CRYSTAL SODA CREAM

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Vienna Decay

Das Wiener Trio CRYSTAL SODA CREAM, auf dem lokalen Label Totally Wired beheimatet und aus Theresa Adamski, Sebastian Ploier und Philipp Forthuber bestehend, gräbt in den dunklen Untiefen von britischem Post-Punk, Wave Rock und früher innovativer NDW wie beispielsweise PALAIS SCHAUMBURG oder ABWÄRTS. Dabei geht auch um distinguierte Kälte und Minimalismus in einer Art und Weise, wie es einst sehr gut ins Vorprogramm von JOY DIVISION gepasst hätte. Gerade ist ihr zweites Album „Work & Velocity“ erschienen.

Euer aktuelles Album „Work & Velocity“ ist ein im absolut positiven Sinne anachronistisches Album zwischen Post-Punk, New Wave und NDW. Könnt ihr etwas zu euren Einflüssen und eurer ganz individuellen musikalischen Sozialisation sagen?

Philipp: Wir lassen uns vor allem durch unser Umfeld beeinflussen, die Bands von Totally Wired Records, das DJ-Duo Sirius & Darktunes, Mike und Flo vom TRANSFORMER und viele andere. Wer in Wien was über Post-Punk wissen will, ist bei diesen Leuten an der richtigen Adresse. Außer Post-Punk hören wir im Tourbus aber auch Hardcore-Punk oder den einen oder anderen Classic-Rock-Hit aus den Siebzigern.

Theresa, du hast das Artwork für die Single-Auskopplung „Rationale Arbeitsschritte“ gestaltet. Ist das etwas, was du in Zukunft verstärkt machen willst, oder auch ein berufliches Standbein? Was ist der Hintergrund zu diesem Song?

Theresa: Mir war von Anfang an, als ich begonnen habe in Bands spielen, auch das Visuelle sehr wichtig. Wenn man kein Geld hat, ist die einfachste Methode, alles selbst zu machen – seien es die Plattencover, die Musikvideos oder die Bühnenkostüme. Mittlerweile fällt es mir schwer, irgendetwas davon aus der Hand zu geben. Das Artwork bezieht sich immer auf die Inhalte der Musik, manchmal auf Assoziationen, die ich irgendwann zu einem Song hatte, und manchmal durch direkte Zitate, wie bei „Rationale Arbeitsschritte“. In diesem Stück geht es um die Vereinnahmung des Lebens durch moderne und neoliberale Arbeitskonzepte. Da erschien in meinem Kopf sofort die dystopische Stadt aus dem Fritz Lang-Film „Metropolis“. Videos und Coverartwork mache ich auch immer wieder für befreundete Bands wie JUST FRIENDS AND LOVERS, DUST COVERED CARPET, Ana Threat oder KRISTY AND THE KRAKS, aber in den kapitalistischen Arbeitsmarkt will ich damit nicht.

Ihr habt jüngst in Freiburg mit der britischen Wave- und Post-Punk-Legende THE CHAMELEONS gespielt. Hattet ihr Gelegenheit, euch mit Mark Burgess auszutauschen?

Philipp: Wir haben uns insofern ausgetauscht, als dass der Tourmanager der CHAMELEONS uns der Bühne verwies und in feinstem Englisch die Starallüren der Band kommunizierte. Schlussendlich ermöglichte uns der -– nebenbei erwähnt großartige – Slow Club, in einem toten Winkel eine neue Bühne zu eröffnen. Für uns, die wir meist in einem sehr freundschaftlichen D.I.Y.-Umfeld spielen, war das Gehabe der CHAMELEONS gar nicht Punk. Unser Konzert war trotzdem toll, da wir uns bei den Slow Club-Leuten sehr willkommen gefühlt haben und das CHAMELEONS-Publikum super auf unsere Musik angesprungen ist.

Theresa, du hast vor einigen Jahren in einem Interview erwähnt, dass THE CURE für dich kein Post-Punk-Act ist, weil es nicht wirklich eine Weiterentwicklung von Punk ist und für dich die minimalistische Herangehensweise sehr wichtig ist. Wie beziehungsweise mit welchen Mitteln setzt ihre diesen Minimalismus auf dem aktuellen Album um?

Theresa: Haha, ja mein Post-Punk-Begriff deckt sich nicht mit jenem, der auch in unserem Umfeld meist verwendet wird. Für mich waren Bands wie THE SLITS oder DELTA 5 der Grund, mich überhaupt ans Musikmachen heranzuwagen. Bei diesen Bands geht es für mich nicht um super produzierte Gitarrenwichserei, sondern viel mehr um das Spielen mit Noise, minimalistischen Basslinien und das Experimentieren mit der Stimme. Bei CRYSTAL SODA CREAM kann ich trotz fehlender Virtuosität am Schlagzeug vieles ausprobieren, das ist für mich Post-Punk.

Philipp, deine Stimme wird mitunter mit der von Robert Smith von THE CURE verglichen. Ist das für dich ein annehmbarer, akzeptabler Vergleich oder eher eine Belastung?

Philipp: Menschen – ich selbst natürlich eingeschlossen – tendieren dazu, Referenzen zu verwenden, die ihrem eigenen Kenntnisstand entsprechen. Folglich kommt der THE CURE-Vergleich natürlich relativ oft zur Sprache. Was für mich nicht mehr heißt, als dass die musikalische Sozialisation der Rezensenten in Sachen Wave nicht weit über „Boys don’t cry“ hinausgeht. Vor kurzem wurden wir beispielsweise mit DURAN DURAN verglichen. Demnach: Nein, das macht mir überhaupt nichts aus. Würde ich mit gleicher Stimme zu anderer Musik singen, käme niemand auf die Idee, ich klänge wie Robert Smith.

Obwohl ihr euer Debütalbum von 2013 „Escape From Vienna“ benannt habt, gibt es etwas an euch etwas, das „typisch wienerisch“ ist oder euch als Wiener Band erkennen lässt?

Theresa: Wenn Wiener sein heißt, in Wien zu leben, dann: ja. Ansonsten kann ich mit diesen Würstelstand-, Grantler-, Stephansdom-Klischees, wie sie von diversen Bands bemüht werden, nichts anfangen. Ab und zu trage ich T-Shirts des Wiener Kollektivs Vienna Decay. Darauf ist ein im Zustand der Auflösung begriffenes Wiener Wahrzeichen zu erkennen. Damit kann ich schon mehr anfangen. Ich identifiziere mich eher mit politischen Haltungen als mit der Stadt oder gar dem „Land“, im dem ich lebe. Dass es ein wahnsinniges Privileg ist, in dieser Stadt leben zu können, vergesse ich dabei natürlich keineswegs. Aber das Ziel muss eine Stadt sein, in der alle willkommen sind, und nicht eine, in der über 30% der Wähler die extreme Rechte unterstützen.

Vom „Überwiener“ Hans Moser gibt es den wunderbaren Satz „Ich bin innerlich total derangiert“. Irgendwie fast schon ein toller Songtitel. Was wühlt euch innerlich auf und wie findet es Eingang in eure Texte?

Philipp: Wir sind eine wütende Band und uns geht vieles auf die Nerven: die neue faschistische Welle, Nationalismus, Antifeminismus, Ausbeutung von Arbeitenden, fehlende Solidarität mit Geflüchteten, generell fehlende Solidarität. All diese Themen werden auch in unseren Texten behandelt.