Als hellen Schein, der aus dem „geistigen Erdloch“ (Wiglaf Droste) Bayreuth leuchtet, bezeichnete ich die Hardcore-Band CYCOSIDE im Review ihrer EP „Let The Riot Begin“ in Ox Nr. 121. Ich nahm dann mit dem deutschen Pendant von ALL FOR NOTHING Kontakt auf, erhielt daraufhin Zeitpunkt und Koordinaten, an denen wir unser Interview machen könnten. CYCOSIDE waren nämlich zu einer Secret-Show in einer alten Fabrikhalle in der Oberpfalz eingeladen worden. So konnte ich einen energiegeladenen Auftritt der Band sehen und mich auch noch über die Situation der Flüchtlinge auf dem Lande erkundigen – denn damit befasst sich Frontfrau Nathalie beruflich.
Ihr wohnt relativ weit auseinander. Wie klappt das mit der Band?
Jörg: Ich ziehe morgen nach München zum Weiterstudieren. Das Proben unter der Woche fällt dann flach. Wir haben das besprochen und die anderen drei waren einverstanden, dass wir am Wochenende proben.
Andre: Wenn aus einer Band etwas werden soll, muss man solche Hürden einfach überwinden.
Nathalie: Man nimmt sich eben die Zeit. Ich wohne auch sechzig Kilometer vom Proberaum entfernt.
Wie ist das Leben auf dem Land als Hardcore-Musiker?
Frank: Mir gefällt’s. Natürlich wäre es aber in einer großen Stadt leichter, an Shows ranzukommen.
Nathalie: Die Band ist der einzige Grund, warum ich noch da bin. Ich bin extra nicht nach Berlin gezogen, obwohl ich es gerne getan hätte.
Andre: Hier auf dem Land kommen die Leute oft damit an, dass wir mit dem Geschrei aufhören sollen und anfangen sollen, Musik zu machen, am besten gleich als Coverband.
In dem Zusammenhang fand ich es spannend, dass ihr bei so komischen Gelegenheiten wie Kirchweih oder in Festzelten auftretet. Ist das bei eurer Musik nicht absurd?
Andre: Das war bisher zweimal der Fall. Bei der letzten Kirchweihe war es keine Kontra-Veranstaltung, weil wir unsere ganzen Fans mitgebracht haben, haha. Wir waren daraufhin eigentlich immerzu in der Regionalpresse. Wir haben dann noch zwei Bandcontests gewonnen, was ich mir bei unserer Musikrichtung auch nur schwer erklären kann. Aber irgendwie scheinen wir alles richtig gemacht zu haben.
Nathalie: Natürlich können die meisten damit nichts anfangen. Da sind so Szene-Shows wie heute mit lauter Hardcore-Bands natürlich cooler.
Frank: Wir kamen dazu, da mein Schlagzeuglehrer uns als Vorband für seine Band JUSTICE engagiert hat.
Jörg: Wenn wir spielen, kannst du dir das als ganz normales Hardcore-Konzert vorstellen, nur dass es im Zelt ist, da tanzt keiner Discofox vor der Bühne.
Warum macht ihr ausgerechnet Hardcore-Musik? Und wie wichtig ist euch die Message?
Nathalie: Hardcore ist eine Lebenseinstellung. Die Musik ist was Echtes. Das kommt einfach raus, wie man es fühlt. Ich schreibe Texte, die mich persönlich berühren. Das kann ich auch viel besser auf der Bühne rüberbringen. Und dann kommt die Message ganz von allein.
Andre: Hardcore macht einfach Spaß, weil er einfach eine ganz andere Energie hat als alle anderen Musikrichtungen. Die Message ist ganz klar und einfach: Hardcore darf nicht aussterben.
Wie wollt ihr dazu beitragen?
Andre: Wir haben von Anfang an gesagt, wir spielen hier nicht nur aus Spaß, wir wollen auch etwas damit erreichen.
Jörg: Wir wollen jetzt sicher nicht Rockstars werden, aber eine gewisse Ernsthaftigkeit gehört für uns dazu. Und gerade das macht uns gleichzeitig auch Spaß.
Wo wollt ihr mal landen, wenn ihr keine Rockstars werden wollt?
Andre: Der nächste Schritt wäre eigentlich, bei einem Label unterzukommen, auf Tournee zu gehen und die Musik so weit zu seinem Leben zu machen, um davon tatsächlich auch irgendwann leben zu können.
Was macht ihr dafür?
Andre: Wir haben unsere CDs an Magazine und Labels geschickt. Dann sind wir natürlich bemüht, Shows zu spielen, die uns weiterbringen. Langsam werden wir auch bekannter. Für das Konzert, für das ALL FOR NOTHING bereits zugesagt hatten, wurden wir angeschrieben, das hat genau gepasst.
Mir scheint, Hardcore großer Bands wie TERROR oder COMEBACK KID boomt total, kleine beziehungsweise unbekannte Bands haben es hingegen schwer, oft tauchen da nur wenige Leute auf den Konzerten auf. Wie seht ihr das?
Andre: Die großen Bands werden natürlich gepusht. Die ganze Impericon-Geschichte oder With Full Force – da sind mehr oder weniger immer die selben Bands, gerade die, die den Sprung geschafft haben.
Nathalie: Generell ist es aber so, dass es verdammt viele kleine Hardcore-Bands gibt. Weil es so viele sind, ist es wahrscheinlich schwer, da rauszustechen oder entdeckt zu werden.
Und wie geht’s diesbezüglich bei euch weiter?
Nathalie: Wir fahren demnächst nach Nürnberg ins Studio und nehmen einen Song auf. Den könnten wir kostenlos online stellen und dann auch ein Video dazu machen. Dann geht es Ende des Jahres weiter mit einer CD, was wir wegen unserer EP-Veröffentlichung „Let The Riot Begin“ verschieben mussten.
Ihr lebt ja im rechtspopulistisch regierten Bayern mehr oder weniger auf dem Land. Helfen die Menschen den Flüchtlingen bei euch oder brennen schon die – geplanten – Unterkünfte?
Jörg: Auf dem Land ist es ganz schlimm! Die Leute haben noch nichts persönlich gesehen oder erlebt. Ich bin schon in München am Hauptbahnhof vorbeigekommen und habe gesehen, welche Leute da ankommen, wie sie aussehen und wie es ihnen geht. Das ist das Krasseste, was ich bis jetzt in meinem Leben gesehen habe.
Nathalie: Ich wohne in einem kleinen 500-Einwohner-Dorf in der Oberpfalz. Hier sind keine Flüchtlinge untergebracht, jedoch in manchen Nachbarorten, wo sie bisher eher unauffällig leben. Eigentlich bekommt man hier direkt vor Ort wenig von der Flüchtlingspolitik mit, außer durch die Medien. Man hört in den Nachrichten von den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, aber bei uns habe ich noch nichts dergleichen mitbekommen. Durch meine Arbeit in einem pädagogischen Verein, welcher unter anderem eine Erstaufnahmestelle leitet, habe ich natürlich eher mit helfenden Menschen zu tun. Niemand flieht aus seinem Land und verlässt seine Heimat, seine Freunde und Bekannte, nur weil er gerade eben mal Bock drauf hat. Bevor wir Menschen einander mit Hass gegenüber stehen, sollten wir uns mit Achtung, Wertschätzung und Respekt begegnen. Nur so kann sich auf Dauer etwas verbessern.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Roman Eisner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Roman Eisner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #121 August/September 2015 und Roman Eisner