„Chabad Religion“ von D-COMPOSERS war für mich der Punkrock-Coup im letzten Jahr, ein Projekt um Fat Mike von NOFX und Yotam Ben Horin (USELESS ID, TOMMY AND JUNE). Ich wollte von ihm wissen, was ihn zu diesem Projekt bewogen hat. Ein Gespräch über Pandemie, jüdische Identität und die Lust am Leben.
Yotam, du bist viel unterwegs. Wo erreiche ich dich?
Ich befinde mich gerade in Großbritannien mitten im Stufe 4-Lockdown und die Nachrichten berichten über eine Mutation von Corona. Dies ist gerade der einzige Ort auf der Welt, wo meine Verlobte Paola und ich Aufnahme gefunden haben.
Wie hast du die Zeit seit Ausbruch der Pandemie erlebt? Wie hat sich dein Alltag als Künstler dadurch verändert?
Am Anfang war ich geschockt, wie jeder andere auch, und begann mich zu fragen, ob das alles wirklich wahr sein kann. Ich hatte gerade eine Japantour mit USELESS ID beendet und fuhr für ein paar Wochen nach Thailand. In der Zwischenzeit begann sich die Pandemie in Israel und in anderen Teilen der Welt auszubreiten. Ich tat mein Bestes, um bei Paola zu sein. Sie kam nach Israel und wir flogen kurz darauf nach Italien. Während der wenigen Tage in Italien wurden schon Flüge gestrichen und es war von Abriegelung die Rede. So mussten wir uns am Flughafen trennen. Am Anfang war ich deprimiert, aber ich merkte, dass ich nicht zu viel nachdenken sollte. Ich hatte die Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwann ändern würden. Um mich zu beschäftigen, begann ich, mir selbst Klavierunterricht zu geben. Ich habe mich jeden Tag dreißig Minuten hingesetzt und versucht, Griffe und Noten herauszufinden, die irgendwie gut zusammen klingen, nur nach Gehör. Ich bin inzwischen ziemlich gut geworden und kann schon viele meiner Songs spielen. Ich habe sogar wieder begonnen, ein wenig zu schreiben, nachdem ich in den ersten paar Corona-Monaten überhaupt nichts geschafft hatte. Ziemlich früh habe ich außerdem angefangen, mein Facebook-Live-Ding zu machen, und habe gemerkt, dass es den Leuten wirklich Spaß macht. So ist eine kleine Online-Community entstanden. Es ist wirklich schön und bereichernd zu erkennen, was für eine Kraft in der Musik liegt. Ich habe mir inzwischen ein Equipment für Online-Streams zugelegt, denn wer weiß, wann wir wieder normale Konzerte spielen können? Also ist es gut, die Ausstattung zu haben. Im Juni sah ich Paola nach vier Monaten endlich wieder und wir verbrachten den Sommer miteinander. Diese Zeit war sehr inspirierend für mich und so schrieb ich mehrere Songs für ein zukünftiges Soloalbum und fing sogar an, einige Melodien für USELESS ID zu komponieren.
2020 hast du als Teil der D-COMPOSERS mit „Chabad Religion“ ein bemerkenswertes Album in hebräischer Sprache veröffentlicht. Ihr habt Punkrock-Versionen wichtiger jüdischer Gebete eingespielt. Bitte erzähl uns, was euch zu diesem Album bewogen hat.
Nun, ich wohnte bei Fat Mike auf seinem Six Floggs-Gelände. Dort kommst du ständig auf neue Ideen, diskutierst sie und nimmst Musik auf. Wir hatten gerade einen Song mit dem Titel „B-273“ zum Gedenken an meinen Großvater aufgenommen, der ein Holocaust-Überlebender war, und wollten ihn ein bisschen bekannt machen. Am Anfang bin ich ganz oldschoolig mit dem Bike durch Los Angeles gefahren und habe den Song als Zugabe zu einer TOMMY AND JUNE-CD in die Briefkästen geworfen. Als das erledigt war, schickte ich eine Mail an alle Synagogen in der Gegend und ein paar Rabbiner meldeten sich und wollten sich mit mir treffen. Nach einem dieser Gespräche sagte der Rabbi: „Übrigens, wenn du irgendwann mal Coversongs von jüdischen Gebeten machen könntest, wäre das großartig.“ – „Okay, ich kann es entweder als Punk oder als Folk machen“, antwortete ich. „Ich habe noch nie ein jüdisches Gebet in einer Punkrock-Version gehört“, sagte er. Damit ging ich zu Fat Mike, der meinte: „Wir werden nicht nur ein paar Songs machen, wir produzieren ein ganzes Album!“ So fing es an. Ich suchte mir zehn Gebete aus, von denen ich dachte, dass sie als Punk-Songs gut klingen könnten. Gemeinsam mit Baz und Johnny machten wir uns dann sofort an die Arbeit.
Wie hat die jüdische Gemeinde auf das Album reagiert? Und wie ist das Album bisher allgemein aufgenommen worden?
Soweit ich das überblicken kann, ist das Album momentan ausverkauft; ein ganz gutes Zeichen also. Wir haben seit der Veröffentlichung jede Menge großartiges Feedback erhalten und ich wurde in einem jüdischen Podcast namens „Go Simcha“ dazu interviewt.
Punk ist ganz überwiegend eine ausgesprochen religionskritische Angelegenheit. Wie würdest du das Verhältnis zwischen den religiös-jüdischen Communities und der Punkrock-Szene in Los Angeles und in Israel beschreiben?
Um ehrlich zu sein, habe ich heute keine so starke Verbindung mehr zum Judentum. Ich bin jüdisch aufgewachsen und habe während meiner Kindheit acht Jahre eine Jeschiwa, ein Tora- und Talmudschule besucht. Aber als ich Punkrock entdeckte, fand ich meine Stimme und entwickelte Ansichten über die Welt, die nicht dazu passten. Ich bin kein Anhänger der Religion mehr. In Israel habe ich kaum Kontakt zur jüdischen Gemeinde, weil ich die meiste Zeit des Jahres nicht dort verbringe. Deshalb fällt es mir schwer, auf deine Frage zu antworten. Für mich war „Chabad Religion“ ein Spaßprojekt mit Liedern, die mir sehr vertraut sind, und ich finde, das Album ist großartig geworden. Aber ansonsten geht mein Verhältnis zum Judentum über eine lockere kulturelle Traditionspflege in der Familie nicht hinaus.
Steven Lee Beeber schrieb einmal etwas überspitzt, dass es ohne die Erfahrung der Shoa keinen Punkrock hätte geben können. Er hob dabei auf jüdische Identitäten in der post-nationalsozialistischen Konstellation ab und den Umstand, dass viele der frühen Punk-Aktivisten in den USA einen kulturellen jüdischen Hintergrund hatten. Gibt es deines Erachtens Traditionen oder kulturelle Praxen einer als spezifisch jüdisch beschreibbaren (Sub-)Kultur, die Einstellung, Ausdruck und Ästhetik der entstehenden Punk-Kultur beeinflusst haben oder noch immer beeinflussen?
Ich denke, dass die Shoa als Teil des biografischen Hintergrunds etwas mit einem macht. Ich meine, denk mal darüber nach: Ich wäre nicht hier, wenn mein Großvater das Ganze nicht überlebt hätte, was er durchmachen musste. Diese wahnsinnige Geschichte lässt einen die Tatsache, dass man lebt, noch mehr schätzen. Sie gibt einem einen gewissen Antrieb, leben zu wollen, jedes Hindernis zu überwinden. Sie gibt einem die Kraft, seine Kreativität darauf zu richten, wie man Dinge zum Laufen bringt, wenn sie nicht funktionieren. Niemals aufgeben, weil es immer Hoffnung gibt.
Ich habe den Eindruck, dass sich die Punk-Szene in den USA während der Präsidentschaft Donald Trumps wieder stärker politisiert hatte. Hat das einen Mobilisierungseffekt in der Szene ausgelöst?
Nun, die US-Punk-Szene war schon vor Trump politisch, aber seine Wahl war so was wie der letzte Sargnagel. Ich denke, er war einer der außergewöhnlichsten Präsidenten ever. Wegen ihm habe ich in den paar Monaten, die ich letztes Jahr in den USA gelebt habe, einige Songs geschrieben, um damit die neuesten Entwicklungen kommentieren. Gefühlt kam jeden Tag was Neues: Ein Tweet auf Twitter ... Es ist verrückt, wie viele Leute ihn unterstützt haben. Ich habe es immer mit „Zurück in die Zukunft“ verglichen: Wenn Biff der mächtigste Mann der Welt ist, ist das die Hölle. Ich denke, in der aktuellen Situation ist alles besser als eine Trump-Präsidentschaft.
Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? Wird es vielleicht sogar ein neues Album von USELESS ID geben?
Ja, in den letzten Monaten habe ich ständig an neuer Musik gearbeitet, viele Demos aufgenommen und mit unserem Schlagzeuger Corey geprobt. Vor kurzem habe ich acht Songs an die übrigen Bandmitglieder geschickt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo wir musikalisch hinwollen. Ich bin wirklich gespannt, was da zurückkommen wird. Es ist nicht einfach, ein inhaltlich starkes und musikalisch originelles neuntes Album mit einer Band zu schreiben, die schon seit über 25 Jahren aktiv ist. Es ist harte Arbeit, aber harte Arbeit führt zu Ergebnissen und darum geht es am Ende des Tages. Wäre die ganze Angelegenheit zu einfach, würde es sich am Ende womöglich weniger befriedigend anfühlen, wenn einem schließlich ein guter Song gelungen ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #154 Februar/März 2021 und Salvador Oberhaus