief und diese gewisse Punk-Attitüde verbreitete. Gegründet haben wir uns 1973, und 1975 kam dann unser erstes Album – ein Jahr vor dem ersten Album der RAMONES... Ja, wir sind Überlebende, aber warum? Sicher auch, weil wir es nie so toll mit Drogen gehabt haben wie so viele andere. Und unsere Songs drehten sich eher darum, mit seinem Leben klar zu kommen und Spaß zu haben, als vor dem Leben davon zu rennen – das war und ist Teil unserer Philosophie. Wir sangen über alltägliche Dinge wie Sport, Essen, Trinken, Fernsehen und so weiter, haben uns darüber lustig gemacht und hatten dabei viel Spaß, und nicht daran, sich mit Heroin voll zu pumpen.

Das muss aber ganz schön schwer gefallen sein. Wenn man heute über die New Yorker Szene dieser Jahre liest, scheinen Drogen damals eine ganz zentrale Rolle gespielt zu haben.

Ja klar, das haben sie ja auch. Drogen waren damals eine absolute Spaß-Sache, das hat jeder ganz locker gesehen, das gehörte selbstverständlich dazu. Wenn jemand vom Rolling Stone kam, um ein Interview zu machen, hat man eben erstmal zusammen ein paar Lines Kokain gezogen oder was gekifft. Sex war ebenso allgegenwärtig und normaler Bestandteil der Szene. Es gab damals noch kein AIDS, Sex war nicht stigmatisiert. Manitoba, unser Sänger, war der einzige von uns, der in Sachen Drogen etwas aktiver war, aber seit 15 Jahren ist der auch clean. Unterm Strich war es einfach so, dass wir zu viel Spaß am Leben hatten, um uns kaputt zu machen: Drogen waren immer nur ein Randaspekt, sie dominierten nie unser Tun. Ausserdem waren und sind wir große Musikfans und begeisterte Musiker, wohingegen man unmöglich eine gute Show spielen kann, wenn man auf Heroin ist. Ich persönlich kiffe auch nie vor einer Show, höchstens danach mal. Es macht einfach mehr Spaß auf der Bühne, wenn du einen klaren Kopf hast. Das alles mag nicht besonders cool klingen, aber es ist einer der Gründe, weshalb wir als Band überlebt haben.

Was ist das für ein Gefühl, wenn mal wieder einer der alten Weggefährten stirbt, sei´s nun Johnny Thunders oder Joey Ramone?

Ich bin ja mit Johnny Thunders zur Schule gegangen, und bei Typen wie ihm hat das nicht wirklich überrascht. Bei Joey war das was anderes, der war krank, aber Johnny und diese ganzen anderen Typen waren eben Junkies, immer auf Droge, und wenn du Junkie bist, besteht eben auch das Risiko, dass du einen schnellen Abgang machst. Wenn so jemand stirbt, schockiert das nicht weiter, verstehst du?

Im Gegensatz zu den STOOGES und den NEW YORK DOLLS waren und sind die DICTATORS bis heute eine Band, deren Namen nicht so allgegenwärtig ist, die man erst entdecken muss.

Ja, das stimmt. Unsere alten Platten sind nicht überall zu haben, man muss nach ihnen suchen, und im Gegensatz zu Johnny Thunders sind wir nicht ständig weltweit auf Tour gewesen. Die RAMONES waren ständig unterwegs, THE DAMNED sind bis heute präsent, und so weiter.

Ausserdem gibt´s von Johnny Thunders, den HEARTBREAKERS und den NEW YORK DOLLS, nur so als Vergleich, mittlerweile wirklich jeden Song in den verschiedensten Versionen auf ständig neuen Platten. Bei euch ist das ganz anders.

Ja, und das ist auch Absicht: wir haben immer wieder Angebote bekommen, aber ich hatte keine Lust auf Releases, die womöglich nicht allerbeste Qualität sind. Ausserdem sind wir auch nicht so fotogen wie Johnny Thunders, hehe. Ein anderer Grund ist, dass wir mit den alten Platten nie so ganz zufrieden waren, diese unserer Meinung nach nie wirklich repräsentativ waren. Mit der neuen Platte hatten wir die Chance, das besser zu machen, und das Schöne ist, dass unser Publikum uns über all die Jahre auch ohne neue Platte treu geblieben ist. Sowieso sind unsere treuen Fans unser größtes Kapital: wie viele Bands gibt es, die heute hunderttausende Platten verkaufen, die aber in drei oder vier Jahren nicht mehr auf Tour gehen können, weil sie einfach keiner mehr sehen will? Wir dagegen haben bis heute überall auf der Welt Fans, und die werden nicht weniger, sondern ganz langsam und allmählich sogar mehr.

Welche Rolle spielt bzw. spielte dabei Europa? Was sind eure Pläne?

Wir spielen jedes Jahr ein paar Shows in Spanien und waren erst im Dezember wieder dort. Es war mal wieder absolut phantastisch, einfach klasse, und dann waren wir von ein paar Jahren in Skandinavien und hatten dort die HELLACOPTERS als Vorband. Wir sind gerade dabei, einen Vertriebsdeal für unser neues Album auszuhandeln, und sobald die Platte dann auch in Europa in den Läden steht, macht es Sinn über eine Tour nachzudenken. Wir wollen vor allem einen fairen Deal, wo wir als Band auch mal etwas Geld sehen.

Wo du schon Skandinavien erwähnt hast: es gibt bzw. gab eine Band aus Oslo, die ganz offensichtlich die DICTATORS zum Vorbild gewählt hat: TURBONEGRO. Und mit ihrem "Get it on" haben die sogar euer "The next big thing" verwurstet.

Oh ja, aber die haben sich ja auch schon wieder aufgelöst, oder? Einen von denen habe ich mal in New York getroffen, und ja, es war eine gute Band. Es ist schmeichelhaft zu sehen, wie die sich auf uns berufen. Und es hat uns natürlich auch geholfen, dass Bands wie die HELLACOPTERS, BACKYARD BABIES und eben TURBONEGRO uns in Interviews und Gesprächen immer wieder als Einfluss angegeben haben. Genauso schmeichelhaft sind die ganzen DICTATORS-Coversongs, die in den letzten Jahren entstanden – sowas freut uns.

Ihr werdet zwar grundsätzlich in einem Punkrock-Kontext wahrgenommen, doch musikalisch wart und seid ihr schon immer straighter Rock gewesen.

Ja, richtig, und mir scheint, sowas spielt heute keiner mehr, da ist das, was wir machen, schon beinahe wieder etwas Besonderes.

Gibt bzw. gab es denn ein "Konzept" hinter den DICTATORS? Ich meine in der Hinsicht, dass ihr schon immer gerne auf selbstironische Weise mit den ganzen Rock- und Rockstar-Klischees umgegangen seid.

Also eine direkte Absicht oder ein Konzept gab es nie, es sind eher meine Instinkte, die da zum Tragen kommen. Man sollte sich selbst nie zu ernst nehmen, es geht doch nur um Rock´n´Roll. Unser "Job" ist es, die Leute zu unterhalten, die für unsere Konzerte und unsere Platten bezahlt haben. Du kennst doch dieses Gefühl, aus dem Kino zu kommen und festzustellen, dass man eben Geld verschwendet hat. Andererseits wäre man bei einem Film oder einer Band, die wirklich gut waren, auch bereit das Doppelte zu zahlen. Unser Job ist die Leute zu unterhalten, sie physisch mit unserem Sound zu attackieren, sie mit unseren Texten und Ansagen zum Lachen zu bringen und so zu unterhalten, dass sie ein paar Bier trinken, mit der Faust in der Luft unsere Texte mitgrölen und einfach Spaß haben. Für eineinhalb Stunden können sie so bei unseren Konzerten der Realität entfliehen, das ist wichtig, und diese Rolle spielen wir als Band. Eine DICTATORS-Show ist eine große Party.

Die Frage nach dem Hintergrund eines Bandnamens ist ja immer etwas billig, trotzdem stelle ich sie: Wieso THE DICTATORS?

Wir hatten ein paar Namen zur Auswahl, und ich glaube wir entschieden uns für THE DICTATORS, weil es so schön tough klingt. Ausserdem ist es ein Wort, das ständig in den Medien auftaucht, und das ist auch nicht schlecht. Aber ehrlich gesagt ist es so lange her, als wir den Namen ausgesucht haben, dass ich mich gar nicht mehr so genau erinnern kann, wieso und weshalb. Wichtig war aber, dass es ein Name mit "The" davor ist, in guter Rock´n´Roll-Tradition eben.

Who will save Rock´n´Roll? THE DICTATORS?

Diese Frage kommt in jedem Interview, haha, und die Antwort lautet, dass wir den Rock´n´Roll zwar nicht retten, aber helfen können, ihn am Leben zu erhalten. Wir alle lieben John Lee Hooker, Muddy Waters und B.B. King, die den Blues am Leben erhalten. Die haben den Blues auch nicht erfunden, die sind nicht Robert Johnson, und ähnlich ist es bei uns mit Rock´n´Roll. "Retten" konnte den Rock´n´Roll vielleicht jemand wie Kurt Cobain und NIRVANA oder vielleicht die STROKES, Bands eben, die das Altbekannte ein Stück weitergetrieben haben. Wir sind nur ein paar ältere Typen, die Spaß haben, gute Shows spielen und jetzt eine klasse neue Platte gemacht haben.

Das Artwork eurer Platte enthält die Silhouette von New York City, inklusive der Twin Towers.

Ja, und wir haben auch keinen Grund gesehen, das Artwork nach dem 11. September zu ändern – so ist es ist eine schöne Erinnerung daran, wie es früher war. Ich habe meine erste Erfahrung mit Terrorismus in den Siebzigern in Deutschland gemacht, als die RAF Bomben legte und Leute umbrachte. Wir waren 1977 in Deutschland auf Tour, spielten in Hamburg und München und wollten auch in Berlin spielen, wurden aber von der Polizei gestoppt. Wir kamen aus Amsterdam und wollten nach Berlin, doch zur gleichen Zeit lief eine Aktion der Baader-Meinhof-Gruppe [Andy redet wohl von der Schleyer-Entführung] und man glaubte, sie hätten sich in Amsterdam versteckt. Und dann kommen wir daher, in schmuddeligen Klamotten, halten an einer Tankstelle, wollen mit holländischem Geld zahlen und irgendwie kam das wohl jemandem verdächtig vor, so dass er die Polizei rief. Wir waren dann morgens um sieben auf der Autobahn Richtung Berlin, völlig verschlafen, und plötzlich schreit jemand, da sei eine Straßensperre. Wir halten an und im nächsten Moment steht auch schon ein Typ mit Maschinenpistole im Anschlag vor meinem Gesicht am Fenster. Überall Polizei, über uns ein Hubschrauber, alles schreit, große Verwirrung, und wir wurden stundenlang festgehalten und verhört, so dass wir die Show in Berlin verpassten. Tja, soviel zu meinen persönlichen Erfahrungen als "Terrorist".

Was macht ihr außerhalb der Band?

Ich bin im Weingeschäft tätig und helfe Restaurants bei der Erstellung ihrer Weinkarten. Ausserdem schreibe ich in Fachzeitschriften über Wein und arbeite ein oder zwei Tage der Woche in einer Weinhandlung. Manitoba hat eine Bar, J.P. ist Schauspieler, Scott an der Rhythm Guitar arbeitet in einem Plattenladen und Ross hat mit seiner Frau zusammen eine Firma – alles Jobs, die jedem von uns genug Zeit lassen für die Band.

Andy, vielen Dank für das Interview.