Die vier Chileninnen bezeichnen ihre Musik als „Hardcore femenino hecho al sur del mundo“ – Female Hardcore aus dem Süden der Welt. 2009 hat sich die Band gegründet und mit „Sistema Criminal“ gerade ihr viertes Album veröffentlicht, das neben doomigem Hardcore noch eine ordentliche Portion an Thrash Metal zu bieten hat. Sängerin Maritza „Pupi“ Aguayo beantwortete unsere Fragen.
Hinter eurem neuen Album „Sistema Criminal“ steckt ein Konzept, das auf eine Erhöhung der Fahrpreise der U-Bahn in Santiago de Chile um umgerechnet drei Euro-Cent zurückgeht. Um was geht es da?
Auch wenn es sich wenig anhört, die Erhöhung um 30 Pesos war vor allem für Familien mit einem geringen Einkommen zu viel. Es war der Beginn von massenhaften Protesten, an deren Ende der Versuch stand, durch ein Referendum eine gerechtere Verfassung zu erhalten. Es war allerdings enttäuschend zu sehen, dass die Republikaner, die bei uns klar rechts verortet sind, eine Terror-Kampagne dagegen gestartet haben und auch viele Arme überzeugen konnten, gegen den neuen Entwurf zu stimmen – leider erfolgreich. Es ging unter anderem darum, etwas gegen die Ausbeutung des indigenen Volks der Mapuche zu unternehmen. Im Endeffekt sind es in Chile fünf oder sechs Familien, denen der ganze Reichtum gehört und die sich das Geld, das eigentlich den Mapuche zusteht, unter den Nagel reißen. Mittlerweile machen sich die Reichen immer mehr Land zu eigen, wunderschöne Gegenden mit Seen beispielsweise.
Gibt es in Chile eine Bewegung wie die EZLN in Mexiko? Dort kämpfen die Zapatistas für die Rechte der indigenen Bevölkerung – im absoluten Notfall auch mit Waffen.
Nein. Das liegt schon daran, dass an den Protesten nicht nur die Gruppe der Indigenen teilgenommen hat. An den Demonstrationen waren auch viele andere gesellschaftliche Gruppierungen beteiligt, wie zum Beispiel die feministische Bewegung oder die Kommunisten.
Chile hat eine kontinuierliche gemeinsame Geschichte mit Deutschland. Im letzten Jahrhundert waren es zunächst Juden und Antifaschisten, die vor den Nazis geflüchtet sind, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann die Nazis nach Chile. Welchen Einfluss hatte das auf euer Land?
Als mein Freund Andreas aus Deutschland vor zwei Jahren bei mir zu Besuch war, meinte er einmal, dass er auf der Straße auf fünf Menschen mit deutscher Vergangenheit gestoßen ist. Die Deutschen leben fast alle im Süden von Chile, auch jene, die aus der Colonia Dignidad stammen.
Spielt der frühere Diktator Pinochet noch eine Rolle im heutigen Chile?
Ja, er wird auch heute noch oft als Held verehrt. Man sagt, er habe die Armut beseitigt, was überhaupt nicht stimmt. Die Verfassung, die so viele Menschen endlich ändern wollen, ist jene, die für Pinochet geschrieben worden ist.
Ihr seid eine feministische Band. Wie sehr ist der Machismo in eurer Gesellschaft verankert?
Ich bin viel auf Reisen und mit unserer Band waren wir auf Tour in Argentinien und Brasilien, somit kann ich einen Vergleich ziehen. In Chile haben wir Frauen es weitaus besser als in Argentinien zum Beispiel. Das liegt daran, dass wir eine sehr starke feministische Bewegung haben. Aber natürlich gibt es auch bei uns furchtbare Auswüchse bis hin zu Femiziden. Wenn du wie in Brasilien einen Präsidenten hast, der selbst ein völliger Macho ist, wie es Bolsonaro war, hast du es als Frau natürlich noch viel schwerer.
Beschäftigen sich eure Texte, die ihr auf Spanisch singt, auch damit?
„Alza tu voz“, der erste Song auf „Sistema Criminal“, handelt davon, dass wir Frauen unterstützen, gegen gewalttätige Männer und Partner aufzustehen, und wir an ihrer Seite sind. Es geht bei uns um Feminismus genauso wie um Pro-LGBTQI* und Animal Liberation. In Bezug auf den Machismo sagen wir auf den Konzerten ganz am Anfang, dass wir keine Lust darauf haben, dass sich im Publikum geprügelt wird oder beim Tanzen Kicks verteilt werden. Wir haben viele Zuschauerinnen und diesen Blödsinn wollen wir dort nicht haben.
Was ist euer Plan für die Zukunft?
Wir schreiben gerade Songs für eine neue LP – es gibt nach wie vor viel zu sagen. Wir hatten vor, eine Tour durch Mexiko zu machen, haben es aber verworfen, da die Flugtickets dorthin zu teuer sind. Und wir schauen gerade, ob eine Tour in Europa möglich ist.
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