Schon mal ein Interview in einem Baumarkt erlebt? Und anschließend die Band in der Sanitär-Abteilung fotografiert? Nein? Auch nicht mit einem gebrochenen Bein? Okay, es gibt für alles ein erstes Mal. Die drei von der Genregrenzen überschreitenden Berlin-based Krach-Combo CUNTROACHES und der Ox-Schreiber im Regenerationsprozess treffen sich zum Gespräch im Baumarkt-Café. Wir sprechen über das neue, liebevoll gestaltete Merch der Band und über das erste, titellose Album, kürzlich auf Skin Graft erschienen. Und eine Tour steht auch an.
Was treibt ihr gerade?
Claire: Wir bereiten uns momentan auf die Gigs in Großbritannien vor. Es sollten zehn werden, aber es gab ein paar kleine Terminprobleme und jetzt sind es neun. Start ist in Nottingham, dann London, und wir spielen auf einem brandaktuellen neuen Festival. Das wird von den Leuten organisiert, die sonst das Supernormal veranstaltet haben. Es ist ein Independent-Festival für Noise- und ähnliche Projekte. Danach geht’s nach Wales, Leeds, Manchester, Sheffield und zuletzt Glasgow und Newcastle.
Ihr spielt in sehr unterschiedlichen Venues, zum Beispiel Punk-Läden wie der Kastanienkeller im Prenzlauer Berg, aber auch bei Kunst-Events wie dem CTM Festival. Passt das für euch gut zusammen?
Martina: Wenn wir ein Set spielen, können wir es düster gestalten oder mit mehr Techno, aber auch Hardcore oder krasser Elektronik. Wir variieren gern und oft und können demnach auch gut oder evil sein. Wenn es passt, werden wir es definitiv liefern. Gleichzeitig würde ich sagen, dass wir musikalisch sehr breit aufgestellt sind und auch spektakulär, aber es ist nicht Avantgarde. Wir nehmen ganz verschiedene Sounds und Sachen und lassen sie gegeneinander knallen.
Zu eurer relativ brachialen Musik passt es ganz gut, das ihr heute hier auf der Baumarkt-Toilette Band-Fotos machen wollt.
Claire: Nein nicht wirklich. Wir wollen sie in der Sanitär-Abteilung machen. Und wir dachten, dass vielleicht du sie aufnimmst ... Wir haben herausgefunden, dass sie nur zwei verschiedene Größen an Toilettendeckeln verkaufen. Allerdings haben sie sehr viele verschiedene Designs.
Benutzt ihr auch Sachen oder Instrumente vom Schrottplatz oder von Baustellen, wie einige Industrial-Pioniere?
David: Martina hat ein Horn aus Toilettenrohren gebaut.
Martina: Ich habe sie aus einer alten Toilette rausgerissen, als ich einen sehr seltsamen Job während der Corona-Zeit hatte: bei reichen Leuten Häuser renovieren. In einem haben wir die Toilette entsorgt und ich habe die Rohre dann in dieses Horn umgebaut. Du kannst das auf YouTube anschauen. Es ist wie so ein Horn, das früher benutzt wurde, um zum Angriff oder zur Schlacht zu blasen, bevor sich die Krieger gegenseitig umbrachten.
Claire: Wir sind eigentlich alle verschieden und erforschen mit diversen Geschmäckern unterschiedliche Genres. Wir werden oft gefragt, wie es ist, bei so unterschiedlichen Veranstaltungen zu spielen. Häufig denken wir darüber nach, was die Leute bei unserer Musik raushören: Nehmen sie die Elemente wahr, die sie mögen und interessieren? Wir machen Noise und Experimental, wir spielen bei Punk-Gigs, auf Metal-Festivals, Hardcore ... aber auch im Berghain. Wir fragen uns: Worauf ist das Publikum aus?
Je nach Event kann eine Crowd im Berghain sehr unterschiedlich sein.
Claire: Wir waren letztes Jahr am Frauentag dort. Es war ziemlich speziell.
David: Es gab ein paar Bands und es gab Darkrooms, die für alle geöffnet waren, was sonst nicht immer der Fall ist. Wir haben an der „Säule“ gespielt, dahinter gibt es so eine Art Sexhöhle mit Käfigen. Direkt daneben ist ein Men Only Club, der war offen, an dem Tag aber für alle, das war das Konzept für diese eine Nacht. Es gab vorher die Idee, dass wir in diesem Men Only Club namens Lab.oratory spielen sollen. Das wäre sehr cool gewesen. Es hat aber aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt. Ich glaube, es lag daran, dass es Probleme mit dem Sound gab.
Martina: Ein Teil unserer Performance ist ein großer BH-Bier-Harness, den ich trage. Da sind zwei Dosen Pilsator drin. Damit kann ich die Leute im Publikum bespritzen. Das kommt immer sehr gut an. In der Vergangenheit haben wir auch öfter mit Trash und Müll experimentiert, sowohl organischem wie auch aus Plastik. Wir haben das ins Publikum geworfen und uns darin gewälzt.
David: Wir haben fünf große Müllbeutel dabei.
Martina: Wir lassen das nicht liegen. Wir nehmen das wieder mit. Wir haben Standards.
Was bei eurem Design auch toll aussieht, sind die Katzen. Ich mag Katzenfotos in sozialen Medien überhaupt nicht, die sehen meist alle gleich aus und sind kitschig. Aber eure Bilder sind so eigen, die Tiere wirken cool und elegant.
Martina: Neben Toiletten mögen wir auch Hunde und Katzen. Wir sind eine Pet-themed Metal-Band. Ich hatte mal die Idee, dass wir Dosen mit unserer eigenen Hundefutter-Marke rausbringen.
Ich sah gestern, dass eine ziemlich bekannte hiesige Indie-Band Flip-Flops mit ihrem Logo verkauft.
Martina: Dann sind sie eine Flip-Flop-basierte Band? Hat eigentlich jemand Zehensandalen als Band-Merchandise?
Kommen wir mal zu eurem ungefähr neun Minuten langen Video „Borborygmus“. Da ich Horrorfilme liebe, aber computergenerierte Szenen nicht mag, gefällt mir der Film sehr.
David: Es ist aber viel CGI in dem Video, haha. Okay, es ist im Großen und Ganzen schon sehr Anti-CGI.
Wie kamt ihr auf die vielen Ideen in dem Film?
David: Als wir die Songs mixten, kamen wir durch Martinas Schreigesang auf die klassische Hexe in einem verwunschenen Haus. Ich dachte auch an die Serie „Geschichten aus der Gruft“ mit dem Cryptkeeper und habe das Ganze in einem Storyboard festgehalten. Wir haben mehrere Ideen eingebracht, wie die Bäume, die Puppen und das Haus, bauten Miniaturen und haben binnen eines Jahres gelegentlich daran gearbeitet. Nach vielen Vorbereitungen – ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, wo das Ganze hinführt – hat sich Martina als Hexe verkleidet, mit einer Nasen-Prothese, langen Fingern und Goblin-Ohren. Dann haben wir angefangen zu drehen.
Martina: Wir dachten, es wird zwei Tage dauern. Daraus wurden zwei Wochen. Es war viel Arbeit, die Sets zu bauen, vor allem innerhalb des Hauses, wo es überall qualmen sollte. Wir haben Zigaretten geraucht und den Qualm durch die Fenster in das Haus geblasen. Wir fühlten uns ein bisschen wie kleine Kinder, die eine Entschuldigung zum Rauchen haben. Wir kicherten rum und nach all den Tagen mit den vielen Zigaretten fühlten wir uns etwas schlecht.
David: Wir wollten zuerst mit Trockeneis arbeiten, aber das ist irgendwie giftig und schrecklich und teuer.
Es sieht nach viel handgemachter Arbeit aus ...
David: Ja. Die Real Shots haben wie gesagt zwei Wochen gedauert, wir hatten aber noch so viel mehr Ideen, und es hat ein weiteres halbes Jahr gedauert mit all den Figuren und Miniaturen und auch dem Greenscreen. Wir haben etliche Modelle der Figuren gebaut, dazu die Bäume und so weiter. Der Schnitt hat dann noch mal ein bis zwei Jahre gedauert.
Martina: Wir wollten es detailliert haben, die Drums sehen zum Beispiel genauso aus wie in echt, die Sticks haben sogar mein Logo drauf.
David: Es brachte viel Spaß. Wir haben Poster von unseren Touren verkleinert, aufgehängt und gefilmt. Es wurde ein bisschen obsessiv, da es so viel Freude bereitete. Gerade wegen der Corona-Zeit war es eine interessante Aufgabe.
Martina: Ohne Corona hätten wir das wahrscheinlich niemals auf die gleiche Weise gemacht.
David: Wir haben ein paar neue Ideen für Musikvideos. Schauen wir mal, was passiert.
Folgt nach UK eine weitere Tour?
Martina: Im Juni spielen wir in Leipzig auf einem Noise-Festival und im August in einem alten Bunker zwischen Berlin und Leipzig. Wir versuchen auch, etwas in den USA klarzumachen. Wir haben das Album jetzt dort rausgebracht und da wäre es ganz schön, es auch vor Ort zu promoten.
Zuletzt will ich noch wissen, was es mit dem aktuellen Podcast mit Lydia Lunch auf sich hat.
Martina: Wir waren etwas scheu. Es war ein bisschen einschüchternd ...
David: ... aber auch spaßig. Wir sind alle Freunde von Tim Dahl, der den Podcast mit ihr macht und der in einer Menge Bands gespielt hat, auch mit Lydia Lunch. Martina und ich haben früher schon mit Lydia gespielt. Ich hatte bis vor kurzem keine Ahnung, dass sie einen Podcast hat.
Martina: Wir sollten auch einen Podcast haben!
David: Ja. Aber wir wären so schüchterne Gastgeber.
Martina: Dafür sind wir innen drin reich und vielseitig.
David: Du bist auch von innen eher scheu.
Martina: Okay, dann bin ich eben schüchtern und alle anderen sind Draufgänger ...
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