Dafür / Dagegen: Coverversionen

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Unter Coverversionen versteht man Neufassungen von Musikstücken durch andere Interpreten ohne wesentliche Bearbeitung von Melodie und Text. Coverversionen sind allgegenwärtig und haben eine lange Tradition. Und sie spalten die Fans. Original und Fälschung. Fake versus Authentizität. Diebstahl oder Hommage? Und die Musiker: einfallslose, stromlinienförmige Kleingeister oder vielleicht doch verkannte Genies mit gutem Riecher? Wo liegt die Wahrheit?

Dafür

Ja, ich gebe es offen zu, ich bin bekennender Coverversionen-Liebhaber. Auch wenn das nicht immer leicht fällt, insbesondere dann, wenn man unsägliche Kirmeskapellen und Tribute-Bands vor Augen hat, die unter solch großartigen Namen wie DIE TOTEN ÄRZTE oder CLAUDIAS OPEL-GANG firmieren und sich in der Rolle gefallen, möglichst nah ans Original heranzukommen und damit entfesselte angetrunkene Überkopfklatscher auf provinziellen Stadtfesten zu bespaßen. Doch auch diese Cretins schaffen es nicht, dieses Genre zu diskreditieren. Schließlich gibt es trotz solcher Ausfälle immer noch genug gute Gründe für Coversongs. 1.: Coverversongs bieten jungen Bands die Möglichkeit, sich erste musikalische Meriten zu verdienen und Erfahrungen zu sammeln. Nicht selten haben heute beliebte Bands ihre Karriere mit Coverversionen ihrer Vorbilder begonnen. Auch hier gilt die alten Weisheit: lieber gut kopiert, als schlecht selbst gemacht. 2.: Coverversongs bieten noch unbekannten Bands die Möglichkeit, bei Konzerten für Mitgrölmomente zu sorgen. 3.: Coverversongs bieten erfahrenen Fahrensleuten die Möglichkeit, vortrefflichen Geschmack und Trüffelschwein-Qualitäten zu beweisen, indem kleine Perlen von völlig zu Unrecht unbekannten Kollegen ans Tageslicht gefördert werden. 4.: Coverversongs bieten die Möglichkeit, schon mit Hilfe kleinster Variationen wie einer Tempoverschärfung oder einer anderen Instrumentierung aus unscheinbaren Songs wahre Hits zu generieren. 5.: Coversongs bieten die Möglichkeit, gute Songs mit wichtiger Botschaft zu verbreiten und verdiente großartige und eventuell auch verkannte Urheber zu würdigen, zum Beispiel auch in Form von ansprechenden Tribute-Alben. 6.: Und Coverversionen bieten schließlich durchaus die Möglichkeit, Kreativität zu beweisen. Die arrogante Einschätzung, bei Coverversionen handele es sich lediglich um das stupide, unoriginelle Reproduzieren von geldgeilen und profilierungssüchtigen Langweilern mit Schreibstau, die sich zudem mit fremden Federn schmücken, wird gelungenen Coversongs in keiner Weise gerecht.

Axel M. Gundlach

Dagegen

Ausnahmen bestätigen die Regel. Das gilt auch für Coverversionen. Auf eine gute kommen hundert schlechte – mindestens! Nicht jeder, der zu fremdem Liedgut greift, hat das so drauf wie Johnny Cash, der beispielsweise mit seiner Interpretation von „If you could read my mind“ (Gordon Lightfoot) oder „Hurt“ (NINE INCH NAILS) das Original übertroffen hat und neue Meisterwerke schuf. Das Schlimmste sind wohl Bands, die, weil es „witzig“ ist, aktuell bekannte Songs in ihrem eigenen Stil verwursten – allein der Gedanke an die „Punk Chartbusters“-Compilations aus den Neunzigern bereitet mir körperliches Unwohlsein. Mag sein, dass man damit desinteressierte Besoffskis auf jedem Konzert zumindest für einen Moment aus ihrer Missachtung für das Geschehen auf der Bühne reißen kann, aber es führt ja zu nichts. Sich mit fremden Federn zu schmücken glückt höchst selten, siehe etwa „Mrs Robinson“, das die LEMONHEADS einst SIMON & GARFUNKEL entrissen. Die Realität besteht aus verhunztem Nachspielen, wo weder Tempo noch Melodie noch der „Spirit“ des bestenfalls guten Originals getroffen werden und sich jeder Musikliebhaber – gerade, wenn man das „Opfer“ schätzt – mit Grausen abwendet. Aber es geht immer noch schlimmer: Coverbands sind Hölle! Okay, mit gewissen Abstrichen kann man RAMONES-Nachspieler aus gewissen popkulturellen Gründen durchgehen lassen, aber dass eine reine BON JOVI-Coverband alle paar Monate das Kulturzentrum um die Ecke ausverkauft und dort sonst 90% des Musikprogramms aus anderen Coverbands besteht (PINK FLOYD, IRON MAIDEN, DEEP PURPLE ...) ist unfassbar schlimm und tragisch. Und da haben wir noch nicht über die ganzen Stadtfest-Coverbands gesprochen, in denen sich oft renommierte Musiker verdingen müssen, deren eigene, kreative Bands keiner buchen will – für Pop- und Rock-Cover hingegen werden dicke Gagen gezahlt. Hätte ich was zu sagen in diesem Lande, wäre ich die Entscheidungsinstanz, die auf Antrag Coversongs erlaubt oder verbietet.

Joachim Hiller