Was tun, wenn Konzerte nicht oder nur in sehr reduziertem Umfang stattfinden können, oder Bands und Künstler*innen wegen Unmöglichkeit der Anreise in ihrem jeweiligen Land bleiben müssen? Streaming-Konzerte haben sich da für viele Musiker*innen und Musikfans als Ausweg angeboten, teils umsonst, teils über einen Bezahlzugang, um entgangenes Einkommen zumindest ansatzweise auszugleichen. Wir erörtern, was dafür und was dagegen spricht.
Dafür
Bei meinem ersten Online-Konzert hab ich noch ein bisschen gefremdelt. Wenn ich nicht arbeiten muss, sitze ich ungern abends vor dem Computer. Aber in Zeiten von Corona, in denen viele Dinge in die digitale Welt wandern, muss man sich eben umstellen. Arbeit im Homeoffice, Schule im Homeschooling. Und Konzerte im Netz. Als Ersatz für feuchtfröhliche Abende in meinen Lieblingsclubs. Ich war skeptisch. Mein erstes Streaming-Konzert war Ende März ein virtueller Liederabend des Schweinfurter Singer/Songwriters Matze Rossi, mit dem ich auch privat befreundet bin. Bier aufgemacht, aufs Sofa gekuschelt, Laptop auf den Schoß und einwählen. Ab dafür. Man konnte sich sogar Songs wünschen. Ich fand den Abend richtig gut. Matze zuzuschauen, wie er mit Mikro und Kamera kämpft, ab und zu einen Kommentar schreiben und natürlich jede Menge gute Musik hören. Das war schon ein Farbtupfer im sonst so tristen Lockdown-Alltag. Besonders gut finde ich die ungewöhnliche Nähe zu den Künstler*innen, selbst wenn es nur am Bildschirm ist. Die Berliner Retro-Rocker KADAVAR zum Beispiel haben Mitte März ein Streaming-Konzert aus ihrem bandeigenen Studio in Berlin-Neukölln übertragen. So einen Einblick bekommt man selten. Natürlich kann so ein Online-Auftritt ein reales Konzert mit Blut, Schweiß und echten Tränen nicht ersetzen, aber in der Not frisst der Teufel eben Fliegen. Bleibt die Frage, ob Streaming-Konzerte vielleicht dauerhaft eine Einnahmequelle für Musiker*innen sein werden? Die Norweger KVELERTAK zum Beispiel haben für ihre erste Online-Show „Live From Your Living Room“ Tickets für neun Euro verkauft. Dafür gab es dann im Anschluss noch eine Fragestunde, das war für Fans bestimmt interessant. Quasi als Mini-Ersatz für die abgesagte Tour. Selbst wenn man Online-Konzerte nicht mag – was wäre denn die Alternative? Konzertmitschnitte auf Arte von längst vergessenen Festivals? Nö.
Wolfram Hanke
Dagegen
It’s the Rückkanal, baby! Nicht viel ist mir aus meinem Studium der Kommunikationswissenschaft in Erinnerung geblieben, aber das: Kommunikation ist, wenn es einen Hin- und einen Rückkanal gibt: Musiker*in steht auf Bühne, Fan davor. Der/die eine singt und spielt, der/die andere applaudiert, ruft Zustimmendes oder Ablehnendes Richtung Bühne. Interaktion! Austausch! All das fehlt bei Streaming-Konzerten, von anderen körperlichen Aspekten ganz zu schweigen. Wohnzimmerpogo ist einmal lustig für 30 Sekunden, wenn die Wall of Death die echte Zimmerwand ist, ist das gefährlicher als die vor einer Bühne, und Gerempel, Geschwitze, Gegröle gehören zu einem Konzert unbedingt dazu. Ja, es gibt bei Streamingkonzerten eine Kommentarfunktion, wow. Oder bei Zoom nimmt der/die Auftretende auch mal Feedback entgegen. Aber das hat was von Telefonsex, von Besucherraum eines Gefängnisses, von „Sex“ über Skype. Der körperliche Austausch fehlt, die echte Berührung, körperlich wie emotional. Streaming-Konzerte sind wie Musikstreaming. Kann man machen. Aber nichts ersetzt das Gefühl, eine Schallplatte auszupacken, sie aufzulegen, das Cover, das Textblatt zu studieren. Ein Streaming-Konzert ist wie eine Reisedoku gucken, statt selbst in den Urlaub zu fahren. Ein Surrogat. Kein Ersatz, sondern eine Notlösung, eine Krücke. So wie die Zoom-Partys, die wir in den letzten Wochen erlebten. Man sieht seine Freunde mal wieder, prostet sich von Bildschirm zu Bildschirm zu und hofft auf das Ende dieser Fernbeziehung. Entsprechend wenig habe ich Streaming-Konzerte genutzt, mich interessieren Konzertfilme schon nicht, von Ausschnitten in Dokus mal abgesehen. Oder von längst nicht mehr existenten Bands. Aber Streaming-Shows? Jenseits des Aspekts, dass man in kapitalistischer Logik nur was bekommt, wenn man was gibt, taugen sie maximal als Finanzierungsmittel für darbende Musiker*innen. Mir geben sie rein gar nichts.
Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #151 August/September 2020 und