Man erinnert sich: Vor geraumer Zeit schrieb David Schumann eine Kolumne fürs Ox ("The Tokyo Diaries"), in der er über sein Studiensemester in Tokio berichtete und all die Eigenheiten des Lebens in Japan. Und da erwähnte er auch was von Fotos, von einem Job als Model. Mittlerweile ist David längst wieder zurück in Köln, ist dabei sein Japanologie-Studium zu beenden - und durch Berichte auf Spiegel-Online, in Tageszeitungen und bei RTL zur B-Celebrity geworden, denn die Story, dass da der, wie Spiegel-Online schrieb, "leicht verlotterte Kölner Altpunk David Schumann" in Japan zum Top-Model wurde, ist auch einfach zu gut. Wir setzten uns in Köln auf ein paar Bier zusammen, um die grandiose Geschichte mal in aller Ausführlichkeit auszubreiten ...
Du bist also der "leicht verlotterte Kölner Altpunk". Köstlich.
Tja, das denken Spiegel-Online-Typen, wenn die mit so Leuten wie mir reden. Mit 31 als "Altpunk" bezeichnet zu werden, finde ich schon krass. Was sind denn dann die wirklichen alten Punks?
Na ja, das "verlottert" passt schon eher, wenn ich mir deine runtergelatschen Hosensäume so anschaue ...
Bei dem Interview war das noch nicht! Das kommt davon, weil ich da immer drauf trete, weil mein Portemonnaie so schwer ist. Auf jeden Fall hat mich dieser Satz in der Intervieweinleitung schon sehr gewundert. Ich kenne den Typen, der das Interview gemacht hat, ja auch, und er hatte mir das Interview zum Gegenlesen geschickt, ich hatte mein Okay gegeben, doch dann hat wohl der Redakteur bei Spiegel-Online noch diese Einleitung geschrieben. Ich weiß aber auch, warum, denn das war bei allen Berichten über mich so: Die brauchen diesen Kontrast zwischen Punk, dem Dreck von der Straße, und der High-Class-Model-Welt. Wäre die Geschichte nur, dass da so ein Hardcore-Typ nach Japan geht und Model wird, wäre das noch zu normal. Dabei bin ich ja nicht der Typ, der am Hauptbahnhof mit der Nadel im Arm rumhängt. Ich habe noch nie was anderes genommen als Alkohol.
Witzigerweise funktioniert das in der Berichterstattung über das Ox-Kochbuch genauso: "Witzig, Punks essen also nicht nur Pommes und saufen dazu Dosenbier? Das ist eine gute Story!"
Genauso war das. Dabei war der erste Bericht bei RTL noch ganz okay, so von der Bildersprache her und vom Sprecher mal abgesehen. Für den zweiten Bericht wollten die mich dann nach Bonn ins berüchtigte "Bonner Loch" am Bahnhof schleppen, um mich da zu filmen, dabei war ich da zuletzt mit 14, als ich SEX PISTOLS gehört habe und dachte, da abzuhängen sei Punk. Mit 15 habe ich dann GORILLA BISCUITS und YOUTH OF TODAY gehört und wusste, da abzuhängen, das isses nicht.
Lass uns doch an der Stelle die Geschichte mal ganz von vorne erzählen. Du kommst aus Bonn, studierst in Köln Japanologie und wurdest bei einem Studiensemester in Tokio in Japan als Model entdeckt, dessen Fotos auf Postern und auf Zeitschriftentiteln zu sehen sind. Wieso Japanologie, warum geht man nach Japan, wie wird man Model?
Also, ich hole da jetzt einfach mal etwas weiter aus ... Ich habe mich schon immer für Asien interessiert, begann mich so mit 18 mit Film als Kunstform zu beschäftigen. Ich fand die Filme von John Woo schon immer sehr gut, und als ich die dann alle geschaut hatte, fragte ich in der "Traumathek", dieser auf Asien spezialisierten Videothek hier in Köln, nach Filmen, die ich noch nicht kenne. Man empfahl mir dann Takeshi Kitano, und als ich dann "Hana-Bi" gesehen hatte, war es um mich geschehen: Einerseits so sensibel, andererseits so brutal und zynisch, dieser Kontrast zu einer perfekten Einheit verschmolzen ... Ab da habe ich mir dann immer Japan-Sachen reingezogen, auch viel gelesen, und beschloss dann, dass ich das Land, das solche Filme hervorbringt, gerne genauer kennen lernen würde. Mit meinem Studium - Soziologie, Englisch, Deutsch - war ich in einer Sackgasse, und so begann ich, Japanologie zu studieren. Da mich das wirklich interessierte und ich sprachbegabt bin, flog mir das alles zu und machte richtig Spaß, ja, es gab meinem Leben einen Sinn, denn die Jahre davor, seit dem Zivi, habe ich eigentlich nur so vor mich hin geslackt und war nicht wirklich glücklich. Mein neues Ziel war, möglichst gute Noten zu haben, um ein Semester in Tokio studieren zu können. Ich hab dann 2005 ein Stipendium bekommen und durfte nach Japan fahren.
Du hast also schon ein paar Jahre rumstudiert ...
Ja, denn bis man die Sprache gut beherrscht und sich in Japan zurechtfindet, dauert das auch ein paar Jahre.
Ist Japanisch denn schwer?
Eigentlich nicht, es ist nur sehr unterschiedlich. Die Satzstruktur ist anders, statt Subjekt-Prädikat-Objekt ist das im Japanischen Subjekt-Objekt-Prädikat, du musst einen Satz ganz anders bilden, du musst anfangs also vor jedem Satz nachdenken. Ich ging dann nach Japan, hatte vor der Uni noch eine Woche Zeit, hatte da keine Freunde, war allein in der großen Stadt, also ging ich raus, erkundete die Stadt, schaute mir alles an. Und die Eindrücke in dieser Stadt erschlagen dich, im positiven Sinne.
Bist du vor lauter In-die-Luft-Schauen oft gegen Hydranten gelaufen?
Es war andersherum! Frag nicht, wie oft ich mir in Japan den Kopf gestoßen habe. Eine Million Mal, denn da ist alles so niedrig, und ich bin 1,88 ... Ein großer japanischer Mann hingegen ist 1,75. Und die paar Zentimeter geben den Ausschlag, ob du dir an der U-Bahn-Tür mal wieder den Kopf anschlägst oder nicht. Ja, wenn ich in der U-Bahn stehe, kann ich auch nie zum Fenster rausschauen, das geht mir gerade bis zum Hals. Das nervt total. Aber wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, ich habe also erst mal die Stadt erkundet, wusste natürlich, welches die interessanten Stadtteile sind, aber auch die direkte Nachbarschaft habe ich zu Fuß erkundet. Die Architektur ist da sehr interessant, es gibt nicht zwei Häuser, die gleich sind. Und wie ich da so rumlief, sprach mich eine Frau an, meinte, ich sähe ja echt cool aus. Die fragte, ob sie Fotos von mir machen dürfe, und ich hielt sie für eine Kunststudentin. Wir tauschten unsere Telefonnummern aus, aber ich hörte nichts mehr von ihr - erst zwei oder drei Monate später rief sie mich an und erzählte was von einem Studio, in dem die Fotos gemacht werden sollten, und dass sie mich abholen würde. Zu dieser Verabredung kam sie aber dann nicht alleine, sondern mit so einem richtigen Bus mit acht Leuten drin: Stylisten, Kamera, Licht, alles. Ich wusste von nix, und sie sagte, wir würden jetzt nach Yokohama fahren. Ich musste also in einem Bus mit Leuten, die ich nicht kenne, an einen Ort fahren, an dem ich noch nie war, und niemand in dem Bus hat geredet. Die waren alle schwarz gekleidet, hatten lange schwarze Haare, so düstere Arty-farty-Typen. Ich dachte ja schon, die drehen gleich einen Snuff-Film mit mir in der Hauptrolle, haha. Dann legte aber einer eine WEEZER-CD ein, und ich dachte mir, wer WEEZER hört, der kann kein schlechter Mensch sein.
Und was passierte dann im Studio?
Die Typen, die im Bus gerade noch geschlafen hatten, waren plötzlich hellwach, die machten perfekt aufeinander eingespielt ihren Job, holten die ganzen Sachen aus dem Bus, ganze Stangen voller Klamotten, von einem britischen Designer namens Paul Smith, der so Mod-mäßige Klamotten macht. Na ja, und dann hieß es eben, ich solle dies und das anziehen und dann würde man Fotos machen.
Und was hast du in dem Moment gedacht?
"Ach so!" Das war schon eine Überraschung. Die Aufnahmen dauerten dann ein paar Stunden, ich bekam Anweisungen, wie ich mich hinsetzen oder hinstellen soll. Oder man sagte mir, ich solle den Kopf etwas schief legen, so oder so schauen, verträumt oder cool, in die Kamera oder nicht in die Kamera, und zwischendurch machten die mir in den Haaren rum. Und die ganze Zeit fotografierten die eben und sahen sehr zufrieden aus. Ich machte alles brav mit, und irgendwann waren wir fertig, die bedankten sich bei mir und dann drückten sie mir einen Umschlag mit Geld in die Hand - und erst da kapierte ich, dass ich da gerade gearbeitet hatte, dass das nicht ein kleiner Gefallen gewesen war. Ich war natürlich überrascht und sah wohl auch so aus, und da fragte dann jemand, ob mir niemand gesagt habe, dass es Geld dafür gebe und dass die Fotos für eine Zeitschrift namens "High Fashion" seien, die nächsten Monat erscheine. Die habe ich mir dann natürlich gekauft, und da war dann eine Fotostrecke über sechs Seiten mit mir drin, das war echt krass. Zu dem Zeitpunkt war gerade ein Freund aus Deutschland zu Besuch, der selbst Fotograf ist, und der meinte nur, die Fotos seien extrem gut, und ich solle da was draus machen, mir eine Agentur suchen.
Was für ein Heft ist dieses "High Fashion" denn?
Das ist schwer mit Deutschland zu vergleichen, denn in Japan gibt es sehr viele Modemagazine, die aber nicht so mainstreamig sind wie hier. Da wird Mode immer mit Lifestyle verbunden, aber immer so eher Indie-orientiert. Da sind auch die ganzen großen Namen drin, aber die Foto-Shootings sind viel freier, die Fotografen machen nur, worauf sie Lust haben - oder die Designer geben denen den Auftrag, doch mal so was "crazy Japanisches" zu machen. Die Magazine sind auf jeden Fall sehr kreativ, sind absolute Hochglanzblätter mit Prada und so, aber auch mit komischen Artikeln über Bands wie die STROKES oder so.
Und wie viel Geld war in dem Umschlag?
Überraschend viel. Dafür muss ich in Deutschland einen halben Monat bei Underdog Platten verkaufen. Ich hab mir an dem Abend dann auch erstmal einen Sixpack besten Bieres gekauft und eine Packung Kippen und hab mich alleine besoffen.
Hast du dir denn nicht die Frage gestellt, warum die Modeleute eigentlich was von dir wollten?
Na ja, ich dachte mir schon, dass es was damit zu tun hat, dass ich jemand aus dem Westen bin und diese Tattoos habe. Allerdings hat man die Tattoos auf den Fotos nicht gesehen, und auch mein sonstiges Aussehen haben die für die Fotos völlig verändert, also haben die mich nicht für das ausgesucht, was ich bin, sondern haben mich als Projektionsfläche ausgesucht für das, was sie machen. Die haben mich zu einhundert Prozent nach ihren Vorstellungen geformt, denn von dem Style her war ich bei diesem Shooting null Prozent ich selbst.
Und was sagt uns das über die Leute, die man bei "Germany's Next Top Model" zu sehen bekommt?
Dass deren Karriere schneller zu Ende sein wird als meine. Die sind noch eine Weile Pro7-C-Promi und setzen dann ihr Mathematikstudium fort. Klar kann man lernen, wie man sich vor einer Kamera bewegt, wie man schaut, aber nach meiner Erfahrung hat es vor allem was damit zu tun, dass du das gewisse Etwas hast - oder eben nicht. Was das genau ist, weiß ich selbst aber auch nicht.
Wir sitzen hier nebeneinander auf dem Sofa, und wenn ich dich so anschaue, frage ich mich, was dich als Model qualifiziert. Du bist doch ein total normaler Typ und hast dich wohl auch selbst immer so wahrgenommen.
Ja, und ich nehme mich immer noch als ganz normal wahr. Ich denke, dass ich total normal bin. Inzwischen habe ich aber eine ganze Menge in dieser Model-Welt gearbeitet und eine Idee davon bekommen, was Fotografen in mir sehen. In meiner Agentur - eine der Größten in Tokio - war ich 2006 das meistgebuchte Model, war auf riesigen Postern in der Stadt zu sehen, auf T-Shirts, die Schauspieler tragen, deren Filme ich früher gesehen habe, hatte mein Gesicht auf der Titelseite von "Huge", der besten Modezeitschrift, und das ist echt krass. Mir wurde erst allmählich bewusst, was das eigentlich für ein Erfolg ist, denn ich habe da ja nicht bewusst darauf hingearbeitet, das ist einfach passiert. Ich bin ja ein reflektierender Mensch, und ich habe mittlerweile ein ganz gutes Verständnis von der Branche. Wo ich zu Beginn dachte, dass ich ja eigentlich ein ganz normaler Typ bin, weiß ich jetzt, dass ich meine Arbeit als Model deshalb mache, weil ich das kann. Das klingt jetzt hoffentlich nicht arrogant, aber wenn man diese Fotos sieht, merkt man, dass ich da anders aussehe als im normalen Leben. Ich habe, denke ich, ein Verständnis dafür, was das für eine Atmosphäre beim Shooting ist, was das für Klamotten sind, kann die interpretieren und die dazu passenden Posen und Gesichtsausdrücke machen. Zu Beginn konnte ich das nicht, da habe ich nur gemacht, was der Mann hinter der Kamera sagt, aber mit der Zeit habe ich gelernt, wie das geht, habe bei den Shootings keine Anweisungen mehr bekommen. Einmal hatte ich ein Shooting für so Military-Klamotten, da wollten die mir einen Hitlerbart ankleben. Das habe ich aber nicht gemacht, und dann habe ich so Pistolen-Posen gemacht, und das war dann genau das richtige. Die Kameras klickten, und das war's. Und da denke ich, mit solchen Posen, da kommt mein Punkrock-Background ins Spiel, weil solche Posen, so was macht man ja auch mal so zum Spaß,verstehst du? Sowieso ist mein ganzes Leben, meine ganze Denke von Punk geprägt, so lebe, denke, atme, fühle ich. Das ist ja nicht nur Musik, das ist das ganze Leben. Noch mehr bei dem Job hilft mir allerdings meine Distanz dazu, denn eigentlich ist der mir scheißegal. Ich sehe den nicht als Erfüllung an, meinen Lebenszweck, sondern es ist nur ein Job, in den ich reingerutscht bin als jemand, der Mode eigentlich gar nicht mag und nichts damit anfangen kann. Der allerdings dann festgestellt hat, dass er das, was er da macht, gut kann. Und ich schäme mich auch nicht, das zu sagen.
Und noch einmal: du bist kein Typ, der aussieht wie die Schönlinge aus der Boss-Reklame.
Nein, ich bin nicht der Typ Model, der allgemein gesucht wird. Ich kenne die Model-Szene ja nur in Japan, nicht hierzulande, und da suchen die Designer Menschen mit Charakter. Klar, ich habe nur wenig Marken wie Dolce & Gabbana gemacht - die hab ich aber auch gemacht -, und die suchen eher so austauschbare Gesichter, so Typen wie Wasser. Das kann ich nicht machen, dafür bin ich nicht der Typ. Ich bediene eher den "Charakter-Part", und ich bin so selbstreflektiert, dass ich weiß, welchen Typ ich für die darstelle.
Was stellst du denn dar?
Mir wird immer von Managern und Designern gesagt, dass ich jemand bin, der sehr wandlungsfähig ist, und dass das der Grund für meinen Erfolg ist. Ich kann eben einerseits so Street-Sachen machen, aggro kucken, mit meinen Tattoos und Haaren im Rockabilly-Style. Aber ich kann auch Sachen im Anzug machen, und wenn man mich rasiert und mir die Haare macht, kann ich auch eher feminine Sachen machen, da sehe ich ganz anders aus. Ich kann also die verschiedensten Bereiche bedienen, und das, so hat man mir gesagt, ist mein großer Vorteil, denn viele andere Models werden immer nur für eine bestimmte Art von Shooting gebucht.
Arbeiten die in Japan denn generell viel mit westlichen Models?
Ja, sicher zu 80 Prozent. Die meisten Japaner haben das Land, von Südkorea mal abgesehen, noch nie verlassen. Und so ist der Westen das Geheimnisvolle, Attraktive, das große Unbekannte. Und damit arbeiten die Designer.
Und das hat dich attraktiv gemacht.
Ja, aber erst nach mehreren Anläufen. Anfangs habe ich mich immer schick gemacht, um mich vorzustellen, mich rasiert, die Haare gemacht, ein sauberes Hemd angezogen - und ich bin regelmäßig durchgefallen. Ich war schon so weit, dass ich mit meiner "Karriere" wieder abgeschlossen hatte, doch dann war ich eines Abends saufen und bin am nächsten Morgen, ohne geschlafen zu haben, zum Casting gegangen. Ich sah echt schlimm abgefuckt aus, stand vor dem Designer und dachte, ich müsse kotzen, so schlecht war mir. Und der sagte nur "Okay, du hast den Job" - und so was passiert sonst gar nicht, da gehst du wieder nach Hause und irgendwann rufen die an. An dem Punkt wurde mir dann allmählich bewusst, was die eigentlich wollen und suchen: Den "Rebellen", den unangepassten Typen, der irgendwie abgefuckt aussieht, männlich und doch auch weich und verletzlich ...
Einen, der total emo ist!
Wenn du so willst, ja. Und seit ich gecheckt habe, dass die genau das wollen, bin ich nur noch so zu Castings gegangen, wie ich eben bin - und ab da ging es steil aufwärts.
Welche Rolle spielen deine Tattoos? Tattoos haben ja in Japan einen anderen Stellenwert als mittlerweile in Europa.
Ich möchte das nicht überbewerten, denn bei einer Durchsicht meiner Fotos habe ich gemerkt, dass auf weniger als 20 Prozent der Fotos meine Tattoos zu sehen sind. Eine größere Rolle spielen die wohl für die Designer bei der Model-Auswahl. Bei Fotos ist das eher so, dass ich langärmelige Sachen anhabe, wo das Tattoo so ein bisschen rausschaut. Tattoos spielen an sich in Japan eine ganz andere Rolle, und selbst von all meinen Freunden aus der Punk- und Hardcore-Szene dort ist keiner tätowiert, während hier in Deutschland fast alle tätowiert sind. In Japan wurden früher die Verbrecher mit Tätowierungen gekennzeichnet, heute tragen die bekanntlich die Mitglieder der Yakuza, der japanischen Mafia, und mit Tattoos kommt man in Tokio noch immer nicht in Fitness-Studios und öffentliche Schwimmbäder rein, auch als Tourist nicht. Und wäre ich Japaner und hätte Tattoos, würde ich wohl nie einen richtigen Job kriegen. Es gibt zwar auch Leute, Punks und so, die tätowiert sind, aber nur sehr wenige.
Hat es dir beim Modeln geholfen, dass du über Banderfahrung verfügst und dich auf einer Bühne zu bewegen weißt?
Nein. Das dachte ich auch zuerst, doch als ich meine erste Catwalk-Show hatte ... also, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so nervös gewesen bin. Mit der Band auf der Bühne zu stehen, ist das Eine, doch das bist du, das, was du geschaffen hast, das kannst du beeinflussen, da hast du ein gewisses Selbstbewusstsein. Aber ich wusste ja nicht, wie man eine Show läuft, ich hatte so was noch nie gemacht.
Du meinst das mit dem Arschwackeln und so?
Nee, als Mann musst du so natürlich wie möglich laufen, es gibt da keine bestimmte Laufart für Männer. Man hat ein bestimmtes Tempo, das ist alles. Und man darf nicht auf den Boden schauen. Und man bekommt gesagt: Starre einfach ins Leere. Vor der Show gibt es eine Generalprobe, man bespricht den Laufweg, bekommt Feedback - ich musste mir zu Beginn sagen lassen, ich bewege die Schultern zu sehr. Und dann merkt man, wie schwer das ist, sich selbst zu kontrollieren und wenn man beim Laufen so genau beobachtet wird. Da vergisst man beinahe, wie das geht, wenn man sich so darauf konzentriert. Auch laufen und atmen gleichzeitig ist ganz schwer, wenn man das bewusst macht. Und dann das Blitzlichtgewitter: Da sind 400 Leute in dem Saal, alle mit Kamera und Blitz, du siehst nichts vor lauter Blitzlicht. Ein Kollege gab mir dann den Tip, mit den Augen eine Kamera zu fixieren und einfach darauf loszulaufen. Und dann ging das. Irgendwann gewöhnt man sich natürlich an die Situation, macht bis eine Sekunde vor dem Rausgehen noch Witze. Das ist wie bei einem Arzt, wenn der am Feierabend seinen Kittel auszieht und seine Gedanken im Krankenhaus lässt. Vor und hinter der Bühne bin ich jemand ganz anderes, und beim Foto-Shooting ist das genauso. Das hat beinahe ein Jahr gedauert, bis das so war, und jetzt ist das halt mein Job.
Wie waren, wie sind die Reaktion in deinem privaten Umfeld in Deutschland? Hat sich da was verändert?
Was meine Eltern anbelangt, so habe ich in 30 Jahren das erste Mal etwas gemacht, bei dem meine Mutter stolz auf mich ist. Ich habe ihr ein paar Magazine aus Japan geschickt, und die hat die all ihren Freundinnen gezeigt, die ist super glücklich. Da ist aus dem ekelhaften Asi, der früher immer mit Iro rumlief und drei Wochen nicht geduscht hat, doch noch was geworden. Geht nach Japan und macht was aus sich. Doch, es freut mich, dass meine Mutter jetzt was hat, wo sie auf mich stolz sein kann. Was meinen Freundeskreis anbelangt, so gibt es keine Veränderungen: Die Leute wissen, was ich mache, aber sonst ist das kein Thema, denn es ist alles verdammt weit weg. Allerdings haben mich schon sieben meiner besten Freunde in Japan besucht, die haben mich auch in dem Umfeld dort erlebt, waren bei Shootings oder Shows dabei, haben die Poster in der Stadt gesehen. Denen wird dann irgendwann bewusst, wie heftig das ist, was ich da mache. Dabei ist das Leben hier in Deutschland ja auch heftig: Mein Kumpel Richard spielt mit FIRE IN THE ATTIC vor 2.000 Leuten und verkauft mehr T-Shirts als BILLY TALENT. Die machen was echt Kreatives, ich bin ja nur Dienstleister. Oder DENY EVERYTHING, mein größter Stolz, dass meine Freunde eine Band geschaffen haben, die so gut ist, dass LIFETIME in einem Interview in Japan von denen schwärmen. Wenn die das über meine Band gesagt hätten, könnte ich jetzt zufrieden sterben. Ich finde es beeindruckend, dass alle meine Freunde aus dieser Szene irgendwie ihren eigenen Weg gehen und ihr Ding gefunden haben, etwas, das sie gut machen und können. Und ich bin da nur einer unter vielen, die akzeptieren mich genauso wie früher. Ich habe mich ja, glaube ich, nicht verändert.
Vielleicht schützt dich aber auch, dass deine Karriere in einem anderen Land passiert. Wäre das in Köln und nicht in Tokio, könntest du nicht mehr auf die Straße gehen.
Stimmt, das hilft. Wobei ich seit dem Bericht auf RTL und im Express auch in Köln schon angesprochen werde, ob im Fitness-Studio oder an der Uni. Was mich aber am Boden hält, ist Punkrock. Ich bin das schon so lange, bin keiner von den alten Säcken, die nur ab und zu eine RAMONES-Platte auspacken, sondern aktiver Teil der Szene. Punkrock ist lebendig, das lebe ich, jeden Tag. Punkrock ist die generelle Herangehensweise, die mein Leben bestimmt. Punk heißt für mich, seinen eigenen Weg zu gehen, ohne sich von gesellschaftlichen Normen beeinflussen zu lassen, dass man kritisch ist und hinterfragt - und dass man sich selbst nicht zu ernst ist, aber dennoch ernsthaft an die Dinge herangeht. Dass man konsequent ist, dass man seinen Weg zu Ende geht. Dass man jeden Tag so lebt, dass wenn es der Letzte im Leben wäre, dafür Rechenschaft ablegen könnte, nichts zu bereuen hätte. Das ist das, was mir jeden Tag bei allem hilft, was ich mache. Und ganz konkret hilft mir bei meinem Model-Job meine "Fuck you!"-Attitüde, dass ich diese Szene eigentlich nicht gut finde. Ich fand das von Anfang an so lustig, dass die ausgerechnet mich ausgesucht haben, haha. Heute finde ich es einfach geil, dass ich mit dem Job so viel Geld verdiene, dass ich in einem so teuren Land wie Japan nur einen Tag im Monat arbeiten muss, um gut davon leben zu können. Wie geil ist das denn? Wie viel Zeit bleibt mir da für die guten Dinge?
Du hast das Geld in dem einen Jahr dort also auch direkt wieder ausgegeben?
Ja, denn das war schon das krasse Partyleben, da findet man sich schnell in Kreisen wieder, die ... na ja, Promi ist ein Scheißwort, aber da sind schon auch bekanntere Leute dabei, die krasse Partys feiern. Wobei das jetzt auch nicht so Arschloch-Promis sind, sondern schon coole Leute. Und wenn ich da mit einem MISFITS-Shirt rumstehe, findet man schnell Gleichgesinnte, etwa zwei Schauspieler, die ich aus Takeshi Kitano-Filmen kannte. Mit denen bin ich jetzt gut befreundet, und das sind keine abgehobenen Leute, sondern Typen, die halt wissen, dass sie in ihrem Leben an einer Kreuzung richtig abgebogen sind. Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar für die Zeit, die ich dort verbracht habe, ich hatte da unglaublich viel Spaß mit super netten Menschen. Das ist eine Erfahrung, die man eben normalerweise nicht macht.
Wie wird deine Karriere weitergehen?
Erst mal will ich mein Studium zu Ende bringen, denn ich weiß ja, dass ich mit 60 nicht mehr als Model arbeiten werde. Ich habe die ganze Zeit schon in Japan auch als Übersetzer gearbeitet, und weil die Firmen, für die ich übersetze, eben immer was Offizielles sehen wolle, mache ich jetzt meinen Bachelor Of Arts als Übersetzer. Und wenn ich den habe, gehe ich wieder nach Japan und arbeite weiterhin als Model und Übersetzer. Und wenn die Modelsache irgendwann vorbei ist, übersetze ich dann hauptberuflich - oder komme wieder nach Deutschland zurück. Derzeit bin ich ja nur in den Semesterferien dort, weil da ist die "Tokyo Collection" und ich kann auch meine Freundin sehen.
Du wirst die Kolumne, die teilweise auch im Ox zu lesen war, als Buch veröffentlichen.
Ja, das sind mittlerweile tausend Seiten oder so, und die muss ich erst mal editieren. Wo genau das erscheint, ist noch unklar, aber früher oder später wird das kommen - und natürlich "The Tokyo Diaries" heißen. Ich weiß aber jetzt schon, wie das Cover aussehen wird: Wie das von einer Mittneunziger-Emo-Platte, von MINERAL, TEXAS IS THE REASON oder so. Ach ja, und meine Band ZERO THREE gibt es auch noch, wobei das eher schwierig ist, da ja zwei bei FIRE IN THE ATTIC spielen und einer bei DENY EVERYTHING. Buch, Band, Uni und Model in Japan, das ist der Plan. Tja, es läuft im Moment gut für mich, wobei das aber auch 30 Jahre gedauert hat, bis mal was gut läuft. Krass.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #75 Dezember 2007/Januar 2008 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Joachim Hiller