DEGRADATION

Wohl keine andere deutsche Veröffentlichung war so lange angekündigt und ist dann doch immer wieder verschoben worden wie "Homeward Bound", der erste Longplayer von DEGRADATION. Zahlreiche größere Labels, auch aus Amerika, waren im Gespräch, letztlich sind die fünf Jungs aus Münster bei Competition Records gelandet. Das große Hardcore-Revival ist ja leider passé, dennoch gehören DEGRADATION auf jeden Fall zu den Hoffnungen des europäischen Hardcore. Wohl keine andere Band schafft es vom Sound her, so nah an den Hardcore der frühen 80er Jahre ranzukommen.

Ihr seid ja schon seit 1996 am Start, gebt mal einen kurzen Überblick, warum es ganze fünf Jahre gedauert hat, den ersten Longplayer zu veröffentlichen.


Malte: Tja, das ist in der Tat der häufigste Vorwurf, den ich wirklich auf jeder Show zu hören kriege: Wo bleibt die LP? Wir haben ja 1997 unsere erste 7"auf Undertone Records veröffentlicht, die ist dann bei Siton Records aus Belgien in drei Pressungen neu aufgelegt worden. In der Zeit haben wir schon angefangen, Songs für eine LP aufzunehmen, aber es flogen immer wieder Lieder raus, dann war wieder irgendwer in einer anderen Stadt und hauptsächlich wollten wir immer nur die besten Songs für ein richtiges Album nehmen.

Wieso in einer anderen Stadt? Kommt ihr nicht alle aus Münster?

Alex: Das ist leider nicht mehr so und auch der Grund, warum es schwer ist, alles zusammenzuhalten. Mittlerweile wohnen wir alle in verschiedenen Städten. Da kann man halt nur am Wochenende proben. Aber dann freuen sich natürlich alle sehr, wenn man wieder zusammenkommt. Das ist eigentlich immer ein kleines Familientreffen.

Deswegen auch wohl der Plattentitel "Homeward Bound”?!

Malte: Ja, genau. Da wir alle schon die Hälfte unseres Lebens miteinander verbringen, passte der Titel irgendwie gut. Die Zeit mit den Leuten zu verbringen, die mir wirklich wichtig sind, gibt mir die nötige Energie für die schwere Zeit.

Soweit ich weiß, hattet ihr eine ganze Menge Angebote für die LP. Auch Third Party Records aus den USA waren doch an euch interessiert. Warum jetzt ein kleineres Label wie Competition Records?

Ingo: Wir kennen Tim, der Competition Records betreibt, jetzt schon seit fast zehn Jahren und er hat alle unsere Bands wie EYEBALL, UPRIGHT, IN TOO DEEP immer 100% supportet. Wenn wir unsere LP dann in den USA rausgebracht hätten, hätte alles noch viel länger gedauert und du hast wirklich überhaupt keine Kontrolle, was mit deiner Band passiert. Wir können auf diese Weise alles genau so machen, wie wir es uns vorstellen und auch Tims Label helfen. Wenn die LP draußen ist, wird sie in Amerika vertrieben und dann wird "Homeward Bound"auch mit großer Sicherheit dort auf irgendeinem Label erscheinen.

Wenn mal mehr Bands so denken würden…

Ingo: Das wäre ´ne coole Sache. Die Leute aus meinem Bekanntenkreis, die überhaupt nichts mit Hardcore zu tun haben, sehen immer unsere Platten und denken, dass ich damit schon ´ne ganze Menge Geld verdienen muss. Aber letztendlich habe ich durch Hardcore nie auch nur einen Pfennig verdient und das soll auch so bleiben. Wenn ich mit ´ner Band Kohle verdienen will, mache ich halt eine Rockband. Irgendwann werde ich auch mal eine Gitarre zertrümmern. Genauso war das ja auch mit der Promosingle für das neue Album. Da bleibt kein einziger Euro für uns.

Was war denn das genau für eine Single, die im Oktober erschienen ist?

Malte: Not Just Words Records aus Holland haben unser 1999 erschienenes Demo in einer 500er Auflage sozusagen als Promo für unsere LP rausgebracht – wie die neue LP mit einem grandiosen Cover von Florian Bertmer. Wer auf Pushead steht, sollte sich unsere Cover mal reinziehen, er hat auch schon für CONVERGE oder THE LOCUST gezeichnet. Da die Leute uns wirklich auf jeder Show fragen, was mit der LP geht, wollten wir denen halt was bieten und haben vier bisher unveröffentlichte Songs auf Single gepresst. Diese vier werden auf der LP in einer neuen Version zu hören sein.

Inwieweit unterscheidet sich denn "Homeward Bound"von den vorangegangenen Singles?

Thorsten: Unsere Musik ist auf jeden Fall ein bisschen eingängiger geworden, viele Leute sagen auch, dass wir härter und mehr nach New York klingen würden. Das denke ich allerdings nicht. Unserem Stil sind wir treu geblieben: schneller, sehr aggressiver Hardcore. Dadurch, dass wir alle unsere Instrumente besser spielen können, als wir 16 waren und eh nur 7 SECONDS und YOUTH OF TODAY gecovert haben, ist unsere Musik natürlich auch abwechslungsreicher geworden. Ein paar Soli, ein paar Melodien, insgesamt einfach interessanter. Aber nicht möchtegern-kreativ. Wir spielen Hardcore, da wird es nie viel Abwechslung geben, dafür sind andere zuständig. Unsere LP haben wir auch wieder in einem kleinen Studio aufgenommen, da bekommt man eher diesen rohen Sound hin, als in einem Studio, das pro Tag 750 Euro kostet. Ich denke, das haben wir gut hinbekommen. Auch die Stimme von Malte hat sich sehr geändert, seitdem die erste Single erschienen ist.

Das stimmt, denn was ich oft höre, ist, dass die Leute die Stimme von Malte kritisieren.

Malte: Tja, was soll ich sagen. Das ist mir so dermaßen scheißegal. Viele Leute vergleichen meine Stimme mit dem BROTHERHOOD-Sänger. Die ist auch nicht so eingängig.

Ingo: Viele Leute sagen auch, dass ihnen DEGRADATION erst nach öfterem Hören gefällt. Die Reviews von der ersten Single waren eigentlich nur positiv, sogar im Heartattack und im MRR haben wir gute Kritiken bekommen.

1997 und 1998 war ja das Jahr des Youth Crew-Revivals. Auf einmal kamen zu einer HANDS TIED- und TEN YARD FIGHT-Show 800 Leute, die Konzerte waren eine große Party und viele neue Bands tauchten überall auf. Danach ging es mindestens genau so steil wieder bergab und 2002 scheint mir, gibt es zwar nicht mehr so viele neue Bands, dafür aber versucht jeder sein Ding zu machen. Ihr kommt ja genau aus dieser Zeit…

Malte: Genau so sehe ich das auch. Wir hatten 1997 unsere mit Abstand beste Zeit, wirklich jede Show war gut, man war jedes Wochenende auf Tour, wir haben in Italien, Frankreich, Polen, eigentlich in jedem Rotz-Club in Europa gespielt. Dann war es auf einmal aus. Kaum Shows und da hatte man auch fast keine Motivation mehr, neue Songs zu schreiben. In letzter Zeit hat sich aber wieder einiges verändert und wir werden definitiv unseren Teil dazu beitragen, dass es mit der deutschen Hardcore-Szene wieder bergauf geht.

Du sprichst von der deutschen Hardcore-Szene. Was haltet ihr eigentlich von derselben? Was für Leute kommen zu euren Konzerten?

Alex: Das ist in der Tat ein Thema, über das man mit uns gut streiten kann. Wir sind unterschiedlicher Meinung darüber und die Leute sehen uns auch alle auf ihre eigene Weise. Wir sind keine Straight Edge-Band, nur einige von uns leben auf diese Weise. Wir tolerieren natürlich genauso andere Leute und genauso sind auch die Reaktionen bei den Shows sehr unterschiedlich: von Punkern, über Straight Edge-Kids, bis zu ganz "normalen"Hardcore-Leuten, eigentlich gehen alle ab. Wir wurden aber auch schon mit Bier bespritzt, weil Malte ein "Drug Free Youth"-T-Shirt anhatte.
Ingo: Mir sind diese ganzen Korrektmeier dermaßen scheißegal. Jeder soll doch einfach sein Ding machen. Im Internet Scheiße erzählen und andere Bands runtermachen, ist doch nun wirklich keine Leistung, auf die man stolz sein kann, oder? Leider ist die deutsche Hardcore-Szene nur noch ein zersplitterter Haufen, jeder kocht sein eigenes Süppchen. Keine Ahnung, ob sich das mal grundlegend ändert.
Thorsten: Ich habe in letzter Zeit festgestellt, dass es immer weniger Bands gibt, die was für mich bedeuten, sei es textlich oder musikalisch. Ich weiß nicht, ob das bloß mein subjektiver Standpunkt ist oder ob es auch anderen Leuten so geht. Früher konnte ich mich von einigen Texten inspirieren lassen, aber in letzter Zeit gab es kaum Bands, die dieses meiner Meinung nach wichtige Kriterium erfüllt haben. Die Texte sind schließlich das, was Hardcore von anderen Musikrichtungen unterscheidet. Ich denke, dass die meisten Bands die Texte einfach vernachlässigen und ihnen die Musik wichtiger ist.
Malte: Ich denke, dass sich die Szene wieder verbessern wird, weil sich die Spreu vom Weizen trennt. Die Szene ist zwar kleiner geworden, dafür sind aber auch die Leute geblieben, denen es wirklich was bedeutet.

Vielleicht stoßen sich die Leute ja auch an euren Texten?

Thorsten: Das glaube ich eigentlich nicht. Die Texte sind sehr persönlich und behandeln nicht im geringsten die Probleme der Hardcore-Szene, die ist mir nämlich ziemlich egal. Ich schreibe über das, was in meinem Leben passiert und mich bewegt.

Was liegt in nächster Zeit noch so an?

Malte: Im Februar ist die Release-Party der LP, dann wollen wir wieder so viel spielen, wie es uns möglich ist und einfach eine coole Zeit haben. Eine Europa-Tour ist für den Sommer geplant. Schreibt uns einfach wegen Shows, der neuen Platte und Shirts. Danke fürs Interview!