DEFEATER

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Die beste Platte

DEFEATER sind zurück. Und das neue titellose Album ist das erste ohne Gitarrist und Quasi-Produzent Jay Maas, von dem man sich 2015, zwei Monate nach Veröffentlichung des Vorgängeralbums „Abandoned“, wegen „persönlicher und kreativer Differenzen“ getrennt hatte. Wir treffen die Band mit dem einzigartigen, rhythmisch-dynamischen Sound im April in Oberhausen, anwesend, aber unterschiedlich gesprächig sind Drummer Joe, die Gitarristen Adam und Jake sowie Sänger Derek, der mittlerweile in Denver, Colorado und nicht mehr an der Ostküste lebt.

Eine Tour vor Veröffentlichung des Albums – macht man das jetzt so?

Joe:
Ich weiß auch nicht ... das hat sich so ergeben, wir sind einfach Idioten. Wir haben einen geplanten Termin gerissen, dadurch verschob sich der Release, aber die Tour stand schon. Was soll’s ...

2009, vor zehn Jahren, wart ihr das erste Mal in Deutschland. Zehn Jahre durchzuhalten, das schaffen nicht viele Bands.

Derek:
Wir haben ein paar Mal versucht, uns aufzulösen, es aber nie geschafft.

Joe: Das ist wie bei einem Streit, wo der eine schon seine ganzen Sachen auf dem Bürgersteig vor der Wohnung stehen hat ... und dann doch wieder einzieht.

Jake: Wir sind gleichzeitig beste Freunde und Todfeinde.

Aber man muss sich ja wohl doch irgendwo entscheiden, Streit und Diskussionen auf sich zu nehmen, anstatt den leichten Weg zu gehen und es zu beenden.

Joe:
Ach, das ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn du mal kapiert hast, dass du sowieso nichts anderes kannst. Wir haben alle unser Leben zu Hause, und irgendwie denkt man gar nicht so viel darüber nach. Es steht eben von Zeit zu Zeit eine Tour an, dann fährst du los, und entweder es läuft gut oder nicht. Und dann machst du weiter.

Adam: Wir sind gerne zusammen, wir lieben es, Musik zu machen, das ist alles.

Derek: Vor allem macht es einfach Spaß, in einer Hardcore-Band zu sein, irgendwas Neues gibt es immer. Wir haben uns zwei Jahre Zeit gelassen mit dem Album und es machte mir richtig viel Spaß, wenn wir uns immer wieder mal für ein Wochenende trafen und im Proberaum an neuen Songs arbeiteten. Da war keine schlechte Sache, nur Spaß, Musik und Gelächter.

Was hält die Band, die Herde zusammen, gerade wenn es mal nicht so gut läuft?

Derek:
Die Band ist für uns ein Weg, um mit unseren Ängsten und Frustrationen umzugehen, und wir haben zusammen schon eine Menge durchgemacht, und das weiß jeder. Und auch dass wir unterwegs sind, um jeden Abend für eine Stunde richtig was loszumachen.

Joe: Wir haben einen ziemlich direkten Umgang miteinander.

Jake: Und wenn es einem mal nicht gut geht, ist jemand für ihn da. Ich sollte damals nur ein Wochenende lang einspringen – und neun Jahre später bin ich immer noch dabei. Wir empfinden die Band nicht als Druck, sondern als Gelegenheit, die uns so viel ermöglicht.

Sich in Form einer Band zu organisieren, ist ja eine eher ungewöhnlich Form des Zusammenlebens, die meisten Menschen kennen diese Erfahrung nicht. Was hat euch das für euer normales Leben gelehrt?

Derek:
Man muss schon eine spezielle Persönlichkeit haben und mit einer Menge Scheiß klarkommen, wenn man tagelang mit seinen Freunden und Bandkollegen ständig auf engstem Raum zusammen ist, und das auch noch in anderen Ländern, weit weg von seinen Liebsten. Aber nach mehr als zehn Jahren ist das dann ganz normal.

Jake: Für mich ist es eine wichtige Erfahrung, so viel von der Welt sehen zu können, so viele verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Und das reflektiert auf mein Leben. Du nimmst was mit, wenn du unter so vielen verschiedenen Menschen bist über so einen langen Zeitraum.

Joe: Man schätzt sehr viel mehr sein Leben zu Hause, den Luxus, in seinem eigenen Bett zu schlafen.

Jake: Und es ist ein Vorteil, aus erster Hand mitzubekommen, was in der Welt so abgeht. Viele würden das gerne tun, haben aber nicht die Gelegenheit dazu, weshalb wir versuchen uns nicht zu beklagen über die Nachteile unserer Lebensweise. Stattdessen mache ich mir klar: Nein, du bist mal wieder in Deutschland, zum x-ten Mal, alles ist cool.

Derek: Wir kennen das ja seit Ewigkeiten nicht anders, diesen ständigen Wechsel zwischen dem Tourleben und dem Leben zu Hause, mit einem normalen Job. Wir haben aber auch schon Bands erlebt, die sich in so einer Art Blase befinden, die gar nicht mehr checken, wie besonders ihre Situation ist. Diese Gefahr sehe ich bei uns nicht, dafür bin ich dankbar.

Was sind das für Jobs?

Jake:
Joe fällt Bäume.

Joe: Das habe ich mal gemacht. Ich bin seit einer Weile Vollzeitmusiker, spiele auch Schlagzeug bei THE AMITY AFFLICTION. 2019 bin ich neun von zwölf Monaten auf Tour. Aber das ist cool.

Adam: Ich arbeite im Geografie-Department einer Uni.

Jake: Ich habe eine eigene Schreinerei und außerdem noch zusammen mit Joe die Band DREAMTIGERS, spiele bei HEARTSCAPE LANDBREAK, noch einer weiteren Band ... und manchmal schlafe ich auch.

Derek: Ich schneide Haare.

Im Ernst?

Derek:
Ja, ich bin Friseur. Und Vater. Und ich habe meine Bands.

In Zeiten von Fake News und lügenden Präsidenten, wo Menschen die seltsamsten Dinge glauben, hat es da eine besondere Qualität, selbst in die Welt hinausziehen zu können und vor Ort zu sehen, wie die Welt wirklich ist?

Joe:
Absolut! Menschen zu treffen, zu verstehen, wie sie denken, das ist einer der wichtigsten Aspekte an dem, was wir tun. Klar, die Musik ist wichtig, aber wir lernen nebenbei auch noch die Welt kennen, treffen die verrücktesten Leute und sehen Orte, von denen wir als Kinder oder Teenager träumten. Man knüpft Freundschaften, etwa mit DEAD SWANS, mit denen wir heute auch wieder spielen. Deshalb bin ich heute lieber persönlich in Oberhausen, als nur zu Hause zu sitzen und etwas über die Stadt zu lesen. Und all das hat natürlich auch was mit Punk und Hardcore und unserer Sozialisation in dieser Szene zu tun, mit deren Bemühen, sich für gesellschaftlichen Wandel einzusetzen. Klingt wahrscheinlich total aufgesetzt, oder? Aber echt, es bedeutet uns etwas, jetzt hier in diesem Raum zu sitzen, mit so vielen engagierten Menschen.

Das ist der eine Punkt. Wenn man dann aber eine Umfrage liest, dass mehr als die Hälfte der Menschen in diesem Land gegen Zuwanderung sind, dann merkt man mal wieder, dass wir in unserer Szene auch in einer „Bubble“ leben.

Joe:
Wir kommen aus den USA, wir haben keine Ahnung, wovon du redest ...

Derek: Wir haben wohl auch in einer Fantasiewelt gelebt einige Jahre, und jetzt schwingt das Pendel zurück. Keiner von uns hat all das kommen sehen. Ich bekenne, ich war da etwas selbstzufrieden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Welt sich nach 2016 so verändern würde. Ich weiß nicht, woher so ein Denken kommt. Hat das was mit dem Alter zu tun? Mit der Angst vor dem Unbekannten? Vor sozialen Veränderungen?

Reden wir über Erwartungen, zum Beispiel über die von Labels. Ihr seid nach Jahren auf Bridge 9 jetzt auf Epitaph, und heute nimmt kein Label einer bestimmten Größe mehr eine Band neu unter Vertrag, die nicht bereit ist, viel zu geben, viel auf Tour zu gehen.

Derek:
Ich kann nur für uns sprechen, aber deren Erwartungen an uns sind eher moderat und realistisch.

Jake: Die sind froh, wenn wir einfach unseren Teil des Jobs machen und Konzerte spielen. Und die machen ihren.

Derek: Die sind uns nie mit konkreten Forderungen gekommen. Die haben eine Summe genannt, die sie uns für die Albumaufnahmen zahlen können, und die war okay und so machten wir den Deal. Wir sind genügsam, wir haben Spaß an der Band, an Konzerten, und das wurde von Epitaph verstanden. Die Band, so wie sie heute besetzt ist, hatte und hat keine Agenda, wir haben keine Ziele, die wir erreichen wollen, keine Ambitionen, so groß wie oder größer als irgendeine andere Band zu werden.

Jake: Es gab da auch keine langen Verhandlungen, wir hatten nur eine Telefonkonferenz und die sagten, was geht, und wir meinten, ja, klingt gut, machen wir. Und „the guy“ von Epitaph meinte auch nur, er fand unsere letzte Platte gut und deshalb wolle er was mit uns machen. Und wir alle so: „Yesssss! Epitaph!!“

Ihr seid ja so Neunziger.

Jake:
Warum?

Na, weil ihr noch glaubt, dass Labels irgendwas bedeuten. Wie altmodisch ... genau wie keiner mehr gedruckte Magazine braucht, oder Alben.

Jake:
Ja, kann ja sein, dass wir das alles auch irgendwie wissen. Aber wir finden es eben cool, auf Epitaph zu sein. Meine erste CD war „And Out Come The Wolves“ von RANCID auf Epitaph – und jetzt sind wir auf Epitaph. Das ist verrückt, das ist großartig.

Derek: Wir nehmen es, wie es kommt. Sollten eines Tages Alben und Labels völlig obsolet werden, werden wir trotzdem noch Konzerte spielen und Spaß haben.

Euer neues Album habt ihr mit Will Yip aufgenommen, alle davor waren noch mit eurem alten Gitarristen Jay Maas entstanden, der nicht mehr dabei ist. Das ist schon eine deutliche Veränderung, oder?

Derek:
Mit Will zu arbeiten, war eine unglaubliche, außerweltliche Erfahrung.

Jake: Wir haben als Musiker noch nie so hart gearbeitet wie bei den Aufnahmen mit ihm. Wir wurde im Vorfeld schon gewarnt: „You’re gonna work with Will? He’s gonna fuck you up!“ Der fordert dich heraus, verlangt mehr von dir, als du glaubst, geben zu können. Er hat die Fähigkeit, in der Persönlichkeit des Musikers zu lesen, der da vor ihm steht. Er ist ein sehr positiver Mensch, er schafft es, mit dir so zu interagieren, dass er das Beste aus dir herausholt. Mal lobt er dich, mal tadelt er dich.

Joe: Für mich war das die bislang härteste musikalische Erfahrung. Er ist auch Schlagzeuger und er meinte am Anfang nur, das wird crazy. Ich habe teilweise acht bis zehn Stunden am Tag gespielt, und ich dachte bis dahin auch, ich könne Schlagzeug spielen. Ich hatte Tage, da dachte ich, ich packe das nicht mehr. Ein ganzer Tag im Studio, dann lange Diskussionen über die weiteren Aufnahmen, und am nächsten Tag das gleiche Programm. Das war ein krasser Drill, und wir kamen am anderen Ende der Aufnahmen heraus, schauten uns an und sagten: Wow, wir dachten, wir wüssten, was harte Arbeit ist, aber das war der Hammer! Und das ist der Grund, warum er so erfolgreich ist: Er hat eine Vision und gibt nicht auf, bis das Ziel erreicht ist.

Derek: Es ist unser fünftes Album, ich war darauf vorbereitet, eine Menge geben zu müssen, und er legte noch einen drauf. Das war unbeschreiblich.

Joe: Er sagte immer nur: „Noch mal. Noch mal. Noch mal.“ Der wusste, was er aus mir rausholen kann. Beim dreißigsten Versuch fängst du an, dich zu fragen, was du falsch gemacht hast, was du da überhaupt tust. Will lässt dich einfach machen, ohne zu sagen, was er will – bis er hat, was er will, den „Goldenen Take“. Himmel, ich wusste zwischenzeitlich nicht mehr, was das soll, worauf das hinausläuft. Und dann hörst du dir am Schluss alles an und kapierst den ganzen Wahnsinn.

Jake: Irgendwann wurde ich auch mal laut, sagte ihm, dass von den zig Takes doch echt einer gut genug gewesen sein müsse. Und er nur so: „Nö. Aber wir sind nahe dran.“ Und weiter ging’s. Wir vertrauten ihm einfach, wir merkten schnell, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind. Auch wenn wir uns zwischenzeitlich fragten, was wir da eigentlich machen nach zig Tagen. Wir hatten doch zuvor schon Alben aufgenommen, wir wussten doch, wie das läuft. Aber wenn Will sein Ding laufen hat, dann machst du einfach mit. Es war eine extreme Erfahrung, wir sind jetzt Freunde. Und wissen: Wenn du denkst, du wüsstest, was harte Arbeit ist, hast du noch nicht mit Will Yip gearbeitet.

Derek: Ich glaube, es hat ihm aber auch Spaß gemacht mit uns. Der hat zwar schon Bands wie unsere aufgenommen, aber nicht in letzter Zeit. Und er sagte irgendwann auch: „Jungs, ich hoffe, ihr wisst das, aber wir machen hier gerade die beste DEFEATER-Platte.“ Und ja, die Platte klingt genau, wie wir klingen wollen, wir sind echt begeistert.

Schafft ihr es überhaupt, ein so entstandenes Album live umzusetzen?

Derek:
Das musst du Joe fragen, der ist unser rhythmisches Rückgrat. Und der macht mit seinen Armen Dinge, zu denen kein anderes menschliches Wesen in der Lage ist. Wir haben bisher die beiden Singles des Albums live gespielt, und für mich klingen die völlig anders als die anderen DEFEATER-Songs.

Jake: Die anderen Alben schrieben wir mehr oder weniger im Studio, und der Typ am Mischpult sagte oft genug nach einem Take, das sei gut genug. Und wenn ich dann sagte „Nee, lass uns noch mal machen“, hieß es: „Ach, ich hab jetzt Bock auf ein Bier und ’ne Pizza.“ Und das war es dann. Die Songs der neuen Platte schrieben wir zusammen, wir spielten sie live im Studio, und deshalb klingt das alles so natürlich gewachsen, so intensiv. So wie Will die Songs aufgenommen hat, sind sie. Das sind 100% wir.