Der zwischenzeitliche Split währte 17 Jahre. Nun sind die drei Schweden wieder da und präsentieren sich auf „Grind Over Matter“ gewohnt rasant, aggressiv und rigoros.
Wir sind uns dessen bewusst, dass eine bestimmte Anzahl von Leuten immer behaupten wird, dass früher alles besser war“, erwidert Sänger/Bassist Gustaf Jorde, darauf angesprochen, dass DEFLESHED von etlichen Extrem-Fans als lebende Legenden verehrt werden. „Deshalb werden wir wohl noch ein weiteres Album herausbringen müssen, um ‚Grind Over Matter‘ in das Kapitel ‚früher‘ zu stellen, haha. Aber macht uns das Angst? Nein, überhaupt nicht! In erster Linie machen wir das um unserer selbst Willen. Wir hatten das Gefühl, dass wir noch einen weiteren Teil des Liedes in uns hatten, der herauskommen wollte, und hoffen, dass die meisten von denen, die uns im Laufe der Jahre um eine Reunion gebeten hatten, das neue Album genauso gut finden, wie wir, als wir es komponiert und aufgenommen haben. Während des Songschreibens achten wir nicht so sehr darauf, was in der Szene vor sich geht oder welche extremen Musiktrends gerade kommen oder gehen. Wir haben unser Konzept und versuchen vornehmlich, unseren Ohren treu zu bleiben. Das Ergebnis spiegelt musikalisch also nicht wirklich die Szene wider, wie sie sich heute darstellt. Es ist auch nicht unser Ziel, die schnellste oder brutalste Band der Welt zu sein. Wir wollen einfach nur intensiven Heavy-Thrash Metal spielen, wie wir ihn selbst gerne hören.“ Den drei Schweden geht es um den Spaß an der Sache: „Als Individuen sind wir heute entspannter und nicht mehr so sehr auf Fortschritt oder die ‚richtigen Entscheidungen‘ fixiert“, bestätigt Gustaf. „Wir spielen den Ball einfach so, wie er rollen will, und sehen, wohin er uns führt. Dennoch geben wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unser Bestes und vernachlässigen nicht die Bedeutung der Anstrengung. Gleichzeitig schätzen wir im Leben aber auch andere Dinge als Metal. Ob sich unsere entspanntere Einstellung zum Leben im Allgemeinen auf dem neuen Album bemerkbar macht, ist schwer zu sagen. Ich denke oder hoffe es nicht, da es für mich ziemlich wütend und intensiv klingt. Wir wollen eine akustische Ohrfeige für jeden produzieren, der eine will oder braucht – uns selbst eingeschlossen.“
Mit Blick auf den Nachfolger des 2005er Albums „Reclaim The Beat“ erweist sich die Arbeit entlang der eigenen Vorlieben als erfolgreich und spannend: „Wir sind mehr an unserem eigenen kreativen Fortschritt interessiert, als darauf zu schauen, welchen Weg andere Bands einschlagen“, erzählt der Schwede. „Ich glaube an die Vielfalt und bin wirklich begeistert, wie einfach es ist, neue Musik und neue Ansätze im Kontext der extremen Musik zu finden. DEFLESHED werden nie die extremste Band der Welt sein. Das ist auch nicht unser Ziel. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass wir uns einen eigenen Sound erarbeitet haben und unsere Musik damit relevant ist.“ Das Dreiergespann aus Uppsala meldet sich auf „Grind Over Matter“ prägnant und verdichtet zurück: „Wenn man auf einen progressiven und melodischen Ritt aus ist, wird man enttäuscht sein“, weiß Gustaf. „Das können andere Bands aber auch und machen das gut, also warum sollten wir das tun? Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es schwer ist, sich unsere Musik stundenlang anzuhören. Also halten wir die Alben so kurz wie möglich. Diesmal sind es 34 Minuten. Das ist genug. Allerdings streuen wir immer auch ein paar Songs mit gedrosseltem Tempo in den Mix ein, damit die schnelleren Stücke besser zur Geltung kommen. DEFLESHED ist keine Sache für jedermann. Wenn es so wäre, wäre unsere Mission gescheitert: extreme Musik für extreme Leute.“
Worauf das Trio aus ist, weiß der Sänger/Bassist ganz genau: „Uns geht es primär darum, dem Hörer Energie mitzugeben. Wir machen nichts Technisches um des Technischen willen. Im Gegenteil. Wir versuchen vielmehr, die Dinge zu vereinfachen und Elemente wegzulassen, die nicht sein müssen. Soli zum Beispiel. Unsere Songs sind zumeist zwischen zweieinhalb und drei Minuten lang. Da gibt es keine unnötige Überfrachtung. Wir fordern uns aber immer in dem Sinne heraus, dass wir versuchen, Dinge zu tun, die wir vorher noch nicht probiert haben, und dem Hörer dadurch hoffentlich etwas Interessantes zu bieten. Wir wollen aber keine große Band sein. Das ist irrelevant.“ Die lange Kreativpause ist „Grind Over Matter“ jedenfalls nicht anzuhören: „Wir haben 17 Jahre kein DEFLESHED-Album geschrieben“, erinnert sich der Musiker. „Während dieser Zeit haben wir musikalisch die verschiedensten Dinge gemacht, die wahrscheinlich auch eine Rolle bei der Entstehung dieses Albums gespielt haben. Was das genau ist, lässt sich nicht so leicht sagen. Doch wir sind auch älter geworden, im Guten wie im Schlechten. Es fällt uns schwer, so viel Intensität zu erzeugen wie in unseren Dreißigern, also haben wir ein paar andere Wege und Tricks gefunden, um das gleiche Energieniveau zu erreichen.“ Das Comeback-Werk begeistert Gustaf bis jetzt: „Normalerweise bin ich nach der Fertigstellung eines Albums todmüde davon“, verrät der Schwede. „Doch diesmal konnte ich einfach nicht genug davon bekommen. Einige der Songs habe ich noch monatelang weitergespielt, nachdem wir das endgültige Master fertiggestellt hatten. Wie ,Bent out of shape‘, ,Heavy haul‘ und mein Favorit ,Grind over matter‘. Textlich bin ich sehr happy damit, wie ,Dear devil‘ geraten ist. Es ist ein spezieller Song für mich, bei dem ich mir gar nicht sicher bin, ob der durchschnittliche Metalhead ihn versteht. Er entstand aus Frustration darüber, wie bequem und faul die Menschheit geworden ist. ,One grave to fit them all‘ ist ein weiteres zynisches Stück, das ich mir immer wieder anhören kann. Meiner Meinung nach sind alle Songs auf dem Album deutlich besser geworden, als ich es mir jemals hätte träumen lassen. Wie es beim Hörer ankommt, liegt nicht mehr in unserer Hand. Wir haben bereits unser Bestes gegeben und hoffen, dass ihr den Wahnsinn genießen werdet.“
© by Fuze - Ausgabe #96 Oktober/November 2022 und Arne Kupetz
© by Fuze - Ausgabe #96 Oktober/November 2022 und Arne Kupetz